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Vorabdruck aus "WAS TUN", Flugschrift der Kommunistischen
Plattform der PDS München


Walser-Bubis-Debatte
Braucht das Monopolkapital wieder den Antisemitismus?

von Max Brym

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Es begab sich Anfang des 18.Jahrhunderts nach dem Roman "Jud Süß" von Lion Feuchtwanger im kleinen Herzogtum Württemberg Folgendes: Den beiden Juden Josef Süß und Isaak Landauer
begegnete auf einer Reise der Rat Etterlin aus Ravensburg. Als er die beiden Juden sah, spuckte er in weitem Bogen aus und wandte sich brüsk ab. Isaak Landauer kommentierte das so: "Die mögen
die Juden nicht, die Ravensburger. Seitdem sie ihre Juden gemartert, gebrannt und geplündert, hassen sie uns mehr, als das ganze übrige Schwaben." Ebenfalls vom Bodensee kommend begab sich am 16.Oktober 1998 der Literat Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels nach Frankfurt, um eine Rede zu halten. Nein, er spuckte nicht, er geiferte nicht, sondern er sprach (so ändern sich die Zeiten) unter dem Motto "Wir werden den Juden Auschwitz niemals verzeihen".

Was bezweckte Walser?

Um es kurz zu sagen, er wollte einen dosierten Antisemitismus wieder salonfähig machen. Weinerlich zerfließend vor Selbstmitleid präsentierte er sich dem hochstehenden Publikum
aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Er wandte sich gegen die "Moralkeule Auschwitz, gegen deren Instrumentalisierung" und die "Dauerrepräsentation unserer Schande". Natürlich sprach er
sich gegen ein Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin aus. Dankbar applaudierte das erlesene Publikum. Nur der Jude Ignatz Bubis verweigerte den Applaus, im Gegenteil, er nannte Walser
am 9. November 1998 einen "geistigen Brandstifter". Seitdem geht es rund in den Medien, es wird im Namen der Demokratie, Toleranz gegenüber dem Antisemitismus gepredigt. Dem "alten
Mann Bubis" wird geraten, sich zurückzuhalten, rot-grüne Politiker hüllen sich in vornehmes Schweigen, der rechte Mob jubiliert und wütet. Das Ganze läuft darauf hinaus, Auschwitz
neuerlich zu relativieren, um ungestört deutschen Weltmachtambitionen zu huldigen. Diese Ambition fand ihren Widerhall in der Regierungserklärung von Gerhard Schröder. Dort heißt es: "Wir haben das Selbstbewußtsein einer erwachsenen Nation." Zu diesem Erwachsensein gehört nach Walser offensichtlich, daß die "Moralkeule Auschwitz" nicht mehr für "gegenwärtige Zwecke instrumentalisiert wird". Juden sollen nach Walsers Geschmack die Schnauze halten, nichts fordern und so weiter. Der rechtskonservative Ideologe und Artikelschreiber hingegen darf Geschichte uminterpretieren, den Kommunismus als schlimmer erachten, deutsche Innen- und Außenpolitik soll
zulangen dürfen ohne historische Fesseln. Sollte dennoch ein Jude etwas sagen oder machen, wird mit einer bewußten Stärkung des Antisemitismus gedroht.

