Völlig abgeschaltet:
Die grüne Methodik der Macht


von der Gruppe "vonmarxlernen"

7-8/11

trend
onlinezeitung

Als kürzlich im Bundestag der Atomausstieg beschlossen wurde, ging dem auf Seiten der Oppositionsparteien SPD und Grüne eine eigentümliche Debatte voraus. Immerhin kam der Beschlussantrag von der Regierung und eigentlich gehört es sich nach demokratischem Brauch für eine Opposition, dagegen zu stimmen oder wenigstens ein Haar in der Suppe zu finden, was man aber „unter dem Eindruck von Fukushima“ nicht wollte. Nun mussten für diesen Gleichklang Begründungen gefunden werden. Während die SPD die neue Regierungslinie zur eigenen alten erklärte – siehe Ausstiegsbeschluss unter Schröder – und der Kanzlerin nur noch den scharfen Vorwurf „Schlingerkurs!“ zurief, wollten es sich die Grünen so einfach nicht machen. Sie hatten nämlich jetzt ein ernsthaftes Problem, und zwar eines der ganz eigenen Art: Die Regierung hatte sich mit dem Atomausstieg „ihres Themas“ bemächtigt. 

Schon an dieser Stelle könnte man sich über die Rolle von „Sachthemen“ wundern, die sie als Material der Parteienkonkurrenz spielen. Die Grünen haben jedenfalls sofort befunden, dass sie, würden sie gegen Merkels Atomausstieg stimmen, als Partei ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ bekämen. Mehr noch, es hieße dann wieder, sie seien gegen alles, und das geht natürlich für eine Partei, die „wählbar“ sein will, gar nicht. Zweitens aber müssen dringend neue grüne „Themen“ her, wenn selbst die Christliberalen jetzt nun einmal das Atom „besetzt“ haben. Heraus kamen im Wochenabstand ein Sonderparteitag und ein Zukunftskongress, deren Stattfinden allein schon das große grüne Verantwortungsbewusstsein demonstrieren sollte. Nein, diese Partei macht es sich gewiss nicht leicht mit ihrer Position – das müssen Wähler und Öffentlichkeit doch einfach honorieren. 

Grüne Glaubwürdigkeit

Ironischerweise gehört der Satz, dass Politiker vor allem eines, nämlich „glaubwürdig“ sein müssen, gemeinsam mit dem, dass sie „das Volk“ ständig belügen, zu den landläufigsten Gemeinplätzen der Demokratie und niemand findet etwas dabei, sich eine schlechte Meinung über diese Typen zu halten und sie ungeachtet dessen spätestens alle vier Jahre wieder an die Macht zu bringen. Inwiefern  Wähler notorisch misstrauisch sind und gerade deshalb dauernd danach verlangen, ihren Politikern doch wenigstens „vertrauen“ zu können, worauf sich Misstrauen wie Vertrauen richten, das ist allerdings eine ziemlich trostlose Angelegenheit. Folgendes muss ein Mensch nämlich geschluckt und gedanklich abgehakt haben, wenn er auf die bekannte Art skeptisch oder schon „verdrossen“ ist in Hinblick auf `die da oben´ und wie sie Poliltik machen:

  • die Trennung von Einzelinteressen und deren Repräsentation im politischen Willen: Ein Interesse zählt erstens nicht für sich, sondern hat nur Berechtigung, sofern ein politischer Repräsentant sich seiner annimmt. Der wiederum nimmt sämtliche in der Gesellschaft existierenden Interessen aus der Warte des „Allgemeinwohls“ (sprich: der möglichst erfolgreichen Verwaltung einer nationalen Marktwirtschaft) wahr, das in dieser Sphäre fix und fertig eingerichtet ist. Die politische Debatte der Volksvertreter bezieht die Anliegen ihrer Wähler daraufhin, welchen tauglichen Beitrag sie dafür leisten und gibt ihnen gegebenenfalls Recht bzw. weist sie zurück.

  • die Ein- und Unterordnung sämtlicher gesellschaftlicher Gegensätze in das Gesamtprogramm von Volksparteien: Moderne Parteien haben den Prozess des gegenseitigen Sich-Abarbeitens und der schließlichen Unterordnung von partikularen unter das Staatsinteresse längst bei sich institutionalisiert. Die Interessen taugen jetzt nur noch als politische Berufungstitel: zum Beispiel „Arbeitnehmer“ (SPD), „Mittelstand“ (CDU), „freie Berufe“ (FDP). So kommen selbst die alten Stände heute noch zu ihrem Recht, auch bei den Grünen, dazu nachher mehr.

