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aus: Ästhetik und Kommunikation Heft 101  29. Jahrgang  Juli 1998  S. 37–46


Art & Pop – kein Thema mehr?

von Dieter Mersch

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Was die Kunst betrifft, bin ich total desillusioniert – total. Der Kunst fehlt jede Art von Ausstrahlung. […] Sie hat keinen Platz. Die Leute halten sie nicht für wichtig. (Jeff Koons).

Lob des Unprätentiösen

Eine Serie von Porträts verschiedener Transvestiten, die Andy Warhol 1975 auf einer italienischen Ausstellung präsentierte,1 wurde von der Linken emphatisch als ›antirassistische Manifeste‹ gefeiert. Auf einer Pressekonferenz gefragt, ob er Kommunist sei, reagierte der ›Super-Star‹ der Pop-Kunst mit einer Frage an seinen Assistenten Bob Colacello: »Bin ich Kommunist, Bob?« (Danto 1996:160).

Pop gibt sich betont apolitisch. Entstanden in Zeiten antiautoritäter Rebellion, der Studentenunruhen und des Vietnam-Krieges, verwarf die Kunst die Kritik, die hehren Ideale, das ›richtige‹ Bewußtsein. »Ich […] (bin) anti-kontemplativ, gegen Nuancen, gegen das ›von-der-Tyrannei-des-Rechtecks-wegwollen‹, gegen ›Bewegung und Licht‹, gegen ›Qualität in der Malerei‹, gegen ›Zen‹ und alle diese großartigen Ideen vorangegangener Bewegungen«, konstatierte entsprechend Roy Lichtenstein in einem Interview.

Wir finden die Industrialisierung so gerne verabscheuungswürdig. Ich weiß nicht recht, was ich von ihr halten soll. Sie hat etwas sehr Prosaisches an sich. (Lichtenstein 1963:7).

Pop ist ohne Programm, ohne Ideologie und ohne Orientierung. Es ist Auflehnung gegen die Moral, gegen Weltverbesserung, gegen Utopie und soziales Engagement. Pop ist die Politik der Nicht-Politik, der Geschmack der Geschmacklosigkeit, die Kultur der Unkultur. Es ist Respektlosigkeit gegen alles und jedes, gegen Normen und bürgerliche Werte, gegen die Institutionen des Establishments ebenso wie gegen die Philosophie, die ästhetische Theorie und die ›Wahrheit‹. Konsequent stellt Pop jegliche Formation von Aufklärung, Glauben oder Analyse unter Verdacht. Weder fügt es der Wirklichkeit etwas hinzu noch zieht es ihr etwas ab. Pop will nichts verändern, gibt keinen Ausblick, formuliert keine Ziele, verspricht kein Heil und keine Erlösung. Seine Antrittsgebärde ist vielmehr die Provokation, der Protest, die radikale Verantwortungslosigkeit. Kein Bild, kein Song und kein Gedicht, das nicht wie ein Steinwurf wirken oder einen Tumult auslösen sollte, das nicht der herrschenden Kultur die Maske der Heuchelei entreißen und der Gesellschaft ihre Oberfläche zurückspiegeln wollte.

Darum begnügt sich Pop mit der bloßen Verdopplung: Cartoons, zwölf Meter hohe Buchstaben, chromglänzende Stoßstangen, Neonleuchteffekte, Bonbon-Maschinen, überdimensionale Toastscheiben in Gips, Marilyn, Staubsauger und die phantastische Welt der Spielautomaten. Es bedient sich der Wiederholung, der Vervielfältigung, der Serialisierung. Sein Vokabular ist die Kopie, seine Methode das Zitat, seine Strategie die Persiflage. Nichts funktioniert als Metapher; vielmehr ist Kunst das, was alles andere auch ist: Banalität, Massenware, ein Gebrauchsartikel, käuflich: Pop mithin die Stilisierung der Affirmation. Es erhebt keinen Anspruch auf Sinn, verwirft nicht das Bestehende, verweigert die Alternativen. Es verzichtet auf die Sprache der Negativität, kritisiert nichts, entlarvt nichts, bestimmt nichts, weil es nichts gibt, das nicht zugleich von der Semantik der Unterhaltungsindustrie dominiert, einverleibt und neutralisiert wäre. Pop inszeniert die Verharrung im Bann der Massenkultur.

