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DER SCHWELBRAND DES GLOBALEN FINANZSYSTEMS
Das Elend des IMF und die pazifische
Geldschoepfungsmaschine

von Robert Kurz

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Als der 1945 auf der Grundlage des Abkommens von Bretton Woods von 44 Staaten gegruendete Internationale  Waehrungsfonds (IMF) noch jung war, herrschten voruebergehend paradiesische Waehrungsverhaeltnisse: Die Goldkonvertibilitaet des Dollar garantierte ein System fester Wechselkurse, das den Welthandel des industriellen Nachkriegsbooms unter der absoluten Dominanz der USA reibungslos abwickeln konnte. Das damals als kontrollierende Instanz installierte Konstrukt des IMF ist im Prinzip heute noch gueltig: Fuer den Fall einer unausgeglichenen Zahlungsbilanz sind Ueberbrueckungskredite vorgesehen, die jeweils in Form von "Sonderziehungsrechten" (SZR) in Anspruch genommen werden koennen. Dieses kuenstliche Geld, das nur fuer Probleme des internationalen Zahlungsausgleichs gilt und ansonsten nicht handelbar ist, wird mit bestimmten Quoten von den einzelnen Mitgliedslaendern in ihrer jeweiligen Waehrung gedeckt (das Stimmrecht im IMF verteilt sich nach diesem Quotenschluessel). Aber die Notfaelle traten zunaechst nur sehr selten auf und waren leicht zu beheben. Als Feuerwehr des Weltwaehrungs- und Finanzsystems fuehrte der IMF ein gemuetliches Nachtwaechterdasein.

Das aenderte sich, als 1973 der Dollar seinen goldenen Boden verlor und das System der Wechselkurse in unberechenbare Schwankungen ueberging. Damit begann eine  Epoche der Instabilitaet in den globalen Finanzbeziehungen, die bis heute andauert. Die Ursache dieser Instabilitaet besteht letzten Endes darin, dass die wissenschaftlich-technischen Produktivkraefte ueber die moderne Geldwirtschaft hinausgewachsen sind. Das bedeutet, dass die Geldzeichen keine reale Wertsubstanz mehr repraesentieren, sondern nur noch den irreal
gewordenen Kredit. Auf diese Weise haben sich auch die Verhaeltnisse der internationalen Zahlungsbilanzen auf den Kopf gestellt: Bei frei flottierenden Wechselkursen, die durch bi- oder multilaterale Abkommen kaum gebaendigt werden koennen, sind die Stroeme des Geldkapitals nicht mehr der Ausdruck von realen Warenstroemen, sondern umgekehrt ist die Produktion von
Guetern (und damit das materielle Leben ganzer Laender und Erdteile) nur noch ein Nebenaspekt der um den Globus schwappenden Liquiditaet.

In den 80er Jahren begannen sich vor diesem Hintergrund die Notfaelle der Zahlungsbilanz- und
Waehrungskrisen zu haeufen. Seitdem ist der IMF im Dauereinsatz. Zunaechst war es die beruechtigte Schuldenkrise der 3. Welt, die ein Rettungspaket nach dem anderen erforderte. Der IMF musste nicht nur permanent SZR-Reserven zuteilen, sondern trat als globaler Krisenmanager auf, um die Glaeubiger des internationalen Finanzsystems unter einen Hut zu
bringen. Gleichzeitig mauserten sich seine Experten zur "Schattenregierung" der Schuldnerlaender. Die finanzielle Feuerwehr des IMF operierte als gesellschaftlicher Brandstifter, indem sie den staatlichen Bankrotteuren drastische soziale Einschnitte verordnete, um wenigstens einen teilweisen Abfluss von Zins- und Tilgungsraten zu erpressen.

Vorlaeufig wurde die 80er-Jahre-Krise gestoppt, weil sich die meist langfristigen staatlichen Kredite der Schuldnerlaender mit hohen Abschlaegen umschulden liessen und seither unter der Bezeichnung "Brady-Bonds" (benannt nach dem damaligen US-Finanzminister) als spekulative Papiere zirkulieren. Grundsaetzlich geloest wurde das Problem damit nicht, sondern nur auf die
Zukunft verschoben. Wichtig fuer die kurzfristige Logik der Finanzmaerkte ist allein, dass die Abschlaege (das heisst die Vernichtung von irrealem Geldkapital) unter der Schmerzgrenze bleiben und das komplexe System der Buchungen ueber Wasser gehalten wird. Die Zuteilungen von SZR durch den IMF sind ja definitionsgemaess nichts als zeitweilige Ueberbrueckungskredite, die wieder abgetragen werden muessen. Es geht also immer nur um die Sicherstellung der akuten Zahlungsfaehigkeit, nicht um langfristige strategische Anlagen. Das Ganze beruht auf der Fiktion, dass es lediglich eine Luecke im realen Wertschoepfungspropzess zu "ueberbruecken" gilt. Dass da nur noch ein riesiges schwarzes Loch gaehnt, ist nicht vorgesehen und wird verdraengt.

