Vor 30 Jahren: Mauer kaputt.

Dem Volke zugewandt

von Nachdenken über die Beschlüsse der 9. Tagung des Zentralkomitees

von Manfred Banaschak

Stürmisch bewegte Wochen, in denen Führung und Führungsqualitäten in beson­derem Maße gefordert waren, liegen hinter uns - und ganz gewiß nicht weniger fordernde Zeiten vor uns. Die Geschicke unserer Republik und unserer Partei ge­boten es, unausweichlich gewordene Entscheidungen zu treffen. Mit Anstand und Würde, in bleibender Hochachtung gegenüber dem scheidenden Generalsekretär wurde durch das Zentralkomitee mit der Wahl des Genossen Egon Krenz zum Ge­neralsekretär, mit der Einschätzung der politischen Lage und den ersten daraus ge­zogenen Folgerungen eine den Erfordernissen entsprechende Wende eingeleitet.

Entscheidend für die vom Zentralkomitee gefaßten Beschlüsse war vor allem die Notwendigkeit, daß unsere Partei wieder zu ihrer Führungskraft findet. Führen be­deutet letztlich, sich an die Spitze erforderlicher Veränderungen zu stellen, die Wirklichkeit in ihrer Entwicklung realistisch einzuschätzen und die Weichen des politischen Kampfes rechtzeitig richtig zu stellen. Und das heißt, zu den diskutier­ten Fragen Position zu beziehen, offen zu sagen, warum wir das eine oder andere so und nicht anders sehen. Und es heißt zugleich hinzuhören, auf Stimmungen und Bedürfnisse der Bürger feinfühlig zu reagieren, Meinungen aufzugreifen und sich eben so an die Spitze notwendiger Veränderungen zur Sicherung und Stärkung des Sozialismus zu stellen.

Über Wort und Tat

Es war durchaus im Sinne dieser Erkenntnis, daß das Zentralkomitee bereits vor längerem beschloß: Wir werden in Vorbereitung des XII. Parteitages alles Be­währte erhalten und zugleich alles, was uns am Vorwärtsschreiten hindert, ent­schlossen über Bord werfen und vieles auf neue Weise in Angriff nehmen. Nur galt es, dies zu konkretisieren, vor allem präzis zu benennen, was sich nicht oder nicht mehr bewährt und folglich welchem Neuen zu weichen hat, in aller Öffentlichkeit Antworten auf viele drängende und neue Fragen zu suchen und auch zu geben, statt einander lediglich hinter der vorgehaltenen Hand Wahrheiten ins Ohr zu flü­stern. Gebot unserer sozialistischen Moral ist es, offen und ehrlich die Probleme de­nen zu erklären - nein: sie mit denen zu klären, die sie letztlich zu lösen haben, de­nen unsere Republik Heimat ist, die Anspruch darauf haben, ihre Zukunft in dieser Heimat selbst lebenswert mitzugestalten.

Und zu diesen Problemen gehören auch solche, die so neu gar nicht sind, nur eben noch immer nicht gelöst worden sind - teils auch noch nicht gelöst werden konn­ten - und ebendeshalb, vor allem weil sie nicht öffentlich gemacht wurden, zu Fru­strationen führten. Und während diese Fragen der Beantwortung, zumindest öf­fentlicher Erörterung, harrten, liefen Tausende und aber Tausende davon - ganz physisch oder „nur" im Kopf.

Es ist offensichtlich: Wir haben, wie das Zentralkomitee feststellte, die gesellschaft­liche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht realistisch genug einge­schätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlußfolgerungen gezogen. Unser Ge­wissen und unsere Verantwortung gebieten, den Ursachen des Vertrauensverlustes in unsere Partei auf den Grund zu kommen, rückhaltlos darüber zu sprechen und daraus die erforderlichen Folgerungen abzuleiten. Wir haben aber keine Zeit zu verlieren, daraus die wichtigste Konsequenz zu ziehen und unsere Kräfte darauf zu konzentrieren, mit allen und für alle, denen unsere Republik Heimat ist, die für eine lebenswerte Zukunft aller erforderliche Wende zu vollziehen. Sie unumkehr­bar zu machen gebietet allemal, als Genossen enger zusammenzurücken, einander zu helfen und voranzubringen, im engen Schulterschluß aller Kampfgefährten mutig das Wort unserer Partei in die kontroversen Diskussionen einzubringen, durch die offene, ehrliche Positionsbestimmung in allen bewegenden Fragen und durch die davon geprägte dauerhafte Erfahrung unseres Umgangs mit Widersprüchen und ihrer Lösung darauf bedacht zu sein, Vertrauen zurückzugewinnen. „Eine Partei wie unsere", sagte Genosse Egon Krenz, „hat keine anderen. Interessen als das Volk. Wenn es um dessen Geschicke geht, zählt vor allem der Mut zur Wahrheit, zählen Überzeugungskraft und Standhaftigkeit. Dazu bekennen wir uns mit dieser Tagung des Zentralkomitees erneut. Unser Gesicht ist dem Volke zugewandt."(1)

