In Freiburg hatte sich im März 2009
nach einem längeren Prozess und der Auflösung der
Antifaschistischen Aktion Freiburg eine neue politische
Organisation gebildet, die den Namen Antifaschistische Linke
Freiburg (ALFR) trägt. Dieser Schritt wurde gegangen, weil
wir trotz mehrjähriger, durchaus erfolgreicher
antifaschistischer Arbeit zu dem Punkt gekommen sind, dass
eine gemeinsame Gegnerschaft gegenüber Nazis nicht hinlangt,
eine antifaschistische Gruppe zusammenzuhalten. Es bedarf
vielmehr der Übereinstimmung in grundlegenden politischen
Fragen, um den antifaschistischen Kampf auch dauerhaft
erfolgreich und mit einer politischen Perspektive zu führen.
Aus diesem Grund haben wir, die ALFR, ein Selbstverständnis
formuliert, welches im Folgenden dokumentiert ist.
Wer wir sind und was wir wollen - Selbstverständnis
der Antifaschistischen Linken Freiburg (ALFR)
Einleitung
Die Antifaschistische Linke Freiburg (im Folgenden ALFR) geht
u.a. hervor aus der Antifaschistischen Aktion Freiburg und
wird von den Kräften getragen, deren Faschismus-Analyse sich
nicht in der Kenntnis der stetig steigenden Bedrohung durch
Neo-Nazis erschöpft, wenngleich die Bekämpfung dieser
Bedrohung auch für uns höchste Priorität hat. Doch wie bereits
der Sozialphilosoph Max Horkheimer wusste: „Wer aber vom
Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus
schweigen“[1], so wissen auch wir, dass jeder, der die Losung
„Nie wieder Auschwitz!“ ernst meint, die Überwindung der
kapitalistischen Produktionsweise zum Ziel haben muss, hat
doch die Geschichte nicht nur in Deutschland, sondern auch in
Spanien, Chile, Italien oder Argentinien bewiesen, dass der
Faschismus – wie auch die parlamentarische Demokratie - für
die Bourgeoisie eine Herrschaftsoption ist, die sie zu ziehen
bereit ist, wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht sieht.
Natürlich wird kein vernünftiger Mensch diese Wahrheit nach
den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts bestreiten. Umso
erstaunlicher ist es, dass sie in Teilen der Linken immer
weniger eine Rolle spielt.
Auch wir, Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen
und Antifaschisten, haben die Überwindung dieser
Gesellschaftsordnung, Wurzel von Hunger, Ausbeutung und Krieg,
zum Ziel.
Wir sehen uns hier in der Tradition der internationalen
Arbeiterbewegung und des wissenschaftlichen Sozialismus, d.h.,
es ist nicht eine Utopie oder eine Vision, keine ahistorische
Wunschvorstellung, die uns antreibt, sondern das Wissen um die
historische Aufgabe unserer Klasse als Totengräber des
Kapitalismus.
Die kapitalistischen Krisen, deren Bewältigung zwangsläufig
gewaltigere Krisen hervorrufen muss, führen weltweit zu stetig
steigender Abscheu für die Herrschaft der Bourgeoisie und die
Frage der Revolution bleibt keine Frage mehr nach einer
besseren oder schlechteren Gesellschaftsordnung, sondern wird
zur Überlebensfrage. Die Tatsache, dass die globale Herrschaft
des Kapitals nationale Handelsgrenzen zerschlägt,
unterstreicht die Notwendigkeit der Organisierung der
revolutionären Kräfte über Ländergrenzen hinweg. „Die
Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu
verheimlichen.“[2]
Aus diesem Grund werden wir im Folgenden unsere Analysen,
unsere Beweggründe und unsere Verortung innerhalb der
revolutionären Linken darlegen. Wir tun dies in gebotener
Kürze, denn äußern werden wir uns in Zukunft ohnehin noch oft
genug.
