Vom aufrechten Gang
Arbeitsweltfilme der 70er-Jahre wiederveröffentlicht – eine Revue

von
Peter Nowak

7-8/11

trend
onlinezeitung

Anfang der 70er-Jahre sorgten die Filme von Klaus Wiese und Christian Ziewer auch in großen Kinos für volle Säle – eine Zeit, in der Themen der Arbeitswelt auch in den Spielfilm Einzug gehalten hatten. Drei ihrer bekanntesten Produktionen können nun auf DVD gesehen werden, und es lohnt sich noch immer. Im 24-seitigen Begleitheft zur neu  rschienenen Trilogie »Vom aufrechten Gang« wird die gesellschaftliche Situation der Jahre skizziert, in denen die Filme entstanden. Anfang der 70er gab es nicht nur in den Hochschulen einen gesellschaftlichen Aufbruch. Auch in den Betrieben wurde über die Durchsetzungsfähigkeit von mehr Mitbestimmung, Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung diskutiert. Die Zahl der Streiktage hatte sich im Vergleich zu den 60er-Jahren erhöht. Die Arbeiter begannen, ihre Macht zu spüren.

Das ist auch das Thema der Filme von Ziewer und Wiese. »Liebe Mutter, mir geht es gut« zeigt konkrete Lernprozesse: Arbeiter wehren sich in einer Neubausiedlung gegen Mieterhöhungen. Sie bleiben damit zwar zunächst ebenso erfolglos wie mit ihrem Kampf um den Erhalt des Arbeitsplätze. Doch die Protagonisten des Films geben nicht auf. Sie diskutieren über die Ursachen der Niederlage und versuchen, einen Streik zu organisieren.

Der große Erfolg des Films in den frühen 70er-Jahren lag sicherlich auch in seiner Ehrlichkeit begründet. Es gibt darin keine Helden, sondern Menschen, die Fehler machen, die auch einmal schwach werden, aber doch nicht aufgeben.

»An widersprüchlichen Figuren kann der Zuschauer seine Chance entdecken«, schreibt Christian Ziewer in den Notizen zu dem zweiten Film der Trilogie: »Schneeglöckchen blühn im September«. Auch darin steht der schwere Kampf um bessere Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt, wechseln sich kleine Erfolge und Niederlagen ab. So muss eine ganze Arbeitskolonne nach Schließungsdrohungen eine Lohnkürzung hinnehmen. Der Arbeiteraktivist Hannes verstummt, »nicht weil ihm die Argumente ausgehen, sondern weil er die Kraft der materiellen Repression erkennen muss, weil die Kampfbedingungen des Kollektivs sich so verschlechtert haben«, notiert Ziewer.

Das Ende des Nachkriegskompromisses

Noch deutlicher wird diese Verschlechterung der Position der ArbeiterInnen im Zeichen der Ölkrise, des sich abzeichnenden Endes des Fordismus und des damit verbundenen Nachkriegskompromisses im dritten, 1975 gedrehten Film »Der aufrechte Gang«. Die Beschäftigten eines Hüttenwerkes in NRW organisieren einen wilden Streik und bekommen zu spüren, dass die Zeiten der schnellen Erfolge bei Arbeitskämpfen, wie sie noch in den späten 60er-Jahren bei den Septemberstreiks oftmals zu verzeichnen waren, vorbei sind. Die Kapitalseite nutzt die Krise, um den Lohnabhängigen erkämpfte Rechte streitig zu machen und ihnen den Mut zu nehmen. Ziewer zeigt in dem Film, wie dieser Umbruch von den Beschäftigten wahrgenommen wird und wie sie darauf reagieren. Da er, anders als viele  propagandistische Arbeiterfilme jener Jahre, seine Hauptfigur Dieter Wittkowski eben nicht nur als Arbeiter in der Fabrik, sondern auch als Ehemann, Vater und Konsument zeigt, vermittelt der Film tatsächlich eine sehr dichte Beschreibung des gesellschaftlichen Klimas und der Stimmungen im Arbeitermilieu jener Jahre. Damit reiht sich der Film allerdings nicht ein in den Kanon derer, die – wie oft Ende der 80er-Jahre – das Ende des Proletariats verkündeten, das sich nun in konsumierende Bürger aufgelöst habe. Wenn Wittkowskis Frau ihren Mann fragt, wie sie mit dem durch den wilden Streik gekürzten Lohn über die Runden kommen soll, wird deutlich, dass die viel zitierte Souveränität des Konsumenten eben auch vom Geldbeutel bzw. Kontostand abhängig ist. Wenn dort Ebbe herrscht, beschränkt sich die versprochene Teilhabe an der Warenwelt schnell auf ein Betrachten der Schaufenster. 

Kein positiver Held

Wittkowski, auch das macht den Film noch immer sehenswert, ist eben nicht der positive Arbeiterheld, sondern ein ›realer‹ Vertreter des Arbeitermilieus jener Jahre. Er spart für ein Auto und will seiner Frau, letztlich erfolglos, verbieten, sich im Bäckerhandwerk selbstständig zu machen. Dafür muss der Sohn sein Gehalt als Auszubildender abgeben und wird mit einem Taschengeld abgespeist. Der aber plant schon seinen Auszug, und die Frau übernimmt schließlich doch die Filiale. Damit greift der Film auch die Umbrüche im Geschlechter- und Generationenverhältnis auf. Wittkowski kann seinen Willen nicht mehr durchsetzen.

Auch Gewerkschaftsfunktionäre, die sich offiziell vom wilden Streik der Beschäftigten distanzieren, ihn aber gerne bei den Verhandlungen mit der Unternehmerseite »interpretieren« wollen, sehen durch die Kompromisslosigkeit der anderen Seite ihre Verhandlungsmacht flöten gehen. Dass mit der Aufkündigung des korporatistischen Verhandlungsmodells und einer Schwächung der darauf basierenden, reformistischen Gewerkschaftsstrategien nicht automatisch eine Stärkung des kämpferischen Lagers verbunden ist, wird in dem Film ebenfalls sehr deutlich. 

Daher ist auch die Frage von Wittkowskis Frau, mit der der Film endet, nach über 35 Jahren noch immer unbeantwortet. Wie können sich die Arbeiter mit ihren Forderungen durchsetzen? 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
Erstveröffentlicht wurde er in:
express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 6/11

Infos zu den Filmen und Bestellung unter: www.basisdvd.de

Siehe dazu auch die TREND Materialsammlung zu den Film- und Diskussionsveranstaltungen im September/Oktober 2009