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AG Alternative Wirtschaftspolitik

Finanzmärkte und Finanzkrisen

von  Jörg Huffschmid

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Die internationalen Finanzmärkte werden in der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion als Beleg für die Unausweichbarkeit, die Wucht und den disziplinierenden Charakter der Globalisierung angeführt. Die - tatsächlich stattgefundene - außerordentliche Zunahme grenzüberschreitender Geld- und Kapitalbewegungen, die Schnelligkeit, mit der Hunderte von Milliarden Dollar oder DM von einem Land ins andere gebracht werden können und die Kriterien, an denen sich die Finanzmarktakteure bei ihren Entscheidungen richten - dies alles mache traditionelle Formen der Wirtschaftspolitik, und erst recht nationale Wirtschaftspolitik mehr und mehr machtlos und zwinge sie, sich in erster Linie nicht um Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand, sondern um das Wohlwollen der Akteure an den Finanzmärkte zu sorgen, und dazu gehöre vor allem eine nachhaltige und glaubwürdige Politik der hohen Finanzrenditen und niedrigen Inflationsraten. Wer sich diesen Anforderungen nicht unterwerfe, den bestrafen die Finanzmärkte: siehe die jüngste Finanzkrise in Asien, in deren Folge sich die Lage der Bevölkerung - ähnlich wie drei Jahre vorher in Mexiko - massiv verschlechtern wird.

1. Die Entwicklung der internationaler Finanzmärkte: Triebkräfte, Struktur und Regulierung

Bei der Analyse internationaler Finanzmärkte muß zum einen zwischen verschiedenen Instrumenten und zum anderen zwischen verschiedenen Märkten unterschieden werden. Zu den großen Gruppen der Finanzinstrumente gehören kurz- und langfristige Bankkredite, Aktien, öffentliche und private Anleihen, abgeleitete Instrumente (Derivate) und Währungen (Devisen). Die Märkte werden in Primärmärkte und Sekundärmärkte unterteilt: Auf ersteren werden Finanzinstrumente neu ausgegeben oder aufgelegt, auf letzeren findet der Handel mit bereits existierenden Instrumenten statt. Erstere geben Auskunft über den Umfang und die Entwicklung der internationalen Finanzierung, letztere zusätzlich über die Flüssigkeit und Mobilität der Finanzinstrumente. Auf Primär- und Sekundärmärkten hat es in den 80er und 90er Jahren große Zuwächse gegeben, die allerdings sowohl hinsichtlich der Instrumente als auch hinsichtlich der Märkte unterschiedlich ausgefallen sind: Zum einen hat das Wachstum des Umfangs der in Umlauf befindlichen Derivate und Devisen stärker zugenommen als das der Aktien- und Anleiheemissionen sowie der Kreditvergabe. Zum anderen ist der Handel mit diesen Finanzierungsinstrumenten stärker gewachsen als ihre Neuauflage.

(Zur empirischen Entwicklung : Die internationale Finanzierung war während der weltweiten Wachstumskrise zu Beginn der 90er Jahre drastisch zurückgegangen und hat erst in den letzten drei Jahren wieder kräftig zugenommen

Die Ausreichung internationaler Bankkredite ist von 185 Mrd. $ in 1991 auf 405 Mrd. $ in 1996, also auf das 2,2fache gestiegen. Sie hat damit allerdings erst knapp das Niveau von 1990 (430 Mrd. $) erreicht, während sie in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts niedriger war als in den letzten des vergangenen. Vgl. BIZ 67.Jahersbericht 1996/97, Tabelle VII.2, 66. Jb. 1995/96, Tabelle VIII.2)

