trend sonderthema:  Der XX. Parteitag der DKP

Neu-alter Weichspüler
Die »Transformationsstrategie« präsentiert sich als zeitgemäßer revolutionärer Weg. Ihre begriffliche Unschärfe gibt allerdings Anlaß zum Zweifel

02-2013

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»Eine Revolution ist gewiß das autoritärste Ding, das es gibt« (Friedrich Engels).

Die DKP wird auf ihrem 20. Parteitag am ersten Märzwochenende ihre eigenen, in den letzten Monaten und Wochen intern breit diskutierten, »Antworten der DKP auf die Krise« beraten und verabschieden. Es zeichnet sich bei aller Differenziertheit der Meinungen eine große grundsätzliche Zustimmung ab, und die eingereichten Änderungsanträge haben das ihre dazu getan, den Entwurf weiter zu qualifizieren, so daß die Parteitagsdelegierten dazu voraussichtlich ein starkes positives Votum abgeben. Diese Antworten auf aktuelle Fragen sind eingebettet in die Strategie des antimonopolistischen Kampfes, die den Weg für Übergänge zum revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus öffnen will und soll.

Auch im weiteren linken Umfeld werden ähnliche Fragen diskutiert. Dabei zeigt sich, daß der Verlust an geschichtlichem (Orientierungs-)Wissen nach dem offenkundigen Scheitern oder auch der teilweise bis zum Zerfall gehenden Schwächung der sich auf den Marxismus-Leninismus berufenden Kommunistischen und Arbeiterparteien enorm ist und nur langsam wieder ausgeglichen wird. Da erscheint ein Slogan, der beides verspricht, nämlich wirklich spürbare Veränderungen und eine »visionäre« Idee, die mehr sein will als der alte (sozialdemokratische) Reformismus, gerade zur rechten Zeit.

Dieses Zauberwort heißt »Transformation« oder sogar »revolutionäre Transformationsstrategie.« Es findet seine positive Anwendung in jüngeren Beiträgen des Leiters des Münchner Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw), Conrad Schuhler, und des stellvertretenden Vorsitzenden der DKP, Leo Mayer, der ebenfalls isw-Mitarbeiter ist. Sie findet sich aber auch bei den zeitweiligen Chefideologen der damaligen PDS, Michael Brie und Dieter Klein. Es hat somit allen Anschein, als ob die Transformationstheorie eine »Auferstehung« erlebe oder ihren zweiten, gar dritten »Frühling« feiere. Denn die gab es schon einmal. Alter Wein in neuen Schläuchen mithin. Ein Rückblick.

Eine Strategie des Kalten Krieges

Im Rahmen der ideologischen Absicherung des Kalten Krieges gegenüber den sozialistischen Staaten nach 1945 sah die Langzeitstrategie von USA und NATO eine bewußte ideologische Aushöhlung der damaligen kommunistischen Weltbewegung und der Länder des sich gerade formierenden Sozialismus vor. Der britisches Premierminister Winston Churchill hatte in seiner berühmten »Fulton-Rede« am 5. März 1946 erstmals zur Überwindung des »Eisernen Vorhangs« aufgerufen, der laut Churchill »zwischen Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria« von »Moskau« errichtet worden sei. Das war der offizielle Startschuß zum Kalten Krieg. Die gesamte sowjetische »Einflußsphäre« mitsamt den »weitab von den russischen Grenzen und über die ganze Welt« verstreuten »kommunistischen fünften Kolonnen«, die in »vollständiger Übereinstimmung und mit absolutem Gehorsam gegenüber den Weisungen, die sie aus der kommunistischen Zentrale empfangen«, operierten, müsse »aufgerollt« werden. Außer in den USA und in Großbritannien, so Churchill, stellten »die kommunistischen Parteien oder fünften Kolonnen eine wachsende Herausforderung und Bedrohung für die christliche Zivilisation dar.«

