zurück

aus: ND vom 9./10.01.99 S. 3

Die Spur der Mörder führt in die Reichskanzlei
Rekonstruktion einer Bluttat vor 80 Jahren
Zum Gedenken an Karl und Rosa

Von Klaus Gietinger

01/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der Nacht des 15. Januar 1919 ist der folgenschwerste politische Mord in der deutschen Geschichte. Gleichwohl werden die Umtände dieser Bluttat immer noch in seltsames Grau gehüllt, liest und hört man in den Medien nur etwas von nicht näher bestimmten »Angehörigen eines Freikorps« oder »Soldateska«.

 Wer waren die Freikorps? In wessen Auftrag handelten sie? Geschah alles irgendwie beiläufig, ohne Plan und Ziel? Oder war es ein Komplott, das vielleicht bis ganz nach »oben« reichte? Diese Fragen stellte ich mir, als ich vor neun Jahren zu recherchieren begann. Bald versank ich in einem Meer aus Fälschungen, Vertuschungen und Lügen. Und doch filterte sich die Wahrheit heraus ... »Schießen, auf jeden, der vor die Flinte läuft« Kaum hatte die Revolution die Reichshauptstadt Berlin erfaßt, verbündete sich am 10. November 1918 Generalleutnant Groener von der Obersten Heeresleitung mit dem frisch gekürten neuen Reichskanzler Friedrich Ebert (SPD) zum Zwecke der »Bekämpfung des Bolschewismus«.

Schon seit Mitte November hatte man »unter der Decke« die Bildung von Freikorpstruppen abgemacht. Daß sich Ebert, das Radieschen - »außen rot und innen weiß!« (Tucholsky) - damit gegen seine Parteibasis stellte, die Konterrevolution absegnete, ficht ihn nicht an.

Ende Dezember, nachdem sich die alten kaiserlichen Truppen und mit ihnen Ebert mehrfach gegen das revolutionäre Berlin blamiert hatten, intensivierte Groener den Ausbau der Freikorpseinheiten zu riesigen Verbänden. Dies geschah nicht nur mit Zustimmung Eberts, sondern wurde bald in Person seines Freundes Gustav Noske von einem SPDOberbefehlshaber geleitet. Noske hatte bereits Anfang November in Kiel konterrevolutionäre Offiziersbrigaden gefördert, die sich, an' der Geburtsstätte der demokratischen Revolution, eben zu ihrer Bekämpfung gebildet hatten. Eine dieser Einheiten wurde von Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Harttung befehligt. Sie nannte sich Marineoffiziers Eskadron beim 5. Ulanenregiment.  

Pflugk-Harttung hatte einflußreiche Freunde. Einer hieß Waldemar Pabst, Hauptmann und faktischer Befehlshaber der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Aus dieser ex-kaiserlichen Elitetruppe schweißte er ein schlagkräftiges, haßerfülltes und zu allem entschlossenes Freikorps zusammen. Ihm unterstellte sich die kleine Marineeinheit von Pflugk-Harttung. Und Pabst unterstellte sich Noske, wurde sein »rührigster Helfer«, wie dieser selbst zugab.

Am 27. Dezember 1918 gab Noske in einer Kabinettssitzung unter Zustimmung seines Parteigenossen Heine die Leitlinie der SPD-Freikorpspolitik bekannt: »Schießen ... und zwar auf jeden, der der Truppe vor die Flinte läuft.«

Die ersehnte Stunde der Abrechnung kam Anfang Januar. Die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) waren wegen Eberts Kungelei mit den alten Mächten aus dem Kabinett ausgetreten, worauf die rechte SPD-Rumpfregierung nun auch den Polizeipräsidenten Eichhorn (USPD) entließ. Der weigerte sich jedoch zu gehen und fand Unterstützung in den Massen. Hunderttausende strömten auf die Straße. Es bildete sich ein Revolutionsausschuß unter Liebknechts Leitung, der die Regierung Ebert/Scheidemann für abgesetzt erklärte - dafür aber keine entsprechenden Schritte einleitete. Teile des Berliner Proletariats dagegen handelten und besetzten den sozialdemokratischen »Vorwärts« und andere Zeitungsredaktionen. Eine prekäre Situation. Während Karl Kautsky (USPD) zu vermitteln suchte und auch einen Waffenstillstand aushandelte, bewies Ebert erneut seine Janusköpfigkeit. Er versicherte in schönstem sozialdemokratischen Deutsch, »von der Waffe keinen Gebrauch zum Angriff« zu machen und beauftragte gleichzeitig Noske, zum »Säubern« zu blasen. Der legte nur zu gern los.