Daß die Gegner den Sozialismus schmähen und angesichts seiner zweifellos kom­plizierten Entwicklungsprobleme Morgenluft wittern, daß sie glauben, die Stunde habe geschlagen, ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern, zu kapitalistischen Verhältnissen zurück zu „reformieren" und die DDR durch eine „operative Wieder­vereinigungspolitik" womöglich „heim ins Reich" des Kapitals zu holen - wen wundert's? Doch darüber, wie gefährlich solche Absichten gegenüber der DDR sind, keinen Zweifel aufkommen zu lassen ist für uns von besonderem Belang. Er­stens geht es um unser Land, um all das, was wir geschaffen haben und in Ver­wirklichung vom Volk getragener sozialistischer Werte und Ideale weiter schaffen wollen. Zweitens läßt sich von einer Position des Einverleibens der DDR ausge­hend nichts bewegen, was notwendig und bei Vernunft und gutem Willen, unter der Voraussetzung völliger Gleichberechtigung, möglich wäre zur Entwicklung gutnachbarschaftlicher einvernehmlicher Beziehungen zwischen den beiden deut­schen Staaten; von ihr ausgehend gibt es kein Nachdenken über realistische Per­spektiven in ihren Beziehungen. Statt selbstgerechten Beharrens auf unrealisti­schen Positionen ist auch dortzulande Wandel geboten. Überdies is,t die politische Stabilität der DDR aufgrund ihrer geostrategischen Lage von Gewicht für die ge­samte sozialistische Welt und für die sich in ihr vollziehenden Wandlungsprozesse zur Ausprägung ihres den neuen Erfordernissen entsprechenden sozialen Charak­ters.

Um so notwendiger und verantwortungsvoller ist es - so das Wort der jüngsten Ta­gung des Zentralkomitees -, daß wir über uns selbst gründlich nachdenken, xiie Wirklichkeit ungeschminkt zur Kenntnis nehmen, uns ernsthaft fragen, warum Zweifel in die Kraft und Zukunft des Sozialismus bei uns Nährboden finden, und daraus alle erforderlichen Konsequenzen ziehen, indem insbesondere Wider­spruchslösungen nicht dadurch erschwert werden, daß Widersprüche selbst nicht offenbart werden. Wenn Bürger in so großer Zahl unser Land verlassen, wenn sie glauben, hier keinen Lebensinhalt, keine Perspektive mehr zu finden, wenn gerade Jugendliche, Kinder unserer Revolution, uns den Rücken kehren, dann ist es höch­ste Zeit, Aufschluß darüber zu schaffen, was wir im Innern zu verändern haben. Der Verlust jedes einzelnen schmerzt, und zwar nicht nur als Verlust von Arbeits­kraft, sondern viel schümmer noch: als Verlust von Vertrauen und Zuversicht.

Das vor allem muß uns an die Nieren gehen, fordert uns heraus, uns selbst ernst­haft zu befragen; denn die Ursachen dieses Vertrauensverlustes hegen tiefer als nur in der Sprachlosigkeit während einiger Wochen oder in der Fehleinschätzung der Lage während einiger Monate und den daraus nicht rechtzeitig gezogenen Fol­gerungen. Die notwendige, für die Zukunft des Sozialismus unabdingbare Wende in unserem Lande muß daher mit der Wende in unserer Partei beginnen, mit dem Mut zur ganzen Wahrheit, um daraus die Kraft zu gewinnen, die wir brauchen, um den notwendigen tiefgreifenden Wandel zur Erneuerung des Sozialismus zu vollzie­hen.

