Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Front National leicht in der Klemme
Eingeklemmt zwischen „Anti-System-Figur“ Dieudonné und dem eigenen Bemühen um „Reputierlichkeit“. Aber das Dilemma dürfte nicht andauern.

02-2014

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Die gute Nachricht zuerst. Auch wenn das innenpolitische Klima derzeit von sozialer Depression sowie von neuen Grenzverschiebungen des Rassismus – in jüngster Zeit besonders mit den Provokationen des schwarzen französischen Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala (vgl. Antisemit Dieudonné hat Bühnenverbot) – geprägt ist, wächst der Front National dennoch derzeit nicht in den Meinungswerten. An mindestens einem Punkt findet sogar eine gegenläufige Entwicklung statt. Das Sympathiebarometer für Marine Le Pen, dessen Höchstwerte oft deutlich über die Wahlergebnisse ihrer Partei hinausgingen, zeigt in den letzten Wochen sinkende Zahlen an. Manche Quellen sprechen unterdessen bereits von Marie Le Pen als „Kollateralopfer der Dieudonné-Affäre“ (in dem Sinne, dass die Chefin des FN einen Kollateralschaden davontrüge)(1).

Hintergrund dafür ist, dass die Dieudonné-Affäre das Augenmerk der französischen Gesellschaft erneut auf antisemitische Ausfälle in der Öffentlichkeit lenkt. Exakt damit aber wollte der FN unter Anführung von Marine Le Pen nicht länger in Verbindung gebracht werden. Genau genommen handelt es sich sogar um den einzigen Punkt, an dem die 45jährige Parteichefin mit dem Erbe ihrer „Bewegung“ zu brechen versuchte. Ihr Vizepräsident und Lebensgefährte Louis Aliot erklärte dazu rundheraus gegenüber zwei Buchautoren, die rund 100 Kader der extremen Rechten interviewen konnten: „Man muss klar sein, was die ,dédiabolisation’ (Anm.: durch Marine Le Pen ausgerufene ,Entteufelung’ oder ,Entdämonisierung’ ihrer Partei) beinhaltet: Das betrifft einzig die Unterstellung an uns, antisemitisch zu sein, sonst nichts. Es betrifft nicht unsere Haltung zur Einwanderung, zum Islam, zu denen es im Gegenteil gar nicht so schlecht ist, ,verteufelte’ Positionen zu pflegen.“(2 )

Dies vollzieht in etwa den Konsens vieler Nachkriegsfaschisten und auch deutscher Altnazis nach 1945 nach, der da lautete: Hauptsache Ihr habt kein Problem mit den Juden mehr, bei allen anderen Themen beobachtet Euch niemand sonderlich, und Ihr dürft unter dieser einzigen Bedingung wieder zur „zivilisierten Welt“ gehören. (Daher der scharfe Philosemitismus etwa der rechten Springer-Presse, die so viel Nazipack „wiedereingegliedert“ hat.) Jean-Marie Le Pen, der seit den 1950er Jahren zunächst ebenfalls im Sinne dieser Nachkriegshaltung pro-israelisch war, stellte sich jedoch ab 1987 zunehmend außerhalb dieses Konsens. Dies erleichterte bspw. seine Kontakte zu Saddam Hussein, den er 1990 und 1996 aufsuchte, und zum iranischen Regime, zu welchem er u.a. 1998 persönliche Kontakte unterhielt.

Seine Tochter hielt und hält dies jedoch, wie schon früher manche anderen Parteifunktionäre des Front National, für eine schwere Verirrung: Mit Insistieren auf „alten Themen rund um den Zweiten Weltkrieg“ könne man heutzutage keinen Blumentopf gewinnen und sich allenfalls Probleme einhandeln. Zudem versperre es Türen in die konservativ-liberale Rechte hinein, aber auch in den USA, auf den britischen Inseln oder natürlich im Staat Israel (wohin Marine Le Pen bereits 2005 vergeblich mit einer Delegation des EU-Parlaments zu reisen versuchte, ihr Lebensgefährte Louis Aliot selbst konnte vor drei Jahren dorthin reisen). Hinzu kommt ein dritter Faktor: Als frühere Kolonialgesellschaft in Nordafrika weist Frankreich noch andere historische Hintergründe auf als etwa die deutschsprachigen Länder. Waren die Juden in Europa Jahrhunderte lang diskriminiert, unterdrückt und verfolgt, wurden sie im kolonisierten Nordafrika durch die französische Staatsmacht hingegen eher als privilegierte Minderheit behandelt und den Europäern rechtlich gleichgestellt – um sie aus der Mehrheitsgesellschaft vor Ort herauszubrechen und von den Arabern und Berbern zu isolieren. Folgerichtig stellte ein Teil von ihnen sich gegen die Entkolonisierung, wie auch viele vor Ort lebende Europäer. Nicht wenige Parteifunktionäre der extremen Rechten haben einen kolonialfranzösischen, und einige (wie auch Louis Aliot) zugleich einen nordafrikanisch-jüdischen familiären Hintergrund. Diese Komponente in der Geschichte der französischen nationalistischen Rechten stand schon immer im Widerspruch zu ihrem antisemitischen Erbe(3).