Hierfür werden wir nicht auf hohe Rösser steigen, denn wir
sind keine Feierabend-Linken, für die Politik zum Hobby
verkommen ist. Wir sind – im Gegenteil – davon überzeugt, dass
es nötig ist, überall als Revolutionäre zu wirken, den
Fortschritt zu erkämpfen und die Angriffe der herrschenden
Klasse abzuwehren. Für uns beginnt und endet die Revolution
nicht im autonomen Ghetto. Wir kämpfen tagtäglich in Betrieben
und Bildungsstätten, in Gewerkschaften und Betriebsräten, auf
der Straße und in der politischen Debatte. Mit den Worten der
Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin: Wir wollen
„dort stehen, dort kämpfen, wo das Leben ist“[3].
1. Antifaschismus
Als am 8. Mai 1945 die militärische Niederlage Deutschlands
endlich feststand, war die Bilanz des vom deutschen Faschismus
entfesselten Krieges in der Menschheitsgeschichte beispiellos.
Etwa 60 Millionen Menschen verloren ihr Leben, davon allein
mehr als 25 Millionen Bürger der überfallenen Sowjetunion.
Sechs Millionen Juden wurden vergast, erschlagen, erhängt,
erschossen. Politische Gegner, Sinti und Roma, Menschen mit
Behinderung oder von den Nazis als „asozial“ diffamierte
Menschen wurden massenhaft Opfer der faschistischen
Herrschaft.
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte
Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung
des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau
einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen
schuldig.“[4]
Dieses bekannte Zitat aus dem Schwur von Buchenwald ist auch
für uns Antifaschisten nach über 60 Jahren Befreiung vom
Faschismus Verpflichtung. Denn die Wurzeln des Nazismus sind
im heutigen Deutschland in keiner Weise beseitigt. Nicht nur
die personellen Kontinuitäten nach 1945, nicht nur der immer
noch erschreckend verbreitete Antisemitismus und Rassismus in
der Bevölkerung, nicht nur die neofaschistischen Pogrome und
die großdeutsche Besoffenheit, die im Zuge der
Konterrevolution von 1989 und 1990 eine wahre Renaissance
erlebte, sind hierfür Indizien, sondern auch die Tatsache,
dass die ökonomische Basis des Faschismus, nämlich die
Kapitalherrschaft, bis heute nicht beseitigt wurde. Das
Leugnen des Klassengegensatzes und die Unterordnung der
Arbeiter unter die Unternehmer im Interesse der „nationalen
Einheit“ sind zentrale Merkmale der
Volksgemeinschaftsideologie und der faschistischen Herrschaft.
Die Tatsache, dass der Faschismus von breiten Teilen der
deutschen Bevölkerung getragen und unterstützt wurde, steht
hierzu nicht im Widerspruch. Der Faschismus unterscheidet sich
von der Militärdiktatur ja gerade durch das ideologische
Moment und die Tatsache, dass eine Durchdringung der Massen
stattfindet.
Voraussetzung für die Festigung des faschistischen Regimes war
die weitgehende Vernichtung der sozialistischen und
kommunistischen Arbeiterbewegung als inneren Feind und
erbittertsten Gegner der Nazi-Herrschaft. Die Folgen sind
heute noch spürbar. Die Schwäche der Linken und die
mangelhafte Verwurzelung in der Arbeiterklasse sowie die
schwache Protestkultur hierzulande im europäischen Vergleich
sind auch das Resultat der nahezu vollständigen Vernichtung
der Arbeiterbewegung durch das faschistische Regime, eine
Bewegung, die dem deutschen Kapital gefährlich zu werden
drohte.