Ohne Zeitverzug, aber wohl bedacht

Alle sind sich darin eins, daß erforderliche Veränderungen keinen Zeitverzug dul­den. Sie drängen in der Tat, weil davon Wohl und Wehe unseres Volkes abhängen, weil die Bürger an den Taten die Ehrlichkeit der Worte messen. Sie dulden aber auch keine Unbedachtheit. Manches läßt sich nicht nur sofort angehen, sondern ist ja zum Teil schon nicht mehr nur Erwartung, wenn man z. B. daran denkt, daß die Medien durch ihr öffentlich gemachtes Problembewußtsein wieder Interesse fin­den. Jedenfalls sind sie - das ist ganz offensichtlich - auf dem richtigen Weg. Auch was die Reisemöglichkeiten ins Ausland wie die Sicherung und den Ausbau unse­rer Rechtsstaatlichkeit angeht, so sind hier nicht nur eindeutige Zeichen gesetzt, sondern bereits konkrete Schritte eingeleitet. Und das, obwohl uns manche Lösun­gen gewiß neue-, auch schmerzliche Probleme schaffen werden, z. B. was die Kon­sequenzen aus den weitgehenden Reisemöglichkeiten für die Lösung anderer drän­gender Probleme, vor allem in der materiellen Produktion und damit in der Verbes­serung der Versorgung der Bevölkerung, betrifft.

Anderes braucht beim besten Willen seine Zeit, nicht, weü es etwa nicht ernst ge­nommen würde, sondern gerade weil es sehr ernst genommen wird. Aber wenn man nicht Gefahr laufen will, durch kurzschlüssige Entscheidungen womöglich größeren Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften, muß die jeweils erwartete Lö­sung in allen ihren Zusammenhängen und Konsequenzen sorgfältig bedacht sein. Es ist unredlich oder zeugt von Unverständnis für die Kompliziertheit und Viel­schichtigkeit mancher Probleme, das gebotene Nachdenken darüber als „auf die lange Bank schieben", als „Hinhaltetaktik" abzutun.

Niemand kann dekretieren, ab morgen habe es kein Schlangestehen an den Kassen in den Kaufhallen und keine Lücken mehr im Angebot zu geben. Dafür sind Vor­aussetzungen zu schaffen. An der fleißigen, redlichen Arbeit führt letztlich kein Weg vorbei, aber auch daran nicht, sie kraftvoll zu motivieren durch eine Verän­derung des Wirtschaftsmechanismus, durch eine auf hohe Effektivität gerichtete Wirtschaftsreform. Anders wird es nicht möglich sein, die von Arbeitern immer wieder beklagten, sich schließlich in allgemeinem Verdruß äußernden Mißstände auszuräumen, wie die Diskontinuität in der Produktion, die ungenügende Durch­setzung des Leistungsprinzips, die Disproportionen zwischen Produktion und Wa­renangebot, die schleppende Umsetzung wissenschaftlich-technischer Erkennt­nisse in die Praxis der Produktion und die unzureichende Exporteffektivität.

Die Fragen, die es damit zu beantworten, die Dinge, die es zu verändern gilt, sind zu vielfältig und in ihren Zusammenhängen zu vielseitig, als daß irgendwer dafür im genialen Alleingang gleichsam über Nacht ein taugliches Gesamtkonzept gebä­ren könnte, das auf jede Frage eine hinreichend klärende Antwort bereit hielte. Aber nicht nur das. Es würde auch dem Wesen des gewollten Wandels nicht ent­sprechen, der ja gerade durch Gemeinsamkeit im Suchen nach Antworten auf die sich uns allen stellenden Fragen gekennzeichnet ist, durch den Dialog, durch das gemeinsame Abwägen des Für und Wider der einen oder anderen Antwort, um schließlich zu Entscheidungen zu kommen, die - und zwar mit allen auch daraus wiederum erwachsenden Problemen - von allen oder zumindest von der weitaus überwiegenden Mehrheit getragen werden.

