Erwerbslosenprotest- ein Resümeè
Vortrag am 7.10.2009 beim Roten Abend in Berlin-Friedrichshain

von Anne Seeck

02/10

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung.
In der Januarausgabe 2010 erschien bereits ein Vortrag
von Anne Seeck. Diesen verband sie mit dem Hinweis auf die Stadteilversammlung des Schillerkiezes / Berlin-Nordneukölln am 15.2.2010 um 20 Uhr in Syndikat, Weisestr 56.  Dieser Hinweis soll hier wiederholt werden. ( red. trend)

Worüber rede ich. Es gibt Arbeitslose, die nicht erwerbslos sind, weil sie von Profiten, einem Erbe etc. leben. Das ist für den Kapitalismus kein Problem. Und es gibt Erwerbslose, die nicht arbeitslos sind, weil sie zum Beispiel politisch aktiv sind. Wenn sie denn in der Linken politische Arbeit machen, sind sie für den Kapitalismus ein Problem.

Schauen wir uns die weltweite Armut an, dann greift die Verelendungstheorie nicht. Wer um sein ワberleben, seine Existenz kämpft, ist nicht automatisch revolutionär. Es gibt eine breite Unzufriedenheit in der Bevölkerung, dem muß aber ein Bewußtseinsprozeß folgen. Viele haben das Gefühl, dass es in diesem Land ungerecht zu geht. Aber es muß auch ein Wille da sein, das gemeinsam zu verändern. Die Unzufriedenheit muß ein kollektiver Prozeß sein. Die Erwerbslosen müssen ihre Benachteiligung zur Kenntnis nehmen und sie müssen Hoffnung haben- Hoffnung auf Veränderung. Denn der Protest wird durch die Unterdrückung verursacht, deshalb muß auch die Systemfrage gestellt werden. Man darf sich nicht mit der sozialen Ungleichheit in diesem Land und global abfinden, diese kann nicht selbstverständlich sein. Leider wehren sich jene am wenigsten, die am meisten protestieren müßten.

Mitten in der Krise herrscht Ratlosigkeit in der Erwerbslosen"bewegung". (Wenn ich den Begriff Bewegung benutze, dann nur weil er gebräuchlich ist, er spiegelt jedoch nicht den wirklichen Zustand der Erwerbslosenszene wieder.) Der Protest erschöpft sich in Abwehrkämpfen. Der Abwehrkampf gegen Hartz IV scheint verloren.

Erste Aktionen zu Hartz IV gab es 2002 in Berlin, als schon bekannt war, dass die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt werden sollten und die Hartz-Kommission tagte. Zunächst waren wir ein kleines Häuflein in Berlin, dann gründeten sich Bündnisse, am 1.11.2003 gingen dann 100 000 Menschen auf die Straße. Für 2004 war eine Herbstkampagne geplant, die Montagsdemos im Sommer kamen dann völlig überraschend. Waren zunächst noch Massen auf der Straße, ebbte das schließlich ab. Die Aktivisten schlugen zwei Richtungen ein. Den Weg der Parlamentarisierung mit der WASG, die schließlich von der Linkspartei geschluckt wurde. Und den Weg in das Netzwerk Grundeinkommen, die inzwischen dm-Chef Götz Werner und Dieter Althaus (CDU) auf ihrer Seite haben, fragt sich nur auf welcher Seite. Die FDP droht ja auch noch mit dem Bürgergeld.

Am 1.1.2005 gab es am Tag der Einführung von Hartz IV noch die Aktion Agenturschluß, die aber eher von der radikalen Linken getragen wurde, erwerbslose Normalbürger waren nicht mehr zu sehn.

Protestforscher Dieter Rucht analysiert in dem Buch „Und jetzt?", wie Protestgruppen Aufmerksamkeit erzielen wollen. In dieser Gesellschaft sei Aufmerksamkeit ein knappes Gut. Protestgruppen wollen Aufmerksamkeit erzielen, das versuchen sie über Masse, Radikalität, Kreativität und Prominenz zu erreichen.

