Die Organisationsdebatte geht weiter

Die Vielheiten der Kämpfe
Zur Organisationsfrage, der Rolle von Parteien und dem Problem des „Bruchs“
 

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on Thomas Seibert (ISM)

7-8/11

trend
onlinezeitung

Auch wenn ich immer mit Linkssozialist_innen kooperiert und deshalb den Beitritt der isl zur IL unterstützt habe, weiß ich doch, dass die Genoss_innen letztlich auf einen ganz anderen Organisierungsprozess aus sind. Linkssozialist_innen aller Couleur wollen „jenseits von Sozialdemokratie und Stalinismus“ eine „revolutionäre Massenorganisation“, deren Modell noch dann von der historischen Arbeiterpartei vorgegeben wird, wenn man aufgeklärter von einer „Bewegungspartei“ spricht. Weil der dann trotz allem wie eh und je zugedacht wird, den Prozess der Transformation von Gesellschaft zu „führen“, muss sie einerseits rrrichtig rrrevolutionär sein und andererseits zugleich aufs Bündnis mit der reformistischen Klassenmehrheit orientieren. Im Effekt sind linkssozialistische Eigengewächse oder die entsprechenden Flügel breiterer Linksparteien deshalb weder Fleisch noch Fisch: nie wirklich in der Lobby, nie wirklich auf der Straße – wenn’s ernst wird, wird abgebogen. Das „na endlich“-Papier arbeitet sich dazu an PRC, NPA und der LINKEN ab: auf so was in der Art, nur besser, soll’s ja rauslaufen.
Redaktionelle Hinweise

Wir veröffentlichten in der Märzausgabe einen Beitrag der
„Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg“ zur Gründung einer antikapitalistischen Organisation. Darüber entwickelte sich eine Debatte, die durch das TREND TEACH IN seinen ersten Bilanzpunkt erfuhr. Die Statements wurden in der Juniausgabe des TREND veröffentlicht.

Es scheint so, als dass die Debatte weitergehen würde. In unserer Sommerausgabe 7-8/11 werden wir weitere Texte zu dieser Frage
publizieren.

Die "SchönebergerInnen" haben mittlerweile einen Blog eröffnet, der ebenfalls  die Debatte begleitet.

Ich bin da gar nicht dagegen: Eine ordentliche Partei kann hilfreich sein, und eine schlechte Partei (zuletzt PRC, d’accord!) kann schlimme Folgen haben. Und doch ist meine Vorstellung revolutionärer Organisierung eine ganz andere, schon deshalb, weil eine solche auch und gerade neben einer „guten“ Partei ihren eigenen Platz behielte, da sie mit dieser Partei nicht nur nicht um die „führende Rolle“ konkurriert, sondern das Problem der Führung in ganz anderer Weise angeht. Auf den Punkt gebracht: Eine revolutionäre Organisierung zielt nicht auf Repräsentation, sondern schlägt in den Kämpfen praktisch wie theoretisch eine bestimmte Vorgehensweise vor und richtet sich dabei an die, die dieses besondere Vorgehen zu ihrer eigenen Sache machen wollen. Mit „event hopping“ hat das nur dann zu tun, wenn sich nicht deutlich genug mitteilt, dass es dabei um die Selbstermächtigung möglichst vieler in und durch die eigene Aktion geht – zugegeben ein Punkt, in dem die IL noch lernt.

Zur Differenz in der Organisierungsfrage gehört, dass das „na endlich“-Papier diese Frage einerseits zu Recht an die „Klassenorientierung“ bindet, dann aber zu Unrecht behauptet, dass die nur vorliegt, wenn am Schema von „Haupt-“ und „Nebenwiderspruch“ festgehalten wird. Um den faulen Zahn kreist die Zunge: in verschämten, bisweilen peinlichen („antipatriarchal Gas geben“), mit Vorbehalten gemilderten, doch in der Sache entschiedenen Schleifen und Wendungen besteht das Papier auf der letztendlichen Unterstellung der Problematiken etwa des Geschlechts oder des Rassismus unter die Konfliktlagen in den „direkt mehrwertproduzierenden Sektoren“ und findet es deshalb auch witzig, der Vielfalt der Unterdrückungs- und Ausbeutungserfahrungen und damit der Kämpfe die der „Menschen mit Segelohren“ hinzuzufügen. Erläutert wird das u.a. an der Hausarbeit, die in ihrer strategischen Bedeutung zwar anerkannt, doch nach wie vor im „privaten Rahmen“ verortet und deshalb von der (kursiv hervorgehoben!) „gesellschaftlichen Produktion“ getrennt wird – kein Formulierungsmissgriff, sondern ein Symptom: dumm gelaufen, nichts verstanden! Achtung: Es geht hier nicht um strittige Fragen der Sachanalyse, sondern um die analyseleitenden Kategorien des Papiers: die sind eben nicht neutral, sondern waren und bleiben patriarchal entstellt.