Sozialistische Demokratie - nichts Statisches

Die Wahrheit muß - das wurde auf der Tagung des Zentralkomitees deutlich - im Dialog gesucht und nicht vorab verkündet werden. Das gilt für den ganzen jetzt eingeleiteten Wandlungsprozeß. Es wäre nicht nur leichtfertig, sondern würde dem Wesen ebendieses Wandels widersprechen, wollte man versucht sein, ihn heute schon in allen seinen Aspekten exakt abzustecken. Es entspricht vielmehr jener an­gestrebten lebendigen sozialistischen Demokratie, wenn eben nicht von einem Tag zum anderen „von oben" Maßnahmen verkündet werden, sondern ebenso rasch wie gründlich in den dafür zuständigen Gremien Vorschläge erarbeitet werden, die dann mit allen, die sie betreffen, mit dem ganzen Volk, erörtert werden, um sie, ge­tragen vom Willen des ganzen Volkes, schließlich für alle verbindlich zu regeln. Das hat mit Vertrösten oder Verzögerungstaktik nun wahrlich nichts gemein. Wer mit solchen Vorwürfen operiert, merkt offenbar gar nicht, in welch eklatantem Widerspruch er sich bewegt, wenn er einerseits einklagt, die Bürger müßten stärker in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, es müsse breiter und gründlicher über zu treffende Entscheidungen diskutiert werden, und zugleich erwartet, daß bereits morgen über alle zur Sprache gekommenen gravierenden Probleme Ent­scheidungen gefällt werden.

Wir meinen es ernst mit der Entwicklung der sozialistischen Demokratie. Mit allen Bürgern sind wir dialogbereit, willens zu beraten, wie jene, die Jungen und auch die Alten in unserem Lande bewegenden Probleme gelöst werden können - durch neu motivierte Tat, denn nur wenn das gemeinsame Gespräch in gemeinsames Handeln mündet, ist lösbar, was uns heute gemeinsam bewegt. Um so notwendiger ist es, nach eruptivem Aufbruch von Frustrationen und Emotionen zum konkreten, sachbezogenen Austausch von Gedanken zu finden.

Es ist unser aller Land. Alle, auch anders als wir Denkende, sollen sich darin zu Hause fühlen können. Um uns darin zusammen gut einrichten zu können, müssen wir in gegenseitiger Achtung aufeinander zugehen, einander zuhören, miteinander sprechen - und auch streiten, davon ausgehend, daß der Konsens durch Austragen des Dissenses erreicht wird, bei allem Dissens aber der Sozialismus auf deutschem Boden nicht zur Disposition steht, daß seine Werte, Ideale und das in harter Arbeit zu ihrer Erfüllung Erreichte unantastbar sind.

Wie der Sozialismus überhaupt, so war und ist uns auch die sozialistische Demo­kratie in ihren Formen und Erscheinungen nichts Statisches, nichts ein für allemal Gegebenes. Wie sie sich entwickelt, das hängt vom gesamtgesellschaftlichen Reife­prozeß, davon ab, wie der Sicherung und Stärkung des Sozialismus und dem Wohl der Bürger in ihm am besten gedient wird. Das heißt, das Kriterium ist einzig und allein das Wohl der Menschen im Sozialismus. Nur: Worin die Bürger - über das in vier Jahrzehnten gemeinsam Erarbeitete und Erworbene hinaus - ihr Wohl sehen, wie sie es mitentwerfen und mitgestalten wollen, darüber gut es, sich in offener Aussprache zu verständigen, um es gemeinsam anzupacken.

Wenn wir unser Leben weiter demokratisieren, unseren sozialistischen Pluralismus weiter ausgestalten, dann gehört dazu die Bereitschaft, mit Divergenzen in den Auffassungen zu leben, das Verständnis dafür, daß die breite Entfaltung der soziali­stischen Demokratie es zur Normalität werden läßt, mit Unterschieden in den Auf­fassungen zu leben, die sich demokratisch artikulieren. Diesen Weg zu beschreiten setzt jedoch voraus, daß er von niemandem zu ungesetzüchem Handeln, zu verant­wortungslosen Gewalt- und Zerstörungsakten mißbraucht wird. Weder Gewaltakte noch -parolen haben Platz in dem großen Klärungsprozeß in unserem Lande. Alle, denen unsere Republik, denen der Sozialismus etwas gut, sind aufgerufen, sich zur Sicherung von Ruhe und Ordnung, zum Schutz der friedlichen Arbeit und der Werte, die wir uns alle geschaffen haben, und gerade auch im Interesse der ange­strebten Erneuerungen von jenen abzugrenzen, die Chaos und Gewalttaten zu or­ganisieren trachten, die außer Kontrolle geraten und unabsehbare Folgen haben könnten. Alle Probleme in unserer Gesellschaft - davon lassen wir uns leiten -sind politisch lösbar.

