Im
Nachrichtenticker mit europaweiten Medien bei „Borderline-Europe“
(www.borderline-europe.de) gehen
täglich Berichte von den Dramen im Mittelmeer und auf den
Seewegen in Richtung Europa ein sowie die Nachrichten von der
Grenzüberwachungsagentur Frontex. Deren Verstärkung wird zwar
derzeit auch kritisch von etlichen Tagesmedien gesehen, wobei
diese aber ausschließlich mit dem ( quasi „andererseitigen,“ ,
„ausgleichenden“) Fehlen von Hilfsmaßnahmen seitens des
Europaparlaments argumentieren. Besonders den Frontex-Diskurs
möchte ich genauer betrachten. Oftmals werden in der
öffentlichen Sprache bedenklicherweise doch kriminalisierende
Begriffe aus dem Außenministerium und aus rechtspopulistischen
Spektren ( dänische Volkspartei u. a.) übernommen, wonach
„Illegale“, „Kriminelle“, und „Drogenhändler“ sowie „Schleuser“
mit Frontex abgewehrt würden. Ein Sprachgebrauch, der nach
meiner Ansicht eine Leugnung von Flüchtlingselend und wirklichen
Fluchtursachen beinhaltet und zu einer gefährlichen
Kriminalisierung und Anonymisierung in Kollektiv-Schlagworten
über das Objekt von MigrantInnen führt ( die aus diversen
menschlichen und zivil notwendigen Gründen fliehen wie Kriegen,
gewaltsamen innenpolitischen Konflikten, „Arabischer Frühling“,
ökologische Zerstörung des Landes durch die reichen
Industriestaaten z. B. in Regionen Somalias, in denen
europäische Nuklearabfälle verklappt werden etc.), während bei
solcher Kollektivierung eine Art europäische Volksgemeinschaft
als Rechtstiftende und als Definitionsmacht über „Kriminalität“,
„Legalität“ und auch über „Grundrecht“ bestärkt wird. Solch ein
Diskurs ist abzulehnen.
Darüber hinaus
ist immer wieder daran zu erinnern, dass die bloße Existenz der
Abwehrstruktur, wiewohl sie jetzt schon rund sieben Jahre
andauert, keine Gewöhnung von der europäischen Zivilgesellschaft
erfahren darf. Es ist immer wieder von der Seite der Opfer aus
zu sprechen, und die Existenz der Abwehr-Institution als eine
errichtete Struktur und eine andauernde Schande anzuprangern.
Deshalb möchte ich auch einigermaßen wachsam über den
derzeitigen Diskurs über Frontex urteilen, in dem sich die
Gefahr einer medialen Gewöhnung an diese Einrichtung abzeichnet.
Zweierlei ist
festzuhalten: Die jüngst beschlossene Erweiterung der
Frontex-Agentur verdient die Empörung und braucht den
Widerspruch der europäischen Gesellschaft. Und das jetzt öfter
verlautende Wort von Grundrechts-Monitoring im Zusammenhang mit
der Agentur benötigt eine ernste Hinterfragung.
Verstärkte
Flüchtlingsabwehr wurde am 23. Juni von den Staats- und
Regierungschefs beschlossen, und das in der Zeit, in der die
NATO in Libyen Kriegs- und Bomben-Einsätze befehligt. Die
Grenzsicherungsagentur Frontex soll mehr Kompetenzen erhalten;
so soll sie künftig von den Mitgliedsstaaten Beamte für ihre
Einsätze verpflichtend anfordern können (bislang war die Agentur
von schwankenden Mitarbeiten abhängig), und während sie bisher
materielle Ausstattung mit Hubschraubern, Schiffen und
Fahrzeugen ausleihen musste, soll nun eine eigene Ausstattung
ermöglicht werden.
