Betrieb & Gewerkschaft
Offener Brief
An den Betriebsrat und die Vertrauenskörperleitung des Daimler Werkes in Berlin Marienfelde, an die Ortsverwaltung Berlin, die Bezirksleitung Berlin-Brandenburg
und den Vorstand der IG Metall


Forum Betrieb, Gewerkschaft und Soziale Bewegung Berlin

01/10

trend
onlinezeitung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit Erstaunen müssen wir registrieren, dass gegen organisierte und engagierte GewerkschafterInnen im Daimler Werk Berlin-Marienfelde mit Ausgrenzung und der Drohung eines Ausschlusses aus der IG Metall reagiert wird, nachdem sie die Anerkennung als eine weitere IGM-Liste zur Betriebsratswahl beantragt hatten. Wir dachten die Zeiten der Ausschlüsse oppositioneller KollegInnen und Listen gehören der Vergangenheit an.

Wie in zahlreichen Betrieben, so gibt es auch unter den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten bei Daimler in Marienfelde unterschiedliche Vorstellungen über Inhalt, Ziele und Methoden der Interessenvertretung durch den Betriebsrat. Die Kontroversen sind augenscheinlich so groß, dass die Aufstellung einer gemeinsamen Liste weder möglich noch sinnvoll erscheint. Die KollegInnen der „Alternative“ nehmen schlicht ihr Recht aus dem Betriebsverfassungsgesetz war. Mit ihrer Beteiligung an den Betriebsratswahlen verschaffen sie dem Teil der Belegschaft eine Stimme, der sich durch die jetzige Betriebsratsmehrheit nur unzureichend oder nicht mehr vertreten fühlt.

Die Geschlossenheit – nicht nur der IGM sondern möglichst der gesamten Belegschaft – ist notwendig in der praktischen Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber. Sie in der Debatte um gewerkschaftliche Ziele und zu den Betriebsratswahlen einzufordern, läuft darauf hinaus, bürokratische Maulkörbe zu verhängen. Geschlossenheit setzt Einsicht und Überzeugung voraus. Die kann man nicht verordnen, sie kann nur das Ergebnis einer freien, kontroversen
und öffentlichen Debatte sein.

Bei den Betriebsratswahlen 2010 geht es nicht nur bei Daimler um die Frage: Können die Betriebsräte die Belange der Belegschaften am besten vertreten in enger Kooperation mit den Arbeitgebern oder sollen sie auf eine eigenständige Interessenvertretung auch in Konfrontation mit den Geschäftsleitungen setzen?

Dabei geht die Konfrontation zunehmend von den Unternehmen und ihren Verbänden aus, die weder Rücksicht auf die Interessen ihrer Beschäftigten noch auf bisher praktizierte Methoden der Sozialpartnerschaft nehmen. Sollen sich die gewerkschaftlichen Interessenvertreter in den Betrieben den Diktaten ihrer Firmenleitungen beugen, um den sozialen Frieden und die „Partnerschaft“ mit „ihren“ Unternehmen nicht aufs Spiel zu setzen?

Diese Fragen gehören unseres Erachtens offen diskutiert. Sie lassen sich, auch mit Hinweis auf Satzungsbestimmungen und der Drohung des Gewerkschaftsausschlusses nicht unterbinden.

Wir sind der Meinung, dass euer Verhalten und eure Androhungen, die Kollegen der Alternative auszuschließen, Ausdruck einer zutiefst undemokratischen Herangehensweise sind. Wir sind der Meinung, dass es die Aufgabe aller fortschrittlichen Gewerkschaftsmitglieder ist, sich für die innergewerkschaftliche Demokratie einzusetzen und
diese einzufordern und undemokratische Strukturen und Verhalten zu bekämpfen.

Wir bedauern außerdem die u.a. Absage der Ortsverwaltung, der Betriebsratsmehrheit und der VK-Leitung, an unserer Veranstaltung(1) zu diesem Thema nicht teilzunehmen und sich der offenen und öffentlichen Debatte nicht zu stellen.

Forum Betrieb, Gewerkschaft und Soziale Bewegung Berlin
4.1.2010

 

Editorische Anmerkungen

Den Brief bekamen wir von den AutorInnen.

1) Gemeint ist die Veranstaltung am 24.11. 2009 in der Medienwerkstatt, Dudenstr. Berlin.