MALI: Frankreich interveniert in Westafrika
Komplexe und kontrovers diskutierte Situation

von Bernard Schmid

02-2013

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Seit dem Wochenende des 09./10. Februar 13 tritt der Krieg im westafrikanischen Mali in eine neue Phase ein. Durch Selbstmordattentate und Sprengstoffanschläge bereiten die jihadistischen Gruppen, die zuvor aus den Städten Nordmalis vertrieben worden waren, sich offensichtlich auf eine Phase des Guerillakriegs vor, in der sie versuchen werden, sich als „Widerstandskämpfer“ gegen eine äußere Einmischung und besonders gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich zu profilieren.

Im Augenblick sieht es nicht danach aus, dass sie dabei bei der Bevölkerung viel Gehör finden werden, denn die Menschen im Norden Malis reagierten in deutlicher Mehrheit mit Abscheu auf die Herrschaftsmethoden, mit denen die Jihadisten acht bis neun Monate lang über Städte wie Timbuktu, Gao und Nidal befohlen hatten: öffentliche Amputationen von Gliedmaßnahmen für tatsächliche oder (oftmals) nur vorgebliche Diebe, öffentliche Auspeitschungen, Haftstrafen besonders für Frauen für kleinste „Vergehen“ – wie angeblich unzureichende Verhüllung, Rauchen von Zigaretten oder vermeintliche uneheliche Beziehungen. Doch die Jihadisten ihrerseits bauen darauf, dass sich in Zukunft ein Szenario ähnlich wie in Afghanisten entwickeln könnte, wo die Taliban von 1996 bis 2001 mit ähnlichen Methoden „regierten“, aber sich heute als „Widerstandskämpfer“ aufführen - und dabei heute wesentlich stärker erscheinen als zu Beginn der ausländischen Intervention vor nunmehr bald zwölf Jahren (welch letztere keines der Probleme des Landes löste).

Zuvor erfolgten zunächst die Eroberung weiter Teile des Staatsgebiets Malis – einer größeren Nordhälfte – zwischen Januar und April 2012 durch ein vorübergehendes Bündnis zwischen Tuareg-Rebellen (die die Unabhängigkeit des Nordes fordern) und radikalen Islamisten, und im Anschluss der Bruch der Allianz zwischen den beiden ungleichen Gruppen. Die zum Gutteil aus Nicht-Maliern – etwa Algeriern, Pakistanern und Nigerianern – bestehenden Jihadisten schüttelten ihren bisherigen Bündnispartner in Gestalt der Tuareg-Bewegung MNLA („Nationale Befreiungsbewegung für Azawad“) im Juni 2012 ab, und die MNLA-Führung flüchtete am 27./28. Juni 12 Hals über Kopf in das Nachbarland Burkina Faso. Dessen Führung hatte bis dahin die in Mali als „Tuareg-Separatisten“ bezeichneten Akteure unterstützt, um das Nachbarland zu schwächen. Die Staatsführung Burkina-Fasos ist gleichzeitig ein enger Verbündeter des französischen Neokolonialismus in Westafrika.

Die Position der extremen Rechten

Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren findet eine, vordergründig für humanitäre Interessen – die Befreiung Malis von den Jihadisten ausweislich der offiziellen Begründungen – geführte, äußere Intervention auch die offene Unterstützung der extremen Rechten in Frankreich. Deren wichtigste Partei, der Front National (FN), sprach ihre offizielle Unterstützung aus: Marine Le Pen erklärte die Intervention am 12. Januar 13 für „legitim“. Seitdem berichtet die Marine Le Pen nahe stehende Webseite Nations presse info (NPI), die mehrmals am Tag aktualisiert wird, quasi täglich im „Neues von der Front“-Kriegsberichterstattungsstil vom Vorrücken der französischen Armee in Mali.

Die vor allem durch die USA geführten Kriege im Irak in den Jahren 1991 – damals noch unter französischer Beteiligung – und 2003, der NATO-Angriff auf Serbien von 1999 und die französische Intervention in Libyen 2011 und die Spekulationen über ein militärisches Eingreifen in Syrien lehnte der FN gleichermaßen vehement damals ab. Vor allem in den Fällen des Iraq (Irak) und Syriens verteidigte die rechtsextreme Partei quasi offen die jeweiligen Diktaturen. Ferner erklärte sie, wertvolles eigenes Blut solle für fremde Interessen - jene der USA, oder jene der Islamisten, denen die Interventionen vorgeblich allein nutzten - oder „utopische“ Ziele wie eine behauptete Demokratisierung dieser Länder geopfert werden. Stattdessen müsse das Blut der eigenen Leute und das für diese Kriege erforderliche Geld für vorrangige, nationale Aufgaben bewahrt werden.