(Zugleich wurde
auf EU-Ebene festgezurrt, was Innenkomissarin Cecilia Malmström
Wochen zuvor angekündigt hatte, Berlusconi und Sarkozy rasch
Folge leistend: Die Regelung, Schengen-interne Grenzkontrollen
aufgrund vermeintlicher Flüchtlingsproblematik zeitweise und
„nur unter außergewöhnlichen Umständen“ wieder einzuführen – die
Kriterien für solche Umstände sollen bis zum Herbst von der
EU-Kommission erarbeitet werden. )
Das Sterben im
Mittelmeer indessen geht weiter, und es stand nicht auf der
Agenda in Brüssel, umfassenden Mitteln zu Lebensrettung, Bergung
und Asylgewährung für die Menschen aus Subsahara und Nordafrika,
die täglich zum Seeweg getrieben werden, entgegenzusehen.
Seit Anfang des
Jahres sollen nach Schätzungen italienischer Medien mindestens
1600 Schutzsuchende aus Libyen im Mittelmeer gestorben sein, und
bekanntermaßen liegt die Opferzahl der im Mittelmeer seit 1996
Ertrunkenen gut zehnmal höher.
Doch der
Beschluss auf dem Gipfel vom 23. Juni steht eher im Zeichen
eines europäischen „Weiter so - mit Abschottung !“ – „Weiter
so!“ signalisierten die Staatsoberhäupter, was die Ziele der
Grenzüberwachungsagentur im Mittelmeer betraf, und „weiter so!“
übrigens auch mit Dublin II, wie die deutsche Regierung schon
anläßlich diverser Anfragen von Linkspartei und anderen
SprecherInnen klarmachte: Dublin II, diese europäische Regelung,
die permanent zu wesentlichem Anteil die schlimmsten
Verhältnisse in griechischen und italienischen Flüchtlingslagern
bedingt, aber die nicht politisch angetastet, und in den
hiesigen Medienberichten oft bagatellisiert oder gar nicht
besprochen wird. Wie hier noch mal betont sei: Wenn europäische
SprecherInnen die Gesetze nicht mehr kennen wollen, die Europa
selbst mal (in 2003) zum großen Nachteil der Asylfreiheit
gemacht hat, wird es natürlich einfach, von einer
„Flüchtlingsschwemme“ zu fabulieren, wenn in Italien und
Griechenland die Lager überfüllt sind, indes die dort
anlandenden Menschen verpflichtet werden, im Erststaat zu
bleiben. Einerseits: Ja, es befahren mehr Flüchtlinge seit dem
„Arabischen Frühling“ die gefährlichen Fluchtrouten nach Europa
und landen auch an. Andererseits ist die Zahl, wie immer wieder
von Flüchtlingsbeauftragten, z. B. EU- Hochkommissar Antonio
Guterres, betont wird, mit Leichtigkeit verkraftbar für die 500
Millionen europäischen EinwohnerInnen, und die Überfüllungen in
den Lagern der südlichen Länder gehen nun mal auf das Konto von
Dublin II. ( Beispielsweise ging ein Beitrag des „Fakt“-mdr-Magazins
im ARD knapp am Problem vorbei, indem es zwar das
Flüchtlingselend im griechischen Patras aufzeigte, aber die
Dublin-II-Regelung nur marginal erwähnte. So stand der Beitrag
eher im Lichte der aktuellen Diskussion um griechische
Haushaltshilfen und der Frage nach Sanktionen, und ließ die
erbärmlichen Verhältnisse in den Flüchtlingsbaracken als
griechisch- hausgemachtes Problem aussehen.) In dieser Hinsicht
rang sich die deutsche Regierung zu nichts mehr durch, als zu
einer vorübergehenden Behörden-Empfehlung, von Rückführungen in
die überlasteten Länder derzeit abzusehen.
