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Veröffentlicht in der Jungen Welt nach dem 18. Januar 1997
Linke Links: Mit trend im Netz
Unbegrenzte Textmengen: Von der Gewerkschaftszeitung zur »virtuellen Flugibörse«von Ann Stafford
Das World Wide Web (WWW), das weltweite Computernetz, kennt kein Privateigentum. Jede Person hat Zugang, vorausgesetzt sie hat einen Computer mit Netzanschluß. Nach dem Vorbild des Amsterdamer »xs4all« (Zugang für alle) können linke Gruppen bei »BerliNet« und der Berliner online-Zeitung trend ihre Texte kostenlos im Computernetz veröffentlichen.
Rund 50 Menschen, mehrheitlich männlich, versammelten sich am vergangenen Sonnabend im Kreuzberger Jugend- und Freizeitzentrum Chip und feierten den ersten Geburtstag von trend, einer Zeitung, die nicht als Papierausgabe existiert, sondern nur am Computerbildschirm zu bewundern ist. Das Projekt will eine linke und radikale Gegenöffentlichkeit im Internet schaffen und fügt die deutschsprachigen Texte monatlich zu einer Art »virtueller Flugibörse« (Zitty) zusammen. Wöchentlich werden Berliner Veranstaltungstermine im WWW den Leserinnen zur Verfügung gestellt. 4000- bis 6000mal monatlich werden die trend-Seiten besichtigt.
Bei trend und BerliNet veröffentlichen die unterschiedlichsten Gruppierungen, von der antinationalen Zeitung bahamas über die Antirassistische Initiative, das anarchistische Wochenblatt A-Kurier, die Irisch-Republikanischen Nachrichten bis hin zum Forum für libertäre Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung espero. trend sei eine Plattform von unterschiedlichen linken Strömungen, von denen einige sonst nicht miteinander reden würden, freut sich Redaktionsmitglied Karl-Heinz Schubert. Für ihn ist trend ein Beitrag zur Dialogfähigkeit der Linken, um Leute an einen Tisch zusammenzubringen, damit sie endlich gemeinsam ein Projekt entwerfen, um die Gesellschaft zu überwinden. Zweck der Zeitung sei die »radikale Kritik der kapitalistischen Verhältnisse und die Aufhebung der warenproduzierenden Gesellschaft«, sagt Schubert.
Auf Papier existierte trend als Kreuzberger Zeitung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), berichtete auch über außergewerkschafti-che Themen und kritisierte den mangelnden Antirassismus bei der GEW Der GEW-Bezirksleitung paßte die Ausgabe vom Juni 1995 gar nicht, sie wollte sie einstampfen und strich die Gelder für die Druckkosten. Die Redaktion brachte die Ausgabe in Eigenregie heraus und entschloß sich dazu, sich der Zensur mit dem Gang ins Computernetz zu entziehen. Hinzu kamen Mitglieder des Westberliner Info, das 1990 zuletzt erschien. Am 18. Januar 1996 erschien trend erstmals im Netz.
Eine trend-Ausgabe besteht aus 70 bis 120 Dateien. Durch den unbegrenzten Speicherplatz könnten Beiträge nicht ohne weiteres abgewiesen werden wie bei Papierausgaben, denn das Argument »Tut uns leid, wir haben unsere 40 Seiten schon voll, vielleicht bringen wir den Artikel nächstes Mal«, ziehe hier nicht, es müsse eine inhaltliche Auseinandersetzung geführt werden, warum ein Artikel nicht erscheine, erläutert Schubert. Auch sonst ändert sich im Internet die Arbeitsorganisation für die Redaktion völlig. Es besteht die Möglichkeit von Querverweisen auf andere Web-Seiten, sowie auf Archive von älteren Zeitschriftenausgaben. Es können Flugblätter und andere Texte zur Verfügung gestellt werden, die nicht mehr im Alltagszugriff erhältlich seien. So sei bei trend ein vergriffener Text von Robert Kurz von einigen hundert Leuten auf die eigene Festplatte geladen worden. Zum Thema 40 Jahre KPD-Verbot veröffentlichte trend eine Serie. Damit könne wichtiges Wissen, das nicht untergehen dürfe, als gesellschaftlicher Gedächtnisspeicher erhalten bleiben, sagt Schubert.
Die Adresse von trend im Netz: http:/www.berlinet.de/Trend/