Das Bündnis, das die deutsche Bourgeoisie mit der vor allem
vom Kleinbürgertum getragenen Nazi-Bewegung spätestens seit
Beginn der 1930er Jahre endgültig einzugehen bereit war, war
motiviert durch die Aussicht auf die gründliche Ausplünderung
Europas und der Welt sowie die Gewissheit, dass der Kampf
gegen den Marxismus ein zentrales Moment der Ideologie der
Nazis darstellt und die Bekämpfung der Arbeiterbewegung sehr
früh auf der Agenda zur „Vereinfachung der Demokratie“ stehen
würde. In diesem Punkt finden wir eine handfeste und in ihrer
historischen Bedeutung nicht zu unterschätzende
Deckungsgleichheit in den Interessen des deutschen Kapitals
mit der Programmatik der NSDAP.
Aus der Eingabe führender deutscher Industrieller, Bankiers
und Großagrarier an Reichspräsident Paul von Hindenburg, 19.
November 1932:
„Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser
Volk geht, den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch
Überwindung des Klassengegensatzes die unerläßliche Grundlage
für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst
schafft. Wir wissen, daß dieser Aufstieg noch viele Opfer
erfordert. Wir glauben, daß diese Opfer nur dann willig
gebracht werden können, wenn die größte Gruppe dieser
nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt wird
Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den
besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten
Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe
wird die Schwächen und Fehler, die jeder Massenbewegung
notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die
heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen.
[…] mit größter EhrerbietungDr. Hjalmar Schacht, Berlin (ehem.
Bundesbankpräsident)Kurt Freiherr von Schröder, Köln (Bankier)Fritz
Thyssen, Mülheim (Konzernführer, Schwerindustrie)Eberhard Graf
von Kalckreuth, Berlin (Präs. d. Reichslandbundes)Friedrich
Reinhart, Berlin (Bankier)Kurt Woermann, Hamburg (Großreeder
u. Großkaufmann)Fritz Beindorff, Hamburg (Großreeder)Kurt von
Eichhorn, Breslau (Bankier)Emil Helfferich (Großreeder,
Hapag)Ewald Hecker, Hannover (Schwerindustrie)Carl Vincent
Krogmann (Finanzkapital)Dr. Erich Lübbert, Berlin (Stahlhelmwirtschaftsrat)Erwin
Merck, Hamburg (Handelskapital)Joachim von Oppen (Großgrundbesitzer)Rudolf
Ventzki, Esslingen/Württ. (Maschinenbau)Franz Heinrich
Witthoefft (Großkaufmann)August Rosterg, Berlin (chemische
Industrie)Robert Graf von Keyserlingk, Cammerau (Großgrundbesitzer)Kurt
Gustav Ernst von Rohr-Manze (Großgrundbesitzer)Engelbert
Beckmann, Hengstey (Vors. D. Rhein. Landesbank)“[5]
Aus dem Gesetz zur „Ordnung der nationalen Arbeit“, 20. Januar
1934:
„Erster Abschnitt
Führer des Betriebes und Vertrauensrat
§1
Im Betriebe arbeiten der Unternehmer als Führer des Betriebes,
die Angestellten und Arbeiter als Gefolgschaft gemeinsam zur
Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk
und Staat.
§2
(1) Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft
gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten, soweit sie
durch dieses Gesetz gedeckt werden.“[6]
Über Jahrzehnte war die Rolle des deutschen Kapitals als
Profiteur, Förderer und Finanzier des deutschen Faschismus
unbestritten. Der sicherlich kommunismusunverdächtige Thomas
Mann charakterisierte diesen im US-amerikanischen Exil wie
folgt: „Was zerstört werden muß, ist die unglückselige
Machtkombination, das weltbedrohende Bündnis von Junkertum,
Generalität und Schwerindustrie.“[7] Wer wollte diese Tatsache
nach der millionenfachen Versklavung von Zwangsarbeitern, nach
der Ausbeutung durch Thyssen, IG Farben, Carl Zeiss etc.