  • die Unterwerfung unter den repräsentierten Mehrheitswillen, der aus Parteilisten, Wahlstimmen und Koalitionsgeschacher hervorgegangen ist : Schnauze halten, heißt es am Ende dieser gelebten Demokratie schlicht – denn „wir sind gewählt“.

Wenn akzeptiert ist, dass sich Politiker nach Staatsnotwendigkeiten richten und richten müssen, die nur zufälllig oder gar nicht die Interessen und Nöte jedenfalls der meisten Wähler positiv abdecken, dann ist das Misstrauen gleich nur noch darauf gerichtet, ob die sogenannten Repräsentanten des Wählerwillens ihren eigenen Maßstäben und Grundsätzen treu bleiben. Oder ob sie die Freiheit ihres Amtes nach Belieben nutzen und gleichgültig gegen ihre vorausgegangenen Ansagen und `Versprechungen´ tun, was sie wollen.

Jedes der populären Wahl-Barometer operiert mit der Frage „Sind Sie der Meinung, dass Partei X oder Politiker Y gute Arbeit macht?“. Ja, gemessen woran denn? Bestimmt nicht gemessen an den partikularen Gesichtspunkten der jeweils Befragten, viel mehr aber gemessen an denen der Politik selbst, der Parteien und deren Konkurrenz. Nur wenn dieses Abstandnehmen und dieser Perspektivwechsel schon vollzogen sind, können Parteien und deren Vertreter als „konsequent“, „erfolgreich“, „durchsetzungsfähig“, „glaubhaft“ und schließlich „wählbar“ beurteilt werden – nach den immanenten Kriterien des Gelingens von Herrschaft und dem komplementären Vertrauen in sie. Und um das geht es schließlich. Glaubwürdigkeit fasst zusammen, welcher Anspruch an `die da oben´ übrig bleibt, wenn ein Wähler sich darauf hat verpflichten lassen, die Politiker nur noch an ihnen selbst, an deren proklamierten Zielen und Projekten zu messen: Der untertänige Anspruch, sie möchten sich treu bleiben und insofern eine Adresse der Herrschaftsausübung bleiben, auf die man sich einstellen und verlassen kann, von der man zugleich erwarten kann, dass sie sich allen „neuen Herausforderungen“ verantwortlich stellt.

Hierauf eine passende Antwort zu haben, das ist das Geschäft der Selbstdarstellung von Politik heute; Politprofis müssen darauf achten, gerade wenn einmal neue Dinge zur Entscheidung anstehen oder alte Positionen revidiert werden sollen, dass ihnen abgekauft werden kann, sich treu geblieben zu sein, gleichzeitig aber flexibel genug zu sein, um alles das anzugehen, was für die Nation wichtig ist.

Auch unabhängig von ihrer aktuellen Verlegenheit wegen Merkels Besetzung ihres Leib- und Magenthemas, haben die Grünen sich schon immer damit hervorgetan, ganz besonders penetrant um alles und jedes mit sich selbst zu ringen und allen Gesichtspunkten der `political correctness´ weit mehr hinterherzustiefeln als alle anderen Parteien zusammen. Stets wollen sie besonders verantwortungsvoll, besonders engagiert, besonders ernsthaft und daher besonders vertrauenswürdig sein. Der historische Umstand, dass dieser Verein seinen Ursprung einmal in einer Kritik an der politischen Klasse hatte, wird immer noch, nun aber inmitten dieser Klasse, als Duftmarke zur Wählerbetörung gesetzt und entsprechend zelebriert. Wie die Bergmannskapelle zur SPD, der Handwerkskammertag zur CDU und der Sudetentag zur CSU gehört es zu einer grünen Volkspartei eben auch, neben dem Programmpunkt „Zukunft“ die Traditionen zu pflegen. Diesem Zweck diente bei den Grünen der zum Abstimmungsverhalten beim Atomausstieg anberaumte Sonderparteitag. Auf dem wurde wieder einmal, wie alle paar Jahre, ein „Richtungsstreit“ aufgeführt, obwohl alles Entscheidende schon feststand.

