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Der 2. Juni 1967
Eine kleine Materialsammlung zum 50. Jahrestages
eines erschütternden Ereignisses


Zwei Flugblätter des SDS zum Schahbesuch

 

Abschrift vom Original

Praktizierter Notstands-Staatsbesuch

                      
  
SDS                        SDS

Wir regen uns noch gar sehr über die nicht vollständig verabschiedeten Notstandsgesetze auf, wollen aber nicht begreifen, daß in der tatsächlichen Praxis des bundesrepublikanischen Alltags die staatliche Gewaltmaschine sie schon längst angewendet werden!

Die Vollversammlung der geistigen Impotenz, der Herrschenden der „freien Welt", die Trauerfeierlichkeiten für K. A., mobilisierte einen „Schutzapparat" gigantischen Ausmaßes:

CIA-Bullen mit kaum versteckten Maschinenpistolen (im Dom etc.), illegale Hausdurchsuchungen, Terrorisierung politischer Minderheiten, Mobilisierung der vorhandenen Polizeireserven, Einsatz von Hubschraubern, stundenlange Wartezeit für die Autofahrer u.a.m. sollen uns zeigen, wie wenig es sich lohne, gegen Notstandsgesetze zu unternehmen, wie wenig Chancen für den Widerstand gegeben sind, wie herrlich wir geschützt sind.

Die Anwesenheit des Schah in der BRD und West-Berlin bringt eine Reproduktion des Einsatzes der Gewaltmaschinerie auf erweiteter Stufenleiter. Das ging sogar der BZ zu weit, die sich nicht scheute, am 29. Mai von der Notstandsübung der Polizei zu sprechen, sich mehr Händeschütteln für den Schah und seine gebärfreudige Farah wünschte.

Der Schah kann sicher sein, noch sind die entstehenden Kampforganisationen der verelendeten persischen Bauern nicht stark genug; das Attentat ist Beginn der sozialen Revolution, des unmittelbaren Kampfes gegen die Herrschaft.

Aber wir sind schon lange nicht mehr sicher, von Monat zu Monat wird die Lage unsicherer. Die ,,Große Koalition" brachte die große Furcht um den Arbeitsplatz für 100.000sende. Durch Konzessionen wie Erhöhung des Arbeitslosengeldes, durch Schillersche Reime über die kommende Konjunktur, durch systematisch gelenkte Krisenpsychose, durch circensisch inszenierte Schauspiele wie Staatsbesuche, sogar durch Trauerfeierlichkeiten, werden die Massen bei der Stange gehalten.

Die Notstandsübung in den Tagen des Schahbesuchs ist eine Fortsetzung dieser Praktiken.

Begreifen wir endlich die Situation: Die schon abgeschaffte Demokratie besteht als leere Form weiter. Wir allein füllen sie mit Inhalt, wenn wir die Notstands-Spielregeln der Herrschenden bewußt durchbrechen, die akademische Würde verlieren und realdemokratisches Niveau gewinnen.

Freitag 12 Uhr s.t. Rathaus Schöneberg. 19.30 Uhr Oper!

Quelle: APO-Archiv ZI6: Akte E0702 FU/TU, „Flugblätter... Juni 1967"

Abschrift vom Original

Die Vereinigten Staaten, die Befreiungsbewegungen und die Sowjetunion

                      
  
SDS                        SDS

Tschombe, H.H. Humphrey und andere Charaktermasken brutaler Willkür und autoritärer Herrschaft über die in Unmündigkeit und Bewußtlosigkeit gehaltenen Menschen, trugen sich in den letzten Jahren ins 'Goldene Buch' der Stadt West-Berlin ein; ihnen zu Ehren wurden Bankette gegeben, protestierende Menschen verprügelt und festgenommen, universitäre und allgemeine Flaggen verhöhnt.

Senat und Rektorat nahmen beim Humphrey-Besuch Partei gegen die Opfer des Krieges in Vietnam, der von der amerikanischen Machtelite mit zynischer Klarheit als Präventivkrieg gegen die Sozialrevolutionären Bewegungen in der dritten Welt, speziell Lateinamerikas, geführt wird.

Eine wie auch immer geartete Niederlage der größten Kriegsmaschinerie der Welt in Vietnam, wäre Ausgangspunkt neuer und tieferer Befreiungskämpfe der Völker, die ihrer wachsenden Verelendungstendenz durch emanzipatorischen Aufstand begegnen müssen. Dieser Perspektive sehen die amerikanische Machtelite und die noch immer stalinistischen Bürokraten von Ost-Berlin bis Moskau mit Schrecken entgegen:

erstere haben erkannt, daß ein zweites Vietnam in Bolivien oder Brasilien den Kampf um Sein oder Nichtsein der amerikanischen Weltpolizisten-Rolle, des eigenen gegenwärtigen Gesellschaftssystems überhaupt einleitet;

letztere sehen nicht minder scharf, daß eine sich durch Politisierung der Gesamtbevölkerung emanzipierende 'dritte Welt' die autoritäre Herrschaft der Bürokraten über die Massen in große Gefahr brächte, ist es doch spezifisches Kennzeichen jedes 'marxistischen' Revisionismus, die Entfremdung zwischen Partei und Massen durch Gewalt aufrechtzuerhalten, nichts für die Bewußtwerdung der Menschen zu initieren, die menschliche Emanzipation verhindern.

Daraus ist auch die ambivalente Haltung der Sowjetunion im Vietnamkonflikt, ihre Waffenlieferungen an den panzerwesten-sicheren Schah, der einzig und allein sich durch seine von den Amerikanern primär getragene Militärdiktatur halten kann, zu erklären. Der Schah ist da, kommt auch nach Berlin, die Polizei probt den Notstand, schrieb sogar die BZ vom 29.5.67. Proben wir ihn auch: wie und mit welchem Aktionsformen können wir die Notstandssituation durchbrechen? Am 2.6. haben Sie Gelegenheit, Demokratie unter 'spezifischen' Bedingungen zu praktizieren.

Freitag 12 Uhr s.t. Rathaus Schöneberg. 19.30 Uhr Oper!

Quelle: APO-Archiv ZI6: Akte E0702 FU/TU, „Flugblätter... Juni 1967
 


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