Der Kurs der Distanzierung von offen (oder verdeckt, aber unverkennbar) ausgedrücktem Antisemitismus, den Marine Le Pen einschlug, tragen zwei der drei Europaparlamentarier des FN in der Form nicht mit. Also weder ihr Vater Jean-Marie Le Pen noch ihr Herausforderer bei der Vorsitzendenwahl von Ende 2010, Bruno Gollnisch, die die beiden anderen Sitze des FN im Europaparlament einnehmen. Beide ließen sich in den letzten Wochen mit dem ,Salut de la quenelle’ oder „Knödelgruß“, dem Erkennungszeichen der Anhänger Dieudonnés, ablichten. Gollnisch sogar Mitte Dezember 2013 im Regionalparlament von Lyon, dem er (neben dem Europäischen Parlament) ebenfalls angehört.

Die eigene Wähler/innen/schaft des FN ist in zwei ungefähr gleich große Hälften gespalten, was ihre Haltung zur Dieudonné-Affäre betrifft. In der öffentlichen Meinung insgesamt äußern sich, je nach Umfrage, 70 bis 83 Prozent negativ über Dieudonné M’bala M’bala und seine Aussprüche. Doch der letztgenannten Umfrage zufolge (in welcher die negativen Meinungen bei 83 % stehen) erklärten jeweils 48 % der FN-Wählerschaft, eine positive respektive eine schlechte Meinung über Dieudonné zu haben(4). Die Parteiführung übt sich demgegenüber in einem Balanceakt. Sie erklärt, Dieudonné und seine Aussprüche inhaltlich nicht zu unterstützen, aber für die Meinungsfreiheit und gegen Zensurversuche des Innenministers Manuel Valls – in Gestalt von Auftrittsverboten für Dieudonné, die auch außerhalb der extremen Rechten politisch und juristisch umstritten waren – einzutreten(5).

Valls hatte in der zweiten Januarwoche 2014 Bühnenauftritte Dieudonnés in Nantes, Orléans und Paris verboten und war darin auch gerichtlich bestätigt worden. Am Abend des Montag, den 13. Januar Dieudonné nun jedoch in Paris eine neue, abgespeckte Version seines vorherigen Spektakels („Die Mauer“) in seinem eigenen – von ich gemieteten - Theater im 11. Pariser Bezirk. Es war um alle besonders schockierenden oder offen antijüdischen Passagen bereinigt worden. Dieses Mal hatte der Pariser Polizeipräsident die Aufführung am selben Tag genehmigt. Die neue Version steht unter dem kryptisch erscheinenden Titel „Asu Zoa“. Dieudonné behauptet, der Name bedeute „Gesicht des Elefanten“ in der in Kamerun verbreiteten Sprache Ewondo. Ein Titel, dessen Bedeutung bzw. Auswahl sich allerdings nicht ganz erschließen würde. Das jüdische Webmagazin Alliance behauptet hingegen, der Titel spiele auf die Organisation USA ZOA (für Zionist organization of America) an, und Dieudonné habe lediglich die Buchstaben darin umgedreht. Was stimmt nun – hm, was erscheint denn inhaltlich plausibel?

Zurück zu Marine Le Pen und ihrem oben erwähnten Meinungsbarometer: Im Januar 2014 fiel ihr Sympathiewert dort um fünf Prozentpunkte, von 32 auf 27 % positiver Äußerungen. Dies steht u.a. im Zusammenhang mit der Dieudonné-Affäre und dem Verhalten des FN. Allerdings war ihr Wert schon im November 2013 um sechs Punkte gesunken, damals in Reaktion auf die wenig konsensfähigen Äußerungen von Marine Le Pen zur Rückkehr vormaliger französischer Geiseln aus Mali/Niger. Statt sich (wie die bürgerlichen Politiker quasi unisono) offiziell über ihre Rückkehr zu freuen, unkte Marine Le Pen, die Geiseln seien unterwegs selbst zu Islamisten geworden. Damit hatte sie sich ein Stück weit außerhalb der „guten Gesellschaft“ gestellt (vgl. Wenn Marine Le Pen sich für Nelson Mandela hält... )...

Anmerkungen
 

2 Vgl. Dominique Albertini und David Doucet: Histoire du Front National, erschienen im Oktober 2013, St. 315.

3 Was der FN aber oft nicht als Widerspruch austrug, sondern zu seinem Vorteil zu wenden wusste: Als im Mai 1990 die spektakuläre antisemitische Schändung eines Friedhofs in Carpentras stattfand und der FN vielfach beschuldigt wurde – die Täter waren in Wirklichkeit Neonazis, aber ohne Bindung zum FN -, verwies die Partei darauf, ihre führenden Funktionäre vor Ort seien selbst algerisch-jüdischer Herkunft. Dies traf etwa auf den Regionalparlamentarier Guy Macary auch tatsächlich zu.

 

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.