Wie hätte es nämlich eine Partei glaubwürdig „vermitteln“ können, gegen einen Ausstieg zu stimmen, den sie immer gefordert hat? Womit sie als Anti-AKW-Bewegung einmal entstanden ist? Andererseits musste unbedingt der Eindruck vermieden werden, dass man „einfach“ auf die Regierungslinie einschwenkt und damit grünes „Profil“ verlöre. Heraus kam, vorhersehbar und als von den Medien ausführlich goutierter Höhepunkt des Parteitags, ein sorgfältig inszeniertes Rededuell zwischen Renate Künast, die demnächst Berlin regieren will, und Hans-Christian Ströbele, dem alten grünen Hofnarren oder, anders gesagt, dem parteieigenen Heiner Geißler für „abweichende“ Positionen. Künasts rhetorischer Coup war dabei ein Marx-Zitat, nach dem man die Welt nicht nur interpretieren, sondern verändern müsse. Was auch immer der Autor damit seinerzeit gegen Feuerbach im Sinn gehabt haben mag, ein Plädoyer für die Regierung (pardon: „Gestaltung“) des Kapitalismus und seiner Kraftwerke sicher nicht.

Wie dem auch sei, alle Seiten durften sich ernst genommen, repräsentiert und aufgehoben fühlen. Mit dem finalen Showdown von Künast und Ströbele war der Beweis erbracht, dass sich die Grünen ihr sehr spezielles Ja zur regierungsamtlichen Energiepolitik nicht leicht gemacht haben. Und nachdem nun dieses mehr oder weniger letzte kontroverse „Politikfeld“ begradigt ist, können Grünen-Wähler noch umwegloser – einfach dafür sein. Da jedoch stellt sich sofort die nächste Frage: Wenn das schon so ist, warum dann überhaupt noch grün wählen?

Bloß keine „Ein-Thema-Partei“ sein

Die grünen Macht-Methodiker, die ihre „Themen“ schon längst als Instrumente des Parteierfolgs sehen und selbst nur noch in den Kategorien von Politikwissenschaft und begleitender Journaille denken, haben ein wirklich apartes Problem entdeckt: Die Partei hat sich mit „ihrem Thema“ Atom ausgerechnet, aber blöderweise in der Opposition „zu Tode gesiegt“; und das kann und darf natürlich so nicht bleiben. Also sollte ein eigens zu diesem Zweck organisierter Zukunftskongress neue grüne „Themen“ erfinden, um auch weiterhin und noch vermehrt Wähler anzuziehen. Ganz nach dem Motto: Wer schon nichts zu kritisieren hat und trotzdem weiter als „Alternative“ gewählt werden möchte, muss sich wenigstens schnell etwas Neues ausdenken können. Das allein schon versprach nichts Gutes.

Erst einmal beeindruckt die schiere Breite der dergestalt inspirierten „Ideenwerkstatt“ und ihrer Resultate: Es gibt bis hin zum Frauenfußball schlicht kein wichtiges gesellschaftliches Thema, zu dem es nicht auch irgendeinen grünen Senf gäbe. Immerzu muss irgendetwas „stärker berücksichtigt“ oder „mehr in den Vordergrund“ gestellt werden. An anderer Stelle wurde etwas „zu Unrecht vernachlässigt“ oder gar fälschlicherweise „überbetont“. Schließlich muss vieles, ja eigentlich fast alles „in Zukunft stärker beachtet werden“. Man bemerke vor allem die scharfe Kritik am Bestehenden, wenn auch manches in Sprache und Diktion auf oberflächliche Leser ermüdend wirken könnte. Egal, in erster Linie zeichnen Themenbreite und -vielfalt eine wirkliche Volkspartei aus: In ihr muss sich jeder wieder finden und repräsentiert fühlen können.

Geht man dann, immer noch interessiert an den neuesten Einfällen der Grünen, die von der Partei vorformulierten Leitfragen durch, stellt sich schnell ein durchgängiges Strickmuster heraus: Wunsch relativiert sich an Wirklichkeit, aber Moral macht ganz besonders regierungsfähig; das Ganze in einem Kessel Buntes aus biederem Realitätssinn und grün-imperialistischem Größenwahn. Einige Beispiele:

– „Wie kann eine nachhaltige Entwicklung mit der Wirtschaft in Einklang gebracht werden?“

Antwort: Gute Frage, aber auf jeden Fall darf die Wirtschaft nicht beschädigt werden, denn von ihr hängt alles ab.