bestreiten? In einem Land, in dem Guido Knopp und Götz Aly als
Historiker gelten, ist hingegen alles möglich. Letzterer hat
in seinem Buch „Hitlers Volksstaat“ die deutsche
Unternehmerschaft gar als Opfer (!) nationalsozialistischen
Sozialwahns ausgemacht.[8] Was für eine Beleidigung aller
Opfer der faschistischen Versklavung! Es ist wahrlich zum
Kotzen: die Profiteure zu Opfern zu machen – diese
Dreistigkeit hat vor Aly kaum jemand besessen. Sein
durchschaubarer Versuch, den fortschreitenden Sozialabbau als
Vergangenheitsbewältigung zu legitimieren, wurde vom
Satiremagazin Titanic mit treffsicherer Polemik wie folgt
beantwortet:
„Und so mußtet Ihr Krupps und Flicks weiter in bitterster
Armut dem Sieg der Alliierten entgegenfiebern, so wie alle
Eure Zwangsarbeitersklaven. Wahrlich, Ihr solltet eine eigene
Gedenkstätte in Auftrag geben – ein großes Sparschwein mit der
Aufschrift: `Denkmal für die vom Hitler-Regime ausgeplünderten
und bis aufs Blut gereizten deutschen Kapitalisten, die
zwischen 1939 und 1945 draufgezahlt haben oder sogar total
leer ausgegangen sind´. Falls das niemand freiwillig errichten
möchte, dann versucht es doch abermals mit polnischen und
weißrussischen Zwangsarbeitern. Die tun fast alles für Euch,
wenn Ihr die SS wieder mitbringt.“[9]
Nun erschöpft sich unsere Vorstellung von Antifaschismus nicht
in einem Streit ums Geschichtsbild, das die bürgerliche Klasse
in ihrem Interesse zu revidieren versucht, um ihre Rolle im
deutschen Faschismus zu verdecken. Auf die tagespolitische
Situation bezogen, ist es etwa Aufgabe, die erhellenden
Parallelen in den „Reformvorschlägen“ der bürgerlichen
Ökonomie und Politik sowie der Unternehmerverbände der 1920er
Jahre zu den heutigen aufzudecken, um diese als bloße
Formulierungen von Kapitalinteressen zu entlarven.
„Dies gilt z.B. für die Reform des Föderalismus, den
Bürokratieabbau, die Schwächung des Tarifvertragssystems bzw.
des staatlichen Schlichtungswesens, die Erleichterung von
Kündigungen und die Liberalisierung des Ladenschlusses, mit
denen man die Wirtschaft bzw. ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem
Weltmarkt stärken wollte, genauso wie für Lohn- bzw.
Gehaltssenkungen, unter denen die Binnenkaufkraft zu leiden
hatte, und die Verlängerung der Wochenarbeitszeit.“[10]
Was auch heute führende Vertreter des Kapitals selbst von den
formalen Grundregeln politischer Entscheidungsfindung der
bürgerlichen Demokratie halten, offenbart sich in einem Zitat
von Jürgen Schrempp aus dem Jahr 1993, der seinerzeit
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aerospace AG sowie
Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG war: „Das etablierte
Vorgehen, das die politischen Entscheidungen von ihrer
Mehrheitsfähigkeit abhängig macht, ist der heutigen Zeit nicht
mehr gewachsen.“[11]
Nicht selten wird das Argument vorgebracht, es mangele
heutzutage nicht nur an Beweisen für die offensichtliche
Verbindung von faschistischer Bewegung und Kapital, sondern
auch am Vorhandensein dieser Verbindung selbst. Außerdem gehe
der bürgerliche Staat inzwischen ja mitunter gegen
faschistische Gruppierungen vor. Diese Beobachtungen sind auf
den Moment bezogen keine falschen. Dennoch sollte man sich
hüten, aus ihnen den Schluss zu ziehen, das Bündnis mit dem
Faschismus sei für das Kapital keine Option mehr. Dieses hat
ja nicht jederzeit ein aktives Interesse am Faschismus. Für
das Kapital ist die bürgerliche Demokratie die einfachste und
bequemste Möglichkeit, Profit zu erwirtschaften. Aber gerade
in Krisenzeiten, wenn der Druck, der auf den Lohnabhängigen
lastet, immer stärker wird, die linke Opposition wächst und
für die herrschende Klasse gefährlich werden kann, wird der
Faschismus zu einer systemerhaltenden Option, da er für eine
kompromisslose Politik gegenüber der Linken steht und durch
die Intensivierung der Ausbeutung der Lohnabhängigen die
Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise
garantiert.
