Editorial
Adorno's Arm

von Karl-Heinz Schubert

02/2016

trend
onlinezeitung

Am letzten Wochenende standen Veranstaltungen zu "Programm und Politik"  anläßlich des Jubiläums 20 Jahre TREND auf unserer Agenda. In der Eröffnungsrunde "Internet & Politik" ging es um das politische und publizistische Selbstverständnis unserer Onlinezeitung. Ich bezog mich dabei zur politischen Charakterisierung von TREND auf ein Vorbild, das leider nie das "Licht" der Medienwelt erblickte: Benjamins und Brechts 1930/31 projektierte Zeitschrift "Krisis und Kritik", geerdet im historischen und dialektischen Materialismus. Die entsprechende Passage aus deren Redaktions-"Memorandum" lautet:

"Sie hat politischen Charakter. Das will heissen ihre kritische Tätigkeit ist in einem klaren Bewußtsein von der kritischen  Grundsituation der heutigen Gesellschaft verankert. Sie steht auf dem Boden des Klassenkampfes. Dabei hat die Zeitschrift jedoch keinen parteipolitischen Charakter. Insbesondere stellt sie kein proletarisches Blatt, kein Organ des Proletariats dar. Vielmehr wird sie die bisher leere Stelle eines Organs einnehmen, in dem die bürgerliche Intelligenz sich Rechenschaft von den Forderungen und den Einsichten gibt, die einzig und allein ihr unter den heutigen Umständen eine eingreifende, von Folgen begleitete Produktion im Gegensatz zu der üblichen willkürlichen und folgenlosen gestatten." (E. Wizisla, Benjamin und Brecht, 2004, S.297)

Dieser Anspruch einer "eingreifenden" Theorieproduktion bildete sprichwörtlich den roten Faden des Veranstaltungswochenendes.

Exemplarisch dafür stand insbesondere die Veranstaltung von Frank Braun. Seine Analyse des gegenwärtigen ideologischen Zustands der DKP diente  keinesweg dazu, einer möglichen Implosion dieser Organisation das Wort zu reden, vielmehr wurden ideologische und politische Bruchstellen der jetzigen DKP untersucht, um Anknüpfungspunkte für eine Diskussion zu benennen, die auch jene Kräfte in die Parteidiskussion einbezieht, die jenseits der DKP an der Rekonstruktion proletarisch-revolutionärer Politik arbeiten.

Georg Klauda richtete seine Kritik auf den Zirkulationsmarxismus, Poststrukturalismus und die Funktionalisierung des Feminismus zur Systemstabilisierung. Er zeigte damit anschaulich, begleitet von einer lebendigen und auch kontroversen Diskussion, wie unter den Bewegungslinken die damit einhergehenden Umdeutungen von unterschiedlichen Diskriminierungsverhältnissen den Blick auf das gesellschaftbestimmende Grundverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital versperren und damit einer revolutionär-antikapitalistischen Politik entgegenwirken.

Günther Sandleben stellte linke Krisentheorien auf den Prüfstand, um wies nach, dass deren Anleihen beim Keynesianismus genau das Gegenteil von eingreifender Theorieproduktion darstellen, nämlich nur zur folgenlosen Affirmation des Kapitalverhältnis taugen.
 
Anders der Beitrag von Detlef Georgia Schulze. Er verzichtete spontan auf sein Referat zum Verhältnis von Marxismus und Feminismus und entwickelte stattdessen Gegenthesen zu Georg Klaudas Position. Seine Kritik fasste er durch eine Verbildlichung des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs in Gestalt eines Würfels zusammen, dessen Gehäuse von etlichen kleinen Würfeln zusammengehalten wird. Ihr jeweiliger Inhalt wird durch soziale Widersprüche strukturiert und eine revolutionäre Aufhebung dieser Strukturen muss daher entlang der jeweiligen Würfelkanten diagonal von unten nach oben verlaufen.

Sein strukturalistisches Konstrukt blieb nicht ohne breiten Widerspruch, der zusammengefaßt lautete, dass eine so verstandene Arbeit am Begriff, die nicht in einer durch politische Praxis untersuchten Wirklichkeit gründet, ein Schmarrn sei. Sein Verständnis von einer Arbeit am Begriff, der durch eine Aneinanderreihung von Strukturen substantiiert wird, atmet nicht von ungefähr auch den idealistischen Hauch der Kritischen Theorie.

