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Was ist Wertkritik?
Auszüge aus einen Interview

Dieses Interview mit Ernst Lohoff und Robert Kurz für die KRISIS-Redaktion wurde 1998 in der Zeitschrift MARBURG-VIRUS veröffentlicht. Den vollständige Text gibt es in der Linkskurve
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Frage 6: Robert Kurz hat in seinem letzten Artikel in der Krisis zwei zentrale Probleme benannt, die eine Bewegung, die das warenproduzierende System aufheben will, loesen muss: Das der Planung und das einer geeigneten Transformationsstrategie. Stichwort war hier Herausbildung einer "Keimform". Bezueglich des Planungsproblems habt Ihr in der Krisis immer zu Recht darauf hingewiesen, dass eine gesamtgesellschaftliche Planung, die die Vermittlung von Taetigkeiten ueber den Markt ersetzen soll, einer Aufhebung von im Kapitalismus entstandenen Arbeitsteilungen, einer anderen Verwendung der Technik, ja teilweise einer anderen Technik bedarf. Das ist aber nur die technische Seite des
Problems. Es gibt aber auch noch eine demokratietheoretische, die in der Krisis nur in Andeutungen vorkommt. Zwar wird immer wieder mal betont, dass es in einer vom Terror des Werts befreiten Gesellschaft keineswegs konfliktlos zugehen wird, die Differenzen zwischen Menschen nicht verschwinden werden, sondern erst richtig zum Ausdruck
kommen. Aber theoretische Konsequenzen sind aus dieser Einsicht bisher nicht gezogen worden, es fehlen in der Krisis diskurs-, identitaets- und demokratietheoretische Überlegungen, wie der noetige Konsens in einer sehr pluralistischen Gesellschaft hergestellt werden kann, wenn diese sich nicht mehr der repressiven Mechanismen von Markt und Staat bedient.


Antwort: Selbstverstaendlich hat die Krisis nicht alle Fragen einer Aufhebung der Wertform beantwortet. Warum also das Einklagen einer Allwissenheit, als waere die weitergehende Konkretisierung nicht auch die Angelegenheit einer weitergehenden Debatte auf einem groesseren gesellschaftlichen Feld? Wir wuerden die noch ungeloesten Probleme allerdings nicht als "demokratietheoretische" bezeichnen, eben weil die Demokratie ihrem Begriff nach Herrschaftsform und selber als Moment der Wertvergesellschaftung zu ueberwinden ist. An die Stelle von demokratischem Staat und Markt muessen Instanzen einer direkten Vergesellschaftung treten, z.B. "Raete" unter Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder, die ueber den Fluss der Ressourcen ohne Dazwischenkunft der
Wertabstraktion befinden.

Eine solche Gesellschaft wird sicher ihre eigenen Konflikte haben und diese bewusst reflektieren. Wir zweifeln jedoch daran, dass solche Konflikte sich in erster Linie auf die materielle Reproduktion beziehen werden. Auf dieser Ebene ergibt sich vieles aus der stofflich-sinnlichen Gegebenheit von selbst (z.B. die Unvernuenftigkeit des Individualverkehrs); ansonsten werden die Alternativen des Konsums bei einer befreiten Reichtumsproduktion wahrscheinlich ziemlich gleichgueltig, Pluralismus und Dissens also auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt sein. Die konsumistische Fixierung des heutigen alltagskulturellen Postmodernismus ist selber nur die Kehrseite der kapitalistischen Restriktionen und wuerde in einem "Verein freier Menschen" wohl nur Verachtung hervorrufen.

Frage 7: Um an der vorherigen Frage anzuknuepfen: Wie sollen die Diskussionen ueber die Veraenderungen von Arbeitsteilungen und Technologien organisiert werden? Lassen sich wirklich aus der Beschaffenheit der Technik selber Loesungsmoeglichkeiten fuer vorhandene Probleme erschliessen, oder kann ein solch technologischer Determinismus
nicht selber zu einer repressiven Norm werden? Das Konzept der "mikroelektronischen Naturalwirtschaft" erweckt z.B. diesen Eindruck. Irgendwie muessen alle ein schlechtes Gewissen haben, die in einem Haus wohnen, das sie nicht selber gebaut haben. Wir hatten uns die Aufhebung der Spaltung von ProduzentInnen und KonsumentInnen eigentlich etwas lustiger vorgestellt
.

Antwort: Der Terminus "mikroelektronische Naturalwirtschaft" impliziert keinerlei technologischen Determinismus, sondern zielt ironisch auf ein borniertes Denken, das die "naturale" (stofflich-sinnliche) Bezogenheit der gesellschaftlichen Reproduktion nur mit "Vorsintflutlichkeit" identifizieren kann und die fortgeschrittenen Produktivkraefte automatisch mit der Wertform gleichsetzt. Was mit den mikroelektronischen Produktivkraeften jenseits des Werts anzufangen ist, ergibt sich nicht aus einer Eigendynamik der Technik (ein Topos buergerlicher Ideologie seit dem 19. Jahrhundert, um die destruktive Dynamik der kapitalistischen Form zu maskieren), sondern aus den freien Zwecksetzungen einer selbst-bewussten Gesellschaft.

Es geht nicht um einen Moralismus, dass alle in falscher Unmittelbarkeit alles selber machen sollen (das kann nur in unsere Texte hineinlesen, wer sowieso die ganze Fragestellung abwehren will), sondern um die Perspektive sozialoekonomischer Terrains, auf denen Elemente einer Reproduktion (und sozialer Beziehungen) unabhaengig vom
Zwangsgesetz des warenproduzierenden Systems entwickelt werden koennen. Deswegen muss nicht jeder sein Haus unmittelbar selber bauen, sondern eine bewusste Reflexion der materiellen Potenzen wird mittelbare und unmittelbare Reproduktionsbereiche nach Massgabe der praktischen Sinnhaftigkeit staffeln. Dabei werden aber nicht die einen die Karren schieben oder den Moertel mischen und die anderen kritische Theorie betreiben.

