Zwangsumzüge, Erwerbslosenprotest, Beschäftigungsindustrie
Vortrag am 21.1.2010 auf einer Gentrifizierungsveranstaltung in Berlin-Kreuzberg


von
Anne Seeck

01/10

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Persönliche Auswirkungen von erzwungenen Umzügen

Ich bin hier in der Eigenschaft als Betroffene, aber auch als Aktivistin. Vor einem Jahr hatte ich einen Zwangsumzug, d.h. ich wurde vom Jobcenter aufgefordert, die Mietkosten zu senken und bin dann umgezogen. Natürlich sind nicht nur Hartz IV-BezieherInnen von erzwungenen Umzügen betroffen, sondern auch prekär Beschäftigte, überhaupt Einkommensschwächere. Aber mein Thema sind vor allem Zwangsumzüge von Hartz IV-BezieherInnen.

Es gibt unterschiedliche Zahlen über die Anzahl der Zwangsumzüge.
Laut Sozialsenatorin Carola Blum von der Linkspartei waren es 2009 nur 261 Umzüge. (Stand vom 16.12.2009)
(Auf der Veranstaltung nannte ein Senatsvertreter (Soziales) von der Linkspartei folgende Zahlen: 2006 waren es 416 Umzüge (das sind 0,12% aller Bedarfsgemeinschaften); 2007 680 Umzüge (0,20%), 2008 579 Umzüge (0,18%), 2009 428 Umzüge (0,13%). Allerdings räumte er auch ein, das es Probleme mit der Datenerhebung gibt.) Die Dunkelziffer wird viel höher sein. Viele zahlen aber auch die höheren Kosten von ihrem Regelsatz. Und die Zahl der Umzüge wird steigen. Berlin muß 13,1 Millionen Euro Schadensersatz an den Bund zahlen, da es von 2005 bis 2008 bis zu zwölf Monate zu hohe Mietkosten an Hartz IV- Bezieher gezahlt hat. Im Bundesgesetz beträgt die Übergangsfrist 6 Monate. Auch das wird Auswirkungen haben. Das Urteil des Bundessozialgerichtes ist vom 15.12.2009.

Auch mein Zwangsumzug hat eine Vorgeschichte, den ich unter Gentfizierung fassen würde.
1999 war ich von Friedrichshain nach Neukölln an die Grenze zu Kreuzberg gezogen. Im Laufe der Jahre bemerkte ich eine Veränderung im Reuterkiez. Immer mehr Studenten und sogenannte Kreative zogen jetzt nach Kreuzkölln. In meinem Haus stellte ich einen ständigen Wechsel der zumeist jungen MieterInnen fest. Allein in meiner Straße und der benachbarten Querstraße entstanden zahlreiche Cafes, Modeboutiquen, Ateliers usw.
Prompt hatte ich einen Vermieterwechsel, der Vermieter saß jetzt in Frankfurt am Main. Plötzlich machte meine Betriebskostennachzahlung das Dreifache der bisherigen Nachzahlung aus. Schon bei den letzten Nachzahlungen mußte ich vor das Sozialgericht ziehen. Zu allem Unglück wurde meine Miete jetzt aufgrund dieser Betriebskosten auf 500 Euro für eine unsanierte 50 m²-Wohnung in Neukölln erhöht. Schon als meine volljährige Tochter ausgezogen war, lag ich etwas über den „angemessenen“ Mietkosten. Und um mich weiter zu zermürben, schickte mit die Wohnungsverwaltung Schuldeneintreiber vor die Tür. Delpro, so hieß diese Firma, schickte mir mehrfach Leute, mal hatten sie eher mafiösen, mal eher sozialarbeiterischen Charakter.
Zunächst wehrte ich mich noch rechtlich, dann fand ich zum Glück eine neue Wohnung. Ich hoffe, dass dieser Alptraum nun hinter mir ist. Was bleibt, ist die Angst- vor Aufwertung des Schillerkiezes in Neukölln (in dem ich jetzt wohne, der stillgelegte Flughafen Tempelhof ist gleich nebenan), die Angst vor der Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaft, also die Angst vor einem Vermieterwechsel, die Angst vor der nächsten Betriebskostenabrechnung, die Angst vor Mieterhöhung.

Die Angst, das sind die psychosozialen Folgen eines Zwangsumzuges. Es zerrt an den Nerven. Die Bedrohung des Daches über dem Kopf ist eine existentielle Bedrohung, die auch psychische Folgen haben kann. Ich hatte jedenfalls Angst vor Obdachlosigkeit.

Was sind denn neben den psychosozialen Folgen weitere Probleme?