Übrigens soll, so das gesicherte Gerücht, in Ffm - also in der Hochburg der adornitischen Pop-Linken - es hipp sein, sich den Schriftzug "Adorno" auf den Arm tätowieren zu lassen bzw. die drei "Klassikerköpfe" Marx, Freud und Adorno. Dass die Kritische Theorie in der Linken zwar populär ist, aber nicht mehr die Rolle einer Ausbruchstheorie aus dem Gehäuse der spätkapitalistischen Gesellschaft wie weiland 1968 spielt, liegt nicht am changierenden Gebrauchswert der Theorie, sondern an ihrem Tauschwert (siehe dazu: Im Gehäuse der Kritischen Theorie). Geschickt in allerlei Denkprodukte eingebaut und mit "neuer" Marxlektüre verschwurbelt, wirkt speziell Adornos Schrifttum als langlebiger Arm linksgelabelter Theorie und verhilft derart kontaminierten Denkprodukten zur Marktreife und ihren Produzent*innen zu Jobs an der Uni, in Verlagen, Stiftungen und im Feuilleton der bürgerlichen Presse.

"Adorno's Arm" und die Kritische Theorie insgesamt werden bei TREND wie bisher auch weiterhin einer Polemik und Kritik unterworfen werden. Darin sind sich Redaktion und Herausgeberkreis einig und entsprechende Artikel werden folgen. In dieser Ausgabe gibt es einen Artikel, der Habermas' Kritische Theorie Variante kritisiert. Frank Adlers kleiner Aufsatz ist ideengeschichtlich insofern interessant, als er in der Phase der Übernahme des 1968er Protestpotentials in die organisatorischen Zusammenhänge der DKP verfasst wurde, wodurch angezeigt ist, dass der ideologische Klassenkampf zwischen einer an der "proletarischen" und einer "bürgerlichen" Linie orientierten Politik eine Daueraufgabe für die revolutionäre Linke darstellt.

Die weitere Beschäftigung mit der Kritischen Theorie zu betonen ist nicht die einzige Auswirkung des Veranstaltungswochenendes auf diese TREND-Ausgabe. Mal abgesehen davon, dass hier die Möglichkeit besteht, den Trailer zur Eröffnung des Veranstaltungswochenende runterzuladen, hängt direkt mit der Veranstaltung von Frank Braun die Veröffentlichung von Georgios Kolias Artikel zusammen, der zuvor in der Partei der Arbeit (Österreich) erschienen ist. Er ist quasi ein Indiz dafür, dass bisher sogenannte  in Stein gemeiselte Positionen ins Wanken geraten und die Möglichkeit für eine Erneuerung revolutionärer Politik aufscheint.

Die das TREND-Wochenende abschließende Gesprächsrunde zwischen revolutionär organisierten Betriebs- (RIO, Sozialistische Arbeiterstimme) und selbstorganisierten Stadtteilaktivsten (Weisekiezini), plus BMG über die "Mühen der Ebenen" stellte sozusagen die Umkehrung des roten Fadens "eingreifende Theorieproduktion" dar. Jetzt wurden praktisch politische Erfahrungen in verschiedenen Bereichen des Klassenkampfes dargestellt und verglichen - und da, wo es sich ergab, Aufgabenstellungen für die Theorieproduktion formuliert. Vergleiche dazu den Redebeitrag der Weisekiezinitiative auf der Demonstration am 23. Januar 2016, wo es heißt: "Kapitalisten ziehen Profit aus der Not derer, die durch imperialistische Kriege und neokoloniale Ausbeutung zur Flucht gezwungen wurden." Hier mangelt es zur Zeit noch an entsprechenden Enthüllungen.

Wie dagegen der Bericht über das  bundesweite Antifa-Treffen zur Vorbereitung einer Kampagne gegen die Festung Europa aufweist, gibt im es Vergleich dazu eher ideologische Schwächen bei den Aktivist*innen. So wird die gesamtgesellschaftliche Rechtsentwicklung eindimensional an der AfD festgemacht. Die unübersehbare Transformation der linksliberalen Mitte zu einem heimatverbundenen, kulturalistischen Wertkonservativismus dagegen und deren Ruf nach dem "starken Staat", in den sich sogar Linke nicht entblöden einzustimmen, geht bei solchem Schematismus schlichtweg unter. Die linke Antifa wird daher nicht umhinkommen, wenn sie 2016 gegen die Rechtsentwicklung des Massenbewußtseins handlungsfähig werden will, zu einer klassenpolitischen Betrachtung gesellschaftlicher Entwicklungen zurückzukehren und von einer "Politik der ersten Person" inklusive "Adorno's Arm" Abschied zu nehmen. Dann werden  antifaschistische Aktionsbündnisse gegen die Rechtsentwicklung nicht nur anders sondern auch breiter aufgestellt sein.
 

TREND(s) im Netz - hier die jüngsten Zahlen:

Unser Provider hat ab 1.2.2016 eine völlig andere Methode zur  Besucher*innenerfassung im Einsatz, die zur bisherigen Statistik nicht kompatibel, daher nicht vergleichsfähig und vor allem auch nicht so aussagekräftig ist.

Wir suchen nach einer Lösung des Problems - versprochen.

Als vorübergehende Lösung ein Alexa-Screenshot vom 2.2.16