Laecherlich ist allerdings die typisch postmodernistische Utopie einer verantwortungslosen Totalautomatisierung, wo nur noch der Fruehstuecksroboter nach den Wuenschen fragt und die Probleme der gesellschaftlichen Reproduktion von konsumidiotischen Kretins an ein mechanistisches Elektronik-Pseudogehirn delegiert werden. Das waere die "Lustigkeit" der schoenen verbloedeten Zwerge in der "Zeitmaschine" von H.G. Wells. Es wundert uns allerdings gar nicht, dass saemtliche Negativutopien und Horrorvisionen der Moderne von postmodernen Naivlingen zunehmend positiv besetzt werden.

Frage 8: Ist das Konzept der "mikroelektronischen Naturalwirtschaft" eine neue Position? Robert Kurz hat in einem Papier vor zehn Jahren (Fetisch Unmittelbarkeit) auch noch genau das Gegenteil gesagt. Leitbild war damals eine Figur aus dem Roman "Die Unfaehigkeit erwachsen zu werden", die keine Ahnung von Computern hatte, was aber nichts ausmachte, da sie in ihrem Umfeld bestimmt jemanden finden wuerde, der damit umgehen kann. In dem neuen Aufsatz wird uns hingegen polytechnische Erziehung fuer alle angetragen. Gleichzeitig wird der konsumistische Umgang mit neuen Technologien kritisiert und behauptet, dass der CD-Player eine bedeutungslose Neuerung sei. Wir als Konsumenten bestreiten das.

Antwort: "Naturalwirtschaft" ist ein Hilfsbegriff, der zunaechst nichts weiter beinhaltet als die Abwesenheit von Warenproduktion, Markt, Geld etc. Dass diese Orientierung keine rueckwaertsgewandte oder "subsistenzwirtschaftliche" (im Sinne einer kruden Überlebensproduktion ohne "Springquellen des Reichtums") sein kann, sondern mit den fortgeschrittensten Produktivkraeften verbunden sein muss, war von Anfang an
Krisis-Position. In der Auseinandersetzung mit den herrschenden Kategorien muessen auch neue Begriffe gefunden werden, selbst wenn es zunaechst meistens "Kampfbegriffe", Ironisierungen oder negative Bestimmungen sind. Es gibt eben noch keinen ausgereiften wertkritischen Begriffsapparat, weil die entsprechende kritische Theorie als Aufhebung des soziologistisch verkuerzten, wertimmanenten Marxismus erst noch im Entstehen ist (dies betrifft auch den Status von theoretischen Begriffen als solchen).

Was die Frage des polytechnischen Wissens angeht, so halten wir das Aufgreifen dieses Gedankens aus dem Arbeiterbewegungs-Marxismus unter dem neuen wertkritischen Vorzeichen auf dem Niveau der mikroelektronischen Produktivkraefte durchaus fuer diskutierenswert. Dabei geht es um die Vermittlung eines breiten Grundlagenwissens von Produktions- und Kulturtechniken, was ja keineswegs heisst, dass nun alle zu
Computerspezialisten werden sollen. Wichtig ist gerade der Impetus gegen eine enge Spezialisierung und vor allem gegen eine Monopolisierung von technologischem Wissen, wie sie gegenwaertig in allen Laendern vor allem bei der mikroelektronischen Schluesseltechnologie zu beobachten ist.

Wenn die Potenzen dieser neuen Produktivkraefte nicht wenigstens in ihrer Anwendungsfaehigkeit verallgemeinert werden, koennen sie auch nicht ausreichend fuer eine Aufhebungsbewegung gegen das warenproduzierende System mobilisiert werden, die z.B. auch alte Menschen, alleinerziehende Muetter, weibliche Jugendliche usw. einbeziehen muss. Schon jetzt droht im postmodernen Kontext die Herausbildung des systemimmanenten Interessen-Standpunkts einer Art elitaeren, ueberwiegend maennlichen "Informationsarbeiterklasse", die sich als "besserverdienend" und "drueberstehend" imaginiert (selbst wenn die meisten dieser Leute in Wirklichkeit prekaere Flexi-Existenzen fristen).

Zu einem kritischen Umgang mit den Potenzen der Mikroelektronik gehoert es allerdings auch, sich nicht selber als blosse "Konsumenten" zu definieren und sich nicht wie dressierte Koeter auf ein permanentes Wurstschnappen nach allen Moden und Neuerungen programmieren zu lassen, die das kapitalistische Marketing ausheckt. Dass die CD kein gravierender qualitativer Fortschritt gegenueber der LP gewesen sei, ist dem (vielleicht geschmaecklerischen) Raesonnement von diversen Musik-Gourmets entnommen. Ob dieses eher zufaellige Beispiel nun zutrifft oder nicht - es erscheint uns zumindest als verdaechtig, dass es nicht als beilaeufige Bemerkung beilaeufig aufgenommen wird, sondern von verschiedenen Seiten ein muendliches und schriftliches Aufjaulen hervorgerufen hat, als waere damit eine zentrale theoretische Aussage gemacht worden. Das deutet darauf hin, dass hier gar nicht die technologische Sinnhaftigkeit der CD das Problem ist, sondern ein Bewusstsein getroffen wurde, das sich apriori "identitaer" an die Zyklen kapitalistischer Konsumtechniken und Moden gebunden hat.

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