Auf der Basis der im März 1947 verkündeten und nach dem damaligen US-Präsidenten benannte »Truman-Doktrin« starteten auch die USA im Folgejahr eine massive politische, militärische und ideologische Konterbewegung gegen echte und vermeintliche Kommunisten, die sie – nicht nur in den USA und in Europa – auf dem Vormarsch sahen. Ein erster Höhepunkt war die im März 1947 beginnende US-Intervention gegen die »kommunistische Gefahr« in Griechenland, nachdem die massive militärische Unterstützung Großbritanniens zugunsten der bürgerlichen griechischen Regierung den Vormarsch der aus der Partisanenarmee gegen Hitlerdeutschland entstandenen »Demokratischen Armee Griechenlands« nicht länger stoppen konnte. Truman erklärte: »Die Existenz des griechischen Staates wird heute durch die terroristischen Aktivitäten einiger tausend bewaffneter Männer bedroht, die von Kommunisten geführt werden und die Autorität der Regierung an einigen Stellen des Landes besonders entlang der nördlichen Grenzen in Frage stellen. (…) Griechenland muß unterstützt werden, wenn es eine Demokratie werden soll, die sich auf sich selbst stützt und sich selbst achtet.«

In einer Direktive des Nationalen Sicherheitsrates der USA (NSC) vom 14. September 1949 wurde zudem eine auf Jahrzehnte anlegte Konzeption zur Herausbildung eines »häretischen« und »abtrünnigen« Kommunismus entwickelt. Diese sollte zur Zerrüttung des sozialistischen Systems und dessen Verwandlung zu einem »demokratischen Sozialismus« führen und außerhalb des sowjetischen Einflußbereichs die westlichen Kommunistischen Parteien auf den Weg in Richtung eines linken Sozialdemokratismus bringen.

In dieser Direktive heißt es unter Punkt 31: »Unser Endziel muß natürlich das Entstehen nicht-totalitärer Regierungen in Osteuropa sein, die gewillt sind, sich der Gemeinschaft der freien Welt anzupassen und an ihr mitzuwirken.« Dieses Ziel galt für den Moment jedoch als nicht realisierbar. Deshalb wird unter Punkt 32 vermerkt: »Wenn wir (…) beabsichtigen, daß in einem ersten Schritt abtrünnige kommunistische Regimes die gegenwärtigen stalinistischen Regierungen verdrängen, haben wir sehr viel größere Erfolgs­chancen.«

Im nachfolgenden Punkt 33 wurde dieses Vorgehen so konkretisiert: »Das gegenwärtige Verfahren ist demnach, einen häretischen Ablösungsprozeß in den Satellitenstaaten zu begünstigen. So gering sie auch erscheinen mögen, Gründe für ketzerische Abspaltungen existieren bereits. Wir können zur Vertiefung dieser Risse beitragen, ohne Verantwortung auf uns zu nehmen. (…) der Streit würde zwischen dem Kreml und der kommunistischen Reformbewegung ausgetragen.«

Der Hauptstoß galt dem Teil der Kader innerhalb der kommunistischen Parteien, die am entschiedensten gegen den Imperialismus eingestellt waren. Diese sollten deshalb zunächst in den eigenen Reihen als »Stalinisten« denunziert und isoliert werden. In den entsprechenden Passagen des Memorandums des NSC heißt es dazu: »Das eigentliche Problem scheint darin zu liegen, die Isolation der stalinistischen Elemente nicht nur im gesellschaftlichen Leben der Satellitenstaaten, sondern vornehmlich auch in den kommunistischen Parteien zu bewerkstelligen und, sobald sie verifiziert und isoliert sind, Bedingungen zu schaffen, die ihre Macht einschränken und schließlich beseitigen werden. (…) Dieser Weg ist eng verbunden mit und teilweise abhängig von der dritten Handlungsweise, die uns offensteht – einem Angriff an der ideologischen Front.« Das schwierigste »Problem« aus Sicht des NSC bestand darin, »die Entwicklung eines abtrünnigen Kommunismus zu fördern, ohne zur gleichen Zeit ernsthaft unsere Chancen zu beeinträchtigen, diesen Totalitarismus einer Übergangszeit endgültig durch freiheitliche Lebensformen zu ersetzen, die der westlichen Welt geistesverwandt sind«.