  • Die Neuemission internationaler Anleihen hat von 205 Mrd. $ auf 540 Mrd. $, also auf das 2,6 fache zugenommen. Der Zuwachs hat vor allem in den letzten drei Jahren stattgefunden, während die ersten drei Jahre des Jahrzehnts durch Stagnation gekennzeichnet waren. Die stärkste Dynamik wiesen die kurzfristigen Euronotes auf: Sie wuchsen zwischen 1991 und 1996 von 35 Mrd. auf 265 Mrd. $, was einer Steigerung auf das Siebeneinhalbfache in 5 Jahren entspricht. (BIZ, 67.JB Tab. VII.4)
  • Die Weltdevisenreserven sind von 0,4 Bill.$ in 1980 und 1885 über 0,9 Bill. $ in 1990 und 1,0 Bill.$ in 1991 auf 1,5 Billionen Dollar in 1996 gestiegen. (BIZ, versch. JB)
  • Die Bestände an Derivaten sind in der gleichen Zeit von ca. 8 Mrd. $ auf rund 34 Mrd. $, also auf über das Vierfache gewachsen. Bei ihnen hat es auch Anfang der 90er Jahre keine krisenbedingte Unterbrechung der Expansion gegeben. 1996 lag ihr Niveau ca. 17 mal so hoch wie 10 Jahre zuvor. (Vgl. BiIS 67.JB, Tab. VII.5, grapf VII.1)

Leider gibt es bislang keine zu diesen Zahlen vollständig in zeitlicher und sachlicher Hinsicht kompatiblen Umsatzstatistiken. Anhaltspunkte für die besonders dynamische Handelsentwicklung und die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit lassen sich aber aus folgenden Hinweisen entnehmen:

  • Die grenzüberschreitenden Wertpapiertransaktionen (Aktien und Anleihen) lagen für 6 der G7 Länder (für England liegen keine Zahlen vor) im Jahre 1980 noch bei einem Betrag, der weniger als einem Zehntel ihres Sozialproduktes entspricht. 1996 hatte sich diese Größenordnung vervielfacht: für Japan lag sie bei 84% (gegenüber 7,7%), für Italien bei 468% (gegenüber 1,1%) und für die anderen Länder zwischen diesen Werten.(BIZ 67.JB, Tab. V.1)
  • Der globale Devisenumsatz stieg von 30 Billionen $ im Jahre 1979 auf 300 Billionen Dollar im Jahre 1995; Während dies Ende der 70er Jahre noch fast 30% des gesamten Weltexportes entsprochen hatte, sank dieser Anteil bis 1995 auf 1,6%.(UNCTAD 96, S.292) Über 80% des gesamten Bestands an Währungsreserven (1,4 Billionen $) wurde 1995 jeden Tag einmal umgeschlagen (Tagesumsatz 1,2 Billionen $)
  • Ein noch größeres Volumen hat mittlerweile der Handel mit Derivaten erreicht: Allein der Umsatz börsengehandelter Instrumente erreichte 1995 334 Billionen Dollar; dazu kommen - geschlossen aus den Bestandszahlen - noch einmal das zweieinhalbfache Volumen in Form des direkten Handels.(BIZ 67. Jb., Tab. VII.5 und VII.6) . Gemessen am Bestand von rund 24 Billionen Dollar wird jedes Derivat 14 mal im Jahr umgeschlagen.)

Diese Kombination von hohem Wachstum internationaler Finanzierungen und noch stärkerer Zunahme des internationalen Handels mit Finanzierungsinstrumenten (d.h. die Erhöhung ihrer Umlaufgeschwindigkeit oder die Verminderung ihrer Verweildauer ), kennzeichnet die Entwicklung der Finanzmärkte, und sie ist zugleich der Hintergrund für neue Probleme und Gefahren: Die mit höherer Mobilität geschaffenen größeren Exit-Optionen produzieren eine besondere Fragilität der Finanzmärkte und können zu spezifischen Finanzkrisen führen, die sich sektoral und regional schnell ausbreiten und in schwer kontrollierbare Dimensionen hineinwachsen. Die Ursachen für diese Entwicklungen liegen zum einen in ökonomischen Problemen und zum anderen in den ökonomischen und politischen Strategien, mit denen Unternehmen und Regierungen diese Probleme überwinden wollen. Im einzelnen handelt es sich um fünf Faktoren: die Entstehung und Zunahme eines Kapitalüberschusses in den entwickelten kapitalistischen Ländern, der Übergang von politisch-kooperativen zu konkurrentiellen Regulierungen, das Auftauchen neuer Finanzkapitalinvestoren, Fortschritte in der Informations- und Telekommunikationstechnologie und die Politik in den Kapitalempfängerländern.

