Ausbeutung und Einflusszone
Zum jüngsten Frankreich-Afrika-Gipfel in Bamako/Mali

von Bernard Schmid

01/2017

trend
onlinezeitung

Nicht allen brachte der Freitag, der Dreizehnte (Januar) in der vergangenen Woche Unglück. François Hollande, der sich zum an jenem Tag beginnenden Frankreich-Afrika-Gipfel in Malis Hauptstadt Bamako begab, wird wahrscheinlich mit Wehmut auf seinen Abstecher zurückblicken. Denn selten wurde seine Bilanz mit so viel Lob bedacht wie dort, wo 35 afrikanische Staats- und Regierungschefs – nicht nur aus der französischen Einflusszone in Nord-, West- und Zentralafrika – versammelt waren. Die französische Presse wie auch Hollandes bisheriger Finanzminister Michel Sapin kolportierten aus diesem Anlass, der in nunmehr knapp vier Monaten aus dem Amt scheidende Staatschef bereue inzwischen seine Entscheidung, die er am 01. Dezember 16 bekannt gegeben hat, nicht zu seiner Wiederwahl zu kandidieren. François Hollande selbst erklärte bei einer Rede zu den Gästen in Bamako, er habe nunmehr 32 offizielle Staatsbesuche in Afrika absolviert, doch bleibe bei ihm heute „ein Geschmack des Unvollendeten“ zurück.

Zu Hause dürfte kaum jemand dem sozialdemokratischen Staatsoberhaupt, dessen Politik in breiten Kreisen als Desaster gilt – den Lohnabhängigen war etwas Anderes versprochen worden, als sie erhielten, und das organisierte Kapital erhofft sich längst noch mehr von einem rechteren Präsidenten –, derart viel Honig um den Mund zu streichen. Malis Präsident Ibrahim Boubaca Keïta („IBK“) als Gastgeber mochte im Lob und Schmeichelei für seinen Amtskollegen, mit dem er mittlerweile eine starke Unpopularität teilt, gar nicht mehr innehalten. Eine Passage hatte er allerdings aus seiner mündlich gehaltenen Ansprache heraus gestrichen, auch wenn sie im schriftlichen Manuskript enthalten war: Unter Hollande, und anders als in der Vergangenheit, hätten „Frankreich und seine Armee nur am Krankenbett der Demokratie in Afrika eingegriffen, und nie, um einem Despoten oder Autokraten zu Hilfe zu kommen.“

Das hätten einige der prominenten Gäste wahrlich nicht gerne gehört. Auf dem durch die Agentur AFP verbreiteten Foto von Stéphane de Sakutin sieht man etwa direkt neben Hollande den Diktator der Republik Kongo-Brazzaville sitzen, also den mit einigen Unterbrechungen 33 Jahr lang an der Macht verweilenden Denis Sassou-Nguesso. Hätte man ihm erzählt, Hollande habe zur Demokratisierung in der französischen Einflusszone in Afrika beigetragen – der 73jährige hätte sich vielleicht vor laufenden Kameras auf die Schenkel geklopft. Auch die Teilnehmer/innen an dem Gegengipfel – dem „Forum der Völker/Bevölkerungen“ in Bamako, vgl. http://www.cadtm.org/Declaration-des-Mouvements-Sociaux - und den Protestdemonstrationen vor Ort // vgl. http://mondafrique.com/sommet-de-bamako-societe-civile-pression/ // hätten kaum an eine solche Bekundung geglaubt, hätten sich allerdings vielleicht weniger amüsiert darüber erwiesen.

Rückblick im Zorn: François Hollande, ein treuer Interessenwalter mehr des Neokolonialismus in Afrika

Noch im Oktober 2012, also fünf Monate nach seiner Wahl, hatte Hollande offiziell gezaudert und gezögert, sich zum Gipfel der „Francophonie“ – der Gemeinschaft französischsprachiger Staaten, die weitaus eher machtpolitische denn linguistische Ziele verfolgt und deswegen um Staaten wie Qatar erweitert wurde – in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa zu begeben. Als Grund dafür führte er die geringe Neigung des dortigen Präsidenten Joseph Kabila an, halbwegs demokratische Wahlen zu organisieren. Letztlich fuhr er hin.