Freilich folgt daraus keine Kritiklosigkeit, sondern ein Lachen, das sich lakonisch und kommentarlos im Akt der Wiederholung erschöpft, um der derart gespiegelten Wirklichkeit ihren Ernst und ihre Würde zu rauben. Als Wiederholung beruht sie dabei bereits auf der Wiederholung einer Wiederholung; sie redupliziert das Klischee, sie multipliziert das Standardisierte und plagiiert die Stereotype. Sie vollzieht die Überschreitung des Glanzes der Massenartikel mit eben diesem Glanz, die Sprache der Werbung mit eben dieser Sprache. Daher vermag die bloße Iteration ironische Effekte zu erzielen: durch Blow-up, Übertreibung und Dekontextualisierung trägt sie in die Serien und Reproduktionen Brechungen und ein Spiel von Differenzen ein, das die Identität des ›Alles ist Ware, alles Konsum, alles Show-business‹ überschreitet. Das läßt sich exemplarisch an Warhols Porträts ablesen, die Robert Rosenblum als »Pantheon der ›Götter‹ der sechziger Jahre« bezeichnet hat (Rosenblum 1993:139): Turquoise Marilyn (1962), fast ein Markenzeichen Warhols, existiert nur als Siebdruck einer Aufnahme, wie sie einer Illustrierten oder Peoples Magazine entnommen sein könnte. Außerdem arbeitet Warhol – ganz im Gegensatz zu Man Ray – mit den Mitteln der journalistischen Fotografie, dem Schnappschuß: Er bevorzugt schlichte Standardkameras wie Polaroid Big Shot oder Fotoautomaten, wie sie in jedem Bahnhof oder Kaufhaus zu finden sind. So entstehen extrem unprätentiöse und monotone Bilder von Abbildungen, die einen voyeuristischen Blick auf die Epoche des Glamour, der Stars und Fünf-Minuten-Berühmtheiten zu werfen scheinen und dabei nichts anderes darstellen als die Vorführung einstudierter Posen und kosmetischer Retuschen. Bewußt betont Warhol Make-up, Lidschatten, Wimperntusche und künstlische Frisuren; außerdem verfügt er über eine Sammlung stilisierter Lippen mit einer Palette möglicher Rotschattierungen, die er den Porträtierten verschönend aufsetzt. Es sind durch visagistische Manipulation eingeebnete, auf ihre pure Äußerlichkeit reduzierte Gesichter ohne Persönlichkeit und Charme: konfektionierte Typen, wie man ihnen überall begegnen kann, auf Plakatwänden, in den Modemagazinen, im Fernsehen. Alles ist an ihnen schablonisiert, unecht, ausgestanzt: sogar die Gefühle, das eingeübte Repertoire falscher Leidenschaften, die unechten Tränen und Charakterbezeugungen. Warhols Vorgehensweise ist die Ikonisierung: nicht interessiert ihn der Ausdruck seiner Modelle, sondern die Hervorhebung ihrer Oberfläche, ihrer Perfektion. Dann kehrt sich allerdings das Verhältnis um: Aus den Idolen, die selbst nur Bilder sind, werden Nobodys, wie ebenso jedes Durchschnittsgesicht als Porträtvorlage fungieren kann. Es gibt keinen Unterschied, hat Warhol bemerkt, zwischen einem Blumenbouquet und einem bedeutenden Mann.

Semiotik der Verführung

Es wäre deshalb verfehlt anzunehmen, daß Pop, wie man gesagt hat, in die Kunst ein neues Sujet einführte, indem es »die industriellen Konsumgüter wie Autos, Flugzeuge, Toilettengegenstände, elektrische Heiz- und Beleuchtungskörper, Bierdosen, Fertighäuser usw.« darstellte (Geldzahler in: Warhol 1993:17; ebenso Thomas 1994:288ff.) Nach der Destruktionsarbeit der klassischen Avantgarden bis zur reinen Aisthesis des Abstrakten Expressionismus handelt es sich nicht um eine Wiederkehr des Figurativen; nirgends bezieht sich Pop direkt auf die Wirklichkeit; vielmehr auf die Suggestionstechniken von Gebrauchsgraphik, Reklame, Film, Illustriertenwerbung und Boulevardpresse. Sein Vokabular besteht aus den Instrumenten des Imaginären, den Simulakren. Thematisch wird so die Textur des Ästhetischen als Schrift der Verführung: die grelle Typologie, der aufsehenerregende Gag, die Kolorierung, die Verpackungsformen, die Vergröberung der Muster, die Abbreviatur, die Steigerung der Intensitäten. Wenn z.B.Mel Ramos ein Pin-up-Girl auf Zigarettenschachteln posieren läßt,1 reproduziert er genau die Mittel der Wunschproduktion, die Werbung benutzt, um auf absurde Weise eine Gleichung zwischen Genüssen herzustellen, die die Frau ebenso zum Konsumartikel erniedrigt, wie sie aus der Zigarette ein Objekt des sexuellen Verlangens macht. Und wenn Richard Hamilton in Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing? (1956) oder Tom Wesselmann in seinen großflächig schematisierten Assemblagen das gesamte Arsenal des ›modern Lifestyle‹ mit Reizwäsche, Bodybuilding, Radio, Neonlicht und billigen Romanzen vorführen, collagieren sie die Errungenschaften des Alltagskomforts nicht als diese selber, sondern als Fetische des Massenkonsums. Es ist unsere fiktionale Welt: Wir sind Pop, alles ist Pop, weil Pop der Spiegel der ungeheuren und unstillbaren Popularisierungsmaschine des Great American Dream bildet.