a. Die langfristige Verlangsamung des Wachstums in den Industrieländern bei gleichzeitiger Umverteilung des Volkseinkommen zugunsten der Gewinne - also das durch neoliberale Politik gestützte und forcierte Muster spätkapitalistischer Entwicklung - hat das Nachfrageproblem verschärft, die Investitionsquote gedrückt und die Suche nach alternativen Verwendungen des stark steigenden Profits forciert. Neben dem Export von Waren und Dienstleistungen kommen hierfür die Finanzinvestitionen in Frage, die inländische vor allem in Form steigender Staatsverschuldung und die ausländische als Kapitalexport (internationale Bankkredite, Direktinvestitionen, internationale Portfolioinvestitionen). Insofern ist die starke Zunahme internationaler Finanzströme in erster Linie Folge des Angebotsdrucks. Er geht nicht nur von den traditionellen Kapitalsammelstellen, den Banken aus, sondern auch von neuen Akteuren, den Investmentgesellschaften und Pensionsfonds, die eine zunehmende Rolle auf den internationalen Finanzmärkten spielen.

b. Voraussetzung für internationale Finanzinvestitionen ist allerdings eine hinreichend hohe Renditeerwartung und ein hinreichend niedriges Risiko, als politisches und Wechselkursrisiko. Letzterem steht zunächst das System floatender Wechselkurse entgegen, das seit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods in der ersten Hälfte der 70er Jahre zwischen den Hauptwährungen der Welt besteht und letztlich eine Privatisierung des Wechselkursrisikos für ausländische Investoren bedeutet. Zur Verminderung oder Ausschaltung dieses Risikos sind im wesentlichen drei Gruppen von neuen Regulierungen getreten:

  • Einerseits sollen Termin- und Derivatgeschäfte Wechselkursrisiken für Waren- und Kapitalbewegungen ausschalten. Die damit verbundene Verteuerung wird auf die Kreditnehmer überwälzt.
  • Den gleichen Zweck verfolgen - in der Vergangenheit vom IWF immer unterstützte oder geforderte - Bindungen der Währungen von Kapitalempfängerländern an die Währungen der Hauptinvestoren: in Asien an den Dollar, in Osteuropa an die DM. Mit dieser Ausschaltung des Wechselkursrisikos für ausländische Kapitalgeber ist aber die Gefahr der realen Aufwertung der Währung in den Empfängerländern verbunden: Sie findet dann statt, wenn die Preise im Hartwährungsland schwächer steigen als im Empfängerland.
  • Um das Halten diversifizierter Währungsportefeuilles und den schnellen Wechsel von Auslandsinvestitionen von einem Land ins andere für die Investoren zu erleichtern, sind seit Mitte der 70er Jahre die bis dahin üblichen Kapitalverkehrsbeschränkungen weitgehend abgeschafft und die Kapitalmärkte weitgehend liberalisiert worden.

c. Auf der Seite der Investoren hat eine Strukturveränderung des Kapitalexportes stattgefunden: er findet zunehmend in Form kurzfristiger Kredite und von kurzfristig mobilisierbaren Portfolioinvestitionen statt. Knapp 60% der Bankkredite nach Asien, gut 60% der Ausleihungen nach Lateinamerika und 100% der Bankkredite nach Osteuropa haben mittlerweile kurzfristigen Charakter (FT v.5.1.1998, S.2). Auch die Entwicklung des internationalen Wertpapierhandels macht kurzfristige Bewegungen leichter möglich, was u.a. aus dem besonders starken Wachstum von Euronotes hervorgeht.

d. Die Entwicklung der Informations-, Computer- und Telekommunikationstechnologien macht es möglich, auf kleine Renditedifferenzen oder auf die Erwartungen von Veränderungen im internationalen Wechselkurs- oder Renditegefüge in kürzester Zeit mit der Verschiebung großer Geldsummen zu reagieren, die erheblichen Einfluß aus Wechselkurs, Aktienkurse und Zinsen in den betroffenen Ländern haben.

e. Das reichliche Angebot an internationalem Kapital hat in den Empfängerländern zwar zu einem bemerkenswerten Aufschwung des Volkseinkommens und auch des Exportes geführt. Beides war aber in der Regel nicht durch eine solide und breite Produktionsbasis fundiert: Vielfach wurde die für eine tragfähige Entwicklung notwendige Infrastruktur nicht geschaffen, ein erheblicher Teil der Gelder ging in den Immobiliensektor, und die Länder entwickelten einen überproportionierten Finanzsektor. Die politischen Systeme sind weitgehend durch Korruption und ineffiziente Verwaltungsstrukuren gekennzeichnet.