1) Die Verknappung billigen Wohnraums
Gerade kleine, billige Wohnungen für Singles sind knapp. 60% der Hartz IV-Haushalte sind aber Single-Haushalte. Die Miethöchstgrenze bei Singles beträgt 378 Euro. Inzwischen wurde die Frist für die Wohnungssuche auf ein halbes Jahr verkürzt. (Der Senatsvertreter nannte es auf der Veranstaltung: „großer Druck bei Ein-Personen-Haushalten“.)

2) Oftmals bedeutet das eine Wohnungsverschlechterung.
Schon Heinrich Zille kritisierte die menschenunwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen in Berliner Mietskasernen. Er prägte folgenden Satz: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, man kann ihn aber auch mit einer Wohnung erschlagen.“
Als ich vor 2 Jahren aufgefordert wurde, die Kosten meiner Unterkunft zu senken, zunächst mich noch rechtlich wehren wollte, dann aber auf Wohnungssuche ging, sah ich menschenunwürdige Wohnungen, nämlich in dem Marktsegment, das Hartz IV-BezieherInnen noch zugestanden wird. Ich suchte vor allem in Neukölln, aber Höhepunkt war für mich eine 29 m²- Sozialwohnung in Kreuzberg, in der noch ein migrantisches junges Paar mit Baby wohnte.
Gerade Arme leiden unter der Unzufriedenheit mit unsanierten und maroden Wohnungen.
Einige Mängel, die ich selbst erlebt habe, sind: kein Bad, Ofenheizung, hellhörig, niedrige Decke, Verkehrslärm, Streß mit Nachbarn. Diese Mängel habe ich immer als Wohnungsnot empfunden.
Auch Einkommensschwache müssen ein Recht auf eine menschenwürdige Wohnung haben.
Zu DDR-Zeiten hatte ich in Ostberlin eine leerstehende Wohnung besetzt (anders bekam man als Jugendlicher aus der Republik kaum eine Wohnung, die bevorzugte Wohnform der staatlichen Wohnraumlenkung war die Kleinfamilie) und diese dann legalisiert, als ich ein Kind bekam. Ich bezahlte in Friedrichshain eine Miete von 32 DDR-Mark. Ich hatte eine Ofenheizung, ein Waschbecken mit kaltem Wasser, sogar ein Innen-WC, die Herdplatte mußte ich mir selbst besorgen. Im Winter froren die Rohre ein und ich mußte mir Eimer Wasser aus dem Vorderhaus holen. Nach dieser verfallenen, maroden Altbausubstanz in Ostberlin sehne ich mich nicht zurück, aber es kann nicht sein, dass mittels Sanierung die Bevölkerung der Innenstadt Ostberlins fast komplett ausgetauscht wurde. Am Kollwitzplatz wohnen noch 4% Arbeiter, kaum zu glauben, wenn man noch an den proletarischen Prenzlauer Berg zu DDR-Zeiten zurückdenkt. Die Verdrängten haben keine Stimme. Auch in Neukölln sollen jetzt Sanierungsgebiete entstehen, wie in der Karl- Marx-Straße und am Maybachufer. Es ist zu befürchten, dass es auch dort zu Verdrängungsprozessen kommt.

3) Aber es kommt noch schlimmer, viele finden überhaupt keine Wohnung, weil sie verschuldet sind.
Problematisch wird es, wenn Verschuldete, z.B. mit Mietschulden und Schufa-Eintrag zum Umzug aufgefordert werden. So ist jeder 4. Neuköllner verschuldet. Wenn die SchuldnerInnen dann zu einem sozialen Verein gehen, um Hilfe zu bekommen, müssen sie einen Hilfeplan ausfüllen. Sie werden durchleuchtet: wie ist die berufliche und wirtschaftliche Situation, über die soziale Situation, z.B. soziale Kontakte, Freizeitgestaltung, Konfliktverhalten, Gesundheit z.B. Erkrankungen, Suchtverhalten, die rechtliche Situation z.B. anhängige Strafsachen, Bewährungsauflagen, und zum Schluß die Wohnsituation.

4) Und dann kommt es noch schlimmer, sie bezahlen die „unangemessenen“ Mietkosten selbst.
Geld fehlt dann an anderer Stelle. Ich brauche wohl nichts über die Armutssituation von Hartz IV-Beziehern zu erzählen, die verschärft sich dann noch.
An den Sozialgerichten gibt es besonders viele Klagen zur Übernahme von Unterkunfts- und Heizkosten. Gestritten wird darüber, was "angemessen" sei.
Auch Frank Steger vom Beratungsbus des Berliner Arbeitslosenzentrums an den Jobcentern stellte fest, dass der Schwerpunkt der Beratung was mit Wohnen, Nebenkosten und Umzügen zu tun hat. Viele Hartz IV-Bezieher würden den „unangemessenen“ Mietkostenanteil von ihrem Regelsatz zahlen und dann bei Essen und Kleidung sparen.
Beim Infotelefon der Kampagne gegen Zwangsumzüge rufen insbesondere gut deutsch sprechende Migrantenkinder im Auftrag ihrer Eltern an, die oft nicht wissen, was es bedeutet, die Kosten der Unterkunft zu senken. Es rufen Alleinerziehende an. Es rufen aber auch Selbständige an, die eine überhöhte Miete haben, weil sie auch ein Arbeitszimmer brauchen. Und es rufen oft Behinderte an. Oftmals besteht nicht nur ein Problem, sondern die Problematik ist vielschichtig.