Völkermord-Komplize leitet Intervention

Wie immer man sonst das aktuelle Geschehen rund um Mali auch bewerten mag – eine Sache ist ein skandalöser Hammer: die Personalie, welche die Einsatzführung bei der französischen Intervention in Westafrika betrifft. Die Opération Serval (so lautet der militärische Codename für die Intervention in Mali) wird nämlich durch Brigadegeneral Grégoire de Saint-Quentin geleitet. De Saint-Quentin war von 1992 bis 1994 als Militärberater in Rwanda, wo das damalige – durch Frankreich intensive - unterstützte Regime intensive Vorbereitungen für den Völkermord an den Tutsi von April bis Juni 1994 traf, und zwar bei der Elitetruppe der para-commandos. Französische Militärs und politische Entscheidungsträger sind in diesen jüngsten Genozid der Geschichte tief verwickelt. Jemand wie Saint-Quentin gehört deswegen auch nicht an die Spitze einer Intervention, sondern günstigstenfalls in lebenslängliche Haft.

Vgl. http://www.jeuneafrique.com/

Zu den Hintergründen betr.
Frankreich und Rwanda
siehe:

(Trend 7-8/08)
Vergangenheitsbewältigung auf Französisch
(Trend 03-10)
Frankreichs neokoloniale Kontinuität in Afrika

Ab dem Sommer 2012, und ganz offiziell ab der UN-Vollversammlung von Ende September des Jahres in New York – wo der französische Präsident François Hollande am 26. September zum Thema sprach – bereitete Frankreich eine militärische Intervention in Mali vor. Dazu liegen seit November/Dezember 2012 auch einschlägige UN-Resolutionen vor, die ein solches Eingreifen legitimieren. Allerdings schossen die Resolutionen einen Oberbefehl Frankreichs über die Intervention eindeutig aus. Ebenso, wie sie keine französische Bodenintervention vorsahen, sondern die Präsenz afrikanischer Truppen am Boden mit logistischer sowie Luft-Unterstützung durch die Franzosen. Aus Pariser Regierungskreisen wurde immer wieder erklärt, man selbst wünsche nur keine allzu direkte Beteiligung an militärischen Kampfhandlungen in Mali, sondern wolle auf alle Fälle im Hintergrund bleiben. Als Gründe für eine vordergründige Zurückhaltung (auf der Ebene unmittelbarer militärischer Teilnahme) wurden die Kolonialvergangenheit Frankreichs in der Region – die für starke Abwehrreflexe bei einer direkten Intervention sorgen würde -, aber auch die Anwesenheit von sechs französischen Geiseln in den Händen von AQMI („Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb“, eine der dort aktiven jihadistischen Gruppen) im Norden Malis genannt.

Es kam anders: Ab dem 11. Januar 13 griff Frankreich direkt und unter eigenem, ungeteiltem Oberbefehl in die Kämpfe in Zentralmali ein, die dort zwei Tage zuvor kurzfristig zwischen Regierungstruppen und (gen Süden vorrückenden) Jihadisten aufgeflammt waren. Die Jihadisten eroberten dabei am 9. Januar die kleinere Stadt Konna. Möglicherweise versuchten sie eine Art Flucht nach vorne, da sie die Intervention heranrücken sahen. Zudem wird von Beobachtern vermutet, dass Konflikte unter den sich zum Teil untereinander misstrauenden und bekämpfenden Gruppen – AQMI, die „Bewegung für die Vereinigung des Djihad in Westafrika“ (MUJAO) und die lokale Gruppe Ansar ed-Dine („Anhänger der Religion“ – ebenfalls den Anlass dazu gegeben haben könnten.

Die Konsequenzen wurden in Frankreich hingegen dramatisiert dargestellt: Hätte Frankreich nicht militärisch eingegriffen, so verlautbarte im Nachhinein aus Regierungskreisen, dann hätten die Jihadisten alsbald mit ihren motorisierten Fahrzeugen südlich des Nigerbogens vorrücken können und wären binnen kurzem vor den Toren der Hauptstadt Bamako gestanden. Dort hätten sie 6.000 dort lebende Franzosen oder Doppelstaatsbürgern (von 9.000, die sich in Mali aufhalten) als Geiseln nehmen und das ganze Land in ihre Gewalt bringen können.