2. Gefahr und Mechanismus der Finanzkrise

Die Faktoren und Konstellationen, die zu der starken Expansion der internationalen Finanzmärkte geführt haben, sind auch die Gründe für ihre große Instabilität und die Gefahr großer Krisen, die nicht auf die Finanzmärkte beschränkt bleiben, sondern sich sowohl auf die übrige Wirtschaft des jeweiligen Landes als auch auf andere Länder erstrecken können. Schematisch läßt sich folgendes Muster in den verschiedenen Finanzkrisen der 90er Jahre erkennen:

1. Auslöser in einem Land
2. spekulative Ausweitung innerhalb des Landes
3. Übergreifen auf andere Länder

zu 1: Die Auslöser für Finanzkrisen können ganz verschieden und entweder hausgemacht sein oder von außen kommen. Hausgemachte Auslöser können beispielsweise in politischen Unruhen (Chiapas) oder in einzelnen Zusammenbrüchen in Bereichen sein, in die zuvor übermäßig viel Kapital geflossen ist, wie der Banken- oder der Immobiliensektor. Solche Zusammenbrüche, wie sie besonders in Japan zu beobachten waren, wirken sich auf die Liquidität und Kreditvergabe des Gesamtsektors und dann auch der Gesamtwirtschaft aus. Dies war in allen asiatischen Ländern 1997 der Fall. Hausgemachte Krisenauslöser können aber auch darin liegen, daß bei an eine harte Währung gekoppeltem Wechselkurs die Preise stärker steigen als im Hartwährungsland und die Währung daher real aufwertet, was zu einer Erschwerung von Exporten (und mehr Importen aus nicht an die Hartwährung gebundenen Ländern) führt und die Handels- und Leistungsbilanz defizitär macht. Die gleiche Wirkung tritt ein, wenn das Hartwährungsland aufwertet, wie das für den Dollar im Jahre 1997 geschah.. In diesem Falle ist die Verschlechterung der Leistungsbilanz von außen verursacht. Eine langfristig defizitäre Leistungsbilanz aber untergräbt das Vertrauen der Kapitalgeber darin, daß die Wechselkursbindung langfristig aufrechterhalten werden kann und also kein Wechselkursrisiko besteht. Sie beginnen Kapital abzuziehen. Zu einem solchen Abzug kommt es auch, wenn im Ausland die Zinsen erhöht werden und das Inland nicht nachzieht; diese Konstellation entstand 1994 in Mexiko. In allen Fällen findet ein Abzug von kurzfristigem Kapital statt, was einerseits zu einem Druck auf Staatshaushalt und Aktienkurse und andererseits zum Druck auf die Währung führt.

zu 2: Der Druck auf die Währung aber löst die zweite Stufe der Finanzkrise aus, die spekulative Vertiefung der Krise: Er ruft die Spekulanten auf den Plan, die auf einen weiteren Verfall der Währung setzen und davon profitieren wollen. Dies geschieht üblicherweise auf zwei Weisen: Sie nehmen Kredite in Landeswährung auf und tauschen sie sofort in Hartwährung um, in der Erwartung bei Fälligkeit des Kredites nur einen Teil der eingetauschten Hartwährung zur Rückzahlung der Kredite (incl. der Zinsen) zu benötigen. Oder sie verkaufen die Landeswährung auf Termin zu einem bestimmten Kurs in Hartwährung, in der Erwartung, bei Fälligkeit des Termins die Landeswährung für einen geringeren Betrag in Hartwährung kaufen und so den Kontrakt erfüllen zu können. Diese Spekulationen, bei denen es nicht um die Erwartung über die gesamtwirtschaftliche oder Produktivitätsentwicklung einer Wirtschaft, sondern um die Erwartung über die Erwartung anderer Finanzmarktteilnehmer und deren daraus abgeleitete Käufe und Verkäufe geht, führen - wenn ihr nicht durch energische politische Intervention gegengesteuert wird - in der Art von self-fulfilling prophecies zu weiterem Abwertungsdruck. Selbst wenn die Zentralbanken der betroffenen Länder gegensteuern wollten, sind sie dazu in der Regel wegen des unzureichenden Umfangs ihrer Devisenreserven nicht in der Lage. Die Spekulation erzwingt die Freigabe des Wechselkurses, und dies führt zum mehr oder minder freien Fall der Währung - wie in Mexiko in 1994/95 und in Asien 1997 - mit der Folge steigender Importpreise und darauffolgenden Zusammenbrüchen von Unternehmen.