In den 90er Jahren hat sich das Problem noch einmal dramatisch verschaerft. Ein grosser Teil der mittlerweile 182 Mitgliedslaender des IMF kann seine Teilnahme an der globalen kapitalistischen Wertschoepfung nur noch durch den permanenten Zufluss internationaler Liquiditaet simulieren. Das gilt nicht nur fuer die aermsten "Weltsozialfaelle", sondern auch fuer die angeblichen Newcomer in Suedostasien und Lateinamerika; ebenso fuer die sogenannten
osteuropaeischen Reformstaaten unter Einschluss von Russland und der GUS. Die Exportindustrialisierung war nur ein kurzlebiges Simulationsmodell ohne tragfaehige realoekonomische Grundlage, aufgeblasen von der substanzlosen Schwemme der Liquiditaet im globalen Finanzueberbau. Das Missverhaeltnis von realer Wertschoepfung und Zufluss des vagabundierenden Geldkapitals hat eine neue Schuldenkrise auf hoeherer Entwicklungsstufe faellig gemacht. Diesmal aber handelt es sich nicht mehr um langfristige Staatskredite, sondern um extrem kurzfristige kommerzielle Geldanlagen internationaler Fonds, die ueber Nacht abgezogen werden koennen. Auch das Volumen dieser Kredite ist wesentlich groesser als in den 80er Jahren.

Schon fuer die Mexiko-Krise Anfang 1995 musste der IMF ein beispielloses Paket von mehr als 60 Milliarden Dollar schnueren. Diese Gelder konnten aber nicht mehr die Bruecke fuer eine langfristige Umschuldung bauen, sondern dienten lediglich der kurzfristigen "Vertrauensbildung", um die schlagartig abgeflossene internationale Liquiditaet der Fonds wieder zurueckzulocken. Weil das fuer diesen Einzelfall zunaechst gelang, musste das gesamte Paket nicht einmal in Anspruch genommen werden. Die Asienkrise seit 1997
ist jedoch von anderem Kaliber. Diesmal hat die Feuerwehraktion nicht nur fast alle Reserven des IMF verschlungen, sondern auch die "Vertrauensbildung" ist total missglueckt: Die abgezogene Liquiditaet kehrte im Unterschied zur Mexiko-Krise nicht in die Tigerlaender
zurueck, sondern fungierte bis zum Sommer 1998 als zusaetzlicher Treibsatz fuer die westlichen Aktienmaerkte. Seitdem sitzt der IMF mit leeren Kassen auf faulen "Ueberbrueckungskrediten", deren Zusammenbruch im Unterschied zur Umschuldung der 80er
Jahre nicht mehr eine Frage von Jahren und Jahrzehnten, sondern von Monaten ist.

Und fortlaufend drohen weitere Krisen, da mit dem faktischen Zusammenbruch des russischen Finanzsyszems in den letzten Monaten eine Kettenreaktion begonnen hat, die schon bald das bisher Stabilitaet simulierende China und vor allem erneut Lateinamerika erreichen wird. Diese wechselseitigen Verschraenkungen der Krise in den "emerging markets", die sich mit jedem neuen Schub dem voelligen Zusammenbruch naehern, konnte zuletzt auch die westlichen Finazmaerkte nicht mehr ungeschoren lassen. Seit Juli 1998 gingen die europaeischen und
nordamerikanischen Boersenkurse um 20 bis 30 Prozent zurueck. Insgesamt sind damit im Verlauf eines einzigen Jahres in der ganzen Welt Geldvermoegen in der Groessenordnung von mehreren tausend Milliarden Dollar vernichtet worden.

Waehrend so die globale Liquiditaet abschmilzt wie Schnee an der Sonne und dem IMF das Wasser bereits bis zum Hals steht, kommt zu allem Ueberfluss eine andere, qualitativ neue Krise auf die Finanzmaerkte zu, die zur "Mutter aller Krisen" zu werden verspricht - naemlich
die japanische Finanzkrise. Zum ersten Mal steht nicht irgendein Schuldnerland, sondern das zentrale Glaeubigerland selber am Rande des Abgrunds. Obwohl die japanische Binnenoekonomie stagniert und obwohl Japan durch eine gigantische Masse fauler Kredite im Inland ebenso wie in seinem asiatischen Umfeld belastet wird, ist es trotzdem der groesste Nettoexporteur von Geldkapital und globale Grossfinanzier geblieben.