Protestierende
Sätze, erschütterte Äußerungen hingegen kamen von NGO `s und
Flüchtlingsbeauftragten, als die politische Einigung auf mehr
Frontex bekannt wurde: So äußerte die Organisation Pro Asyl,
erschüttert zu sein. „Eine Schande“ sei dieser Beschluss,
kommentierte auch die Vereinigung der Ärzte zur Verhütung des
Atomkrieges, IPPNW, bedenke man, dass UNHCR schon Wochen zuvor
an die EU-Staaten appelliert hätte, Menschen, die derzeit den
Ausweg aus den libyschen Kriegswirren suchen, aufzunehmen – die
Rede war von 15 000. Und es war schließlich seitens des
Hochkommissars Antonio Guterres energisch geäußert worden, dass
von einer vermeinten „Flüchtlingswelle“ keine Rede sein könne.
Aber was die deutsche Regierung betrifft, hatte sie sich nur
bereiterklärt, 150 Menschen, die in Malta gestrandet sind,
vorübergehend aufzunehmen.
Der
IPPNW-Vorsitzende Michael Jochheim kritisierte außerdem die
deutsche Regierung, die der NATO Technik und Bauteile für Bomben
im Libyenkrieg in Aussicht stellte: „Das konterkariert eine
Verhandlungslösung des Konflikts“. Solche kritischen Töne wurden
überwiegend in den kleineren Zeitungen und Randmedien
transportiert, wie der Saarländischen Online-Zeitung.
Und einzelne
regionalen Initiativen wie z. B. die Bezirksversammlung von
Hamburg-Altona forderten die Aufnahme von mehr Flüchtlingen aus
Krisenregionen vom Bundesrat.
Und noch
zitiert sei die schlichte Wahrheit, die das Hilfswerk von
Caritas international formulierte: „Ließe Europa mehr
Zuwanderung zu, müßten weniger Menschen ihr Leben auf
gefährlichen Überfahrten gefährden.“ (presseportal 29.6.)
Bei diesem
Stand der Dinge ist es wichtig, dass in der Gesellschaft
diesseits der europäischen Außengrenzen keine Beruhigung
eintritt über die technische Grenzüberwachung, sondern dass die
Abwehr von Flüchtlingen skandalisiert, und stetig nach den
Ereignissen, die sich abspielen, gefragt wird. Und, um von
meiner Perspektive aus nochmal zu verdeutlichen, was in medialen
Berichten manchmal zusammenfällt: Es sind zwei Punkte an der
neuesten Ausrichtung in der Festung Europa zu kritisieren:
Erstens, dass keine Aufnahme (die diesen Namen verdient) von
Flüchtlingen und Erleichterung der Asylwege erfolgte. Und
zweitens die Frontex-Erweiterung.
Doch solle der
Agentur Frontex laut Ankündigung in Brüssel zukünftig auch ein
„grundrechtliches Beraterforum“ beigeordnet werden. Die Agentur,
einzelne politische Entscheidungsträger und
FlüchtlingssprecherInnen hatten in den vergangenen Jahren mehr
Kontakte miteinander aufgenommen, und es resultierte wohl
hieraus, dass sich nun ein „Experten-Forum“ entwickeln solle,
über dessen Formierung Ende Juni aber nichts Genaueres
mitgeteilt wurde. Dass es einige quere Verstrebungen zwischen
Flüchtlingsschutz und Frontex sowie Politik gibt, ist eine
jüngere Entwicklung dieser Jahre gewesen. Ein Nutzen in der
Zielsetzung der Flüchtlingsschutzorganisationen an den
Außengrenzen, besonders von „Borderline-Europe“ mag auf der
Hand liegen: Die unmittelbar involvierte und vor Ort tätige
Flüchtlingsschutzorganisation kann durch Mitteilung an die
Verantwortlichen wenigstens die schlimmsten Mißstände
formulieren und deren rasche Abhilfe einfordern, vielleicht auch
Druck ausüben. Es geht um konkrete Verhältnisse, in denen Leben
gerettet werden können.