zu 3: Die dritte Stufe der Finanzkrise besteht im Übergreifen von einem Land aufs andere. Es kann durch die Verflechtung des Finanzsektors oder durch Handelsverflechtung vermittelt sein: Die Bankenkrise in Japan führt zum Zusammenbruch japanischer Banken in Korea und wirkt dort krisenauslösend. Die drastische Abwertung im Krisenland setzt die Nachbarländer einem zusätzlichen Konkurrenz- und Importdruck aus, weil das abwertende Land seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit stark verbessert (und andererseits weniger importieren kann). Dadurch verschlechtert sich auch die Leistungsbilanz der Nachbarländer, sofern sei handelsmäßig miteinander verflochten sind. Auf beide Wegen werden Auslöser für eine Finanzkrise importiert, die sich dann nach dem gleichen Muster entwickelt und nach innen vertieft und nach außen erweitert.

Die spezifische Systemfragilität internationaler Finanzmärkte beruht also erstens auf der kurzfristigen internationalen Mobilität von Geld und Kapital, zweitens auf der Existenz verselbständigter Spekulationsströme und drittens der horizontalen und vertikalen Ausbreitungsdynamik zunächst sektoral und regional begrenzter Finanzkrisen. Allerdings sind die Schäden aus solchen Krisen asymmetrisch verteilt: Die Finanzinvestoren oder Gläubiger kommen entweder glimpflich davon, weil sie ihr Kapital frühzeitig in Sicherheit gebracht haben. Vielfach profitieren sie auch noch von der Krise, weil internationale Organisationen oder nationale Regierungen der Herkunftsländer unterstützend einspringen und Umschuldungen herbeiführen, die für die Gläubiger von Nutzen sind. Im übrigen haben die großen Institutionen die Finanzmarktrisiken durch Wertberichtigungen längst auf die SteuerzahlerInnen in den Herkunftsländern abgewälzt. Die betroffenen Länder und hier vor allem die Mehrheit den Nichtbanker müssen die Folgen und Anpassungslasten in vollem Umfang tragen. Aufgrund dieser Asymmetrie bei der Absicherung gegenüber Finanzkrisen und aufgrund der insgesamt relativ geringen Handelsverflechtung mit den asiatischen Krisenländern ist es daher auch unwahrscheinlich, daß die dortige Finanzkrise auch die wirtschaftliche Lage der europäischen Länder stark beeinträchtigen wird. Das wird die Ideologen und Politiker des Neoliberalismus allerdings nicht davon abhalten sie als neuen Disziplinierungsknüppel gegenüber der eigenen Bevölkerung zu benutzen.

3. Das neoliberale Management der Finanzkrise zu Lasten der Betroffenen

Der IWF und die Regierungen der Länder, aus denen in den vergangenen Jahren das Geld gekommen ist, betreiben eine Politik, die in erster Linie den Schutz der Gläubiger im Auge hat. Zu diesem Zweck müssen sie den Krisenländern zunächst Liquidität zuführen um einen völligen Zusammenbruch der Wirtschaften zu verhindern. Diese Liquidität ist reichlich geflossen: 57 Mrd. $ nach Südkorea, 17 Mrd. $ nach Thailand, 33 Mrd. $ nach Indonesien, vorher schon 50 Mrd. $ nach Mexiko.

