Euro-Rettung und deutsche Interessen

von Frank Behrmann

7-8/11

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Selbst aus der aktuellen mittelschweren Finanzkrise rund um Euro und drohende Staatsbankrotte könnte der deutsche Imperialismus gestärkt hervor gehen und seine Vormachtstellung in der EU im Zusammenwirken mit Frankreich ausbauen. So könnte die Überschrift zu diesem Beitrag auch lauten.

Die bürgerlichen Medien bewegten sich bei ihrer Berichterstattung über den Brüsseler Euro-Sondergipfel vom 21. Juli von akuter Sorge über einen drohenden Zerfall des Euros hin zum Aufatmen über die Währungs- und EU-Rettung - verknüpft mit der Drohgebärde an die anderen Staaten, die in der wiedergekäuten Behauptung vom „Zahlmeister Deutschland“ schließlich liegt. 

Demgegenüber ist festzustellen, dass diese Krise im Ergebnis zu einer Verfestigung der Hegemonie von Deutschland und Frankreich unmittelbar in der Euro-Zone, mittelbar über die gesamte EU und längerfristig zu einer Ausweitung ihres weltweiten Einflußes führen könnte. Aus den Erfahrungen zweier verlorener Weltkriege wurde frühzeitig der Schluss gezogen, dass (West)Deutschland seinen Einfluss international nur im Verbund mit anderen Staaten ausweiten könne (vgl. http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agr/Mitteleuropastrategien.html ). Deutsche Alleingänge sind daher nicht zu erwarten. Kosten, wie für den Euro-Rettungsschirm und die „Griechenland-Hilfe“, sind dabei als Investitionen einkalkuliert. 

Die milliardenschweren Hilfspakete sind kein Akt der Solidarität gegenüber den wirtschaftlich bedrängten Euro-Staaten, sondern sie gehen zu deren Lasten, da sie gezwungen werden, ihre Waren und Dienstleistungen zu verbilligen. Das klassische Mittel der Währungsabwertung als Antwort auf die übermächtige Konkurrenz und deren Resultat, ein überbordendes Leistungsbilanzdefizit, fällt bei gemeinsamer Währung weg. Das anstehende Maßnahmenbündel ist das übliche: Einkommens- und Sozialleistungsabbau, Steuererhöhungen und Privatisierungen. Womit auch gleich klargemacht wurde, dass nicht alle GriechInnen jetzt den Gürtel enger zu schnallen haben: Sonderabgaben oder Steuererhöhungen für Reiche sind so wenig vorgesehen wie Einschnitte im Rüstungshaushalt. Und: „Von den 109 Milliarden Euro öffentlicher Kredite, die das neue Paket bis 2014 umfasst, ist ziemlich genau die Hälfte notwendig, um die Risiken der Beteiligung der Privatgläubiger abzusichern.“ (FAZ, 23.7.11) Von einer „Transferunion“ kann keine Rede sein.

Dennoch lassen sich Deutschland und Frankreich den Euro einiges kosten. Das heißt, sie brauchen ihn! Sie brauchen ihn in der internationalen Konkurrenz, um die Vorherrschaft des US-Dollars auf den Märkten zu brechen. Der Euro ist eine langfristig aufgebaute Waffe im internationalen Wirtschaftskrieg. Diese Waffe richtet sich gegen „unsere amerikanischen Freunde“. Die Vorgänge um die Griechenland-Kredite zeigen aber auch: Die in den USA ansässigen Ratingagenturen verfügen über eine ungeheure – und kaum (jedenfalls nicht von der EU) kontrollierbare Macht. Diese Agenturen sind natürlich kein objektiver Analyst der Finanzmärkte, sondern ihrerseits Teil des US-Finanzwirtschaftssystems. Und wie der Euro dem Angriff auf die US-Positionen in der Weltwirtschaft dient, so ist der Angriff dieser Agenturen auf den Euro auch eine Antwort darauf. Jedenfalls gibt es seriöse Untersuchungen, die zu dem Schluss kommen, dass die „Agenturen ... die Kreditwürdigkeit der sogenannten PIGS-Staaten (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) ... ungerechtfertigt weit herabgestuft“ haben (Mitteilung der Uni St. Gallen). 