Dagegen spricht allerdings nicht nur die Tatsache, dass der Süden Malis erheblich dichter besiedelt ist als der wüstenhafte Norden, und die Bevölkerung dort den Jihadisten – nach ihren Übergriffen auf die Bevölkerung im Norden – mit Abneigung und Hass begegnet. Die Zahl der jihadistischen Kämpfer wird auf rund 1.500 geschätzt, die höchsten Schätzungen gehen bis maximal 3.000. Hinzu kommen erwerbslose junge Männer, die in den letzten Monaten als Söldner rekrutiert wurden, jedoch (im Gegensatz zu überzeugten „Glaubenskämpfern“, die auf den Eintritts ins Paradies warten) kaum bis gar nicht bereit sein dürften, einfach ihr Leben zu opfern. Mit einer solchen Truppe lässt sich ein großes Flächenland nicht im Handstreich erobern. Hinzu kommt, dass natürlich der Militäreinsatz ab dem 11. Januar 2013 nicht spontan innerhalb von wenigen Stunden entschieden wurden: Französische „Spezialstreitkräfte“ (forces spéciales, also Elitetruppen) hatten bereits seit September 2012 in der Region Aufstellung bezogen. Die konservative Tageszeitung Le Figaro berichtete am 12. November 12 sehr detailliert über dieses - wie sie schrieb - „Geheimnis“, das keines war.

Die französische Enthüllungszeitung Le Canard enchaîné vom 16. Januar 13 lieferte einen anderen, ja fast entgegen gesetzten Erklärungsansatz als den offiziellen. Ihr zufolge war der französische Generalstab bis dahin ausgesprochen skeptisch gegenüber einer Intervention in Mali: Man wisse zwar, wie ein Krieg beginnen können, aber nicht, wann und wie er enden werde – ein nunmehr bald zwölfjähriger Schlamassel in Afghanistan, wo die Taliban nicht schwächer sondern stärker wurden, dient als Mahnung. Doch die Politiker, François Hollande an ihrer Spitze, hätten den Generalstab überzeugen können, indem sie darauf verwiesen, dass die Djihadisten nunmehr leicht zu schlagen sein: Ihre auf Pick-Ups vorrückenden Verbände seien leichte Zielscheiben, im Gegensatz zu islamistischen Kampfverbänden, die sich in dicht besiedelten Städten aufhalten oder irgendwo in der Landschaft versteckt aufhalten. Demnach war es eher die momentane Verwundbarkeit der Jihadisten für militärische Angriffe denn ihre Stärke, die zum Eingreifen am jetzigen Zeitpunkt den Ausschlag gegeben hat.

Eine dritte Erklärung, über die etwa bei den „Generalständen für Mali“ (Etats généraux pour le Mali) – einem größeren Kongress mit französischer, malischer und sonstiger afrikanischer Beteiligung am 26. Januar 13 in Paris – diskutiert wurde, liegt ungefähr in der Mitte zwischen den beiden vorgenannten Erklärungsansätzen. Demnach war es nicht realistisch, dass die Jihadisten nach der Einnahme von Konna schnell auf die knapp 500 Kilometer entfernt gelegene Hauptstadt Bamako vorrücken. Allerdings hätte, nach der Einnahme von Konna, der Flughafen in der nahe gelegenen Kreisstadt Sévaré in ihrer unmittelbaren Reichweite gelegen. Dadurch wäre ggf. der zweite militärisch nutzbare Flughafen in Nordmali, nach der zuvor international genutzten Piste in Tessalit (Nordost-Mali), unter ihre Kontrolle gefallen. Dies hätte eine Intervention nicht verunmöglicht, doch zumindest erschwert und hinausgezögert, insofern als französische oder andere Truppen nicht mehr in unmittelbarer Nähe des nunmehrigen Kampfgebiets hätten landen können. Hinzu kommt, dass die höchstwahrscheinlich aus den reaktionären Golfmonarchien Saudi-Arabien und (besonderes) Qatar eintreffende Hilfe für die Jihadisten mutmaßlich über die dortigen Landebahnen abgewickelt wird. Es ist erwiesen, dass Flugzeuge aus Qatar auf dem Flugplatz in Tessalit landeten, kurz nachdem die Jihadisten diese Stadt eingenommen hatten; offiziell handelte es sich um Hilfslieferungen vom Roten Halbmond, doch wären auch humanitäre Lieferungen ohne einen direkten Kontakt mit den den Jihadisten und ihr Einverständnis undenkbar gewesen.