Aber was
schwerlich im Kalkül der politischen Abwehr-ExpertInnen fehlen
dürfte und eine künftige Gefahr sein könnte, ist, dass die
Agentur in der öffentlichen Berichterstattung mit einem
„Beraterforum“ künftig einen „Image-Katalysator“ erhalten kann,
und dass im gesellschaftlichen staatsbürgerlichen Bewußtsein
eine Beruhigungswirkung eintritt, sich die Abwehr-Agentur also
etabliert. Und deshalb ist von anderer Seite, von medialer Seite
und von ebenso von Basisorganisationen, entschieden gegen eine
solche Etablierung anzugehen.
Diesbezüglich:
Ein verordneter Double-Bind spricht für mich aus der
Pressemitteilung der Grünen. Aus ihren Reihen war in den
vergangenen Monaten die Frage gestellt worden: "Ist Frontex mit
den Menschenrechten vereinbar?“ und eine Studie erarbeitet
worden. Und, wie schon öfter im politischen Bereich, zeichnet
sich mit der Fragestellung einer bestimmten SprecherInnengruppe
bereits die Entwicklung ab - natürlich kam kein klares Nein
heraus. Mit ihrem Resultat hatte der Grünen-Innenausschuß eine
Stellungnahme erarbeitet, um somit im EU-Parlament in die Tagung
vom 23. Juni. Aus der Grünen-Pressemitteilung vom selben Tag:
"Das Parlament
konnte einige Forderungen im Bereich der Menschenrechte
durchsetzen. So wird es, wenn Parlament und Rat noch offiziell
zustimmen, die Verpflichtung für FRONTEX geben, Operationen
abzubrechen, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Zudem
werden der Agentur ein Menschenrechtsbeauftragter und ein in
Menschenrechtsfragen beratendes Gremium zur Seite gestellt.
Abschiebeflüge sollen in Zukunft gemonitort werden und das
Parlament soll mehr Informationen als bisher erhalten. Diese
Verbesserungen können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass
die Vereinbarungen oft nur vage formuliert sind und viel
Spielraum lassen. (…)“
Die Institution
indessen wird beibehalten und die deklarierten Zielsetzungen
werden beibehalten. Nun ist das erstmal haarsträubend, was der
europäischen Gesellschaft hier als Verbesserung angedreht wird:
„Einige Forderungen im Bereich der Menschenrechte“ wurden also
durchgesetzt – welche denn nicht? Und warum nicht – wurden die
entkräftet, oder einfach mal so fallen gelassen? Also ist einer
Fortführung von Frontex mit etwas mehr Menschenrechten, aber
nicht allen, ins Auge zu sehen? Wie ist eine gemonitor-te
Abschiebung vorstellbar? Warum soll ein parlamentarisch
verordnetes Monitoring vertrauenswürdig sein, solange
innenpolitisch Flüchtlinge, die ihre Abschiebung verhindern,
kriminalisiert werden?
Wie spielerisch
hab ich mir den Spielraum zu denken, über den hier „nicht
hinwegzutäuschen ist“? Offenbar kann es für die SprecherInnen
einen Spielraum bei der Einhaltung von Menschenrechten geben.
Soll in diesem Spielraum noch etwas stattfinden, oder ist der
dann künftig von moralischen Appellen auszufüllen ( die in der
Presse allerdings immer sehr gut ankommen)? Viele Fragen,
während ich aber nicht vergessen will, dass dieser Diskurs eine
gedankliche Fußfalle ist. Abschiebungen, ob mit oder ohne
Monitoring, sind zu stoppen! Frontex ist abzuschaffen! Die
Ausrichtung der Ländergemeinschaft unter dem Begriff von Europa
bzw. Schengen, die hier passiert und sich an eine solch
unsichere Definition von Menschenrechtswahrung ( s. o.) bindet,
während gleichzeitig die Kriterien für die Frontex-Erweiterung
schon konkret eingetütet werden, ist für mich nicht hinnehmbar.