Zugleich ist es uns Antifaschisten Aufgabe, den Aufbau
potentiell bündnisfähiger faschistischer Strukturen
schonungslos zu bekämpfen und schon im Keim zu ersticken. Die
Parole „Kein Fußbreit den Faschisten“ ist uns praktische
Verpflichtung.
Wir halten es für wichtig, zu betonen, dass die faschistische
Option nicht zwangsläufig über die offene Unterstützung
faschistischer Parteien laufen muss. Möglich scheint uns auch
das weitere Vorantreiben der Transformation der bürgerlichen
Demokratie in einen Polizeistaat, der zum Zwecke der
präventiven Konterrevolution repressiv nach innen und als
Instrument deutschen Expansionsdrangs kriegerisch nach außen
in Erscheinung tritt. Die Entwicklung seit dem Angriffskrieg
1999 gegen Jugoslawien ist hierfür mahnendes Anzeichen.
Wir von der ALFR sehen unsere Aufgabe, die Wurzeln des
Faschismus für immer zu beseitigen, also auch im Kampf um die
klassenlose Gesellschaft. Es muss klar sein, dass wir uns hier
auf die rein materielle Ursachenanalyse des Faschismus
beschränken, wobei grundlegende und wichtige ideologische
Aspekte und deren Konsequenzen in der Entwicklung des
Faschismus ausgeklammert werden. Wir halten die
Auseinandersetzung mit diesen Fragen im antifaschistischen
Kampf natürlich nichts desto trotz für unerlässlich.
Viele Merkmale der hiesigen Gesellschaftsordnung, wie die
„Flüchtlingspolitik“, die Selektion in Menschen, „die uns
nutzen“, und Menschen, „die uns ausnutzen“, die Standortkeule,
also die Forderung nach Bescheidenheit im Arbeitskampf im
„nationalen Interesse“, Sozialabbau, aggressive Außenpolitik
sowie repressive Innenpolitik, müssen Gegenstand
antifaschistischer Kritik sein, will man keinen Antifaschismus
betreiben, der so reduziert ist, dass er den Namen nicht mehr
verdient. Denn all dies - Leistungszwang, Konkurrenzdruck,
Verwertungslogik usw. - schafft ein gesellschaftliches Klima,
in dem die Faschisten mit ihrer Hetze auf fruchtbaren Boden
stoßen können.
Doch wollen wir auch keine Missverständnisse aufkommen lassen:
die stärkere Fokussierung auf revolutionäre Politik wird
keinesfalls zu einer Vernachlässigung unserer
antifaschistischen Praxis führen. Für die Faschisten in der
Region ist die Gründung der ALFR eine schlechte Nachricht. Die
Kontinuität unseres Kampfes gegen die faschistische Bestie ist
nach wie vor gewährleistet.Nazis, passt bloß auf!
2. Klassenkampf statt Vaterland – Für eine
revolutionäre Perspektive
2.1 Krisenlogik
„Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits
durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von
Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte
und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also?
Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen
vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen,
vermindert.“[12]
Allein dieser kleine Absatz beweist, dass die Fähigkeit zum
Prognostizieren bei den beiden Begründern des
wissenschaftlichen Sozialismus stärker ausgeprägt war, als bei
jeder beliebigen Ratingagentur.