Der Euro soll unbedingt verteidigt werden. Unkenrufe von seinem nahenden Ende (z.B. Andreas Wehr, Griechenland, die Krise und der Euro, Köln 2010: „die Bereitschaft, über neue, in diesem Fall andere als europäische Wege nachzudenken, ist vorhanden ... Ein bedingungsloses Ja zu Europa ist nicht länger Staatsräson.“) erweisen sich vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen als haltlos. Michael Diekmann,Vorstandschef der „Allianz“, formuliert dies in bestechender Offenheit (übrigens im Streit mit einer Gruppe von 100 deutschen Familienunternehmen, die sich in einem Aufruf als Verlierer des Euro-Rettungsschirms sehen): „Mit dem Euro haben wir Europäer in der Weltwirtschaft Gewicht. Kein Euroland, auch nicht Deutschland, würde mit nationaler Währung so viel Macht auf die Waage bringen. Dass 26 Prozent der Weltwährungsreserven auf den Euro lauten, zeigt das große Vertrauen in Europa und seine Mitgliedsländer.“ (FASZ, 26.6.11) Alle Gedanken daran, der Euro könnte aufgegeben werden, unterschätzen seine Bedeutung für den deutsch-französischen Imperialismus und für die wirtschaftliche Expansion des Euro-Raumes. 

Zugleich werden Frankreich und Deutschland die Gunst der Stunde nutzen, um ihre „selbstlose Solidarität“ mit Griechenland, Irland, Portugal ... in mehr Eingriffsrechte in die inneren Angelegenheiten dieser (und perspektivisch: aller EU-) Länder umzumünzen. Deren Parlamente verlören ihre demokratischen Kontrollmöglichkeiten v.a. in Bezug auf das bislang nationale Haushaltsrecht. Das ist es, was gemeint ist, wenn von einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ gesprochen wird. Schon vor einem halben Jahr prognostizierte Finanzminister Schäuble, man werde „in 10 Jahren eine Struktur haben, die sehr viel stärker dem entspricht, was man als politische Union bezeichnet“ (BamS, 12.12.10). Dabei scheint man einen Schritt weiter gekommen zu sein, jedenfalls bejubelte Sarkozy die Einigung über die erneute Griechenlandhilfe geradezu euphorisch als „historischen Augenblick“, der Euro-Krisenfonds (EFSF) sei ein europäischer IWF, der „kühne und ehrgeizige Pläne“ zur Schaffung eines EU-Finanzministeriums fördere. „Unser Plan ist es, die Griechenland-Krise als Chance zu ergreifen, um einen Quantensprung in Sachen europäischer Regierung zu machen.“ (jw, 23./24.7.11) 

Während es in der breiteren Öffentlichkeit stets heißt, Deutschland würde sich für die EU opfern, viel ´reinstecken und wenig ´rausbekommen, wird in politologischen Fachzeitschriften oder in kleineren Beiträgen auf den hinteren Seiten der „Qualitätspresse“ die deutsche Führungsrolle wahrgenommen und mit unverhohlenem Nationalstolz gutgeheißen. So schrieb die „Internationale Politik“ der staatsnahen „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“: „Die Monate der Euro-Rettung 2010 haben gezeigt: Angela Merkel ist so etwas wie die europäische Kanzlerin geworden. ... Merkel hat nun eine Art ´Richtlinienkompetenz´ im Kreis der 27 Staats- und Regierungschefs bekommen. ... In der Euro-Krise weiß jeder Gipfelteilnehmer, dass kein EU-Land gerettet werden kann, wenn Deutschland mit seinem wirtschaftlichen und finanziellen Potential und seinem guten Ruf auf den Finanzmärkten nicht sein OK gibt.“ (21.1.11) Und die „Süddeutsche Zeitung“, versteckt im Wirtschaftsteil: „Warum sollen die Europäer ausgerechnet Berlin folgen? Die Antwort ist simpel. Merkel will die Gunst der Stunde nutzen, in der Deutschland als prosperierendes Land die Regeln bestimmen kann.“ (vom 4.2.11) 

Vor diesem Hintergrund wäre eine eindeutigere Haltung der Linkspartei im Europaparlament zu wünschen. In „europarot. DIE LINKE im Europaparlament“ (6.7.11) fordern die EU-Abgeordneten Lothar Bisky, Jürgen Klute und Thomas Händel eine europäische Wirtschaftsregierung, die nichts mit dem, was Merkel und Sarkozy vorschwebt, zu tun hätte. Stattdessen „1. Europäischen Steuerwettbewerb nach unten beenden ... 2. Exportfixierung beenden ... 3. Finanzmärkte regulieren“. Gewiß honorige Ziele, die aber verkennen, dass der Begriff einer Wirtschaftsregierung in Bezug auf die EU bereits konträr besetzt ist. Merkels und Sarkozys „Wirtschaftsregierung“ heißt nichts anderes als noch stärkere deutsch-französische (ggfls. auch britische) Dominanz der EU - wirtschaftlich zugunsten einer aggressiven Exportstrategie auf den Weltmärkten und politisch mit dem Ziel einer einstimmigen EU, die auf „internationalem Parkett“ durchsetzungsfähiger wäre. 

Es geht um die Beherrschung Europas. Dem ist nicht der Wunsch nach deren Verbesserung oder einer gerechteren Ausgestaltung und dergleichen mehr entgegenzuhalten, sondern ein klares und kompromißloses Nein! 

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.