Masse

Die Masse zeigt, dass das Protestanliegen einen breiten Rückhalt hat, was die Legitimität des Protestes aufzeigt.

Die Anzahl der Protestierenden spielt gerade für die ヨffentlichkeit und die Medien eine große Rolle. Damit wird für jene der Protest überzeugender, und um etwas zu bewirken, braucht es mediale Verbreitung.

Auch die Erwerbslosenbewegung hat es schon geschafft, Massen auf die Straße zu bringen. Erinnert sei an die Demonstration gegen Sozialkahlschlag am 1.11.2003, an der 100 000 Menschen teilnahmen. Auch der Beginn der Montagsdemonstrationen hatte massenhaften Charakter. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen den Montagsdemos 1989 und den Montagsdemos 2004, wenn man sich die Rolle der Medien anschaut. Während die Westmedien die Stimmung damals noch aufheizten, versuchten sie die Montagsdemos 2004 einzudämmen, indem sie vor Rattenfängern und Radikalisierung warnten. Seit 2005 fehlt es der Erwerbslosenbewegung an Masse, das hat vor allem mit der Resignation der Erwerbslosen zu tun, denn die Hartz IV-Proteste haben kaum etwas bewirkt.

Radikalität

Radikalität hat selten etwas mit Massencharakter zu tun. Die Protestierenden setzen sich damit z.B. dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung aus. Die Medien berichten über Radikalität wie am 1. Mai in Kreuzberg, Zustimmung in der Bevölkerung ist damit aber selten zu erreichen. Die Anti-AKW-Bewegung im Wendland ist dabei allerdings eine Ausnahme, wo selbst die Bauern mit ihren Traktoren auffahren.

In der Erwerbslosenbewegung gibt es kaum Radikalität. Das hat m.E. vor allem zwei Gründe. Zunächst die Altersstruktur, an den Montagsdemos waren hauptsächlich ältere Erwerbslose beteiligt, die kaum noch für radikale Aktionen zu gewinnen sind. Zudem haben viele Erwerbslose vor Kriminalisierung und den damit verbundenen Geldstrafen Angst. Ihre finanzielle Situation ist schon so prekär, dass sie jedes Risiko vermeiden. Während Peter Grottian eine Radikalisierung des Protestes fordert, ist bei den Erwerbslosen davon weit und breit nichts zu sehen. Direkte Aktionen sind die Verweigerung - Streiks, Boykotts, Hungerstreiks und Fastenaktion. Wo können Erwerbslose streiken, sie haben keine Lohnarbeit. Sollen sie das Jobcenter boykottieren? Es gab Hungerstreiks und auch kritische Diskussionen dazu in der Erwerbslosenbewegung. Erwerbslose können sich der Lohnarbeit, z.B. Ein-Euro-Jobs verweigern, nicht offen, aber mit Tricks. Und da einige schon nicht mehr ihre Post öffnen, ignorieren sie Vorladungen, Rechnungen etc., mit den entsprechenden Konsequenzen- auch eine Form der Verweigerung. Eine weitere direkte Aktion ist die Behinderung mit In-Aktionen und Blockaden. So gab es wegen der Fahrpreiserhöhungen ein Go-In beim BVG-Chef und eine Straßenbahnblockade, allerdings getragen vom Sozialforum und nicht von der Erwerbslosenbewegung. Direkte Aktionen sind natürlich auch Besetzungen. Es hat Versuche gegeben, die Arbeitsämter zu besetzen. Die radikalste Form der direkten Aktion ist die Zerstörung, wie die Brandanschläge auf Autos, nicht von der Erwerbslosenbewegung, sondern der militanten Gruppe.

Kreativität

Dabei zeichnet sich die Aussage durch die Originalität, einen Neuigkeitswert und einen Verblüffungseffekt aus. Man kann sie nicht wiederholen, dann verschleißt sie.