An Konsumdingen ist vor allem ihre Unwesentlichkeit wesentlich. Nicht ihre Dinghaftigkeit oder ihr Gebrauchswert zählen, als vielmehr ihr Verbrauchswert. Als Verbrauchsgegenstände sind sie jedoch per definitionem belanglos: Die Warengesellschaft ist eine Kultur der Wertlosigkeit, der Uniformität:

Eine Cola ist eine Cola, und selbst Unmengen von Geld können einem keine bessere Cola sichern als die, die der Streuner an der Ecke trinkt. Alle Colas sind gleich, […] Liz Taylor weiß das, der Präsident weiß es, der Streuner weiß es, und Sie wissen es (Warhol, zit.n.Danto 1996:165).

Der moderne Kapitalismus erzeugt so einen Egalitarismus des Überflusses und damit der rücksichtslosen Entwertung der Einzigartigkeit. Das Einzigartige kann nicht vermarktet werden; es hat seinen Ort im Vergessen. Der Markt bedarf stattdessen der Serie, der Wiederholung, des Gewöhnlichen, der Neutralität. Er fußt auf Mustern der Wiederkennung; er ist eine Agentur der Gleichheit, der Auslöschung, die nur noch Objekte des Hungers, des schnellen Verzehrs hervorbringt. Alles ist zu haben, alles kann gekauft, konsumiert und verdaut werden, weshalb Pop bevorzugt Eßwaren zur Darstellung bringt: Coca Cola, Hot Dogs, Cornflakes, Campbell’s Soup Can (1968), Fast food, Soft Drinks, Eishörnchen. Ihnen entspricht die Hemmungslosigkeit des Massenverzehrs: Noch keine Zeit hat so viele Nichtigkeiten produziert, umgesetzt und verbraucht, noch keine so viele Ressourcen entwertet und ausgeschöpft wie unsere. Und noch keine Zeit hat im Gegenzug so viele Zeichen und Bilder aufgewendet und verschwendet, um dem Nichtigen jenen Schein von Werthaftigkeit zurückzuerstatten, den es durch seine Massenproduktion eingebüßt hat.

So ist das, worauf Pop sich eigentlich bezieht, das ganze Inventar der Abbildungsweisen, Logos, Markennamen, Artikelbezeichnungen und Etikettierungen, die jenes Fiktionalisierungsystem entfachen, das die Zirkulation des Überflusses am Leben hält. Es sind die Effekte, die dem Wertlosen die Aura des Attraktiven zu verleihen trachten, um es in begehrenswerte Objekte, in unausweichliche Bedürfnisse zu verwandeln. Die Lust ist hier eine imaginäre; sie ergeht aus dem Versprechen, das die Ästhetik der Oberfläche erteilt, nicht aus dem Objekt, dem stets ein Moment von Frustration anhaftet. Überall sichtbar, repetiert und vervielfältigt, werden sie zu Wiedererkennungsmustern, zu Symbolen, die sich in die Struktur des Verlangens einschreiben und als Notwendigkeit fixieren:

Manche Dinge werden wichtig, nur weil sie ständig wiederholt werden. Hunderttausendmal. Wie wichtig ist z.B.Arnold Schwarzenegger? (Koons, 1992:32).

Das bedeutet, erst ihre Ästhetisierung, die besondere Form ihrer Präsentation macht aus den Dingen Fetische des Konsums. Fetischobjekte bedürfen der Symbolisierung: Am Fetischismus ist entscheidend, daß die Beziehung zwischen dem Begehren und der Befriedigung nicht mehr über den Gegenstand selbst, sondern über die Zeichen geregelt ist. Im Konsumismus der Massengesellschaft geschieht dies über die Semiotisierung der Äußerlichkeit, der Hülle. Das gehörte zu den Schlüsselerfahrungen von James Rosenquist: Der Abstrakte Expressionismus der fünfziger Jahre verklärte die Farbe als Grundstoff der Malerei; sie wurde auf die Leinwand aufgetragen, gespritzt, verschmiert, ausgegossen oder getropft. Aber die Farbe erscheint im Alltagskontext in weit wirkungsvollerem Maße als Werkzeug der Fetischisierung: Jeder Supermarkt bietet eine Feier der Farbe, eine Sinfonie, ein Chaos, eine Explosion aus Farben. Die Dinge werden uns durch die Kraft ihrer Farbgebung entgegengeschleudert; sie fallen uns an, drängen sich auf, schmeicheln sich ein, wollen gekauft werden. Die Farben bilden ihre Energie, den Fokus der Symbolisierung, ihren Blutkreislauf. Dann erweist sich jede Plakatwand als anspringende Begierde, jede Zeitschrift als aggressive Aufpeitschung der Sinne, jedes Kaufhaus als verwirrendes Labyrinth aus tausenderlei Eindrücken, die sich unerbittlich ins Gedächtnis graben und die Phantasie besetzen, ohne daß die Kunst sie noch zu reflektieren oder zu überbieten vermöchte. Das Popularsystem enthüllt sich als enormes symbolisches Animationstheater.   