Noch mal einen
Blick auf diese Diskursführung gerichtet: Schon die Logik in der
Zusicherung, die jetzt am 23. Juni erfolgte, empört mich ,
nachdem die Agentur bereits 6 Jahre lang bestand und tätig war:
Das erinnert an die Logik der Bundesregierung, die nach der
Fukushima-Atomkatastrophe „Stresstests“ für AKW zusicherte, uns
also einer "sicheren" Atomkraft entgegenblicken ließ, während
wir bislang unvermutet doch noch mit unsicherer Atomenergie
gelebt hätten. Denn über die vergangenen Jahre hatte die Agentur
am 23. 6. keineswegs Rechenschaft abgelegt- diese Rechenschaft
wird derzeit noch von diversen Stellen eingefordert (siehe
unten). Und auch die Erinnerung an die Berichte von
Organisationen über Vorgänge im ägäischen Mittelmeer in 2008, wo
Grenzbeamte Flüchtlingen ihre Trinkwasservorräte wegnahmen und
diese auf Steininseln ihrem Schicksal überließen, ist mir noch
gewärtig.
Dabei ist hier
hinzuzufügen, dass der fragliche Grundrechtsbeauftragte, der
Frontex laut der neuerlichen Vereinbarung dauerhaft zur Seite
stehen solle, wie Pro Asyl berichtete (und wie nur in wenigen
Mainstream-Medien zu lesen stand), „ allerdings, anders als das
EU-Parlament ursprünglich gefordert hatte, kein unabhängiger
Beobachter, sondern selbst ein Frontex-Mitarbeiter sein soll.“
Wenn mensch die
erklärten Ziele der Frontex-Agentur von deren Homepage einsieht,
bleibt meines Erachtens ein gesunder Aufschrei nicht aus, der
fragen läßt: Inwieweit soll eine Grundrechts-Wahrung mit der
Koordinierung von Abschiebeflügen vereinbar sein? Oder mit den
„zusammengeführten Operationen zwischen Mitgliedsstaaten und
anderen Staaten, um Grenzsicherheit an den Außengrenzen zu
stärken“? Wie soll ein Abbruch von Operationen, „wenn es zu
Menschenrechtsverletzungen kommt“ ( so unsicher sind die
Ausgangssituationen also) – laut dem Grünen-Entwurf -
vorstellbar sein?
Abschiebungen
sind hingegen abzuschaffen, denn der Opfer von Abschiebungen und
Rückführungsabkommen waren schon viel zu viele, wie
beispielsweise die syrischen Kurden, die nach dem
deutsch-syrischen Rückführungsabkommen von 2009 ( das trotz
Protesten der kurdischen DemokratInnen und deutscher
Flüchtlingsorganisationen umgesetzt wurde) in Syrien in Haft
landeten und gefoltert wurden ( Berichte von Pro-Asyl und
Antirassistischer Initiative Berlin).
Es ist klar:
Eine Umkehr zu fordern, bleibt die Sache der
zivilgesellschaftlichen Proteste und der Selbstorganisationen
und Flüchtlingsorganisationen. Und von diesem Standpunkt aus ist
eine Gegenöffentlichkeit zu schwammigen und diplomatischen
Presseberichten zu errichten. Die Vorgänge im Mittelmeer und an
den Außengrenzen sind zu verfolgen und zu berichten, wie die
Vorgänge in den libyschen Auffanglagern in der Sahara. Denn was
die „zusammengeführten Operationen“ mit Nicht-Mitgliedsstaaten
betrifft, beinhalteten sie bislang auch das italienisch-libysche
Freundschaftsabkommen zur Rückführung von Flüchtlingen, die
Gaddafis Wächtern übergeben wurden. Menschenrechtsverletzungen
in den libyschen Lagern wurden von der Selbstorganisaion
Association Malienne pour les Expulsés (AME) in Mali
dokumentiert, die regelmäßig die rückgeführten Menschen aus
Subsahara nach ihren Erlebnissen befragte. Jene, die
Flüchtlingsorganisation AME, drängt seit ihrer Aktivität und
ihren Erfahrungsberichten auf Entschädigung für die Opfer und
auf einen Stop der Abschiebungen und der Frontex-Tätigkeiten im
Mittelmeer und an den Grenzen der EU-Abkommenspartner wie Libyen
und Algerien, Tätigkeiten, welche von AME als völkerrechtswidrig
und als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention bezeichnet
werden.