Längst sind solche Bedenken ad acta gelegt. Zwar forderte Hollande in einer 2014 in Dakar gehaltenen Rede die Präsidenten im französischsprachigen Afrika dazu auf, ihre Verfassungen zu respektieren, etwa sofern sie Amtszeitbeschränkungen oder eine Begrenzung der Zahl der Mandate vorsehen. Doch im Jahr 2016 ließen sich vier dieser Autokraten bei offensichtlich nicht den minimalsten Anforderungen von demokratischen Wahlen genügenden Urnengängen im Amt bestätigen: Sassou Ngessou im März, Ismail Omar Guelleh in Djibouti im April, Idriss Déby Itno – einer der übelsten Schlächter – im selben Monat im Tschad, sowie Ali Bongo in Gabun Ende August. Allein der 59jährige Ali Bongo blieb dem Gipfel in Bamako fern, nachdem er am Galaessen des Vorabends noch teilgenommen hatte. Danach zog er es vor, am Samstag (14. Januar 17) die afrikanische Fußballmeisterschaft CAN zu eröffnen, die in diesem Jahr in seinem Land ausgetragen wird und von der vor allem französische Unternehmen profitieren.

Idriss Déby im Tschad gilt inzwischen sogar als einer der engsten Verbündeten Frankreichs überhaupt, da sein Land Frankreich dabei hilft, im Norden Malis militärisch zu intervenieren. Wobei diese Intervention bis heute keines der drängenden Probleme einer Lösung näher gebracht hat. Im abgelaufenen Jahr fanden in Nordmali 385 jihadistische und/ oder von kriminellen Banden verübte Attacken statt, bei denen 332 Personen zu Tode kamen. (Und noch ohne den Angriff auf eine Militäreinrichtung in der Nähe von Gao am Mittwoch, den 18. Januar 17 mitzuzählen; dieser kostete – lt. Stand bei Redaktionsschluss – mindestens 77 Tote.)

Idriss Déby kam 1990 mit offener Billigung Frankreichs an die Macht, um seinen Vorgänger zu stürzen, den gleichfalls als Schlächter bekannten Hissène Habré, unter dessen Regierung 40.000 Menschen „verschwunden“ waren. Habré wurde im Frühsommer 2016 in Dakar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt, soeben begann sein Berufungsprozess. Idriss Déby war jedoch die ganzen 1980er Jahre durch sein Generalstabschef gewesen.

Im Namen der „Realpolitik“ und des „Anti-Terror-Kriegs“ wird sein Regime längst aufgewertet, was die Sache der Bekämpfung des Jihadismus in der Region freilich eher diskreditiert als befördert. Das Hauptquartier der französischen „Operation Barkhane“, die seit 2014 die Jihadisten in der ganzen Sahelzone bekämpfen soll – mit 4.000 Soldaten der größte Auslandseinsatz der französischen Armee (außerhalb von Bündniskriegen) seit dem Algerienkrieg – wurde in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena angesiedelt. In Mali, wo Hollande am vorigen Freitag auch die französischen Truppen in Gao besuchte, erklärte der scheidende französische Staatschef, die Armeepräsenz seines Landes dort werde „von langer Dauer sein“.

Abschlusserklärung

Terrorismusbekämpfung und militärische Sicherheitskonzepte, vor allem in der Sahelzone und rund um den Tschadsee sowie im Zusammenhang mit Piraterie am Horn von Afrika, spielen auch eine Schlüsselrolle in der 38 Punkte umfassenden Abschlusserklärung des Gipfels von Bamako. (Vgl. http://afrikinfos.net/2017/01/15/lintegralite-de-la-declaration-finale-du-sommet-de-bamako/ ) Zu Armutsbekämpfung und wirtschaftlicher Entwicklung ist zwar pompös von einer „Agenda 2063“ die Rede, doch konkret findet sich sehr wenig Neues. Finanzmittel, die afrikanischen Staaten im Rahmen des im Herbst 2015 in Malta lancierten „Valletta-Prozesses“ mit der EU im Gegenzug zu verstärkter Migrationskontrolle und vorgelagerten Grenzregimes der Europäischen Union zugesagt wurden, werden hier nochmals aufgelistet.