Die kommunistische Identität eines Genossen

Wir richten den Bück nach vorn, auf die Ausgestaltung unserer sozialistischen Ge­sellschaft, auf ihre fortwährende Erneuerung. Aber wir haben auch keinen Grund, die Vergangenheit auszuklammern. So unwürdig für Kommunisten penetrante Selbstbeweihräucherung ist, so brauchen wir uns doch mit dem in unserer Repu­blik Geschaffenen nicht zu verstecken. „Es gibt keinen Grund, Erreichtes geringzu­schätzen und in Frage zu stellen, nur weil noch nicht Erreichtes neue Fragen auf­wirft."(2) Das erlebbar Geschaffene wiegt im Streit um die weitere Gestaltung des Sozialismus. In dieser Auseinandersetzung sind die Medien gefordert, aber nicht nur sie, hier sind alle Genossen, Freunde und Mitstreiter im engen Schulten Schluß zusammenrückend gefordert. Die Standfestigkeit, die kommunistische Identität eines Genossen erweist sich gerade dann, wenn Stürme aufziehen, wenn es heißt, mit Wort und Tat, einheitlich und geschlossen handelnd, verläßlich aufeinan­der bauend, für unsere Partei einzustehen. Über vieles wird kritisch und selbstkri­tisch geredet und weiter gründlich zu reden sein, um aus Fehlern zu lernen. Diese kritische Selbstprüfung könnte jedoch ihren Sinn verlieren, wenn wir unsere Ener­gien in diesem Klärungsprozeß nicht darauf richten würden, die eingeleitete Wende unumkehrbar zu machen und niemandem zu gestatten, an den sozialisti­schen Grundpfeilern unseres Staates zu rütteln.

Damit stellen sich methodisch und inhaltlich neue Anforderungen. So gut es, den Streit, die kontroverse Auseinandersetzung unter den neuen Gegebenhei­ten führen zu lernen und mutig in sie einzugreifen. Auch inhaltlich müssen wir uns neuen Fragen stellen wie auch solchen, die zwar nicht neu sind, aber unter den neuen Bedingungen erneuter Klärung bedürfen. Ein Dialog über die weitere Ge­staltung des Soziahsmus mit jenen, die uns gegenüber Vorbehalte haben, sich aber zum Soziahsmus bekennen, setzt z. B. allemal die Verständigung darüber voraus, was denn Soziahsmus überhaupt ist, was ihn ausmacht und worauf er sich unver­zichtbar gründen muß. Andernfalls redet man aneinander vorbei und findet keinen Konsens für seinen weiteren Ausbau. Das setzt zugleich voraus, daß wir uns über unser Sozialismusbild und darüber klar werden, wie es aussehen muß.

Darüber nachzudenken, wie im Geist unserer zutiefst humanistischen Vorstellun­gen der Welt von morgen ganz konkret und sehr prosaisch der Alltag hier und heute zu gestalten ist, um jedermann erfahren zu lassen, daß wir um eine für alle lebenswerte Zukunft in unserer Heimat streiten - das steht auf der Tagesordnung. Dazu gilt es jetzt, mit allen, denen es um unsere Repubük, um den Sozialismus geht, eine ebenso sachliche wie kühne, vorwärtsweisende, den Interessen der Bür­ger Rechnung tragende Konzeption zu erarbeiten. Die „Einheit" wird im Prozeß auch kritischer Selbstprüfung ihren Beitrag darin einbringen.

1) Rede des Genossen Egon Krenz 9. Tagung des Zentralkomitees der SED, Neues Deutschland, 19. Oktober 1989, S. 1
2) e
benda, S. 2
 

Quelle: Einheit - Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, herausgegeben vom ZK der SED,  44. Jahrgang,  Berlin, 19.10.1989, Nr. 11-1989, S.979 - 983 / ocr-scan red. trend

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