Der Antisemitismus existiert und wird gefördert

Alle seriösen Umfragen ergeben, daß in Deutschland 15% der Erwachsenen ein geschlossenes antisemitisches Weltbild haben. Weitere 30% haben antijüdische Vorurteile, sind demzufolge
latent antisemitisch. Nach der Walser-Rede erreichte die Zahl der antijüdischen Grabschändungen die Rekordmarke von 17 pro Woche. Höhepunkt war die Sprengung des Grabes von Heinz
Galinski, dem ehemaligen Vorsitzenden des jüdischen Zentralrates in Deutschland, in der Woche vor Weihnachten in Berlin. "Normal" ist in Deutschland, daß jüdische Gräber einmal die
Woche geschändet werden. Kurz nach Walsers Auftritt trieben Neonazis ein Schwein mit dem aufgemalten Namen "Bubis" sowie dem Davidstern über den Alexanderplatz in Berlin. Die Polizei,
bekanntermaßen bemüht, solche Fälle herunterzuspielen, teilte interessierten Journalisten lakonisch mit: "Das Schwein sei wohlbehalten." Der antisemitische Mob tobt sich aus, da er sich
zunehmend salonfähig fühlt. Das hat Gründe, denn schon lange vor der Walser-Rede zeichnete sich ab: Teile der politischen Kaste, die im Interesse von Banken und Konzernen wirken, instrumentalisieren den Antisemitismus. Spätestens seit der Einverleibung der DDR und der Regierungserklärung von Helmut Kohl 1991, in der es hieß "Wir müssen wieder normal werden und
uns zu unserer Weltmachtrolle bekennen", geschieht das. Ein angeblich seriöses Organ wie der SPIEGEL machte bereits im Jahr 1990 mit einem Titel auf, der Gregor Gysi unvorteilhaft ablichtete, unter der Überschrift "Der Drahtzieher". Dieser sogenannte Drahtzieher Gysi wurde in dem Artikel mehrmals als "jüdischer Advokat" geoutet. In der Wirtschafts- und Managementpresse der 90er Jahre taucht häufig der US- Notenbankchef Alan Greenspan als Jude auf. Als der britische konservative Außenminister Riffkind im Namen der ehemaligen britischen Regierung bei einem Deutschlandbesuch die deutschen EU-Pläne kritisierte, konnte die Bürgerpresse nicht mehr an sich
halten. Die FAZ (eine Gründung der Deutschen Bank) verwahrte sich entschieden gegen die Unverschämtheiten des "Juden Riffkind". Die "Kinder-FAZ", die taz drosch mit den selben
Worten auf den "Juden Riffkind" ein. Im Frühjahr 1998 warb die Firma Nokia auf Werbeplakaten für ihre bunten Handies mit dem Spruch "Jedem das seine". Bekanntlich zierte dieser Satz das
Lagertor des KZ Buchenwald. Der Antisemitismus wird zunehmend wieder von ganz oben für schnöde Interessen eingesetzt. Walsers Rede war nur ein vorläufiger Höhepunkt.