Die EU-Politik
strebt jetzt auch die Wiedererrichtung der Kontrolle der
libyschen Südgrenze an, also die Flüchtlingsabwehr, die zuvor
mit Muammar Gaddafi vereinbart war, wieder mit anderen
Staatsleuten ne auszurichten (Focus-Mitteilung).
Bemerkenswert
ist auch, vor welchem Hintergrund das „weiter so“ in Brüssel
signalisiert wird: Es war wenig später nach dem Bericht von „The
Guardian“, dass ein Boot im Mittelmeer am 8. Mai kenterte und
dass 61 von den Menschen, die aus Libyen aufgebrochen waren,
ertranken. Und während der Europarat noch ankündigte, dass die
Praxis der Frontex-Boote, welche dabei in den Gewässern
unterwegs waren und möglicherweise die Hilferufe gehört haben
könnten, untersucht werden müsse, steuerten die Regierungschefs
in Brüssel auf ihre Entscheidung hin, die besagte Agentur mit
mehr Kompetenzen auszustatten- plus dem besagten Beraterforum.
Und es ist der
Moment, in dem Flüchtlinge in einem beispiellosen Prozeß
aufgrund einer Rückführung nach Libyen den italienischen Staat
anklagen. Eine sehr aufschlußreiche Mitschrift vom Prozeß gibt
die kritische schweizerische Wochenzeitung www.woz.ch am 30.6.
Auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention
klagten 24 Migranten aus Somalia und Eritrea in Straßburg. Sie
waren in einer Gruppe von 227 Flüchtlingen in drei Booten am 6.
Mai 2009 von der italienischen Grenzpolizei Guardia di Finanza
nahe Lampedusa aufgegriffen worden. Bei zufälliger Anwesenheit
von zwei Journalisten auf einem Schiff der Grenzpolizei wurde
damals festgehalten, was passierte: Die Grenzer bargen die
Flüchtlinge aus dem Wasser, führten sie aber zurück in den Hafen
von Tripolis. Die Betroffenen waren so verzweifelt, dass sich
einige von ihnen nackt auszogen und drohten, sich ins Wasser zu
stürzen.
„Sadek Hirsi
Jamaa und weitere Kläger,“ die betreffenden 24 von den
Abgeschobenen, verwiesen im Prozeß auf ihr Recht auf Asylantrag,
das wahrzunehmen sie auf dem Patrouillenboot verhindert worden
wären - so äußert einer ihrer Anwälte, die italienischen
Behörden hätten von ihnen Papiere des UNHCR konfisziert, die
ihren Status als Flüchtlinge bescheinigten. Und sie klagten
außerdem gegen den Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzips
durch die italienische Patrouille.
Zu
bemerkenswerten Aussagen der Verteidiger Italiens zählen etwa
die Sätze: „Italien hat sich gemäss den Richtlinien der EU zur
Abwehr der illegalen Migranten verhalten. Es müßten sich, wenn
schon, alle Staaten hier rechtfertigen.... Die Beschwerde ist
als nicht zulässig zu erklären, weil keine Sicherheit über die
Identität der Kläger und somit für eine individuelle Beschwerde
besteht.“
In dem Prozeß,
der am 22. Juni (sic! einen Tag vor der Brüsseler
Frontex-Erweiterung) eröffnet wurde und in einem halben Jahr zu
einem Urteil führen soll, erklärten die Verteidiger des
italienischen Staates die Ereignisse vom fraglichen 6. Mai zudem
als „Rettungsaktion“. Wie unzureichend solch ein Rettungsbegriff
sein kann, zeigt sich jedoch, wenn man die Bedeutung und die
weitere Erfahrung nach der Rückführung von den Klägern selbst
hört. So der Anwalt der Flüchtlinge: „In Libyen wurden sie mit
Gewalt gezwungen, das Schiff zu verlassen. Die Mobiltelefone
wurden ihnen abgenommen. (…) Ich habe letzte Woche Ermias
Berhane, einen der Kläger, getroffen. Er konnte während der
Nato-Bombardements einmal mehr aus Libyen flüchten und hat es
diesmal nach Italien geschafft. Er hat mir von seinem Aufenthalt
im sogenannt sicheren Libyen erzählt: wie er in ein Lager für
illegale Migranten geschafft wurde, wo er über ein Jahr
gefoltert und misshandelt wurde, bis er beinahe starb. Die
libyschen Behörden ließen ihn bloß frei, weil sie seinen toten
Körper nicht brauchen konnten.“ (woz.ch)
Die Klage der
24 Flüchtlinge aus Somalia und Eritrea zeigt, gemäß der
furchtbaren Erfahrung von Ermias Berhane (und mutmaßlich noch
anderer), der an die libyschen Folterlager ausgeliefert worden
war, dass das europäische Abwehrprinzip selbst die Gefahr für
Leib und Leben birgt und für die Betroffenen bringen wird, wenn
es umgesetzt wird.