Als im Jahr 2000 die Krise der New Economy ihren Höhepunkt
erreichte, die Dotcom-Blase endgültig geplatzt war und
weltweit massenhaft IT-Fachkräfte dem Stellenabbau anheim
fielen, führte dies zu einem nachhaltigen Wegfall der
Investitionsbereitschaft in der IT-Branche. Die US-Notenbank
reagierte hierauf mit einer Niedrigzinspolitik. Die Folgen
sind hinlänglich bekannt: Die Ende 2008 aufgetretene
Finanzkrise, die durch die Wechselwirkung mit der
Realwirtschaft zu einer Weltwirtschaftskrise ungeheuren
Ausmaßes angewachsen ist, erreichte durch die Lehman-Insolvenz
lediglich ihren vorläufigen Höhepunkt. Vorausgegangen war das
Platzen der Immobilienblase nach großzügiger Gewährung von
Subprime-Krediten.
Doch genauso wie Krisenbewältigungskonzepte nach dem Platzen
der Dotcom-Blase diese Weltwirtschaftskrise vorbereiten
halfen, genauso klar ist auch, dass die Krise der New Economy
nicht aus dem Nichts entstanden ist. Je größer die
vorausgegangene Konjunktur, desto freier der Fall ins
Bodenlose. Die Asienkrise Ende der 1990er Jahre holte die
vermeintlichen Tigerstaaten jäh auf den Boden der Tatsachen
zurück. Die Liberalisierung der Finanzmärkte hatte nur
temporär zu einem Boom des Aktien- und Immobilienmarktes
geführt. Dass nach dem Platzen der Immobilienblase die Krise
weitestgehend auf Asien begrenzt blieb, hing ausschließlich
mit dem bis dato geringen Exportanteil der USA und Europas in
Asien zusammen.
Doch auch die steigende Rolle der Hedgefonds, die u.a. durch
Leerverkäufe versuchen, Wechselkursrisiken zu vermeiden und
die Welt in ein Spekulationsobjekt verwandeln, waren nur der
krasseste Ausdruck des Deregulierungswahns im Zuge der
neoliberalen Offensive. Dem Spielball Finanzmarkt steht eben
kein „vernünftiger“ oder organisierter Kapitalismus gegenüber.
Das Märchen von der „sozialen Marktwirtschaft“, zu der es
zurückzukehren gelte, schlucken immer weniger Menschen. Denn
die Krisen sind genauso alt wie der Kapitalismus selbst und
Produkt dieses Systems. Nach dem Wegfall des sozialistischen
Lagers ist ein zynischer Sozialabbau-Wettkampf über
Ländergrenzen hinweg ausgerufen worden, in dem die
Industrieverbände der jeweiligen Staaten fordernd auf die
„günstigeren Investitionsbedingungen“ in den Ländern
verweisen, welche die Umverteilung von unten nach oben bereits
radikaler, rücksichts- und schamloser umgesetzt haben. Diese
Standorterpressung lässt die Regierungen der kapitalistischen
Länder die Forderungen des Kapitals umsetzen. Den politischen
Akteuren fehlt es naturgemäß an Interesse, Macht und Willen,
das Kapital in die Schranken zu weisen.
2.2 Das „Rettungspaket“: Sozialisierung der Krise –
Privatisierung des Profits
Die aktuelle „Verstaatlichungsoffensive“ ist nichts weiter als
ein Taschenspielertrick.Beispiel Depfa: Der ehemals
staatseigene Betrieb wurde 1989/´90 im Zuge der
Privatisierungsoffensive in eine AG verwandelt und 2007 von
der Hypo Real Estate geschluckt. Durch die Privatisierung
wurde die öffentliche Hand um die Gewinne der Folgejahre
gebracht. Jetzt trägt sie die Kosten für die
Wiederverstaatlichung. Diesen doppelten Verlust scheint sich
die Bundesregierung leisten zu können.