Der Hebel, den die US-Strategen dafür sowohl gegenüber den sozialistischen Ländern wie auch gegenüber den kommunistischen Parteien insgesamt anzusetzen gedachten, war die »Transformationsstrategie«. Dies in einem doppelten Sinne: »Transformation« des sozialistischen Entwicklungsweges innerhalb des sozialistischen Lagers in Richtung Kapitalismus und »freier Marktwirtschaft« und zugleich Umwandlung und Festlegung der Programmatik der kommunistischen Parteien des Westens auf eine »Reformstrategie« innerhalb des kapitalistischen Blocks.

Sozialistischer als der Ostblock

Das Konzept der »Transformation« war eine bewußt gewählte »linke« Variante des Sozialdemokratismus bzw. des »demokratischen Sozialismus« zur Abgrenzung vom Revolutionskonzept der Kommunisten. Dabei spielte die »Sozialistische Internationale« eine zentrale Rolle. In einer Untersuchung der Geschichte und Strategie der NATO hatte Lorenz Knorr, langjähriger Bundessekretär der »Sozialistischen Jugend Die Falken«, 1985 die enorme Bedeutung der Kombination von gezieltem Antikommunismus mit einer bewußten Förderung des Reformismus in der Strategie der NATO herausgearbeitet. »Auf der Suche nach positiven Werten und Perspektiven wurde einerseits die ›europäische Integration‹, andererseits der ›Atlantismus‹, mitunter eine Synthese von beiden angeboten.« Die sogenannte europäische Integration bildete damals für die Parteien der Sozialdemokratie eine neue Stufe der Demokratisierung und Integration der nationalen Volkswirtschaften auf dem Weg zur »Transformation«.

Der Rat der Sozialistischen Internationale faßte dazu im Juni 1962 einen entsprechenden Grundsatzbeschluß. Der französische Sozialist André Ferrat kommentierte diese Entscheidung in einem Beitrag für die Revue Socialist so: »Es gibt keine Unvereinbarkeit zwischen dem demokratischen Sozialismus und Europa; gekämpft wird für die allmähliche Transformation des heutigen Europa in ein demokratisches und sozialistisches Europa.«

Diese Integration des vom Monopolkapital beherrschten Europas, damals auf der Stufe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG, später der EG, wurde als »Vorbote des Sieges des Sozialismus« begriffen. Unterschlagen oder negiert wurde, daß die EG ein vom US-Imperialismus nach 1945 gewolltes Projekt zur Bündelung der Kräfte des Antikommunismus und der Eingliederung des ökonomisch wiedererstarkten deutschen Imperialismus in eine antisowjetische Allianz war. Für den deutschen Imperialismus erfüllte sich zudem mit der europäischen Integration ein seit Jahrhundertbeginn gehegtes eigenes strategisches Ziel.

Die Theorie des »Transformation des Kapitalismus« sollte eine bewußte Negation der Strategie des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus sein. Der französische Sozialist Lucien Laurat schrieb bereits 1957 in dem theoretischen Beitrag »Worauf der Sozialismus zu orientieren ist« folgendes: »Je intensiver ein Land den wissenschaftlichen Fortschritt in der Industrie ausnutzen kann, desto eher nähert er sich dem Sozialismus, sein Kapitalismus macht eine Transformation durch, die Gewerkschaften werden stark. Das Studium der wirtschaftlichen Evolution der Vereinigten Staaten von Amerika zeigt uns die soziale Transformation dieses Landes.«

Laurat behauptete sogar, daß im Hauptzentrum des Imperialismus, den USA, »mehr Sozialismus als in den Ostblockländern« bestehe. Diese Gleichsetzung eines hochentwickelten staatsmonopolistischen Kapitalismus mit einem sozialistischen System verschleierte zum einen die Rolle des Privatsektors und des Privatkapitals in den USA, zum anderen negierte es die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln in den sozialistischen Ländern als den eigentlichen Grundunterschied im Vergleich zum Kapitalismus. Laurat präzisierte diese Ineinssetzung noch weiter: »Die verschiedenen Systeme existieren nicht nur eines nach dem anderen, sie durchdringen sich gegenseitig. Die ganze Geschichte ist nur eine ununterbrochene Reihe ›gemischter Wirtschaften‹, allmählicher Übergänge.« Es ist dann nur logisch und konsequent, daß mit dieser Variante der »Transformationstheorie« der Verzicht auf einen revolutionären Bruch verbunden war und ist.