– „Welche Vorreiter braucht Europa?“

Antwort: Na, wen wohl?

– „Wie kann regional und international Gewalt künftig verhindert werden?“

Antwort: Mit überlegener und dadurch total überzeugender, friedlicher Gewalt.

– „Wie können wir die Daseinsvorsorge in den Kommunen auch künftig organisieren?“

Antwort: Wir in den Kommunen, das sind schließlich „wir alle“ mitten in unserer unmittelbaren Heimat. Hier kümmert sich jeder um jeden, nicht wahr; und in grün-volksgemeinschaftlicher Verantwortung übersetzen wir selbst die ganz gewöhnliche Armutsverwaltung als „Daseinsvorsorge“, die „auch künftig organisiert“ werden muss, auf unsere Art eben. Na, prima.

Man könnte das endlos fortsetzen. Wirtschaft, Europa, die ganze Welt, die Kommunen, Familien und Geschlechter – die Grünen haben im Grunde noch nie ein „Thema“ auslassen wollen, um diesem ihre spezielle Ergänzung beizufügen. Nur, nach dem Wegfall der ehemaligen Alleinstellungsmerkmale – um wirklich einmal in den Jargon von Werbetextern zu fallen, deren Logik auch die der grünen Strategen ist – „Pazifismus“ (noch zu Fischers Zeiten) und jetzt „Anti-Atom“ haben andere „Themen“ für die Partei neue Bedeutung gewonnen. Ach ja, es gab auch mal das kämpferische Etikett „Frau und Feminismus“, heute ebenfalls als anerkannter Wert etabliert. Schade nur, dass bis auf wenige Eliteweiber „die Frauen“, auf die sich berufen wurde und wird, nichts davon gemerkt oder gehabt haben. Aber egal. Was zählt, ist die Partei, die das Thema mal erfunden hat.

Soviel und soweit hier nur am Rande zum kritischen Gehalt von vergangenen grünen „Themen“, soviel aber auch als Ausblick auf den künftigen Ertrag der „neuen“, sofern jemand sich darüber irgendwelche Illusionen machen sollte. Es geht nämlich um etwas ganz anderes: Parteien streiten sich als Konkurrenten um die politische Macht über die „Besetzung von Themen“, die sie für die kapitalistische Fortentwicklung des Modells Deutschland für entscheidend halten.

Die Grünen hatten dazu schon immer eine besonders volkstümelnde (pardon: „basisdemokratische“) Ergänzung im Angebot, eben als ihre Spezialität in der Parteienkonkurrenz. Das kann sein:

  • die Nutzung des Humankapitals, aber mit allen Geschlechtern;

  • die Regulierung des Finanzmarktes, aber garniert mit einer Armensteuer;

  • eine Wissensrepublik, aber für alle;

  • ein Logistikstandort, aber umweltfreundlich;

  • der Mittelstand samt seiner berühmt-berüchtigten Innovationskraft, aber bitte mit sozialem Verantwortungsgefühl

und jetzt eben die „Energiewende“ mit ganz vielen Exportchancen für die deutsche Industrie samt einem neu formulierten deutschen Autarkie-Ideal ganz aus Naturenergie. 

Dass letzteres nunmehr regierungsoffiziell ist, drückt Erfolg und Dilemma einer Partei aus, deren kritische Moral schon immer eins war mit einem einzigen Verbesserungsvorschlag zur Modernisierung und Effizienzsteigerung der Republik – demokratietechnisch nur etwas um die Ecke gedacht und praktiziert.  

„Sachthemen“ 

Dieses Wort ist eigentlich selbst schon ein schlechter Witz, aber hier passt er gut. Wenn sich in einem „Thema“ ohnehin nur der politische Wille zum Erfolg ausdrückt – gegen Konkurrenten aller Art – dann taugt es auch bestens für die Konkurrenz um den Wählerwillen.

Ganz in dieser Logik hat hier der Atomausstieg selbst, seine Gründe und die Kalkulationen mit ihm, keine Rolle gespielt. Alles Nötige dazu hier: http://www.gegenstandpunkt.com/gs/11/2/gs20112128.html

Mehr zu den aktuellen „Themen“ der Grünen in: Gegenstandpunkt 1-11, Die Wahloffensive der GRÜNEN im Wahljahr 2011

Editorische Hinweise

Den Text erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe, nachdem er auf deren Website erstveröffentlicht wurde.