Mit dem Verweis auf leere Kassen wurde hingegen die Enteignung
der Rentner und Erwerbslosen durch „Maßnahmen“ wie die
Anhebung des Renteneintrittsalters, die Nötigung zur privaten
Altersvorsorge (die Einführung der Riester-Rente markiert
nichts Geringeres als den Einstieg in den Ausstieg aus der
staatlichen Rentenversicherung), Hartz IV und Zwangsarbeit
(z.B. 1-Euro-Jobs) brutal vollzogen.
Die vermeintliche Verstaatlichungsoffensive entpuppt sich
durch die großzügige Entschädigung der Großaktionäre und die
schlichte Tatsache, dass es bei einer maroden Bank nichts mehr
zu enteignen gibt, als Care-Paket für das Kapital. Alleine in
die Hypo-Real Estate flossen nach aktuellem Stand (Februar
2009) bereits 1.200 Euro pro Bundesbürger.[13] Mit anderen
Worten: Die Bourgeoisie lässt sich ihre Verluste erstatten.
Im Gegenzug leben hierzulande nach Angaben des Kinderreport
Deutschland 2007 bereits „schätzungsweise 5,9 Millionen Kinder
in Haushalten mit einem Jahreseinkommen der Eltern bis zu 15
300 Euro“[14]. Der Bericht ist alarmierend: „Während 1965, auf
dem Gipfel des Babybooms, nur jedes 75. Kind unter sieben
Jahren zeitweise oder auf Dauer Sozialhilfe bezog, traf dies
im Jahre 2006 auf mehr als jedes sechste Kind insgesamt zu –
mithin rund das16-fache der Quote von 1965.“[15]
Migrantenkinder sind besonders hart betroffen.[16]Diese Zahlen
beweisen, dass der Kapitalismus nicht nur für eine Minderheit
von Prekarisierten existenzbedrohend ist, sondern große Teile
der Bevölkerung auch in den Industrieländern in Armut treibt.
2.3 Kapitalismus und Krieg
Die Auswirkungen der letzten großen Weltwirtschaftskrise Ende
der 1920er und Anfang der 1930er Jahre sind uns Mahnung und
Verpflichtung zugleich, den Kapitalismus und damit die Ursache
der großen Mehrheit der modernen Kriege auf den Müllhaufen der
Geschichte zu befördern. Hatte die letzte große
Weltwirtschaftskrise auch den Aufstieg der Nazis in
Deutschland und einen der fürchterlichsten Kriege der
Menschheitsgeschichte zur Folge, gibt es auch heute keinen
Grund sich zurück zu lehnen, denn die kriegerische Realität
ist allgegenwärtig.
Der Kampf um Rohstoffe und Ressourcen und der
Konkurrenzgedanke sind dem Kapitalismus inhärente
Erscheinungen. Dass dieser Kampf auch militärisch ausgetragen
wird, wo die politischen Bemühungen ins Leere laufen, bedarf
keines Beweises mehr. Schon der preußische General und
Militärtheoretiker Carl von Clausewitz wusste: „Der Krieg ist
eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“[17].
Profiteure sind längst nicht mehr bloß die mit dem
Wiederaufbau betrauten Firmen oder die Waffenindustrie. Von
der Privatisierung der Kriege profitieren bereits zahlreiche
Sicherheitsfirmen, die mit der Kriegslogistik betraut worden
sind. Der Krieg im Irak, der geostrategisch motivierte Krieg
in Afghanistan und auch der Jugoslawien-Krieg sind
beispielhaft für diese Entwicklung. Neu ist lediglich die
propagandistische Umdeutung einer Aggression in eine
„humanitäre Intervention“. Um das linksliberale Bürgertum 1999
auf Kriegskurs zu bringen, bedurfte der deutsche Imperialismus
einer bis dato diesbezüglich unbefleckten Kraft: den Grünen!