Heute ist die Vorstellung von einer auf dem »wirtschaftsdemokratischen Reformweg« durchzusetzenden »Zähmung« des Finanzkapitals wichtiger Bestandteil einer allmählichen »Transformation« des Kapitalismus, wie sie von den genannten Theoretikern der Linkspartei und Mitarbeitern des isw oder von alternativen und linken Ökonomen der »Memorandum Gruppe« vertreten wird. Sie findet sich auch im Programm der Europäischen Linkspartei wieder.

»Mosaik-Linke«

Bei aller Differenziertheit der unterschiedlichen Autoren und Varianten der Transformationsstrategie verwischen diese Neuauflagen auch heute den qualitativen Unterschied zwischen einer noch innerhalb der Grenzen des Kapitalismus verbleibenden Reformpolitik und einer Konzeption, welche entschieden systemkritische und -schwächende Reformen mit der Strategie des »revolutionären Bruchs« dialektisch verbindet. Dabei sind manche Autoren sich des programmatischen Glatteises, auf das sie sich begeben, und der Gefahr des Abgleitens in den alten sozialdemokratischen Reformismus offenkundig bewußt.

Conrad Schuhler verbindet sein Konzept der Transformation mit der Zielsetzung einer »solidarischen Gesellschaft«. Diese Floskel ist Bestandteil des modernen »Austromarxismus«, die sich in der aktuellen Programmatik der KP Österreichs als Alternative zur marxistischen Konzeption des »Sozialismus« eingebürgert hat. Schuhler betont die Nähe seines Transformationskonzepts zu den in der Linkspartei dominierenden Transformationsideen. »Es wird von der Linken, z.B. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, gesagt, daß eine radikale Realpolitik sozial-ökologischer Transformation in der Zeit der Krise auf diesem strategischen Viereck basiere: der sozialen Umverteilung, sozialökologischer Umgestaltung, umfassender Demokratisierung und umsichtiger Friedenspolitik. Die Umverteilung sei der Ausgangspunkt, doch sei Umverteilung ohne Umgestaltung keine nachhaltige linke Politik. Deshalb müsse immer auch der zweite Schritt mitbedacht werden, der über den Status quo hinaus führt, eine Dynamik gesellschaftlicher Veränderung erzeuge, die einen Richtungswechsel erst bewirke. Ich stimme diesen grundsätzlichen Betrachtungen zu, will aber meinen Punkt unterstreichen, daß eine strukturell entscheidende Frage im Rahmen der aktuellen Phase der Auseinandersetzung angegangen werden kann, nämlich die Frage der Regulierung und Demokratisierung des Finanzsektors.«

Als sozialen Träger seiner sozialökologischen Transformationskonzeption sieht Schuhler eine »Mosaik-Linke« an. Diese solle aus der traditionellen »sozialen Linken« und der vorwiegend »ökologisch-libertären Linken« bestehen, die sich aus den lokalen Mittelschichten und Klein- und Kleinstunternehmern rekrutiert. Die zwischen ihnen noch bestehende »Fremdheit« müsse angesichts bestehender Gemeinsamkeiten jedoch erst abgebaut werden. Das »Gemeinsame« dieses Transformationsprojekts sei die »ökologische Modernisierung unter gleichzeitigem Einschluß der sozialen und demokratischen Ansprüche der arbeitenden Bevölkerung und aller Gesellschaftsmitglieder sowie die Entfaltung einer entschiedenen Friedenspolitik.« Schuhler scheint nicht mehr besonders auf eine schlagkräftige revolutionäre oder auch nur konsequent-gewerkschaftliche Arbeiterbewegung mit einer klar ausgerichteten antikapitalistischen und antimonopolistischen Strategie zu setzen.