Der Antisemitismus und Kapitalinteressen

Wir kennen alle die Parole vom Standort Deutschland, wir hörten 1997 die "Ein Ruck muß durchs Land gehen"- Rede von Bundespräsident Roman Herzog. Auch unter der rot-grünen Regierung zählt die Konkurenzfähigkeit der deutschen Industrie. Die Standortpropaganda soll uns an die Besitzer von Banken und Konzernen binden unter dem Motto: Arbeitstempo steigern, Sozialleistungen kürzen, der eine gegen den anderen wie Wölfe und wir Deutsche gegen den Rest der Welt. Dagegen sollen wir keinen Klassenkampf führen, obwohl die Ausbeutung zunimmt und auch Rot-grün am Sozialabbau (er wird modernisiert) nichts ändert. Kluge Ideologen des Monopolkapitals kommen
zunehmend auf den Gedanken, das eine nur Wirtschaftspolitisch daherkommende Standortpropaganda auf die Dauer nicht tragfähig ist. Es ist klar, die Leute brauchen "etwas fürs Gemüt", ideologisch daherkommende Legenden. Hierfür bietet sich der in der BRD immer unterschwellig vorhandene Antisemitismus geradezu an. Es wird notwendig, den Antisemitismus aber auch aus unmittelbaren Profitinteressen zu aktivieren. Gegenwärtig tobt ein knallharter wirtschaftspolitischer Konkurrenzkampf zwischen den deutschen und US-amerikanischen Monopolen. In der gesamten kapitalistischen Welt werden die Löhne sowie radikal
nach unten gefahren. Gleichzeitig kämpfen die milliardenschweren Monopole um die enger gewordenen Märkte. So bedrängt BASF zunehmend erfolgreich den US-Giganten Du Pont. Die Schlacht auf dem Weltchemiemarkt führte dazu, daß in der Rangliste der weltgrößten Chemiegiganten BASF von Rang 4 (1996) auf Platz 2 im Jahr 1998 vorrücken konnte. BASF steigerte den Gewinn von 2790 Milliarden (1996) auf 3205 Milliarden Mark Anfang 1998.
Du Pont dagegen mußte unter anderem wegen der wegbrechenden Aufträge aus Asien einen Gewinnrückgang von 5370 auf 3552 Milliarden Mark hinnehmen. Dennoch behauptete Du Pont Rang 1bei den Chemie-Weltgiganten. Es liegt auf der Hand welchenEhrgeiz BASF hat, beziehungsweise an was BASF nicht interessiert ist. BASF ist nicht interessiert, mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert zu werden, denn bekanntlich war BASF ein wesentlicher Bestandteil des verbrecherischen IG-Farben-Trusts. IG-Farben wurde nach dem Krieg von den Alliierten als Kriegsverbrecherkonzern aufgelöst. IG-Farben unterhielt in Auschwitz-Monowitz eine Fabrik. Die von der SS gelieferten Zwangsarbeiter hatten dort eine durchschnittliche Lebenserwartung von drei Monaten. BASF möchte sich nicht erinnern lassen und vor allen Dingen keine Schadensersatzklagen der noch lebenden Zwangsarbeiter hinnehmen. Das verbindet BASF mit allen Fraktionen des deutschen Monopolkapitals. Jeder Großkapitalist denkt doch bis heute mit glänzenden Augen zum Beispiel an das rentable Jahr 1944, in dem die Kapitalisten zu einem Drittel mit rechtlosen Zwangsarbeitern produzierten und sagenhafte Profite scheffelten. Das Kapital erhielt mit der Währungsreform 1948 neues Leben eingehaucht, die früheren
Maximalprofite aus der Nazizeit wurden gesichert, die Aktien wurden eins zu eins umgetauscht. Jetzt ist Aktivität angesagt gegen die Forderungen der noch lebenden Zwangsarbeiter, jede
Mark wird benötigt gegen die US-Konkurrenz. Deshalb gefällt den Managements die Walser-Rede. Zudem ist ein aktivierter Antisemitismus wichtig, um die "perfide US-Mafia" auszukontern,
wenn sie sich weiter zu solchen Sachen hinreißen läßt, wie der höchste Beamte der Stadt New York. Dieser erklärte: "Wenn die Deutsche Bank sich nicht an den Entschädigungszahlungen für
Zwangsarbeiter entsprechend beteiligt, wird sie in der größten Stadt der Welt keine Geschäfte machen können." Das wurmt natürlich den Deutschen Bank Boss Breuer, gerade hat man doch
mit der Fusion Deutsche Bank - Banker Trust die größte private Weltbank geschaffen und dann soetwas. Natürlich wird der Yuppy Josef Fischer benutzt, um zu erklären: "Ich werde
ungerechtfertigte globalisierte Schadensersatzklagen von der Industrie fernhalten."
Neue rechte Geschichtsrevisionisten sind gefragt, auch eine gute Portion Antisemitismus, denn das bietet zwei Vorteile. 1. So läßt sich der Antisemitismus bei verschärfter Konkurrenz instrumentalisieren. 2. Der Antisemitismus als ausgearbeitete  vielschichtige Ideologie ist eine Waffe, um den "deutschen Michel" an die Deutsche Bank und das Monopolkapital zu binden.