»Einer muß der Bluthund sein.«

Es begann, was man als Einführung der Schreckensherrschaft in die deutsche Politik des 20. Jahrhunderts bezeichnen kann ...

In der Nacht des 15. Januar 1919 klingelte im Hauptquartier der Pabst-Division im Eden-Hotel das Telefon. Pabsts »Bürgerwehr« in Wilmersdorf meldete sich. Sie war in ein Haus eingedrungen und hatte Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht rechtswidrig festgesetzt. Der kleine Hauptmann erkannte die Chance seines Lebens. Endlich konnte er Rache nehmen dafür, daß eine »hochbegabte Russin« (Scheidemann) und ein »Psychopath« (Noske) die Massen faszinierten. Pabst dachte kurz nach. Um beide ohne großes Aufsehen zu liquidieren, benötigte er Profis: Die kleine Marineoffizierseinheit Pflugk-Harttungs. Pabst forderte das Killerkommando sofort an.

»Deutschland muß zur Ruhe kommen«

Getrennt wurden Luxemburg und Liebknecht ins Hotel gebracht. 1700 Mark erhielt ein jeder der braven Bürger aus Wilmersdorf für die Festsetzung und Ablieferung. Inzwischen war die »Marinespezialeinheit« herangeholt: Zur Tarnung trugen die Herren Offiziere Uniformen einfacher Soldaten. Man ging nach oben zu Hauptmann Pabst. Es wurde beschlossen, Liebknecht in den dunklen Tiergarten zu fahren, dort eine Autopanne zu markieren und ihn »auf der Flucht« zu ermorden. So geschah es. Von drei Schüssen in Rücken und Hinterkopf getroffen, brach Liebknecht tot zusammen. Abgedrückt haben die Offiziere Heinz von Pflugk-Harttung, Ulrich von Ritgen, Heinrich Stiege und Rudolf Liepmann.

Für Rosa Luxemburg dachte man sich »lynchende Masse« aus, denn »Erschießen auf der Flucht« erschien bei einer hinkenden Frau nicht angebracht. Leutnant Souchon sollte die Volksmenge spielen, auf den Wagen an der Ecke warten, aufspringen und schießen. Gesagt, getan. Lange hat man Oberleutnant Vogel verdächtigt, den tödlichen Schuß auf Rosa Luxemburg abgegeben zu haben. Doch Dieter Ertel vom Süddeutschen Rundfunk entdeckte Ende der 60er Jahre Souchon als den wahren Täter. Sein Informant war der unbehelligt in der BRD lebende Waldemar Pabst. Ertel verwertete diese Neuigkeit in einem Fernsehspiel (Wiederholung in 3sat am 17. und 24. Januar) , und prompt klagte der ebenfalls noch lebende Souchon, der nicht als alleiniger Missetäter dastehen wollte. Souchons damaliger Anwalt hieß Kranzbühler. Ein alter Marinerichter, der in den Nürnberger Prozessen Dönitz vor dem Galgen gerettet hatte.

Kranzbühler traf sich mit Pabst, wollte von ihm, quasi von Offizier zu Offizier, wissen, was damals Sache war. Pabst plauderte. In einem Interview 1990 schilderte mir Kranzbühler das Treffen mit Pabst: »Dann hat er angefangen, eine ausführliche Schilderung zu geben von seiner Rolle damals, die wirklich eine entscheidende Rolle war... Schilderte auch, wie für ihn überraschend sowohl Liebknecht wie Rosa Luxemburg zu ihm gebracht wurden in sein Stabsquartier und wie er dann selbst die Entschlüsse gefaßt habe oder habe fassen müssen, was mit ihnen zu geschehen sei.« Auf meine Frage, was dies für Beschlüsse waren, gab Kranzbühler Pabst so wieder: »Die sahen so aus, daß sie beide zu erschießen seien. Das war ganz klar.« Pabst habe dann über seine Kontakte zu Noske gesprochen.

Zur gleichen Zeit gelang es mir als erstem, den vollständigen Nachlaß Pabsts im Militärarchiv Freiburg einzusehen. Obwohl die für mich wichtigen Teile damals noch unter Verschluß standen, hatte ich sie bestellt - und man hat sie mir (aus Versehen) vorgelegt. Ich fand ein unveröffentlichtes Manuskript seiner Memoiren.- Pabst darin zur Ermordung: »Daß sie durchgeführt werden mußte, darüber bestand bei Herrn Noske und mir nicht der geringste Zweifel, als wir über die Notwendigkeit der Beendigung des Bürgerkrieges sprachen. Aus Noskes >Andeutungen< mußte und sollte ich entnehmen, auch er sei der Ansicht, Deutschland müsse so schnell wie möglich zur Ruhe kommen.«