Der reaktionäre und schwerreiche Golfstaat Qatar wird auch in französischen „sicherheitspolitischen“ Kreisen immer wieder als Unterstützer für die Jihadisten erwähnt. Insofern hätte Frankreich, hätte es allein die Jihadisten zurückdrängen wollen, erst einmal seinem Bündnispartner – mit ihm zusammen intervenierte Frankreich 2011 in Libyen, und Qatar investiert derzeit riesige Summen in die krisengeschüttelte französische Ökonomie, bis hin übrigens zum Aufkauf des Pariser Fußballclubs PSG – auf die Finger klopfen müssen. Dies geschah nicht. Allerdings besuchte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian am 10. Februar 13 für kurze Dauer die Golfmonarchie, die auch ein enger Verbündeter der USA in der Region ist, und „versuchte Qatar zu einer Unterstützung für die französische Politik im Sahel zu gewinnen“ (so fasste die konservative Tageszeitung Le Figaro den Besuch zusammen).

Aufgrund der Schreckensherrschaft, die die Djihadisten acht bis neun Monate lang über Städte im Norden Malis ausübten, applaudierte ein bedeutender Teil der Bevölkerung in Mali der Intervention – und betrachtete sie zumindest kurzfristig als „kleineres Übel“, auch wenn neokoloniale Hintergedanken Frankreichs ebenfalls angesprochen und kritisiert wurden. Diese, jedenfalls vordergründig real vorhandene, Begeisterung konnte man auch bei den in Frankreich lebenden Immigranten aus Mali konkret erfahren. (Und bei dem „Forum zu Mali“ zur Eröffnung der jährlich stattfindenden „Antikolonialen Woche“ in der französischen Hauptstadt sprachen sich, am 14. Februar 13 im Pariser Gewerkschaftshaus, viele aus Mali stammende Redner in diesem Sinne aus. Auch wenn es insgesamt sehr kontroverse Debatten zum Thema unter Afrikanern ebenso wie mit französischen Linken gab. Vgl. dazu unseren nebenstehenden Artikel „Diskussionsbeitrag über Mali“.)

Dennoch fiel die Zustimmung erheblich relativer aus, als sie in französischen und europäischen Medien oft dargestellt wurde. So wurde Präsident François Hollande bei seinem Aufenthalt in Mali am Wochenende des 02./03. Februar 13 zwar in Timbuktu, wo die Jihadisten noch bis kurz zuvor drakonische Strafen wegen Rauchens oder Trinkens verhängte hatten, tatsächlich von einer jubelnden Menge begrüßt – es handelte sich nicht um eine Inszenierung, sondern um echte Erleichterung. Anderswo in Mali dagegen war die Haltung bereits sehr viel widersprüchlicher. In der Hauptstadt Bamako war unterdessen der Platz, auf dem Hollande an jenem Wochenende sprach, teilweise leer, wie man unschwer auf den Fernsehbildern erkennen konnte. Gegenüber der französischen Wochenzeitung Le Canard enchaîné (vom 06. Februar 13) begründete das Präsidentenamt dies damit, dass gleichzeitig das Fußball-Länderspiel Mali gegen Südafrika stattgefunden habe. Keine besonders starke Begründung. Alles spricht dafür, dass viele Menschen in Mali zwar das Ergebnis der Vertreibung – oder Gefangennahme oder Tötung - der Jihadisten wünschten, aber gegenüber den offenkundigen Eigeninteressen der intervenierenden Macht skeptisch bleiben.

Auf französischer Seite hingegen sähe man gerne die grundsätzliche Rolle Frankreichs als Hegemon in der Region, der weitgehend unkontrolliert die Rohstoffe im französischsprachigen Afrika schamlos ausbeutet, für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre erfolgreich neu legitimiert. Man hätte Unrecht, würde man in Paris glauben wollen, dafür nun einen Blankoscheck von der afrikanischen Bevölkerung erhalten zu haben. Aus Malis Nachbarland Niger kommt ein Drittel des Urans, das in den 58 (!) französischen Atomreaktoren verfeuert wird, und Niger zählt zu den zehn ärmsten Staaten der Welt; Mitte Januar wurde infolge der Intervention in Mali bekannt, französische „Spezialstreitkräfte“ der Armee hätten rund um die Uran-Minen in Niger Aufstellung bezogen, um diese gegen Attentatsversuche zu schützen. Dass private Konzerninteressen des Nuklearkonzerns AREVA (auch wenn sie aufgrund des wahnwitzig überdimensionierten französischen Atomprogramms erheblichen Einfluss auf die nationale Energieversorgung haben mögen) derart ungeniert durch staatliche Truppen geschützt werden, hat schon eine neue Qualität. Viele Afrikaner/innen wissen zweifellos, was sie davon zu halten haben.