Das Paradox, dass eine rezessive und ueberschuldete Oekonomie gleichzeitig die ganze Welt mit Liquiditaet versorgt, erklaert sich aus einem transnationalen Mechanismus der Geldschoepfung. Die auf unter 1 Prozent gesenkten japanischen Leitzinsen ermoeglichen die Geldschoepfung in Yen fast zum Nulltarif. Weil jedoch die japanische Produktion laengst an Ueberkapazitaeten leidet, kann die pausenlose Geldschoepfung keine zusaetzlichen Investitionen in Japan generieren. Stattdessen werden die aus dem Nichts gezauberten Yen in
Dollars getauscht und auf die globalen Finanzmaerkte gepumpt. Weil die Zinsen ueberall (und speziell in den USA) hoeher sind als in Japan, setzt sich die japanische Geldschoepfung auf diese Weise potenziert fort. Seitdem Anfang 1998 die japanischen Vorschriften fuer die
Geldanlage im Ausland liberalisiert wurden, hat sich diese wundersame Kreation von Liquiditaet sogar noch einmal sprunghaft ausgedehnt.

Aber dieser faule Zauber, mit dem Japan seine eigenen Finanzprobleme und die der uebrigen Welt wegmanipuliert, musste rasch an objektive Grenzen stossen. Die Quittung fuer das pazifische Geldschoepfungswunder bestand zunaechst darin, dass der Wechselkurs des Yen gegenueber dem Dollar dramatisch verfiel. Realoekonomisch haette es genau umgekehrt sein muessen. Denn wegen der permanenten japanischen Handelsueberschuesse gegenueber den USA sollte eigentlich der Dollar statt des Yen fallen. Dass sich der Wechselkurs gegen die Logik der oekonomischen Lehrbuecher entwickelt hat, ist wieder einmal ein Indiz fuer die Entkoppelung der Finanzmaerkte von der Realoekonomie: Offensichtlich sind die
Milliardenueberschuesse der japanischen Handelsbilanz vernachlaessigenswert klein im Verhaeltnis zu der Masse von Yen, die jenseits der realen Warenproduktion zum Zweck der reinen Geldanlage in Dollars getauscht worden sind.

Warum aber muss der Wechselkursverfall des Yen als brandgefaehrlich erscheinen? Erstens bedeutet das eine Inflationierung der Importpreise, was Japan wegen seiner Energie- und Rohstoff-Abhaengigkeit besonders trifft und die Rezession der Binnenoekonomie verschaerft (mit negativen Auswirkungen auf das ohnehin wackelige Finanzsystem). Zweitens wird der Abwertungswettlauf der asiatischen Waehrungen verstaerkt, der den Zufluss von internationalem Geldkapital in die Tigerlaender und nach China endgueltig stoppen koennte und die ganze Region mit unabsehbaren Folgen zu ruinieren droht. Drittens beginnt die pazifische Liquiditaets-Pumpe zu versiegen, wenn der Dollar gegenueber dem Yen zu teuer wird und
sich die Ausnutzung des Zinsgefaelles nicht mehr lohnt. Alle diese Faktoren zusammengenommen koennen (im Verein mit den anderen schwelenden Krisen) den grossen Crash des globalen Finanzsystems ausloesen.

Welche Moeglichkeiten hat Japan, aus dieser Falle wieder herauszukommen? Sollten die japanischen Leitzinsen erhoeht werden, um den Yen aufzufangen, so stirbt nicht nur die Binnenkonjunktur umso schneller ab, sondern auch die Kosten fuer das versteckte Gebirge
fauler inlaendischer Kredite explodieren ploetzlich und ruinieren den japanischen Finanz- und Aktienmarkt. Gleichzeitig wird auf diese Weise der pazifischen Liquiditaets-Pumpe erst recht der Saft abgedreht, weil in diesem Falle das Zinsgefaelle zwischen den USA und Japan verschwindet.

Vor allem aber waere die Umkehrung in der Bewegung des Wechselkurses von Dollar und Yen ebenso gefaehrlich. Denn bei einem ploetzlichen Verfall des Dollar wuerde die Aufmerksamkeit der labilen Finanzmaerkte auf die prekaere Aussenverschuldung der USA gelenkt. Genau dieser Fall ist seit Anfang Oktober 1998 eingetreten. Der Einbruch des Dollar gegenueber dem Yen stellt keine "gesunde Korrektur" dar, weil er sich ebensowenig wie der vorherige Hoehenflug auf realoekonomische Verhaeltnisse bezieht. Vielmehr ging auch dieser Effekt von der Krise der verselbstaendigten Finanzmaerkte aus; in Schieflagen geratene japanische Banken und institutionelle Anleger sowie vom Verfall der Aktienkurse schwer getroffene internationale Hedge-Fonds mussten naemlich im grossen Massstab amerikanische
Staatsanleihen verkaufen, um sich vorlaeufig vor dem Zusammenbruch zu retten.