Entkunstung der Kunst

Wenn sich Pop daher skrupellos der Semiotik der Animation zu bedienen scheint, sie imitiert und verdoppelt, siedelt es genau im Zwischenraum zwischen dem Nihilismus des Massenkonsums und seiner Aufhebung durch den Ästhetizismus der Werbeapparatur. Die Imitationen spüren der Schrift der Verführung nach und bringen sie in ein ironisches Spiel. Es entblößt die Zirkulation der Bilder und macht so deren gewaltsame Präsenz sichtbar. Pop visualisiert die visuellen Fetischisierungen und stilisiert sie zu Kultobjekten, die deren Anspruch dementieren, noch Fetische zu sein. Die Wiederholung enthüllt dabei beides: die Mystifikation der Oberfläche ebenso wie die Entmystifizierung ihres ästhetischen Scheins. Mit anderen Worten, Pop führt die Ästhetisierungsmaschine des Massenkonsums vor, indem es diese auf sich selbst anwendet. Entfällt die Selbstanwendung, verschwindet auch Pop. Deshalb bedeutet seine Verehrung des Trivialen zunächst keinen Kniefall vor den Strategien des Kommerzes und der Unterhaltungsindustrie, sondern eine Geste der Distanzierung. Selber in einem rigorosen Sinne oberflächlich, vereiteln seine Produktionen jegliche Tiefe und operieren damit ausschließlich auf der Ebene der Signifikanten, deren Ordnung sie versetzen, umschreiben und neu konnotieren. Dann funktioniert die Ironie als Ereignis einer Verschiebung, die wiederum nur kraft der Zitation der Zeichen möglich ist. Indem sie Pop vergröbert, simplifiziert, rastert oder gegeneinander setzt, entzieht es ihnen ihre Wirkung, macht sie lächerlich. Denn die Wiederholung der Verführung verführt gerade nicht, sondern hebt sie auf, kehrt sie um und entdeckt das Medium ihres Funktionierens: die Zeichenhaftigkeit.

Man kann doch […] nicht sagen, daß die Abbildung eines Hot Dogs mit ihren schwarzen Linien oder weißen Glanzlichtern Ähnlichkeiten mit dem Originalwürstchen hat. Im Bild ist das Würstchen nichts als ein rein abstraktes dekoratives Element […]. Dargestellt wird es ein übertriebenes zwingendes Symbol, das nichts mehr mit dem Orginal gemein hat (Lichtenstein 1968:11).

Zeichen sind durch ihre Wiederholbarkeit definiert. Nach Charles Sanders Peirce existieren sie nur in ihren Repliken; ähnlich nennt Derrida das Kennzeichen der Schrift ihre Iterabilität.

Gesprochen oder geschrieben – tatsächlich muß jedes Zeichen wiederholbar sein. Ein wesentlich singuläres und nur einmal verwendbares Zeichen wäre kein Zeichen. Es ist ohne jeden Belang, ob dabei von gesprochenen oder geschriebenen Zeichen die Rede ist: lange vor der Erfindung des Tonbandes und anderer Wiederholungsmaschinen war die Rede bereits ihrem Wesen nach wiederholbar (Bennington/Derrida 1994:65).

Bei Pop ist alles Zitat, alles Replikation; daher der extensive Gebrauch serieller Techniken wie der Reproduktion, des Siebdrucks oder der Stapelung von Kartons nach Art der Supermärkte. Entsprechend wird für Pop alles zum Zeichen, als Zeichen verwendbar, austauschbar und kommunizierbar, wie umgekehrt Pop selbst zum Zeichen wird und nichts als Zeichen erzeugt. So gründete Warhol seine eigene ›Factory‹ nach dem Vorbild industrieller Fertigung, um die Prozesse der Verdopplung zu beschleunigen. Man hat die Beziehung zu den Werkstätten der Renaissance ziehen wollen – entscheidender ist jedoch die äußerste Zuspitzung der Serialisierung und damit die Auslöschung der Autonomie von Kunst. Warhol entkleidet die Kunst ihrer Kunsthaftigkeit und läßt nichts als bloße Marken übrig: Zeichen, die sich grundsätzlich nicht von denen der Semiotik des Popularsystems unterscheiden, sowenig wie diese von jenen.