Weil das „na endlich“-Papier seinen vorgeblich ironisierten, tatsächlich aber ungebrochenen Traditionalismus in zum Teil richtigen Kritiken der „Neuen Sozialen Bewegungen“ plausibel machen will, sei an dieser Stelle noch mal auf den „Multituden“-Begriff verwiesen, der bekanntlich einer Selbstkritik dieser Bewegungen entspringt. Der Begriff soll den der Klasse so ersetzen, dass die in beiden Begriffen gemeinte Subjektivität repolitisiert wird. Deshalb geht’s dabei auch nicht um additive Koalitionen gegen „triple (oder mehr) oppression“, sondern um deren immer erst herzustellenden inneren Zusammenhang. Gelingen kann so verstandene „revolutionäre Einheit“ nur, wenn die Vielheiten der Erfahrungen und Subjektivitäten, also die Vielheiten der Kämpfe und ihre (bleibend!) unterschiedlichen Logiken so aufeinander bezogen werden, dass keiner der beteiligten Terme (Klasse, gender, race, aber auch Herrschaft, Ausbeutung und Subjektivierung, also Disziplin, Norm, Kontrolle, „Mehrheit“ und „Minderheit“, also Widerspruch der Klassen, Fluchten der „Minderheiten“, Ästhetiken der Existenz, Reform, Revolution, Reformation) die anderen auf Dauer dominiert: ein Vorhaben, dass ganz offenbar nur konfliktiv ausgetragen werden kann. Der Kapitalismus bildet dabei insoweit den Horizont, als dessen Dynamik eben nicht nur in der Subsumtion der Arbeit, sondern in der Subsumtion überhaupt des Lebens unter das Kapital ausgemacht wird.

Ich weiß, dass da vieles noch zu klären ist: Hier geht’s mir nur erst um den Aufweis, um was und wie zu streiten ist, soll (eine richtige Wendung des Papiers) das „Negationsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft“ neu bestimmt werden. Wer die Einigungs-, das heißt die Organisierungsfrage ernsthaft auf das strategische Problem von notwendig auch in sich konfliktiven Vielheiten von Kämpfen bezieht, wird dann auch nach dem Ereignis fragen müssen: das übrigens so wenig „postmodern“ ist, dass sich eine seiner prägnantesten Bestimmungen bei Hegel findet*. Um auch hier ein Gespräch erst zu eröffnen: Es geht dabei – nur eben ganz anders – um die Frage des „Bruchs“, die im „na endlich“-Papier zu Recht zu den unumgänglichen Fragen zählt. Soweit fürs erste.

*„Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, dass unsre Zeit eine Zeit der Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in der Arbeit seiner Umgestaltung. Zwar ist er nie in Ruhe, sondern in immer fortschreitender Bewegung begriffen. Aber wie beim Kinde nach langer stiller Ernährung der erste Atemzug jene Allmählichkeit des nur vermehrenden Fortgangs abbricht – ein qualitativer Sprung – und itzt das Kind geboren ist, so reift der sich bildende Geist langsam und stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen des Baues seiner vorgehenden Welt nach dem andern auf, ihr Wanken wird nur durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn wie die Langeweile, die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines Unbekannten sind Vorboten, daß etwas anderes im Anzuge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt.“
(Hegel, Phänomenologie des Geistes: 18f.)

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Text vom Linkspartei-Blog http://www.linkeblogs.de/ , wo er am 28.6.2011 erschien