Vor 30 Jahren: Mauer kaputt.
MfS,ZAIG, Nr. 336/89 Berlin, 8.7.1989
Information an Honecker, Jarowinsky, Krenz, Schabowski, Kraußler, Löffler, Dohlus, Mittig, intern MfS
Streng geheim! Um Rückgabe wird gebeten!

Information über die Unterbindung einer von feindlichen, oppositionellen Kräften am 7. Juli 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, geplanten Provokation

Die von feindlichen, oppositionellen Kräften am 7. Juli 1989 in Fortsetzung bisheriger provokatorisch-demonstrativer Aktivitäten im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen im Mai beabsichtigte „Sitzdemonstration" auf dem Alexanderplatz wurde unterbunden.

Die in diesem Zusammenhang angewiesenen Maßnahmen wurden im Rahmen des durchgeführten Sicherungseinsatzes in ihrer Gesamtheit konse­quent realisiert; sie erwiesen sich erneut als richtig und zweckmäßig. Das Zusammenwirken zwischen den Schutz- und Sicherheitsorganen und den einbezogenen gesellschaftlichen Kräften entsprach den konkreten Erforder­nissen. Die eingesetzten gesellschaftlichen Kräfte erzielten eine spürbare Wirkung, banden durch intensive politische Argumentationen potentielle Teilnehmer der Provokation und wirkten so deren Vorhaben entgegen. Im Handlungszeitraum waren die öffentliche Ordnung und Sicherheit jederzeit gewährleistet.

Die vorbeugend durchgeführten Maßnahmen waren insbesondere darauf gerichtet, kirchenleitenden Amtsträgern erneut unmißverständlich die staatli­che Erwartungshaltung zur Unterbindung der geplanten Provokation zu erläutern. So wurden abgestimmt Gespräche verantwortlicher Mitarbeiter zuständiger staatlicher Organe mit kirchenleitenden Personen geführt, u. a. zwei Gespräche durch den Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Haupt­stadt Berlin für Inneres, Genossen HOFFMANN, mit Konsistorialpräsident STOLPE. Dieses Vorgehen erzielte Wirkung. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Haltung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitun­gen (KKL) in der DDR, die auf ihrer jüngsten Tagung (30Juni/l. Juli 1989) die evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg aufforderte, ihren Einfluß auf oppositionelle Kräfte und Gruppen zu verstärken und mit diesen Gespräche zu führen, um die geplante Provokation vorbeugend zu verhindern. Streng intern wurde bekannt, daß STOLPE mit dem Initiator der „Sitzdemonstra­tion", SCHATTA, ein diesbezügliches Gespräch persönlich führte. Analog reagierten Probst FURIAN und Oberkonsistorialrat PETTELKAU gegenüber weiteren Organisatoren.

Mit 14 maßgeblich an der Organisation der Provokation beteiligten Personen wurden im Zeitraum des 4./5. Juli 1989 Vorbeugungsgespräche geführt, in denen ihnen die Auflage erteilt wurde, sich an dem geplanten Vorhaben nicht zu beteiligen.

Beginnend ab dem 6. Juli 1989 wurden zu insgesamt 97 potentielle Teilneh­mern - Inspiratoren/Organisatoren der Provokation, Mitglieder personeller Zusammenschlüsse bzw. solche Kräfte, die in der Vergangenheit wiederholt an derartigen Aktivitäten beteiligt waren - durchgängige Personenkontrollmaß-nahmen durchgeführt mit dem Ziel, deren Annäherung an den Handlungsort zu verhindern.

Im Ergebnis der längerfristig durchgeführten vorbeugenden Maßnahmen nahm nach intern vorliegenden Hinweisen eine Reihe bekannter Kräfte von ihren Vorhaben Abstand. So entschloß sich der „Friedenskreis Weißensee", zu dessen Organisatoren SCHATTA gehört, nicht an der „Sitzdemonstration" teilzunehmen, sondern am gleichen Tag eine sogen. Alternatiweranstaltung in der Kirchengemeinde Fennpfuhl in Berlin-Lichtenberg durchzuführen.