Antisemitismus und deutsche Weltpolitik

Im Automobilsektor, im Chemiebereich, in der Bankenwelt schickt sich das deutsche Kapital an, die USA zu verdrängen (obwohl Daimler Benz gegenüber General Motors immer noch
relativ bescheiden dasteht). Stichworte: Daimler-Chrysler Fusion gegen General Motors, im Maschinenbau die Thyssen-Krupp Fussion, die bereits 1997 in dem genannten Bereich den Sprung
auf Platz eins der Weltrangliste ermöglichte. Die USA sind zudem wirtschaftlich schwer angeschlagen, sie sind der größte Schuldnerstaat der Welt und haben selbst mit der VR China eine
negative Außenhandelsbillanz. Mit dem Euro, dem einheitlichen europäischen Markt ist der größte Binnenmarkt der Welt unter deutscher Dominaz entstanden (das deutsche Kapital ist viermal
so stark, wie das französische; der Automobilbereich wird eindeutig von Daimler-Chrylser und Volkswagen dominiert). die USA halten dagegen mit ihrer Militärmacht. Es kracht aus diesem
Grund am Golf, mit dabei der "Verwandte England". Das Gemetzel soll demonstrieren "Wir sind immer noch die Nummer Eins". Deutschland unterstützt die USA am Golf weder finanziell noch logistisch. Nur noch verbal gibt es aus taktischen Gründen Unterstützung. Nicht nur in der Ökonomie, sondern gerade in Sachen Weltpolitik nabelt sich Deutschland zunehmend von den USA ab. Traditionelle deutsche Außenpolitik wird betrieben. Dabei ist ein gewisser Antisemitismus sogar notwendig. Israel als Vorposten der USA erfreut sich in den deutschen Medien keiner
Beleibtheit mehr. Netanjahu wird kritisiert wegen seiner Siedlungspolitik (Linke kritisieren sie zurecht aus anderen Gründen). Es besteht der Zwang, um Weltmacht zu sein, sich um
dem Schmierstoff der Weltökonomie, das Öl zu kümmern. Das liegt bekanntlich massiv im Nahen Osten unter der Erde, im Kaukasus und in Rußland. Bei all diesen Völkern ist die USA zurecht unbeliebt, zudem gibt es starke antisemitische Bewegungen (das Judentum wird völlig unwissenschaftlich mit den USA gleichgesetzt). Welche Chance für das deutsche Kapital, gerade auf Grund seiner Tradition hier noch stärker einzudringen mit einem leicht modernisierten Antisemitismus. Gibt es doch in Rußland (der größte Öl - und Gaslieferant Deutschlands) einen
antisemitischen Flügel selbst innerhalb der "Kommunisten".

Schlußfolgerungen:

Für die Arbeiter und die Linke ergibt sich die klassische Frage "Was tun"? Das kann hier nur thesenhaft angerissen werden. Der Antisemitismus ist eine aktuelle Gefahr. Er wird zunehmend
von oben reaktiviert (Walser-Rede). Das Kapital benötigt eine gewisse Portion Antisemitismus, um die Arbeiter an eine unsoziale Politik zu ketten. Es besteht die Gefahr, daß der dosierte Antisemitismus aus dem Ruder läuft und die konterrevolutionäre Verzweiflung in Gestalt der Naziorganisationen Zulauf erhält. Linke müssen stärker als bisher den Antisemitismus thematisieren. Dies läßt sich nicht dadurch erreichen, indem einfach der Klassenkampf propagiert wird. Notwendig vielmehr ist der Klassenkampf in seiner Einheit ökonomisch, politisch und
IDEOLOGISCH. Antikapitalismus hat wissenschaftlich zu sein. Einfaches Herumhantieren mit Begrifflichkeiten wie "Globalisierung" und "internationales Finanzkapital" führt leicht zu falschen Freunden. Es muß darüber nachgedacht werden, warum nur Ignatz Bubis allein der antisemitischen Welle gegenübersteht, Linke aber kein Problem damit haben, Demonstrationen gegen das US-Bombardement des Iraq zusammen mit antisemitischen Araberorganisationen zu organisieren. Einen Ausweg gibt es nur, wenn getreu der Liebknechtschen Losung "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" gearbeitet wird. Dabei gilt es zu registrieren, daß die deutschen Kapitalisten dabei sind, ihre Teile-und -Herrsche Politik zu ergänzen. Neben dem Rassismus, dem Ausspielen von ost- und  westdeutschen Arbeitern, wird der Antisemitismus reaktiviert.

Quellen:
Lion Feuchtwanger, Jud Süß.
Jüdischer Kalender 1998/99
Süddeutsche Zeitung 6.12.98
Abendzeitung 9.12.98
Spiegel 14.12.98
Wirtschaftswoche 17.12.98
Woche 19.12.98

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