5. Das größte Drohszenario ist dann, in eine unattraktive Wohnung, z.B. in den Plattenbau am Stadtrand ausweichen zu müssen. Das bedeutet dann die Verdrängung aus der Innenstadt. Man ist nicht nur von Arbeit, Kultur, Mobilität etc ausgegrenzt, sondern auch räumlich. Das bedeutet den Abschied von sozialen und nachbarschaftlichen Kontakten, den Verlust der Nachbarschaft.

Meines Erachtens hat das alles mit der veränderten Ideologie und dem Wertewandel zu tun. Ich habe schon verschiedene Ideologien erlebt.

Die DDR war eine proletarische Gesellschaft. Dort hat es die Ideologie geschafft, dass Normalbürger die Plattenbauten am Stadtrand mit Heizung, Bad und Warmwasser attraktiv fanden. Die Subkultur in der DDR hat sich darüber gefreut, denn sie konnten leerstehenden Wohnraum besetzen. Das Boheme-Leben fand meistens außerhalb der Öffentlichkeit statt, in der Kirche, illegal in Wohnungen oder in den normalen Eck-Kneipen. Die Subkultur konnte sich keine eigenständige Infrastruktur schaffen und verdrängte auch niemanden.

Im Westen hat es die Ideologie lange geschafft, dass Menschen ein Häuschen im Grünen attraktiv fanden. Ein Haus ist wie das Auto ein Statussymbol. Die Innenstadt in Ostberlin wurde zunächst für die Pioniere der Gentrifizierung, die Studenten und Künstler attraktiv. Das Stadtbild änderte sich, die Pioniere veränderten die Infrastruktur.

Seit einigen Jahren haben jetzt auch die bessersituierten postmodernen Milieus die Innenstädte für sich entdeckt. Es wurde schick, in Prenzlauer Berg und Mitte zu wohnen. Der Run auf die Innenstadt begann. Dabei bringen sie ihre Ruhe und Ordnung meistens aus Westdeutschland mit. Eine soziale Mischung ist unerwünscht, Gegenden z.B. um den Kollwitzplatz und den Hackeschen Markt werden homogenisiert. Das was die Milieus anzog, die Kreativität, verschwindet wieder.

Ergebnis ist, dass die Mietkosten in der Innenstadt ansteigen. Bei den Mieten sorgen insbesondere die Nebenkosten für Beunruhigung, denn sie steigen, z.B. die Heizkosten.
(Der Senatsvertreter von der Linkspartei sprach auf der Veranstaltung von der 2. Miete (vor allem der Heizung), die ein großes Thema auch im Zusammenhang mit der AV Wohnen sei.)

Beim nächsten Mal werde ich mich nicht mehr so leicht verdrängen lassen. Ich hatte zwar rechtliche Hilfe, führte den Kampf aber individuell. Auch im Haus gab es keinen Zusammenhalt. Inzwischen gibt es im Schillerkiez (dort wo ich jetzt wohne) eine Stadtteilversammlung, die wir monatlich durchführen, um uns gegen Gentrifizierung zu wehren. Auslöser der Initiative war ein Task Force- Strategiepapier des Quartiersmanagement, das gegen Trinkergruppen und Roma-Familien im Schillerkiez vorgehen wollte. Armut soll unsichtbar gemacht werden.
Es hat sich in unserer Initiative eine Arbeitsgruppe gebildet, die eine Stadtteiluntersuchung, d.h. Befragungen von Anwohnern durchführen möchte. Ebenso soll es eine Stadtteilzeitung geben.
Mein Fazit ist: Wir müssen uns kollektiv organisieren, um unsere Verdrängung aus der Innenstadt zu verhindern.

Die nächste Stadtteilversammlung Neukölln ist am 15.2.2010 um 20 Uhr im Syndikat, Weisestr.56.

Editorische Anmerkungen

Den Vortrag erhielten wir von der Autorin
Zum Thema Zwangeumzüge und Erwerbslosenprotest hat sie zwei Vorträge gehalten.
Sie
möchte auch auf die Veranstaltung zur Beschäftigungsindustrie am 2.3. im Mehringhof, Berlin- Kreuzberg hinweisen.
Den 2. Vortrag veröffentlichen wir in der 2-2010.