Leo Mayer propagiert ebenfalls die Version einer »revolutionären Transformationsstrategie« und gerät dabei sichtlich in definitorische Kalamitäten, die er mit einer reformistischen Interpretation der von Gramsci entwickelten Hegemoniestrategie zu überbrücken versucht. Mayer schreibt: »... im marxistischen Sinne – auf Gramsci bezogen – bedeutet Transformation die grundlegende Umwälzung der gesellschaftlichen Ordnung zu einer höheren Ordnung, die jedoch nicht in einem Ansturm, sondern in einem langwierigen Kampf erfolgt.«

Diese Definition reduziert die Unterscheidung zwischen Reform und Revolution auf eine Zeitfrage und geht damit am wahren Problem, der Verwischung des qualitativen Unterschieds zwischen einer Reformstrategie und der Spezifik des revolutionären Bruchs, vorbei. Dies wird nicht dadurch besser, daß Mayer einräumt, daß der Transformationsbegriffs sehr schillernd sei, dann aber gleichzeitig behauptet, daß dies ja auch für die kommunistische Strategie gelte, die auf den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus setzt.

Daß er sich dabei ausgerechnet auf seinen vor gut einem Jahr verstorbenen schärfsten parteiinternen Kritiker, Hans Heinz Holz, beruft, entbehrt nicht einer gewissen Impertinenz. Es ist gerade Holz gewesen, dem die Verwischung des strategischen Unterschieds und der wesensmäßigen Andersartigkeit zwischen einer bloßen Reformstrategie und der Strategie und Notwendigkeit des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus immer ein wahrer Greuel war. Die politische Revolution ist für Holz eine Unterbrechung der kontinuierlichen Entwicklung. Sie stellt den Übergang von einer Qualität zur anderen, nächsthöheren dar und überschreitet damit die Grenze von der »Allmählichkeit« der Entwicklung und Modifikation (der Transformation) durch den »revolutionären Bruch«.

Die Revolution, so wußte Holz mit Lenin, ist der »höchste Akt der Politik« und wer sie will, »muß auch das Mittel wollen, die politische Ak­tion, welche die Revolution vorbereitet, welche die Arbeiter für die Revolution erzieht.«

Qualitativer Umschlag

Man kann den qualitativen Übergang von einer zweifelsohne notwendigen und auch von marxistischen Revolutionären bejahten Reformpolitik auch unter Berücksichtigung der alten Revisionismusdebatte zwischen Rosa Luxemburg und Eduard Bernstein mit ersterer durchaus immer noch so ausdrücken: »Es ist grundfalsch und ganz ungeschichtlich, sich die gesetzliche Reformarbeit bloß als in die Breite gezogene Revolution, und die Revolution als die kondensierte Reform vorzustellen. Eine soziale Umwälzung und eine geschichtliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente. Das ganze Geheimnis der geschichtlichen Umwälzung durch den Gebrauch der politischen Macht liegt ja gerade in dem Umschlagen der bloßen quantitativen Veränderungen in eine neue Qualität, konkret gesprochen: in dem Übergang einer Geschichtsperiode, einer Gesellschaftsordnung in eine andere.«

Im politischen Kontext ist die Revolution ein »autoritärer Akt« (F. Engels), der in unterschiedlichen Formen ablaufen kann und vielfältige Varianten aufweist. Es muß nicht zwangsläufig die äußere Form der Anwendung militärischer bzw. bewaffneter Gewalt annehmen. Es ist aber immer ein Bruch in der Allmählichkeit und der kontinuierlich ablaufenden Evolution. Es enthält per definitionem einen oder mehrere Momente des radikalen Bruchs und des Endes der kontinuierliche Entwicklung. Friedrich Engels hielt fest: »Eine Revolution ist gewiß das autoritärste Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und die siegreiche Partei muß, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.«

Das zeigen alle großen und kleinen revolutionären Ereignisse von den Tagen der englischen »Glorious Revolution« und der amerikanische Revolution gegen die britische Kolonialmacht, über die »Große Französische Revolution«, die russische »Oktoberrevolution« , die chinesische, vietnamesische, kubanische ebenso auch die antifaschistische »Nelkenrevolution« in Portugal 1974 bis hin zu dem, was man in den letzten Jahren in völliger Verkehrung des begrifflichen Gehalts »sanfte« bzw. »orange« Revolutionen in den ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas nannte.