Das bedeutet, Pop verfährt mit seiner Assimilation an die Codes des Massenkonsums prinzipiell emblematisch. Indem es die selbe Symbolik, und sei es in ironischer Art, redupliziert, verfällt es schließlich dieser selbst. Alle Pop-Künstler haben mit dem Instrument der Identifikation und Wiedererkennung gearbeitet: Rosenquist mit Waschmitteletiketten oder Logos von Kellogg’s Cornflakes, Warhol mit hundertfach multiplizierten Dollarnoten oder der Abbildung von Unfällen und Flugzeugabstürzen aus der Sensationspresse, Duane Hanson mit Lockenwicklern und voll bepackten Einkaufskörben oder Jasper Johns mit Stars and Stripes. Es ist, als bediene Pop gleichermaßen den Markt aus der fiebrigen Welt von Sex, Crime, Desastern und Shopping Malls, so daß zwischen dieser und den Objekten der Kunst die Grenzen verschwimmen. Pop ist Kunst als Massenartikel und Massenartikel als Kunst.

Zwar geriert sich Pop auf diese Weise als schonungslose Bestandsaufnahme und Reportage der Zeit, die deren Trivialisierung und Gewalt getreu zu kopieren und kenntlich zu machen sucht. Doch entsteht dann das Paradox, daß sich seine Ästhetik an den Prozeß der Verdopplung verliert: Die Zeichen, die Pop kopiert, um sie zu parodieren, schlagen auf die Kopisten selbst zurück. Indem die Wiederholung als Mittel der Zeichengebung aufgedeckt wird, transformiert sie die Mittel der Aufdeckung und entäußert sie wiederum zu Zeichen. Pop erweist sich somit als radikale Zeichenkunst, die gerade dadurch, daß sie ebenso wie Werbung funktioniert und den Dingen ihre Einzigartigkeit raubt, sich selbst der Warenwelt und ihrer Mystifikationen überantwortet und dadurch ihre eigene Singularität einbüßt, auch wenn Warhol anfangs seine Bilder noch selber malte oder Lichtenstein und Wesselmann lauter Einzelwerke schufen. Anders gewendet: Pop entzieht der Kunst radikal ihre Aura und mithin jene Bestimmung, die sie einst auszeichnete und in den Rang des Kunsthaften hob. Warhols Massenfertigungen entmystifizieren das Orginal und mystifizieren die Reproduktion. Sie löschen jegliche Illusion von Authentizität aus und rücken an deren Stelle eine Textur anonymer Signifikanten. Indem Pop sich die Mittel der Auratisierung des Banalen aneignet, entauratisiert es sich selbst. So besorgt die Serialität die Entkunstung der Kunst und gleicht sie ihrem Anderen, der Nicht-Kunst an.

High and Low

Aus den ästhetischen Prinzipien der Affirmation, der Serialisierung und Semiotisierung entspringt indessen eine komplexe Beziehung zwischen Kunst, Kitsch, Reklame, Gebrauchsgraphik und Massenkultur, die weder in deren einfacher Gleichsetzung noch im Untergang der Kunst aufgeht. Vielmehr impliziert Pop eine optimistische Indifferenz. Sie ist möglich, weil beide auf dem gleichen Spiel der Signifikanten beruhen. Daraus folgt freilich, daß die Unterscheidungen unsinnig werden und die Distinktionsmerkmale zwischen Reflexion und Unterhaltung oder Kritik und Apologie verschwinden. Das bloße Zitat erlaubt kein Kriterium der Differenzierung, das eine Scheidelinie zuließe, welche Kunst gegenüber Nicht-Kunst heraushöbe, um sich etwa dem ›Schönen‹ oder der ›Wahrheit‹ zu verpflichten, sei es, wie es Adorno in seiner Ästhetischen Theorie forderte, als »gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft« (Adorno 1973:19) oder, wie in den Programmen der Avantgarde, um in einen kritischen Diskurs mit sich selbst zu treten. »Ernstzunehmende Kunst, Musik und Literatur ist immer auch ein kritischer Akt« (Steiner 1990:23); dann gehört Pop nicht zur Kunst, zur Avantgarde, verfährt anti-avantgardistisch, weil es sich nicht der Logik der Differenz verschreibt, die die Logik der Kritik, der Rationalität und des Denkens als Diskurs konstituiert; vielmehr eröffnet es eine Logik der Konjunktion, die auf der Verbindung der einstmals strikt getrennten Territorien von High und Low, der ›hohen‹ Kultur und der Popularkulte beruht. Die Konjunktion nivelliert den Anachronismus der Ghettoisierung und macht so deutlich, daß kein Maß existiert, um erneut in die traditionellen Spiele der Einschließung und Ausschließung, des Vorrangs und der Nachfolge und damit der Macht und der Hierarchisierung einzutreten. Dann freilich ist alles Kunst ebenso wie Banalität, Unterhaltung und Kommerz: Fernsehen, Hollywood, Picasso, Reiseprospekte, der Louvre, Brillo-Boxes (1970), Verpackungen, Autos, die Schaufenster von Möbelhäusern, Müll, Elvis und Cicciolina. ›Super-Stars‹ nannte Warhol seine Objekte und Ready mades gleich den Leinwandidolen der Glamourwelt; und Claes Oldenburg sprach von »Grade A«, »regular price« oder »Extra Fancy« und »Ready-to-eat art« (Wesselman zit.n.Danto 1996:173): Das Lexikon der Superlative aus dem amerikanischen Oversell verrät etwas von der Depravierung sowohl der Dinge als auch der Menschen und der Kunst selbst, die sie zu immer schrilleren Aufwertungen zwingt.