Mit Bekanntwerden der Hartzkommission bildete sich in Berlin 2002 eine kleine Gruppe von Erwerbslosen, die sich vor allem durch kreative Aktionen auszeichnete.

Wir führten witzige Theaterstücke auf, verliehen dem Sozialamt Neukölln den „Goldenen Tretstiefel" und führten vor dem Hotel Estrel, wo der Sonderparteitag der SPD zur Agenda 2010 tagte, einen Gladiatorenkampf zwischen einer Ich-AG, einem Leiharbeiter und einem Mini-Jobber auf. Die FAU organisierte noch eine Spaßdemo „Heraus zum 1. April". All das hat riesigen Spaß gemacht, aber dann war die Luft raus.

Meine Lieblingsaktionsform ist die Spaßguerilla. Nur ein Beispiel einer Aktion bei den Häuserkämpfen 1980. Am 12.12.1980 wurden bei Karstadt am Hermannplatz 600 weiße Mäuse in die Lebensmittelabteilung eingeschmuggelt, in Cornflakespackungen versteckt. Die Tiere fraßen sich durch und gingen an die umherstehenden Lebensmittel. Dazu gab es eine Kommandoerklärung der MAF (Mäusearmeefraktion):

Uns Mäusen stinkt die Konsumscheiße schon lange und wir
lassen uns von diesen amerikanischen kolonialistischen
Mickeymäusen nicht länger verarschen.
Wir wollen kein Disneyland! Karstadt muß in Mäusehand!
Knastmauern sind für uns nur größere Käsebrocken.
Wir fressen alles auf, was uns kaputt macht !

Prominenz

Wenn sich Prominente an einem Protest beteiligen, sollte die Aufmerksamkeit gewiss sein, sollte man meinen. Bei der Erwerbslosenbewegung ist das wohl anders, wie vor kurzem zu sehen war. Es wurde ein Sanktionsmoratorium initiiert, d.h. die Aussetzung der Sanktionen bei Hartz IV. Dafür wurden Prominente wie Günter Grass, Heiner Geißler, Politiker, Wissenschaftler, Künstler gewonnen und trotzdem war die Medienresonanz gering. Und wenn dann wurde sich in den Medien nur auf Politiker der SPD, Grünen und Linkspartei bezogen, also Wahlkampfspektakel gemacht.

Es gibt aber noch weitere Techniken, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Es werden Protestakteure und besondere Aktionen angedeutet. So ist es wohl bei Aktionen von ワberflüssigen geschehen. Sie waren ein Synonym für ungewöhnliche Aktionen, wie bei dem Besuch im Nobelrestaurant Borchard, wo die Gäste mit den Hartz IV- Sätzen, im Gegensatz zu den Preisen im Restaurant, konfrontiert wurden.
Eine weitere Technik besteht darin, an ein historisches Datum anzuknüpfen. So zum Beispiel gründete sich zum Gedenken an die Opfer der Aktion Arbeitsscheu Reich 1938 der AK Marginalisierte, der zum 70. Jahrestag Veranstaltungen, Aktionen und Gedenkfahrten organisierte.

Eine dritte Technik ist, stark beachtete Ereignisse für den Protest zu nutzen. Bekannt sind hier vor allem die G8-Proteste. Aber auch Erwerbslose protestierten zum Beispiel beim SPD-Sonderparteitag zur Agenda 2010.
Die vierte Technik ist, „starke" Bilder des Protestes zu erzeugen, so die Bilder vom Protest in Heiligendamm. Starke Bilder hat die Erwerbslosenbewegung bisher kaum gezeigt, zur Zeit zeigt sie eher ihre Schwäche.

Die letzte Technik besteht darin, die Risiko- und Opferbereitschaft der Protestierenden zu zeigen. So zeigte der Hungerstreikende Bernd Pfeifer in Gütersloh seine Opferbereitschaft, was die Medien und Politik kaum wahrnahmen, nach der Devise- ein Kostenfaktor weniger.