Ob man in der Krisenregion Mali ausgerechnet auf Frankreichs militärisches Eingreifen zurückgreifen musste, oder ob es Alternativen dazu gegeben hätte, ist eine Frage, die man sich stellen muss. Dafür mag vordergründig die Effizienzerwägung sprechen: Als hochgerüstete Großmacht, die in Afrika über reichlich Kampferfahrung verfügt, konnte Frankreich zweifellos schnell eingreifen. Allerdings trifft ebenso zu, dass alle Ansätze für eine inländische Lösung innerhalb Malis sowohl in ihren zivilen als auch militärischen Komponenten über Monate hinaus blockiert wurde. Seit März 2012 war Mali mit einem Waffenembargo belegt worden, mit der vordergründigen Begründung seitens der USA und Frankreichs, man nehme den Putsch eines Teils der Armee – eher ihrer unteren Ränge, gegen die korrupte Oligarchie – vom 22. März nicht hin. Stattdessen forderten etwa die USA erst einmal reguläre Wahlen, was angesichts der realen Situation in einem zweigeteilten und im Kriegszustand befindlichen Land ausgesprochen realitätsfern schien. Unterdessen verrosteten die für Malis Armee bestimmten Waffen in den westafrikanischen Hafenstädten Conakry, Dakar und Abidjan. Dabei war die Begründung aus Paris und aus Washington gelogen, der Militärputsch in Bamako unter Amadou Sanogo sei erst die Ursache für die Eroberung des Nordens durch die Jihadisten gewesen: Das war er nicht, viel eher war er eine von ihren Folgeerscheinungen.

Man muss Militärputsche keineswegs bejubeln, auch wenn sie von den unteren Reihen und den weniger korrupten jungen Offizieren ausgehen. Auch wenn man nicht verkennen darf, dass im postkolonialen Afrika – wo viele junge Männer aus armen Familien oft überhaupt nur bei der Armee zu erträglichen Jobs und Bildung kommen können – oft in den unteren Rängen der Armee progressivere Kräfte existieren, als in der regierenden Oligarchie. Als positivstes, tatsächlich emanzipatorisches Beispiel bleibt in ganz Westafrika der durch einen Putsch an die Regierung gekommene linke Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara (1983 bis 87). Ein negatives Gegenbeispiel setzte allerdings in jüngerer Zeit Moussa Dadis Camara, der ebenfalls als junger Offizier an die Macht kam, Ende 2008 in Guinea, und schon im September 2009 ein Massaker an zivilen Opponenten verüben ließ. Die Ambitionen und politischen Perspektiven der jungen Offiziere in Mali lagen wohl irgendwo zwischen diesen beiden Extrempolen. Einige der Putschisten strebten vor allem danach, einen Verteidigungskrieg im Norden des Landes gegen die Djihadisten zu organisieren. Andere dagegen wiederum strebten überwiegend danach, sich selbst auf schnellere Weise als bei normalem Karrieregang zu bereichern; in öffentlichen Gebäuden in Bamako kam es in den ersten Tagen des Putschs zu Plünderungen von ihrer Seite. Und es kam auch zu Misshandlungen von politischen Gegnern der Putschisten, vor allem innerhalb der Armee, und Amnesty international zufolge zur Folterung von gegnerischen Offizieren.

Man hätte den Putschisten also keinen Blankoscheck geben dürfen, und es wäre notwendig gewesen, für eine starke politische Kontrolle von zivilen Kräften über die malische Armee zu sorgen. Zivile politische Kräfte – In Gestalt der linksnationalistischen „Bewegung des 22. März“, ein Zusammenschluss von vierzig Organisationen - begleiteten ja tatsächlich den Putsch vom 22. März 12, in dem Viele ein kleineres Übel gegenüber der alten Oligarchie erblickten. Eine Mischung aus ziviler und militärischer Mobilisierung in Mali gegen die jihadistische Bedrohung, verbunden mit einer internationalen Beteiligung, aber unter einheimischer Kontrolle: Dies wäre eine Alternative zur Intervention unter rein französischer Kontrolle gewesen. Sie wurde mit allen Mitteln durch die Großmächte blockiert.

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.