Widerstand ist die halbe Miete
Aufruf zur Mieter_innendemonstration am 3.9.2011

von der Gruppe Internationalen Kommunist_innen

7-8/11

trend
onlinezeitung

Fast in allen Berliner Stadtteilen bilden sich Initiativen von Mieter_innen, die sich dagegen wehren, dass ihre Häuser luxussaniert werden und sie danach dort nicht mehr wohnen können. Dass es in Berlin für Menschen mit geringen Einkommen ein Wohnungsproblem gibt, streitet heute niemand mehr ab. Spätestens seit Veröffentlichung des jüngsten Berliner Mietspiegels sind die Zeitungen gefüllt mit Berichten über Berliner Mieten auf Weltklasseniveau, von Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsteile und von Wohnungsnot.     Natürlich versuchen auch die politischen  Parteien im Wahljahr das Thema zu besetzen. Dass sie damit nicht viel Erfolg haben, zeigt eine Serie von Plakaten, die seit einigen Wochen in Berlin zu sehen sind. Dort sind die Spitzenkandidat_nnen von SPD, Linken und Grünen für die Berliner Abgeordnetenhauswahl nicht besonders  vorteilhaft abgebildet. Neben den Konterfeis der Politiker_innen ist aufgelistet, welchen Anteil sie an steigenden Mieten, der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus, kurz an dem aktuellen Zustand der wohnungspolitischen Situation in Berlin haben. Damit machen Aktivist_innen der Berliner Mieter_innenbewegung deutlich, dass sie     vom Abgeordnetenhaus nichts positives für ihre Interessen erwarten.  

Die Zeit der Appelle und der Politikberatung ist längst vorbei.

 Das macht Joachim   Oellerich von der Berliner Mieter_inengemeinschaft deutlich.  Da alle Parteien unabhängig von ihren Versprechungen in der Wohnungspolitik die kapitalistischen Verwertungszwänge exekutieren  sei die Formulierung von  wohnungspolitischen Wahlprüfsteinen überflüssig. Nur ein stärkerer gesellschaftlicher Druck kann auf politischer Ebene Veränderungen bewirken, erklärte er  im April 2011 auf einer gutbesuchten Mieter_innenkonferenz unter dem Titel  "Vorsicht Wohnungsnot“. Dort berichteten Mieter_innen aus vielen Stadtteilen über ihren Widerstand gegen Luxusmodernisierung, Mietsteigerungen und die unterschiedlichen Strategien  der Verdrängung. Dabei wurde auch deutlich, dass es nicht darum geht, die Modernisierung von Wohnungen zu verhindern. Der Kampf richtet sich vielmehr dagegen, dass die Wohnungen danach  Menschen mit geringen Einkommen nicht mehr bezahlbar sind.    In mehreren Beispielen wurde gezeigt dass Mieter_innenwiderstand Erfolge bringen kann. Diese Erfahrungen sind schon deshalb wichtig, weil bei der Betrachtung der Entwicklung von Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Mitte schnell den Eindruck entstehen kann, die Verdrängung von einkommensschwachen Menschen sei nicht aufzuhalten. Die Berichte von konkreten Brennpunkten des Mieter_innenkampfes machten aber deutlich, dass  Selbstorganisation sehr wohl „eine scharfe Waffe im Widerstand“  ist, wie es  Bewohner_innen der Forster 8 im Reichenberger Kiez formulierten. Sie haben die Pläne des Eigentümers durchkreuzt und sich die Möglichkeit erkämpft, mit für sie bezahlbaren Mieten  in  dem Haus wohnen zu können. Solche erfolgreichen Beispiele eines erfolgreicher Mieter_innenkämpfe sind nicht selten und sollten mehr bekannt gemacht werden.  Schließlich zeigen sie, dass  Luxusmodernisierung und Vertreibung einkommensschwacher Mieter_innen  auch im Kapitalismus kein Schicksal sind.    

Nicht Tourist_innen  sind  verantwortlich  

So wichtig solche erfolgreiches Organisationsprozesse sind, so notwendig ist es aber auch, darüber zu diskutieren, gegen wen sich der Kampf der Mieter_innenbewegung richtet. Öfter tauchen in politischen Erklärungen und auf Mauern in Berlin  Parolen  auf, die Tourist_innen   für die Misere am  Berliner Wohnungsmarkt verantwortlich  machen. Nun ist es sicher richtig, die kapitalistische Form des Tourismus (und der Lohnarbeit) zu kritisieren . Es  ist aber eine falsche Frontstellung,  die Tourist_innen,  die oft auch nur Lohnabhängige  auf Urlaub sind, für die  aktuelle Wohnungssituation in Berlin verantwortlich zu   machen.

Vielmehr begreifen wir  die Berliner  Wohnungspolitik als Durchsetzung kapitalistischer Verwertungsinteressen. Die Grundstücke  und Wohnungen sind  eine Ware, die von den Eigentümer_innen möglichst profitabel verwertet werden muss. Dass sich immer mehr Menschen fragen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, ist zudem eine Folge der Prekarisierung unserer Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Erwerbslose müssen bei jeder Erhöhung von Miete und Betriebskosten fürchten,  dass sie die Sätze überschreiten, der ihnen im Rahmen der Hartz IV-Regelungen von den Jobcentern und Arbeitsagenturen für die Kosten für die Unterkunft zuerkannt werden. Liegt ihre Miete über diesen Betrag, müssen sie sich verschulden oder umziehen. In der Kampagne gegen Zwangsumzüge wehren sich Betroffene dagegen. Erwerbslose, die in Wohnungen mit niedrigen Mieten wohnen, können oft gar nicht umziehen, weil die Jobcenter ihnen verbieten, in eine teuere Wohnung zu ziehen, selbst wenn sie noch im zugestandenen Mietbereich liegt. Auf diese Weise werden massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Erwerbslosen durchgesetzt.    

Mietenkampf ist Klassenkampf  

Längst ist allgemein bekannt, dass  viele  Menschen auch von ihrer Lohnarbeit nicht mehr leben können. „Wie kann ich im nächsten Monat  meine Miete bezahlen“, diese Frage stellen sich auch  viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich, egal ob sie als (Schein)Selbstständige,  Praktikant_innen, Aufstocker_innen, Leiharbeiter_innen oder wo auch immer arbeiten.  

Neben Mieterhöhungen ist es die allgemeine Prekarisierung, die sich in Lohn- und Einkommenssenkungen und dem  Hartz-IV-Regime ausdrückt, die viele Menschen befürchten lässt, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Deshalb ist Mieter_innenkampf neben der Abwehr von Vertreibungsversuchen durch Eigentümer_innen, immer auch der Kampf gegen niedrige Löhne und das Hartz IV-Regime.

Der Kampf um eine bezahlbare Wohnung zu menschenwürdigen Bedingungen  war in Berlin schon lange  ein zentrales Thema der Arbeiter_innenbewegung. Seit der Maler Heinrich Zille mit seinen  Zeichnungen über die elenden Wohnverhältnisse in den Berliner Arbeiter_innenquartieren vor mehr 100 Jahren   für Aufsehen sorgte, mag sich vieles verändert haben. Doch der Kampf für menschenwürdige, bezahlbare Wohnungen ist auch in Berlin noch immer aktuell. Deswegen beteiligen wir uns am im Rahmen des Klassenkampfblocks an der Mietenstopp-Demonstration am  3..September, 14 Uhr Herrmannplatz

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.