Von Waldfrevlern und Aktivbürgern
Jonas Kleinschmidt hat eine kurze Geschichte der renitenten Jugendkultur geschrieben


von Peter Nowak

7-8/11

trend
onlinezeitung

Immer wieder gibt es vor allem in den Berliner Boulevardmedien reißerische Artikel über Jugendliche, die sich in der Öffentlichkeit daneben benehmen. Diese Debatten sind nicht neu. Der Berliner Historiker Jonas Kleindienst hat kürzlich im Peter Lang Verlag in der Reihe „Zivilisationen und Geschichte“ ein Buch heraus gegeben, das die Geschichte und den öffentlichen Diskurs um die Wilden Cliquen Berlins analysiert. So nannten sich Gruppen von meist männlichen Jugendlichen aus der Arbeiterklasse, die seit Beginn des ersten Weltkrieges die bürgerlich geprägte Jugendbewegung kopierten. „Jeder von uns hat schon oft in Berlin und den Umgegenden größerer Städte diese wilden Cliquen gesehen, die in ihren Äußeren auffällig geschmückten Wandervögel ähnlich sehen, im Volksmund sind auch unter dem Namen Wanderflegel oder Seppel bekannt“, zitiert Kleindienst einen Bericht aus dem Jahr 1931.

Die Liste der Vorwürfe gegenüber den renitenten Jugendlichen ist lang. Sie kleiden sich auffällig, lachen und musizieren laut in der Öffentlichkeit und lassen es älteren Menschen gegenüber an Respekt fehlen. Im sozialdemokratischen Vorwärts kam noch der Vorwurf der Naturzerstörer dazu, weil der Chronist beobachtet haben will, wie drei Halbwüchsige „von jedem dritten Baum mit ihren Spazierstöcken die Kronen der tiefhängenden Zweige aus lauter Übermut“ abschlugen. Sehr erfreut zeigte sich der Vorwärts-Beobachter, dass ein Aktivbürger den Jugendlichen zeigte, “ „was eine Harke ist und wacker zuschlägt“. Neben direkter Züchtigung war der Ruf nach stärker Sanktionierung durch Polizei und Fürsorge, der damals schon als Halbstarke Titulierten allgegenwärtig.

Politische Organisierungsversuche, wie der KPD-nahe Rote Wander-Ring oder der autonome Freie Wanderring scheiterten wegen der Repression und der Unlust vieler Jugendlicher, sich feste Strukturen zu geben. Bemerkenswert ist, dass auf dem im Buch abgedruckten Titelblatt der 1. Ausgabe des Roten Wanderers, der im September 1923 als Zentralorgan des Roten Wanderringes herausgegeben wurde, viele der diffamierende Zuschreibungen umgedreht wurden. Der Leitartikel beginnt mit der Ansprache: „Verwahrloste Jugend! Lausejungen! Zuhälter! Strolche! Diebe! Plünderer!“

„Wenn wir Nazis sehen, gibt’s Kleinholz“

Bei den meist kiezbezogenen Cliquen spielte die antifaschistische Arbeit eine zunehmend größere Rolle. Richtete sich der oft auch handgreifliche Protest zunächst gegen die den Deutschnationalen nahestehende Bismarckjugend, standen schon ab 1925 Auseinandersetzungen mit den Verbänden der NSDAP im Vordergrund. „Wenn wir Nazis sehen, gibt’s Kleinholz“, war das Motto auch von Cliquen, die sich ansonsten mehr der Freizeitgestaltung Politik widmeten.
Der Kampf gegen das Cliquenwesen wurde bald zu einer zentralen Parole der NSDAP beim Kampf um in Berlin. Ein kleiner Teil der ehemaligen Cliquenanführer wechselte das Lager und ging zur SA über. „Der Großteil der Cliquen erfuhr jedoch das gleiche Schicksal wie auch der Großteil der Kommunisten und wurde nach dem Machtwechsel sowohl von staatlicher wie auch den von nun an kontrollierenden SA-Stürmen mehr denn je verfolgt“, schreibt Kleindienst. Der Kriminalist Justus Erhardt, der sich in der Weimarer Zeit als scharfer Gegner des Cliquenwesens hervorgetan hat, schreibt 1934 zufrieden, dass „durch ordnungspolizeiliche Unternehmungen (…) die berüchtigten wilden Cliquen (….) zu einem großen Teil gesprengt worden“ sei. Damit lag er allerdings falsch. Gruppen wie die Edelweißpiraten sahen sich auch in Berlin in den letzten Kriegsmonaten bei ihren Widerstand gegen das NS-Regime in der Tradition der Wilden Cliquen.

Jonas Kleindienst hat mit diesen anregend geschriebenen Buch historische Pionierarbeit geleistet., weil er die Geschichte der Wilden Cliquen nicht durch die Brille von Justiz, Polizei sowie Fürsorgeanstalten erzählt, sondern sie ernst nahm und Originaldokumente von ihnen zitiert und veröffentlicht. Leider verfällt der Autor gelegentlich in einen totalitarismustheoretischen Diktus, wenn er von der Bedrohung der Weimarer Republik „durch links- und rechtsradikale Kräfte“ schreibt.
  

Jonas Kleindienst Jonas
Die Wilden Cliquen Berlins

Verlag Peter Lang

Schweiz 2011
126 Seiten,
22, 80 Euro,
ISBN 978-3-631-61808-0