Damit aber ist auch das Ende der pazifischen Geldschoepfungsmaschine absehbar. Wenn der Dollar weiter faellt, haette das fuer Japan erst recht katastrophale Konsequenzen, weil dann die gesamte bisher aus dem Hut gezauberten Liquiditaet zusammenbrechen muesste: Alle Geldanleger, die in der Vergangenheit relativ viele Yen fuer den Dollar bezahlt haben, wuerden dann ploetzlich auf drastisch entwerteten Dollarguthaben sitzen. Japan steckt also in einer ausweglosen Zwickmuehle. Dieses Dilemma hat auch zu einer politischen Paralyse und zum Sturz von Premierminister Hashimoto gefuehrt. Sein Nachfolger, der bisherige Aussenminister Obuchi, hat ein veritables "Himmelfahrtskommando" uebernommen. Jede noch so zaghafte Massnahme in diese oder jene Richtung kann sofort das gesamte System in die Luft jagen. Deshalb ist es nur eine Mischung aus Zynismus und Hilflosigkeit, wenn die westlichen Politiker, die sich in Tokio die Tuerklinke in die Hand geben, Japan in gereizten Toenen zu einer "schnellen Reform" noetigen wollen. Aber da gibt es nichts mehr zu reformieren. Das westliche
Draengen gleicht der Aufforderung an einen Menschen, der sich in einem Minenfeld bewegt, er solle nicht laenger feige zoegern und endlich mutig ausschreiten.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Notenbanken ihre Interventionen zugunsten des Yen oder zugunsten des Dollar aufgeben muessen, weil sie ihr Pulver verschossen haben. Eine schwankende Mittellage wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Egal, in welche Richtung das
pazifische Gesamtkunstwerk abstuerzt, ob als Einbruch des Dollar oder des Yen, in beiden Faellen muss die bis vor kurzem noch sprudelnde Liquiditaets-Pumpe versiegen. Dann wird der lange Zeit vermeintlich unerschoepfliche Ueberschuss an globaler Liquiditaet in eine globale
"Kreditklemme" umschlagen, wie es sich in den letzten Monaten bereits abzeichnet. Das waere der endgueltige Ausloeser fuer eine grosse Weltwirtschaftskrise, die das Desaster der Jahre von 1929-33 bei weitem uebertreffen wuerde.

Auch der IMF ist praktisch am Ende. Zeigte er sich schon mit der Krise der Tigerlaender ueberfordert, so kann er Japan oder gar den USA selber umso weniger helfen: Diese seit langem herangereifte Finanzkrise der groessten kasinokapitalistischen Akteure ist entschieden
eine Nummer zu gross. IMF-Chef Michel Camdessus hat schon vor einiger Zeit erstmals oeffentlich zugegeben, dass die Reserven erschoepft sind. Die beschlossene Aufstockung der SZR-Quoten um 45 Prozent waere kaum mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein.

Waehrend Camdessus und seine Anhaenger die Krise weiter durch Notmassnahmen hinauszoegern wollen, werfen einflussreiche US-Oekonomen wie Martin Feldstein und der
beruechtigte Jeffrey Sachs dem IMF vor, nur den "moral hazard" der Fonds und Privatanleger zu beguenstigen, indem die Risiken der Entwertung aufgefangen werden. Im Klartext ist das ein Plaedoyer fuer den "Befreiungsschlag": Die finanzielle Feuerwehr soll aufgeben und den Brand gewaehren lassen, weil sowieso nichts mehr zu machen ist. Offenbar glauben einige
Hardliner so sehr an die formalen "Selbstheilungskraefte" des Marktes, dass sie den
Kapitalismus fuer faehig halten, aus einem Zusammenbruch des Weltwaehrungs- und Finanzsystems unter Hinterlassung eines sozialen Leichenberges als "Phoenix aus der Asche"
hervorzugehen. Dieser erbitterte Streit unter den frueher so geschlossen auftretenden neoliberalen Ideologen und Funktionaeren zeigt, wie explosiv die Lage bereits ist. Die kommenden Monate versprechen spannend zu werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald den naechsten grossen Schub der globalen Finanzkrise erleben.

(1998)
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