Zur Zeit ist also kaum etwas von Masse, Radikalität, Kreativität, Prominenz oder auch starken Bildern bei den Erwerbslosen zu sehen, von einigen Ausnahmen abgesehen.

Im Herbst 1989 vor 20 Jahren war es vor allem die Masse, die etwas veränderte.

Bei der Anti-AKW-Bewegung sind es alle Faktoren, die das gesellschaftliche Klima in Bezug auf die Atomkraftwerke langsam verändern und das war ein langer Prozeß. (Und mit der CDU-/FDP-Regierung geht der Kampf weiter.)
Die bundesweite Erwerbslosenbewegung, die es auch schon seit Anfang der 1980er Jahre gibt, hat sich vor allem auf Beratungstätigkeit zurückgezogen, was natürlich wichtig ist, aber nicht alles sein kann. Hier hat sich ein Expertentum, was Gesetze betrifft, herausgebildet.

Häufig werden die Gründe für den katastrophalen Zustand der Erwerbslosen"bewegung" bei den Erwerbslosen selbst gesucht:

Da ist einmal die Heterogenität, die Erwerbslosen kommen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, haben unterschiedliche Lebensstile und Wertvorstellungen. Auch aufgrund der gesellschaftlichen Zuschreibung suchen viele die Schuld bei sich selbst, Scham spielt eine große Rolle. Das Bild von außen wird internalisiert. Sie deuten ihre Erwerbslosigkeit als individuelles Versagen, individuelle Strategien sind demzufolge die größten Hoffnungsträger- Arbeitssuche, Klagen etc. Wer nicht aktiv auf Arbeitssuche ist, wird als Schmarotzer und Faulenzer in der ヨffentlichkeit tituliert. Ihnen wird Inaktivität vorgeworfen, sie könnten nicht ihre Zeit strukturieren, in der sozialwissenschaftlichen Forschung gibt es die „self-fulfilling prophecy"- Theorie, also Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen. Man nimmt die zugeschriebene Rolle des „Apathischen" an. Und so prägt auch der Fatalismus vor allem die Langzeitarbeitslosen. Sich selbst die Schuld zuzuschreiben, führt zur Ohnmacht. Die Belastungen einer prekären Existenz tun ihr übriges. Wer „arbeitsmarktnah" ist, sucht dann eher die Nähe zur Arbeitswelt als zu Erwerbslosengruppen. Beide, die „Arbeitsmarktfernen" und die „Arbeitsmarktnahen" sind nicht in der Lage, ein kollektives Bewußtsein zu entwickeln. Und es fehlen die gemeinsamen Interessen, Ziele und Utopien.

Aber wir sollten die Gründe nicht nur bei den nichtorganisierten Erwerbslosen suchen, sondern auch bei uns selbst. Häufig sind die Erwerbslosengruppen instabil durch die Fluktuation bei den Mitgliedern. Wenn jene, die intensiv nach Lohnarbeit suchen, schließlich Arbeit haben, sind sie verschwunden. Die wenigen politisch aktiven Erwerblosen, die jahrelang dabei sind, sind dagegen überlastet, d.h. sie haben kaum noch Zeit.

Meine Kritik an der Erwerbslosenbewegung ist auch, dass die globale Ebene ausgeblendet wird. Wir befinden uns in einer globalen muliplen Krise (z.B. auch Klima-, Ernährungs-, Rohstoffkrise, Verslumung, Legitimationskrise der Demokratie usw.), das bleibt in dieser Szene unbeachtet, während es in jenen Szenen, die sich mit globalen Themen beschäftigen, eher die Tendenz gibt, das Problem der Armut in diesem Land zu verharmlosen.