Ein
grundrechtliches Beraterforum für die
Flüchtlingsabwehr-Institution wird meiner Ansicht nach die
Dynamik für die politisch Verantwortlichen bringen – und dies
kann kaum in ihrem Kalkül fehlen - dass sich der
Abschottungsdiskurs aufrechterhalten läßt, in dem die
europäische Seite den Nicht-Mitgliedsländern ihre Bedingungen
diktiert, und in dem die Zivilgesellschaft der
Nicht-Mitgliedsstaaten zu reagieren und sich anzupassen hat,
aber nicht gehört wird. Und einen Abschottungsdiskurs, in dem
die Gesellschaften der Abschiebungsopfer sich weiterhin den
alten Verhältnissen zu fügen haben – in dem eben nicht die
Forderungen der Organisationen wie AME, Mali oder REFDAF (Réseau
des Femmes d`Afrique, Senegal), die ihre Position auf dem
Weltsozialforum in Dakar 2011 sehr deutlich darlegten,
wahrgenommen werden, nämlich die Forderung nach
Bewegungsfreiheit für die MigrantInnen der afrikanischen Länder,
nach einem Abschiebestopp und der Gewährung von Asylverfahren
anstatt von Abwehr durch die GrenzbeamtInnen. Die alten
Sprecherrollen bleiben erhalten. Das ist eine für
machtanalytische, kritische Basisbewegungen nicht hinnehmbare
Situation – deshalb hat auch Frontex weiterhin den Protest von
der Seite solcher Bewegungen nötig.
Dazu kommt ein
Aspekt, den ich auch nicht für einen Nebenaspekt halte: Für die
europäische Gesellschaft könnte sich die Tendenz durchsetzen,
dass mit der Zusicherung von „grundrechtlichen Aspekten“ eine
Gewöhnung an „die Institution Abwehr“ ( um es hier einmal so zu
nennen) eintritt. Und dass Sprachdenkmäler von „kriminellen
Flüchtlingen“ und von „Drogenhändlern“ und Schleusern, von
„Illegalität“ im Zusammenhang mit Migration und Flucht
weiterbefestigt werden und noch mehr als bisher eine Dichotomie
von „guten“ und „schlechten Werten“ ( Nord-Süd) in der
internationalen politischen Szenerie bringen.
Deshalb muss
die Forderung nach der Abschaffung von Frontex weitergehen. Die
Flüchtlingsabwehr muss gestoppt werden. Darum sind erst recht
von unabhängiger Seite und von Opferseite, von den Flüchtlingen
und von beobachtenden Organisationen vor Ort die Vorgänge im
Mittelmeer , vor dem Abschottungszaun und in den Abschiebelagern
der Sahara zu dokumentieren und für jeweilige Vorgänge die
Verantwortung Europas einzuklagen.
Editorische
Hinweise
Den Text
erhielten wir von der Autorin für diese Ausgabe.