Mit diesen "Hilfsmaßnahmen" sind allerdings drei Probleme verbunden:

Erstens handelt es sich um Kredite, die zu verzinsen sind und die Schulden und den Schuldendienst der betroffenen Länder drastisch erhöhen. Wenn diese Kredite zurückgezahlt werden sollen, wie das bei Mexiko im vergangenen Jahr geschah, dann kann das nur durch drastische Einschnitte in den Staatshaushalten, zu Lasten des Einkommens, der Arbeitsplätze und der sozialen Sicherung, also des Lebensstandards der Menschen erfolgen, ohne daß dadurch die endogenen Strukturschwächen (etwa das Fehlen von Infrastruktur und Bildung) beseitigt würden.

Zweitens ist die Vergabe dieser Kredite an Auflagen gebunden, die neben der drastischen Verringerung der Staatsausgaben vor allem im sozialen Bereich zusätzlich eine weitere Marktöffnung für ausländische Waren und vor allem für ausländisches Kapital fordern. Im monetären Bereich müssen die Zinsen heraufgesetzt werden, um die Inflation niedrig zu halten. Damit wird aber tendenziell das gleiche Muster der Entwicklung wie bisher provoziert: Hohe Zinsen und offene Märkte locken ausländisches Kapital, das nicht in langfristige Entwicklungsprojekte geht, sondern auf der Suche nach schnellem Gewinn in Immobilien und Finanzaktiva investiert wird.

Drittens hat das politische Management der Finanzkrise den beabsichtigten oder unbeabsichtigten Effekt, die produktiven Potentiale der betroffenen Länder ausländischen Investoren zu Schleuderpreisen auszuliefern: Bei einer Abwertung um 50% und einem Kursverfall um 40% können amerikanische und deutsche Industrieunternehmen Konkurrenzunternehmen etwa in Korea zu einem Fünftel des Preises kaufen, den diese Unternehmen noch vor einem Jahr gekostet hätten - vorausgesetzt, sie wären damals zu verkaufen gewesen. Diese Voraussetzung war in der Regel in den asiatischen Ländern bislang nicht gegeben, weil der ausländische Besitz inländischer Produktionsanlagen bestimmten Beschränkungen unterlag. Es gehört zu den Auflagen, die der IWF im Rahmen seiner Hilfsmaßnahmen durchgesetzt hat, daß diese Beschränkungen aufgehoben werden, wie er auch die Beschleunigung der Privatisierung staatlichen Vermögens zur Auflage gemacht hat. So wird die maßgeblich durch ausländische Kapitalgeber und Spekulanten verursachte Krise dazu genutzt, den produktivsten Teil der Wirtschaft in den krisenbetroffenen Ländern in ausländisches Eigentum zu überführen und damit eine neue Quelle politischer und gesellschaftlicher Konflikte zu schaffen.

4. Alternativen zur Überwindung der aktuellen und zur Vermeidung künftiger Finanzkrisen

Zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise in Asien ist es in der Tat erforderlich, daß den Ländern neue Liquidität zugeführt wird. Sie sollte allerdings nicht - wie geschehen - in Form neuer hochverzinster Kredite, sondern in Form einer zusätzlichen Zuteilung von Sonderziehungsrechten erfolgen, die zumindest teilweise als einmaliger Zuschuß zu den Währungsreserven zu gewähren sind. Hierdurch wird die weltweite Liquidität erhöht, was angesichts des bedrohlichen Wachstumseinbruchs in Asien nur angemessen ist. Es ist auch sinnvoll, einen Teil des Hilfspaketes in Form zinsloser Darlehen zu geben, die den Ländern in Rechnung gestellt werden, die bislang am meisten von den internationalen Finanzmärkten profitiert haben - und die von einem Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems besonders betroffen wären. Das Geld sollte vordringlich zur Ankurbelung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums - zinslose Kredite für Industrieunternehmen etc. - und Infrastrukturmaßnahmen sowie zur Stützung der Binnenkaufkraft durch Ausbau des Sozial- und Bildungssystems verwendet werden. Ein Austeritätsprogramm nach dem traditionellen IWF-Schema ist demgegenüber völlig abwegig und kontraproduktiv und muß korrigiert werden. Dies wird mittlerweile auch von traditionellen Ökonomen zugestanden. Es dürfte allerdings sinnvoll sein, den drastisch überhöhten Bankensektor durch die Schließung besonders unsolider Institute zu verringern.