Ein Weg zur Niederlage

Nach dem Sieg der Konterrevolution in der DDR kam es zu einer Wiederbelebung der alten sozialdemokratischen Transformationstheorie durch Theoretiker des sich selbst als SED-Reformer definierenden Spektrums der PDS-Führung. 1994 wurde auf einer großen »Transformationskonferenz«, der weitere Konferenzen folgten, nach neuen Begründungen für eine Neuauflage dieser alten Transformationsstrategie und ihrer Modernisierung gesucht. Federführend war damals das Berliner Institut für sozialwissenschaftliche Studien unter der Leitung von Rolf Reißig, der in den 80er Jahren auf seiten der SED an den Verhandlungen mit der Grundsatzkommission der SPD beteiligt war, an dessen Ende eine gemeinsame Positionierung zum »Streit der Ideologien« gestanden hatte. Für das imperialistische Langzeitkonzept der ideologischen Aushöhlung des realen Sozialismus und der Etablierung eines »häretischen« und »abtrünnigen« Kommunismus war dieses Dokument eine Art »geistige Atombombe«, die die bereits bestehenden Illusionen in den Reihen der SED über die wahren Absichten der westdeutschen »Entspannungspolitik« nur noch vergrößerte.

Wie spätestens die Erfahrungen der chilenischen Volksfrontregierung, der »Unidad Popular« unter Salvador Allende, und der Putsch des chilenischen Militärs von 1973 zeigen, führt das Herankommen an die Tabuzonen des Kapitalismus, nämlich der Besitz und die Alleinverfügung der kapitalistischen Konzerne, Monopolgruppen und Banken über die Produktionsmittel und Finanzinstitutionen, zu einer solchen Eskalation des Klassenkampfes von oben, daß die reaktionären Kreise des Großkapitals und der mit ihr verbündeten Mittel- und Kleinbourgeoisie dieser Bedrohung mit allen Waffen – auch denen des Putsches und des Bürgerkrieges – entgegentreten.

Die Erfahrungen der portugiesischen antifaschistischen Revolution von 1974 bestätigen zudem die Brüchigkeit klassenübergreifender Bündnisse und Allianzen, wenn Reformetappen naherücken, in denen es um solche Fragen wie die Nationalisierung der Banken, die Produk­tionskontrolle durch die Arbeiterbewegung, die Verstaatlichung von Großbetrieben unter demokratischer Kontrolle, die Verteilung des Großgrundbesitzes und die Demokratisierung von Armee, Polizei und anderen Machtorganen geht.

Es muß letztlich zu solchen Katastrophen wie der Niederlage der Unidad Popular führen – unabhängig von allem individuellen Heroismus und aller persönlichen Lauterkeit der linken Kräfte – , wenn der Unterschied von Reform und Revolution negiert oder auch nur so verwischt wird, wie in der vorgestellten Transformationstheorie. Dies endet dann fast zwangsläufig in einer schrecklichen Niederlage. Davor möge uns unsere revolutionäre Vernunft und Einsicht bewahren.

Editorische Hinweise

Hans-Peter Brenner ist Diplompsychologe und Psychotherapeut, Mitglied des Parteivorstands der DKP und Mitherausgeber der Marxistischen Blätter und kandidiert zum stellvertretenden Vorsitzenden.

Erstveröffentlicht wurde der Aufsatz in der JUNGEN WELT

Zum Thema siehe auch die Webrecherche "DKP in der Krise".