Ein weiteres Problem ist die Fraktionierung und die mangelnde Vernetzung, dazu komme ich noch. Ich habe in Bündnissen und Gruppen auch oft interne Querelen und Machtkämpfe erlebt. Meine Kritik richtet sich auch besonders an die bundesweiten Strukturen der „Erwerbslosenbewegung". Eine kleine Gruppe von selbsternannten Erwerbslosenvertretern trifft die Entscheidungen. Für einen normalen Hartz IV- Bezieher ist es aus Kostengründen gar nicht möglich, zu den ständigen Treffen im gesamten Land anzureisen. Und so sind die „Erwerbslosenfunktionäre" dann oftmals gar nicht erwerbslos. Sie sind zum Beispiel hauptamtlich in Beratungsstellen tätig oder sind selbständig und preisen nebenbei ihre Seminare an. Natürlich habe nichts dagegen, dass die Leute nicht erwerbslos sind, aber sich dann als "Erwerbslosenvertreter" auszugeben? Von der männlichen Dominanz dieser „Clique" ganz zu schweigen. Ich habe noch keine kritische Selbstanalyse der bundesweiten Erwerbslosenbewegung entdeckt. (außer Kritik an den Montagsdemonstranten) Warum ist die Erwerbslosenbewegung so schwach? Warum sind wir keine wirksame Plattform für Erwerbslose? Was hat das mit uns zu tun? In Berlin haben wir eher das Problem, dass sich die Leute in den Initiativen ehrenamtlich aufreiben, was dann auch schon mal zum Burnout führt, wenn man gleichzeitig finanziell so prekär lebt.

Was könnten nun Ansätze sein, um den Protest weiterzuentwickeln:

  1. Es muß um eine Breite des Protestes gehen. Keine Protestform sollte gegen eine andere ausgespielt werden. Ein Sanktionsmoratorium mit Prominenten ist genauso wichtig wie der radikalere Protest beim Zahltag und beim Agenturschluß. In Berlin gibt es an Orten des Protestes auch kleine Gruppen von Erwerbslosen: wie in der Lunte das Erwerbslosenfrühstück am Mittwoch, im Mehringhof die Kampagne gegen Hartz IV und die AG Beschäftigungsindustrie, im Haus der Demokratie die AG Soziales, in Friedrichshain die Aktions-AG des Krisenbündnis, es gibt Gruppen in der Linkspartei und den Gewerkschaften. Allerdings ist hier eine Vernetzung unbedingt notwendig. Das hatte ich im Krisenbündnis angeregt, die Resonanz war gleich Null.

  1. Es ist eine Alternativendiskussion notwendig. In der Erwerbslosenbewegung gibt es die Forderung 500 Euro Hartz IV, Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, 10 Euro Mindestlohn. Zudem gibt es die Forderung nach dem bedingungslosen Grundeinkommen, also eine Forderung an den kapitalistischen Staat. Aber kann das alles sein, wir müssen wieder Alternativen außerhalb des Kapitalismus denken und das auch so fordern. Die Alternativen sind dann grundsätzlich der Streitpunkt in Bündnissen, was dann zum kleinsten gemeinsamen Nenner oder zur Spaltung führt. Angesichts der weltweiten multiplen Krise muß die Systemfrage gestellt werden.

  1. Wir müssen im Alltag präsent sein, jede/r an seinem Ort. Es geht um die Politisierung des Alltags, dabei müssen wir bei unseren Lebensbedingungen, aber auch denen der Normalbevölkerung, ansetzen. Politik sollte keine Freizeitbeschäftigung sein, wir müssen Widerstand auch im Alltag leben. Das betrifft genauso den Kampf gegen Gentrifizierung, Widerständigkeit in der Arbeit und im Amt, was natürlich schwierig ist, das betrifft das Konsumverhalten angesichts des Klimawandels usw. Dabei sollten wir Solidarität im Alltag leben. Wenn wir noch nicht einmal jetzt untereinander solidarisch sind, wie wollen wir dann eine bessere Zukunft denken. Die solidarische Begleitung in Jobcenter ist da ein Schritt in die richtige Richtung.