Arthur Danto hat angesichts der Brillo Boxes pointiert vom »Ende der Kunst« gesprochen (Danto 1996:16ff.). Zu Ende gegangen sei freilich nicht die Kunst selbst, indem sie, im Sinne Hegels, durch die Philosophie oder, entgegen Hegel, durch den Triumpf des Trivialen überholt sei; ans Ende gelangt sei vielmehr die Geschichte der Moderne und ihre ästhetische Erfahrung, wonach es Kunst in ihrem Prozeß um die Bestimmung der Bedingungen eben dieses Prozesses selbst geht. Die Definition orientiert sich am Reflexionsparadigma, deren Schlußpunkt in der identischen Präsentation eines Kunst- und Alltagsgegenstandes und der Einsicht besteht, daß kein Begriff der Wahrnehmung hinreicht, beide angemessen unterscheiden zu können.

»Kunst hat kein bestimmtes vorgeschriebenes Aussehen. […] Natürlich besteht nach wie vor ein Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst, zwischen Kunstwerken und den ›bloßen realen Dingen‹. […] Warhol lehrte uns aber, daß sich der Unterschied nicht durch einfaches Betrachten ausfindig machen läßt.«

So stößt »die Brillo Box zum Kern der philosophischen Frage nach dem Wesen der Kunst vor […]. Die Brillo Box zeigte […], daß der Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst philosophischer Natur und von grundlegender Bedeutung ist« (Danto 1996:17, 18, 19 passim). Dann folgt aus ihr nicht das Verschwinden der Kunst, sondern ein anderer Anfang, der nach Danto in einer neuen, bislang ungeahnten Freiheit besteht.

Allerdings wird die semantische Entdifferenzierung durch Pop in einem bestimmten ästhetischen Feld vollzogen, was Danto unterschlägt. Sie geschieht auf der Ebene der Neutralisierung eines obsoleten Kulturbegriffs, der diese nicht von Nicht-Kultur, sondern von der Unkultur der Massengesellschaft abgrenzt. Pop reißt die Demarkationslinien ein und nähert dadurch Kunst nicht nur der Unterhaltungsindustrie und den Trivialgenres an, sondern macht umgekehrt die ›Diktatur des schlechten Geschmacks‹ hoffähig. Gerade darin unterscheidet sich die amerikanische Strategie einer ›Dekonstruktion‹ des Kunstverständnisses von der europäischen, wie sie zeitgleich Josef Beuys mit seinem ›erweiterten Kunstbegriff‹ betrieb, der den ästhetischen Prozeß mit einer Politik der Kreativität gleichsetzte, die die Praxis der Kunst an konkrete Lebensbezüge und die Orte sozialer Auseinandersetzungen band. Der ›erweiterte Kunstbegriff‹ implizierte dann – trotz exponierter Formeln wie ›Jeder ist ein Künstler‹ und ›Gott und die Welt ist die Kunst‹ – eine Bescheidung statt Ausuferung (vgl.Mersch 1997:47–54).