Neben dieser Einmalaktion sollten Vorkehrungen getroffen werden, die einen erneuten Ausbruch derartiger Finanzkrisen vermeiden. Dazu gehören vor allem drei Bündel von Maßnahmen:

Erstens ist es notwendig, dafür zu sorgen, daß der Umfang des Kapitalflusses in die Länder der Dritten Welt nicht durch den Angebotsdruck der Geberländer und ihrer mächtigen Finanzmarktakteure, sondern durch den Bedarf der Empfängerländer gesteuert wird. Dieser sollte in einem gemeinsamen Gremium der Empfänger- und der Geberländer diskutiert werden. Der Kapitalbetrag, der sich im Ergebnis einer solchen Diskussion ergibt, sollte durch eine internationale Kreditversicherung gegenüber den Gläubigern abgesichert werden, was diesen die Ausreichung von Krediten zu relativ niedrigen Zinsen ermöglicht. Darüber hinausgehende Zuflüsse an Auslandskapital sollten voll zu Lasten der Nehmerländer oder -unternehmen gehen und im Krisenfall nicht geschützt werden. (Einen Vorschlag in diese Richtung hat bemerkenswerterweise Ende des vergangenen Jahres der Finanzspekulant George Soros vorgelegt).

Zweitens sollten die Risiken der internationalen Kreditvergabe und des internationalen Aktien- und Anleihehandels stärker überwacht werden. Die Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute sollten erstens auf Derivate und andere off-balance Positionen und zweitens auf Investmentgesellschaften und andere Finanzinstitute ausgedehnt werden. Schritte in diese Richtung werden gegenwärtig auf der Grundlage eines Vorschlages der BIZ diskutiert.

Drittens sollten die kurzfristigen spekulativen internationalen Geld- und Kapitalbewegungen stark eingeschränkt werden.
Dies kann zum einen geschehen durch marktkonforme Mittel wie die Einführung von Devisentransaktions (Tobin)- oder Zinsausgleichssteuern oder Hinterlegungspflichten für grenzüberschreitende Kapitalströme. Hierdurch werden kurzfristige Arbitragegeschäfte und Wechselkursänderungsspekulationen verteuert und der Teil, der durch die Erwartung kurzfristiger marginaler Gewinnmitnahmen getrieben wird, wirksam verhindert. Bei langfristigen Direktinvestitionen dagegen spielt eine auf den Umsatz bezogen einmalige Steuer kaum eine Rolle in der Renditekalkulation. Zum Ausgleich der Belastung des internationalen Handels durch eine solche Devisenumsatzsteuer könnte - ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand - die bei der Einfuhr erhobene Umsatzsteuer um einen entsprechenden Prozentsatz vermindert werden.
Bei Spekulationen, die sich auf erhebliche Wechselkursveränderungen im Laufe einer größeren Zeitspanne richten, bleiben derartige Maßnahmen wirkungslos. Hier ist die ausnahmsweise und befristete Einführung von Kapitalverkehrsbeschränkungen sinnvoll und möglich (wie sie übrigens auch für die EU entgegen allgemeiner Auffassung durch Art. 73c des EG-Vertrages zugelassen wird). Die Abschaffung der letzten Möglichkeiten für derartige Kapitalverkehrsbeschränkungen durch die Auflagenpolitik des IWF sollte gestoppt und durch ein transparentes und berechenbares Reglement für derartige Notmaßnahmen ersetzt werden.
Langfristig ist es allerdings erforderlich, zur Herstellung einer funktionsfähigen Weltwährungsordnung zu einem System globaler monetärer Kooperation zurückzukehren, das einerseits einen Druck auf den Ausgleich von Leistungsbilanzen nach allen Seiten, also auch in Richtung auf die Überschußländer ausübt und andererseits nichtdiskriminierende Unterstützung bei der Finanzierung von Entwicklung in Ländern der Dritten Welt zur Verfügung stellt.

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