Mali: Jihadistische Attacken im Norden spitzen sich zu
Deutsche Bundeswehr und französische Armee stehen unterdessen in fragwürdigen Einsätzen vor Ort stationiert

von Bernard Schmid

02/2017

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Ein mit Sprengstoff beladener LKW, der sich im Hof der angegriffenen Kaserne in einen Feuerball verwandelt, und 77 Tote: Das ist die vorläufige Bilanz des verheerenden Selbstmordattentats vom Mittwoch, den 19. Januar 17 in Gao im Norden Malis. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/) Ein Jihadist hatte nicht zufällig gerade jene Kaserne angegriffen (vgl. https://bamada.net/), in welcher frühere Kombattanten verfeindeter Konfliktparteien – aus den Reihen der Tuareg-Separatisten, die 2012 den Norden Malis vorübergehend vom übrigen Land abspalteten, sowie der auf Regierungsseite kämpfenden loyalistischen „Plattform“ – zu gemeinsamen Patrouillen ausgebildet wurden. Dort sollte die ehemaligen verfeindeten Kämpfer unter eine gemeinsame Uniform gesteckt und in die Armee des westafrikanischen Landes eingegliedert werden. Im Juni 2015 war in der Hauptstadt Bamako ein „Friedensabkommen“ für den Norden des Landes feierlich unterzeichnet worden (vgl. http://jungle-world.com/), das seit dem 1. September 2014 in Algier mühsam ausgehandelt worden war.

Das Attentat, das bislang schwerste in der Region, zielte darauf, diesen Prozess der Konfliktüberwindung rückgängig zu machen. (Vgl. http://www.lemonde.fr ) Zu ihm hat sich mittlerweile die jihadistische Gruppe der Mourabitoun – das ist die arabische Bezeichnung der Almoraviden, einer Dynastie, die vor mehreren Jahrhunderten über Nordafrika herrschte – bekannt. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Diese Gruppierung wird von dem, in der Vergangenheit mehrfach für tot erklärten, Algerier Mokhtar Belmokthar geleitet. Im Wesentlichen besteht sie nicht aus Staatsangehörigen Malis, sondern aus nordafrikanischen Arabern. Die dortigen radikalen Islamisten wichen nach dem Scheitern ihres Versuchs einer Machtübernahme in Algerien, das von 1992 bis 1998/1999 von einem Bürgerkrieg erschüttert wurde, in die Wüstengebiete und später in die weiter südlich angrenzende Sahelzone aus. In dem Bekennerschreiben erklärten die „Mourabitoun“, es gehe ihnen darum, mit den „Besatzern“ aus Frankreich verbündete Gruppen anzugreifen. Fünf Tage vor dem Attentat hatte der französische Präsident François Hollande Truppenteile seines Landes vor Ort in Gao besucht. (Vgl. http://www.lefigaro.fr)

Gao ist auch ein Standort, an dem die deutsche Bundeswehr stationiert ist. Erst jüngst wurde in Berlin angekündigt, den dortigen deutschen Armeeeinsatz auf bis zu 1.000 Soldaten auszuweiten (vgl. http://www.lefigaro.fr). Dies muss viom Bundestag noch abgesegnet werden. Bislang war infolge eines Beschlusses vom Januar 2016 von bis zu 650 Soldaten die Rede, welche die UN-Puffertruppe MINUSMA („Mission zur Stabilisierung Malis“) aufstocken sollten. Unterdessen berichtete soeben DER SPIEGEL über diesen Einsatz (vgl. https://magazin.spiegel.de) und bezeichnete ihn zusammenfassend als „teuer, gefährlich, langwierig“ – und ohne Aussicht darauf, das Land „befrieden“ zu können. François Hollande seinerseits hatte am 14. Januar dieses Jahres angegeben, die französische Militärpräsenz in der Region werde „von langer Dauer“ sein (vgl. http://www.lefigaro.fr).

Neben den Schwierigkeiten, die die Geographie im ausgedehnten und wüstenhaften Norden Malis mit sich bringt, stellen sich auch politische Fragen bezüglich des Einsatzes der französischen Armee, welche die UN-Truppe – und also die Bundeswehr als deren Komponente – verstärken soll. Die französischen Truppen der Operation „Barkhane“ sollen dabei die Kampfeinsätze gegen Jihadisten übernehmen; im vergangenen Jahr soll sie 150 Jihadisten getötet oder gefangengenommen haben. (Vgl. http://www.jeuneafrique.com) Die UN-Truppe mit über 11.000 Mann soll ihr daneben als Puffertruppe, also „friedenserhaltende Mission“, zur Seite stehen.

Frankreich, das in Teilen der Gesellschaft in Mali als Verbündeter einer, vor allem um Selbstversorgung einer schmalen Elite bekümmerten Regierung in Bamako betrachtet wird, entrinnt der wachsenden Abneigung gegen die Regierenden nicht. Zum Einen hinderte die französische Armee mehrfach malische Truppen daran, die im Nordosten des Staatsgebiets liegende Bezirkshauptstadt Kidal einzunehmen. (Vgl. http://jungle-world.com/ ) Dort haben Tuareg-Sezessionisten, die in jüngerer Vergangenheit mal mit Jihadisten und mal mit den französischen Truppen wechselnde Bündnisse eingingen, nach wie vor das Sagen. Frankreich wird ein Doppelspiel zwischen ihnen und der Zentralregierung in Bamako vorgeworfen.