Pop bleibt demgegenüber überall ironisch auf den Kulturbetrieb und dessen Institutionen bezogen und gerät so von vornherein in die Zweideutigkeit, das zu bestätigen, was es mit den Mitteln der Wiederholung zu zersetzen trachtet. Nicht nur protokolliert es die Mechanismen der Imagination und Suggestion in den Popularsystemen, sondern bezieht seine gesamte ästhetische Energie aus eben deren Ästhetisierungsprozessen und arbeitet auf diese Weise deren Erfolg in die Hände. Pop verfolgt darum die konsequente Trivialisierung der Kunst. Es serialisiert die Embleme des Massenkonsums und der Unterhaltungsindustrie und serialisiert sich damit selbst, macht aus der Kunst einen Massenartikel, eine Marke und liefert sie der Logik des Kapitalismus aus. Heißt das nicht, daß sich mit der Auflösung der Differenzen und der Egalisierung der Bereiche die Verhältnisse umkehren, Kunst ihre Souveränität verliert und die ungeheure Ansammlung von Schlagern, Anzeigen, Leuchtreklamen, Titelbildern, Filmgeschichten und Soap operas, insofern sich ihre Sprache als verführerischer erweist, den Sieg davontragen? »Im Moment sind das Fernsehen und die Werbung die besten Mittel, sich den Leuten mitzuteilen«, so Jeff Koons.

Die Unterhaltungs- und die Werbeindustrie haben sich die Mittel der Kunstwelt angeeignet und sich eine bei weitem politischere Potenz verschafft. Wir sind vollkommen lahmgelegt und zur Zeit in der Tat machtlos. Ein für eine Werbeagentur arbeitender Fotograf hat ein Forum, das ihm ermöglicht, in der Welt politisch sehr viel effektiver zu sein als ein Künstler (Koons 1992:77, 82).

Aus den Fugen geratene Banalität

Jeff Koons hat allerdings in einer weiteren Überzeichnung versucht, die derart entfesselte Banalität ins Monströse zu steigern, getreu der Einsicht, daß nur mehr der Schock die Wahrheit zu schildern vermag. In diesem Sinne ist Koons, dessen Kunst man anfangs das Etikett ›Neo Geo‹ verliehen hat, ein Post-Pop-Künstler: Er kehrt den Prozeß der Mystifikation um: Mit dem präzisen Gespür für Kitsch und die fatale Infantilität einer Gesellschaft, die sich pausenlos mit lauter Nippes umgibt, der die Leere überdeckt und die Einbildungskraft erdrosselt, offenbart er nicht so sehr die Mechanismen der Fetischisierung als vielmehr die Einschreibung des Banalen in die Dinge selbst, die durch kein Fest der Zeichen und keine wie immer geartete Inszenierung des Ästhetischen je auratisiert werden könnten. Vielmehr erscheinen sie in ihrer Alltagstrivialität bodenlos. Koons Ausstellungen werden so zu unerschrockenen Panoramen des kompletten Tands der Epoche.

Sein Arbeitsmaterial ist das Niedliche, das Provinzielle und Naive, die Herrschaft des Diminutivs. Dabei nimmt Koons ausschließlich Vorfindbares auf. Dazu gehören aufblasbare Häschen und Blumen ebenso wie Hochglanz-Werbeposter, gläserne Kopulationsskulpturen, Gartenzwerge und Allgäu-Schnitzereien. Paradigmatisch die Statuary-Installation von 1986 und die Banality-Show zwei Jahre später; sie illustrieren die buchstäbliche Überkitschung des Kitsches: Bob Hope veredelt in rostfreiem Stahl, ein blumenumkränztes Glücksschwein, Michael Jackson nebst Äffchen aus Porzellan, dazu Engelchen mit Herzchen und Schleifchen, dümmlich dreinblickende Schlangen, Amore-Püppchen, ein trauriger rosa Panther als Sexualobjekt und die unschuldigen Kindlein. Auf beunruhigende Weise spiegeln sie die Lage einer durch schrankenlosen Konsumismus vollständig infantilisierten Libido: Entweder man verhätschelt den Plüsch und schenkt den Nippesfigürchen seine ganze Zuneigung und Aufmerksamkeit, »oder man wirft (sie) weg«.

Das Publikum ist das eigentliche Thema – seine Träume, seine Sehnsüchte. […] Ich weigere mich, an Komplexes und Bedeutsames zu glauben […]. Ich kann mit diesen Dingen nichts anfangen (Koons 1992:24, 26).

Es wird mit Puppy (1992) noch bis zum vorläufig Letzten überzogen, einem Riesenhündchen vor dem Eingang des Barockschlosses in Arolsen, konstruiert aus Holz, Stahl, Erde und siebzehntausend Blumensetzlingen, die im Laufe der Zeit zu sprießen, zu wachsen und zu blühen anfangen und die Kontur wuchern lassen. Von außen haushoch, von Innen wie eine Kirche begehbar, wird das Puppy zur perfekten Verkörperung unserer Kultur: der konsequente, restlose und unerbittliche Ausdruck von Infantilität, eine Kathedrale des Banalen.