Konkret wurde der Gipfel einzig und allein zur Frage der Machtübergabe in Gambia, wo der am 1. Dezember 16 abgewählte Autokrat Yayah Jammeh – nachdem er seine Niederlage bereits anerkannt hatte – nun doch nicht weichen will. Hier nicht tatenlos zuzusehen, darin war der Gipfel sich einig. Das kleine englischsprachige Gambia zählt allerdings auch gar nicht zur französischen Einflusszone in Frankreich, die einen faktischen eigenen Staatenclub bildet. Anstelle des Folterregime-Chefs Yayah Jammeh wurde dessen gewählter Nachfolger Adama Barrow nach Bamako eingeladen. Am Donnerstag dieser Woche (19. Januar 17) soll er nun seinen Amtseid ableisten – entweder in Gambias Hauptstadt Banjul oder, wenn Jammeh noch immer nicht geht, in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Bis dahin bleibt er im Senegal, also im größeren Nachbarland, welches Gambia auf drei Seiten umgibt.

(Anm./ LETZTE MINUTE: In der Nacht vom Freitag zum Samstag, den 21. Januar 17, erklärte Yayah Jammeh sich bereit, sein Land zu verlassen; es wurde über ein Exil in der Republik Guinea spekuliert. Zuvor hatten Truppen der beiden westafrikanischen Staaten Senegal und Nigeria rund um und sowie in Gambia Aufstellung bzogen.)

Und danach (also nach François Hollande)?

Unterdessen steht fest, dass die französisch-afrikanischen Beziehungen sich auch unter François Hollandes Nachfolger aller Voraussicht nach in ihrer Natur nicht verbessern dürften. Jedenfalls, wenn man davon ausgeht, dass einer der derzeit als aussichtsreich gehandelten Anwärter im Mai 17 in den Elysée-Palast gewählt wird. Nach derzeitigem Dafürhalten können sich dabei besonders der Konservative François Fillon und der heute eher linksliberal auftretende frühere Wirtschaftsminister Hollandes und vormalige Investmentbanker, Emmanuel Macron, einige Chancen ausrechnen.

Der erst 39jährige Macron tritt jung-dynamisch auf und vertritt ein Profil, das in Deutschland in etwa Aspekte der Programmatik der FDP mit der Positionierung von Regierungsgrünen wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit miteinander kombinieren würde. Fischer und Cohn-Bendit wohnten am Dienstag voriger Woche Macrons Auftritt vor 800 Menschen an der Berliner Humboldt-Universität bei. Allerdings fehlt es Macron fast gänzlich an außenpolitischer Erfahrung, und auch in Sachen Militärpolitik gilt er als unbewandert. Dies könnte sich noch als seine Schwachstelle erweisen, wenn der Wahlkampf sich auf Themen wie Staatsautorität und Terrorismus fokussieren sollte. Darauf setzt jedenfalls François Fillon, um diesen Konkurrenten, welcher ihm in Umfragen allmählich bedrohlich wird, wegen - in seinen Worten - „mangelnden Chefqualitäten“ zu disqualifizieren.

Zu erwarten ist, dass, falls je Macron ins Präsidialamt gewählt werden sollte, er sein Führungspersonal direkt aus den Stäben der Wirtschaftsverbände rekrutieren dürfte, da er bislang außerhalb der großen etablierten Parteien steht. Auch wenn ein Teil der Regierungssozialdemokratie zu ihm herüberzuwandern beginnt und sogar François Hollande, glaubt man der Sonntagszeitung JDD, eine Unterstützung seinen abtrünnigen Ex-Ministers in Erwägung zieht. Arbeitgeberpräsident Pierre Gattaz und die frühere französische Wirtschaftsministerin sowie jetzige IWF-Chefin Christine Lagarde ergehen sich in öffentlichem Lob für Macron.