Als ich dies in einer Fachzeitschrift veröffentlichte, reagierte Kranzbühler mit einem Brief. Diesmal enthüllte er, wohl durch meine Definition des Mordes als »Offizierskomplott« provoziert, was er mir bei unserem Treffen verschwiegen hatte: Pabst hatte in der Mordnacht Noske in der Reichskanzlei angerufen! Ergänzt man Pabsts Memoiren-Hinweis mit der Aussage Kranzbühlers, ergibt sich folgendes nächtliches Telefongespräch:

Pabst: »Ich habe Luxemburg und Liebknecht. Geben Sie entsprechende Erschießungsbefehle.« Noske: »Das ist nicht meine Sache! Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Rufen Sie doch Lüttwitz an, er soll den Befehl geben.« Pabst: »Einen solchen Befehl kriege ich von dem doch nie! « Noske: »Dann müssen Sie selber wissen, was zu tun ist.«

Eine sensationelle Entdeckung, die nicht nur die allgemeine Verantwortung der SPD-Regierung für Freikorpsterror und politischen Mord untermauerte, sondern im Speziellen Noske für den bestialischen Doppelmord mitschuldig machte. Als ich dies in einem Buch (1) veröffentlichte, sah ich mich heftigen Angriffen von seiten der selbstgerechten SPD ausgesetzt. Tilmann Fichter, ein gewendeter Alt-68er, bezeichnete meine Forschungen als »Räuberpistole«. Und Heinrich August Winkler, ein Schlachtroß rechter SPD-Geschichtsschreibung, rügte mich, »ohne jeden quellenkritischen Vorbehalt« vorgegangen zu sein; inzwischen werde ich von ihm als ein von der PDS mißbrauchter »Filmemacher« tituliert.

Doch zurück zu Pabst und Noske. Beide verstanden sich, beide waren sie der Meinung, Deutschland gerettet zu haben. Pabst in einem Brief 1969 zum Mord: »Dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf den Knien danken, uns Denkmäler setzen und nach uns Straßen und Plätze genannt haben! Der Noske war damals vorbildlich.« Einem Verbrecher, so hört man oft, könne man auch am Ende seines Lebens nicht glauben. Nun, Aussagen von Offizieren werden immer dann bezweifelt, wenn man sie nicht gebrauchen kann, so auch schon geschehen mit den Groenerschen Offenbarungen über seine Zusammenarbeit mit Ebert. Es wurde auch immer wieder Pabsts Aussage in Frage gestellt, daß Canaris, später Abwehrchef Hitlers, als Richter des nach dem Mord installierten Kameradengerichts (!) Vogel zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen habe. Ich konnte beweisen, daß Canaris gar 30 000 Mark für das »Exil« der Mörder übergeben hatte.

Pabst erklärt in seinen Memoiren, daß die Industriellen Albert Minoux und Hugo Stinnes ihn finanziert hätten. Auch dies wurde angezweifelt. Tatsächlich aber gibt es eine Liste, die Minoux als Finanzier der von Pabst gegründeten »Gesellschaft zum Studium des Faschismus« ausweist. Pabst behauptet desweiteren, am Tag nach den Morden in die Reichskanzlei zu Ebert und Noske zitiert worden zu sein: Beide gaben ihm die Hand. Dies bestätigt eine eidliche Aussage des ehemaligen Kriegsgerichtsrats Kurtzig 1928.

Die Aussagen von Kranzbühler wiederum fand ich in einem Brief von Pabst belegt, in dem dieser betont, daß er den Mord »ohne die Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte«.

»Ich habe ausgemistet und aufgeräumt« Handlungen und Äußerungen Noskes im Verlauf des Jahres 1919 bekräftigen seine Mitschuld am Verbrechen in der Nacht des 15. Januar. Er hat Befehle zur Gefangenentötung erlassen. Und er äußerte, daß er der letzte wäre, »der hinter einem kleinen Leutnant wegen einer vielleicht nicht ganz gerechtfertigten Erschießung herlaufen und ihm den Prozeß machen würde«.

Vor den Nazis schließlich brüstete er sich: »Und ich habe ausgemistet und aufgeräumt in dem Tempo, das damals möglich war.« Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind nicht - wie von Scheidemann (SPD) behauptet - Opfer ihrer eigenen, sondern Opfer sozialdemokratischer Politik geworden. Pabst hat die Mordbefehle gegeben und Noske hat sie gebilligt. Der Mord an Karl und Rosa war direkt in der Reichskanzlei abgesegnet worden.  

Der Autor, Jg. 55, Soziologe, Drehbuchautor und Regisseur, lebt in Frankfurt (Main). (1) Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung der Rosa L. Verlag 1900, Berlin 1995. 

nach oben