Doch verschärft Koons damit nur das Dilemma von Pop. Er dechiffriert das Zeitalter als »außer Kontrolle geratene Banalität« (Koons 1992:26). Koons codiert den Kitsch, versieht ihn mit einer fiktiven Aura, hebt ihn in den Rang der Kunst und sakralisiert ihn zu einem mystischen Symbol, das Abstand gebietet. Genau darin besteht noch einmal ein Moment von Ironie – eine Ironie freilich, die an den Grenzen des Zynischen operiert und darin ihre Riskanz bezeugt. Basierte die Ironie von Pop auf der Spiegelung der Semiotik der Verführung durch deren Verdopplung, so ist das ironische Zitat selbst nicht mehr zitierbar. Als Wiederholung droht sie vielmehr manieriert zu werden und ihre ironische Kraft zu verlieren. Überboten wird sie einzig im Zynismus, doch verbleibt dieser unterhalb des Spiels der Zeichen und mithin auch unterhalb von Bewegung und Verschiebung. Der Zynismus verfährt nicht despektierlich, er ermöglicht keine Revolte, entfacht kein Gelächter und wirft keine Steine; ihm inhäriert allein die Verklärung seiner selbst. Das ist schließlich den Aktionen Koons selber zu entnehmen: Sie basieren auf der Selbstinszenierung des Künstlers als Instanz der Kunst im Augenblick ihres Verschwindens. Koons hat daraus ein Programm gemacht: durch narzißtische Glorifizierung seiner selbst als Büste auf einem Sockel mit Bergkristallen, als Akteur und Voyeur seiner eigenen Sexualität in Made in Heaven (1991).

Dann geschieht freilich etwas Irreversibles mit der Kunst selbst: Nicht nur büßt sie ihren angestammten Ort ein, wird indifferent gegenüber Nicht-Kunst und gleicht sich den Strategien der Popularisierung an; vielmehr wird sie selbst zum Simulakrum wie der Künstler zum Idol, zur Ikone: ein Rock-Star, ein Film-Held oder ein Medien-Ereignis. So bleibt zuletzt nur das gar nicht mehr ironische Spiel der Partizipation am Ökonomischen. Pop bezeichnet in der Konsequenz den eigentlichen Durchbruch des Kommerzes in Kunst, des Kommerzes als Kunst, der Auflösung von Kunst in Kommerz. Nicht zufällig fällt sein Erfolg mit dem Beginn des Kunstmarktes zusammen: Pop öffnete der Kunst den Markt, den Marktstrategien, der offensiven Geldanlage mit steigendem Wert. Entsprechend kann sich, was sich heute zu behaupten sucht, nur mehr im Rahmen einer längst globalisierten Ökonomie plazieren. Niemand hat dies wiederum offener ausgesprochen als Koons:

Als ich die Preise für die Banality-Arbeiten festsetzte, versuchte ich damit den Leuten klarzumachen, daß es sich um ernstzunehmende Kunst handelt. Ein Kunstwerk wird nur ernst genommen, wenn der Preis entsprechend hoch ist. Ich sagte ihnen, diese Arbeit kostet genauso viel wie ein Bild von Anselm Kiefer, also ist es auch so wertvoll (Koons 1992:35).

In seiner jüngsten Installation für die Deutsche Guggenheim Berlin hat James Rosenquist den Prozeß der Globalisierung des Ökonomischen als Schleudergang einer Waschtrommel dargestellt: Ein Wirbel, der alles ebenso verschlingt und mit sich reißt wie er in endloser Zirkulation auf der Stelle tritt. So erweist sich schließlich die Kunst und mit ihr die gesamte Kultur einschließlich unserer selbst und Pop in einem einzigen riesigen Kreislauf als The Swimmer in the Econo-mist.3

Anmerkungen

  1. Andy Warhol: Ladies and Gentlemen. 9 Tafeln (1975).
  2. Mel Ramos: Tobacco Rose (1965).
  3. James Rosenquist: The Swimmer in the Econo-mist (1996).

Literatur

ADORNO, Theodor W. 1973. Ästhetische Theorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
BENNINGTON, Geoffrey; Jacques Derrida. 1994. Jacques Derrida – ein Porträt. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
DANTO, Arthur. 1996. Kunst nach dem Ende der Kunst. München: Wilhelm Fink.
KOONS, Jeff. 1992. Köln: Taschen.
LICHTENSTEIN, Roy. 1968. London: The Tate Gallery.
MERSCH, Dieter. 1997. »Esse est performari. Zur Logik ästhetischer Demonstration«. In: Ästhetik&Kommunikation 99 (1997), 47–54.
STEINER, George. 1990. Von realer Gegenwart. München: Hanser.
THOMAS, Karin. 91994. Bis heute. Köln: Dumont.
WARHOL, Andy. 1993. Porträts. München: Prestel.
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