Afrika jedoch hat für die französischen Wirtschaftsverbände eine hohe Bedeutung, da zwar beileibe nicht alle Unternehmen, aber einige vor allem unter den börsennotierten Großkonzernen bedeutende Extraprofite – die mit dem so genannten normalen Marktgeschehen nicht zu erklären sind - aus dem Kontinent herauspressen. Sechzig französische Unternehmenschefs begleiteten Hollande bei seinem Besuch in Bamako. Die Kapitalstruktur ist dabei jedoch stark monopolförmig ausgerichtet; einige zentrale Players wie der Multikonzern von Vincent Bolloré teilen den Löwenanteil des Kuchens unter sich auf. Unter Präsident Hollande hatte der Quai d’Orsay – das Außenministerium – versucht, diese Strukturen zu diversifizieren, um mehr private wirtschaftliche Akteure einzubinden und dadurch die französischen „Netzwerke“ in Afrika teilweise zu entstaatlichen. Zugleich wurde versucht, Frankreichs Interessen auf dem Kontinent stärker auf das als wirtschaftlich dynamisch geltende Ostafrika auszurichten. Diesen Versuch bezeichnet etwa Cyril Bensimon in Le Monde als gescheitert.

Auch der französische Staat profitiert von den postkolonialen Strukturen, da die Devisenguthaben der französischsprachigen afrikanischen Staaten - aufgrund der Gemeinschaftswährung franc CFA - nach wie vor bei der französischen Zentralbank eingelagert sind, auch wenn diese selbst inzwischen eine Filiale der Europäischen Zentralbank (EZB) bildet. Im November 2016 griff die ivorische Zeitung Ivoirebuniss eine Information auf, die im April 2015 unter der Überschrift „Frankreich kann seinen Status nur mit Ausbeutung der ehemaligen Kolonien halten“ in den Deutschen Wirtschafts-Nachrichten veröffentlicht wurde. Der Artikel beziffert den Wert der jährlichen Kapitaltransfer von West- und Zentralafrika nach Frankreich gar auf 440 Milliarden Euro pro Jahr. (Vgl. https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/03/15/frankreich-kann-seinen-status-nur-mit-ausbeutung-der-ehemaligen-kolonien-halten/ ) Die erwähnten Deutschen Wirtschafts-Nachrichten können freilich im Allgemeinen nicht als wirklich seriöse Quelle gelten, sondern fallen eher unter „Sensationspresse“ mit Anti-EU-nationalistischem und verschwörungstheoretischem Einschlag.

Sollte hingegen François Fillon zum nächsten Präsidenten Frankreichs werden, dann wüsste man, dass er für die Wahrung dieser imperialen Interessen Frankreichs in Afrika bestens gewappnet ist. Am 05. Januar 17 meldete die auf „Afrikathemen“ spezialisierte und an französische Eliten gerichtete Publikation La Lettre du Continent (LdC): „Die ,Afrikaner’ Fillons stehen bereits im Wartestand!“

Eine Schlüsselrolle spielt dabei der frühere Verteidigungsminister unter Nicolas Sarkozy, Gérard Longuet. Der Mann, der seine Karriere bei der rechtsextremen gewalttätigen Studentengruppe Occident begann und 1973 das erste – knappe – Wirtschaftsprogramm des Front National (FN) verfasste, zählt heute zum rechten Flügel der Konservativen. Zugleich ist er Geschäftsführer der Gesellschaft Sea Invest France und Sea Invest Afrique, die bedeutende Interessen in den Häfen der westafrikanischen Côte d’Ivoire – Abidjan und San Pedro – und im Rohstofftransport aufweist. Als Verteidigungsminister hatte Longuet im April 2011 den Einsatz befehligt, bei dem die französische Armee maßgeblich dabei half, Ex-Präsident Laurent Gbagbo ab- und das jetzige Staatsoberhaupt Alassana Ouattara einzusetzen. Heute ist Ouattara Longuets Ansprechpartner in kommerziellen Angelegenheiten.

Editorischer Hinweis

Eine Kurzfassung dieses Artikels wurde am Donnerstag, den 19. Januar 17 in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’ veröffentlicht. Er belegt, warum es Imperialismus keineswegs nur in den USA gibt - und er keineswegs der Vergangenheit angehört.