Im Alltag präsent sein, bedeutet für mich vor allem auch Stadtteilarbeit. Ich hatte einen Zwangsumzug, mußte vom Reuterkiez in den Schillerkiez innerhalb Neuköllns umziehen. Der Reuterkiez befindet sich bereits in der Anfangsphase der Gentrifizierung, und jetzt wollen sie auch im Schillerkiez aufräumen. „Task Force Okerstraße" heißt das Konzept des Quartiersmanagement. Dabei soll vor allem gegen „Trinkergruppen" und Roma-Familien vorgegangen werden. Helfen sollen dabei auch Beschäftigungsträger mit ihren Ein-Euro-Jobbern, nach der Devise „Arme kontrollieren Arme".

Deshalb haben wir (u.a. AG Beschäftigungsindustrie) Mitte Oktober einen Spaziergang zu Beschäftigungsträgern und dem Quartiersmanagement im Schillerkiez durchgeführt.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von der Autorin verbunden mit folgendem Veransataltungshinweis:

KUNDEN, KLÜNGEL & PROFITE
Die Rolle der Beschäftigungsträger beim Geschäft mit der Arbeitslosigkeit, Quartiersmanagement, lokale Sicherheitskonzepte

Informations- und Diskussionsveranstaltung der AG Beschäftigungsindustrie, Berlin

mit Volker Eick, Stadtsoziologe
Bernd Wagner, Ver.di-Erwerbslose


Die., 2.3.2010, 19:30h, Versammlungsraum Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, 10969 Berlin

Über diese Veranstaltung (Text der AG Beschäftigungsindustrie)

Die Empörung der Menschen ist gro゚: Für viele offensichtlicher als jemals zuvor stehen die Profiteure und Verursacher der kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre wieder in den Startlöchern, um eine neue Kasinorunde einzuleiten, während Arbeitslosigkeit, Niedriglohnsektor und prekäre B e s c h ä f t i gung inf o lge des z u g e p i t z t e n Wirtschaftsabschwungs stetig weiter zulegen. Weitere Massen von Menschen werden infolge der durch die Hartzgesetze massiv eingesetzten Umstrukturierung der Arbeitslosenorganisation- und verwaltung und der damit einhergehenden „Anpassungen“ des Arbeitsmarktes dazu gezwungen sein, in einem politisch gewollten Niedriglohnsektor um die beschissensten Billiglohnjobs zu konkurrieren und sich den Rest zum so nie ausreichenden Nettolohn „vom Amt“ zuschie゚en zu lassen. Erst einmal arbeitslos geworden, sind viele von ihnen mit dem im Zuge der Hartz-Gesetze parallel verschärften, repressiven Wandel in der Verwaltung der „Kunden“ konfrontiert und haben sich ihrer Disziplinierung in einem Meer von Beschäftigungs-, Weiterbildungsträgern und Transfergesellschaften zu erwehren, um Anspruch auf das ohnehin nie ausreichende Arbeitslosengeld beziehungsweise Arbeitslosengeld II zu haben. Zur sogenannten „Wiedereingliederung“ der „Kunden“ - vor allem im Hartz-IV-Bezug - in den Arbeitsmarkt über zum Teil windige Beschäftigungs- und Weiterbildungsträger nehmen Arbeitsämter und JobCenter Jahr für Jahr Milliardenbeträge in die Hand. Mit mehr als dubiosen Ergebnissen, die wahrscheinlich gut sind für die gefälschten Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit und den Profit der Geschäftsführer und Gesellschafter der Beschäftigungsträger, die an den meisten im Zuge von Globalisierung, Hartz-Gesetzen und der jüngsten Krisen des Kapitals freigesetzten Menschen jedoch vorbeigehen.
Mit unserer Veranstaltung wollen wir einen Beitrag zur Entlarvung dieser in der ヨffentlichkeit weniger bekannten Struktur- und Kollaborationsebenen moderner staatlicher Armuts-Verwaltung - als einem zentralen Aspekt ihres neoliberalen Projekts - leisten und die Protagonisten benennen, die von der zunehmenden Armutsproduktion profitieren.