Dass nun umgekehrt in jüngster Zeit die französische Regierung gegenüber Letzterer einen schärferen Tonfall einschlägt, bessert die Beziehungen kaum auf. Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sprach am 06. November 2016 indirekt von einem Scheitern der Intervention und der militärischen Anstrengungen in Mali, schob den einheimischen Behörden dafür die Schuld zu und forderte von diesen „Initiativen für die bessere Integration der Völker in Nordmali in die staatliche Gemeinschaft“. (Vgl. http://www.maliweb.net) Nachdem erst im Frühjahr 2016 ein Autonomiegesetz in Kraft trat, das zwei neue Regionen im Norden schafft und mit einer weitgehenden Dezentralisierung einhergeht – de facto im finanziellen Interesse neuer örtlicher Eliten -, kehrte er dabei unter den Tisch.

Der wachsende Unmut gegenüber den „eigenen“ Regierenden und gegenüber Frankreich kommt in Teilen der öffentlichen Meinung nun einem Akteur zugute, den man eher nicht im innenpolitischen Spiel in Mali erwartet hätte, auch wenn das Land vor dem Untergang der UdSSR 1991 lange Zeit gute Verbindungen auch zur Sowjetunion hielt.

Die Vorstellung, ein russisches Eingreifen könne Abhilfe verschaffen und den jihadistischen Umtrieben ein vermeintlich schnelles Ende bereiten, sorgt nun in zahlreichen Familien und Freundeskreisen für angeregte Diskussionen. Im Januar 2016 lancierte eine nicht näher identifizierte „Gruppe von Patrioten aus Mali“ über die neuen sozialen Medien eine Petition, in welcher Russland zum Eingreifen aufgefordert wird. (Vgl. https://www.maliweb.net/ ) Angeblich haben die Urheber der Petition es sich zum Ziel gesetzt, „acht Millionen  Unterschriften“ zu erhalten – ein, gelinde ausgedrückt, ambitioniertes Ziel, denn das Land hat vom Baby bis zur Greisin insgesamt sechzehn Millionen Einwohner -, und Anfang November 2016 wurde behauptet, es seien angeblich 2,4 Millionen Unterschriften beisammen. (Vgl. http://maliactu.net/ )

Neben den Beziehungen zu Akteuren innerhalb Malis wirft der Einsatz Frankreichs aber auch Fragen betreffend die regionalen Verbündeten auf. Der auf dem Präsidentensessel amtierende Autokrat Idriss Déby im Tschad gilt dabei inzwischen als einer der engsten Verbündeten Frankreichs überhaupt, da sein Land Frankreich aktiv dabei hilft, im Norden Malis militärisch zu intervenieren. Wobei diese Intervention bis heute keines der drängenden Probleme einer Lösung näher gebracht hat. Im abgelaufenen Jahr fanden in Nordmali 385 jihadistische und/ oder von kriminellen Banden verübte Attacken statt, bei denen 332 Personen zu Tode kamen. (Vgl. http://www.liberation.fr)

Idriss Déby kam 1990 mit offener Billigung Frankreichs an die Macht, um seinen Vorgänger zu stürzen, den gleichfalls als Schlächter bekannten Hissène Habré, unter dessen Regierung 40.000 Menschen „verschwunden“ waren. Habré wurde im Frühsommer 2016 in Dakar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt (vgl. http://www.rfi.fr), soeben begann sein Berufungsprozess. Idriss Déby war jedoch die ganzen 1980er Jahre durch dessen Generalstabschef gewesen.

Im Namen der „Realpolitik“ und des „Anti-Terror-Kriegs“ wird sein Regime längst aufgewertet, was die Sache der Bekämpfung des Jihadismus in der Region freilich eher diskreditiert als befördert.

Das Hauptquartier der französischen „Operation Barkhane“, die seit 2014 die Jihadisten in der ganzen Sahelzone bekämpfen soll – mit 4.000 Soldaten der größte Auslandseinsatz der französischen Armee (außerhalb von Bündniskriegen) seit dem Algerienkrieg – wurde in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena angesiedelt. (Vgl. http://www.jeuneafrique.com) Die Stationierung wird als längerfristig dargestellt. (Vgl. http://www.jeuneafrique.com/) Bereits diese Konstellation macht den Einsatz ausgesprochen fragwürdig...

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
Zum Thema siehe auch die Artikel des Autors in der Januarausgabe:

  • Mali:
    Druck von unten wegen Migrationsabkommen mit der EU

  • Ausbeutung und Einflusszone
    Zum jüngsten Frankreich-Afrika-Gipfel in Bamako/Mali
    von Bernard Schmid