Insgesamt 94 Personen, die zum für die Provokation vorgesehenen Zeit­punkt versuchten zur Weltzeituhr zu gelangen, wurden bereits an der Periphe­rie zurückgewiesen. Weitere 30 Personen wurden zugeführt und .Prüfungs Ver­handlungen unterzogen, weil sie sich weigerten, den Weisungen der Einsatz­kräfte Folge zu leisten, darunter der Mitorganisator der Provokation, Diakon HEINISCH, der entgegen ausdrücklicher Belehrung vom 5. Juli 1989 an der Zusammenrottung teilzunehmen versuchte. Eine Person führte ein selbstge­fertigtes Plakat mit dem Text: „Zu dumm zum Addieren, aber ein ganzes Land regieren" mit sich.

(Unter den Zugeführten befinden sich 7 bei der Kirche Beschäftigte und zwei Antragsteller auf ständige Ausreise. 22 Personen sind Bewohner der Hauptstadt Berlin, weitere der Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder und Leip­zig. Alle Zugeführten wurden bis zum 8. Juli 1989, 2.00 Uhr, entlassen. Im Ergebnis der Untersuchungen wurden gegen eine Person - Träger des Plakates - ein Ermittlungsverfahren ohne Haft und gegen 17 Personen Ordnungsstraf­verfahren - vorgesehen sind Ordnungsstrafen in Höhe von 200,- bis 500,-Mark - eingeleitet. 6 Personen wurden informiert, daß gegen sie Anzeigeprü­fungen durchgeführt werden, und weitere 6 Personen wurden belehrt.)

Besonders durch das provokatorische Auftreten des am Ereignisort anwe­senden akkreditierten Korrespondenten des ZDF, SCHMITZ, und seines Kamerateams — weitere Korrespondenten wurden nicht festgestellt - bildeten einige potentielle Teilnehmer an der Weltzeituhr Diskussionsgruppen. Sie wurden durch differenzierte Maßnahmen der Sicherheitsorgane und gesell­schaftlicher Kräfte aufgelöst. (SCHMITZ erschien mit seinem Kamerateam - 3 Personen - bereits gegen 16.20 Uhr im Bereich des Alexanderplatzes, fertigte in offener provokatorischer Absicht Aufnahmen von den Sicherungsmaßnah­men, versuchte durch seine Positionierung an der Weltzeituhr seine Solidarität mit den feindlichen, oppositionellen Kräften Ausdruck zu verleihen und diese zur Durchführung ihrer Vorhaben zu ermuntern. In diesem Sinne wurde über das genannte Ereignis aktuell im ZDF informiert).

Die sogen. Alternativveranstaltung - dazu wurde durch SCHATTA und HEINISCH mit schriftlicher Einladung geworben - fand in der Zeit von ca. 20.00 Uhr bis gegen 21.30 Uhr mit Beteiligung von ca. 140 Personen statt. In einem Vortrag trug SCHATTA die bekannten Positionen feindlicher, opposi­tioneller Kräfte zu den Kommunalwahlen im Mai 1989 vor und kritisierte eine diesbezügliche „fehlende Dialogbereitschaft" des Staates. Nach dem Gesang des Liedes „Ermutigung" (Biermann), dessen Text verteilt worden war, gab Pfarrer PAHNKE einen „Erlebnisbericht" von den Ereignissen auf dem Alexanderplatz. Ausgehend von einem angeblich aggressiven und brutalen Vorgehen der Einsatzkräfte kam er zu den Schluß, daß ein Dialog mit dem Staat nicht möglich sei, der Staat seinen Bewohnern „keinen Ausweg" biete und diese deshalb zur Ausreise treiben würde.In Gesprächsgruppen wurde nachfolgend politische Diskussion geführt (Lageentwicklung in der VR Polen und der Ungarischen VR; Fortsetzung provokatorisch-demonstrativer Akti­vitäten, um den Druck gegenüber dem Staat zu erhöhen). Das Ergebnis der Kollektesammlung sollte, so SCHATTA, zur Begleichung von Ordnungs­strafverfahren, die gegen Teilnehmer der jüngsten Aktionen ausgesprochen wurden, dienen.

zitiert nach: Armin Mitter, Stefan Wolle (HG), "Ich liebe Euch doch alle...", Befehle und Lageberichte des MfS, Januar- November 1989, Berlin 1990, S.108-110

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