Seinerzeit trat der damalige Außenminister Joseph Fischer mit
Sorgenfalten vor die Fernsehkameras und brachte die
Widerwärtigkeit fertig, die zweite deutsche Bombardierung
Jugoslawiens nach 1943 mit der Absicht zu rechtfertigen, er
wolle ein neues Auschwitz verhindern. Die in Auschwitz
ermordeten Menschen konnten sich gegen diese Vereinnahmung für
die neuen deutschen Kriegsziele nicht mehr wehren.
2.4 Die neoliberale Weltordnung und der Zwang zum
Internationalismus
Das Bestreben des Kapitals, den Weltmarkt zu erobern, führt
zwangsläufig zum Wegfall nationaler Grenzen. Der im
Zusammenhang mit der neoliberalen Offensive, also der
Deregulierung des Waren- und Kapitalverkehrs, dem Abbau von
Handelsgrenzen sowie dem systematischen Sozialabbau
entstandene Begriff „Globalisierung“ drückt nichts anderes
aus, als die von Karl Marx und Friedrich Engels bereits vor
160 Jahren festgestellte und auf der Hand liegende Tatsache,
dass „[d]as Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz
für ihre Produkte [..] die Bourgeoisie über die ganze
Erdkugel“[18] jagen lässt.
Der Reformismus jedoch mag keine Gesetzmäßigkeit in dieser
Entwicklung erkennen. Da er sich einer historischen und
materialistischen Analyse verweigert, will er dem „enthemmten“
Kapitalismus den Fordismus vergangener Zeiten gegenüber
stellen und erhofft sich von der Rückkehr zum Protektionismus
und zur Nationalstaatlichkeit einen Kapitalismus mit
menschlichem Antlitz.
Für uns gilt jedoch: Vor allem anderen kommt das Bekenntnis
zum Internationalismus und die Gewissheit, dass die
Arbeiterklasse kein Vaterland hat. So sehr es auch richtig
ist, dass die Arbeiterklasse eines jeden Landes natürlich
zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden muss, hat
sie nur eine Chance, wenn sie ihre auf nationaler Ebene
ausgetragenen Kämpfe in einen internationalen Zusammenhang
stellt. Da das Kapital international agiert, muss sich auch
der Klassenkampf globalisieren. Erst wenn die Lohnabhängigen
sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen und erkennen,
dass sich die Grenzen nicht entlang der Hautfarbe, der
Nationalität, des Geschlechts, des Alters oder sexueller
Präferenzen manifestieren, sondern ausschließlich und mit
aller Gewalt zwischen oben und unten verlaufen, erst dann
besteht die Chance, die Herrschaft der Milliardäre zu brechen
und durch die Herrschaft der Milliarden zu ersetzen. Wir sind
davon überzeugt: Die Völker haben ein Bedürfnis nach Frieden.
Doch gibt es keinen Frieden ohne Sozialismus und keinen
Sozialismus ohne Revolution. Dafür müssen wir die Menschen
gewinnen. So einfach ist das und so schwer.
2.5 Analytische Abgründe – Der „antideutsche“
Vulgärmarxismus
Zur Unbrauchbarkeit des Reformismus gesellt sich der
Vulgärmarxismus der sogenannten Antideutschen, die zwar eine
leise Ahnung von den Sachzwängen des Kapitals zu besitzen
scheinen, aber selbst das betreiben, was sie der Linken gerne
vorwerfen: verkürzte Kapitalismuskritik (sofern wir ihre durch
und durch bürgerliche Argumentation als Kapitalismuskritik
durchgehen lassen wollen)!
Mit dem Verweis auf Marx' Vorwort zur ersten Auflage des
Kapitals, in dem er betont, dass der einzelne Kapitalist nicht
verantwortlich ist „für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial
bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben
mag“[19], verbittet sich der „antideutsche Kritiker“ jede
Personifizierung und schreit nach den Persönlichkeitsrechten
des Individuums. Hierbei verschweigt er, dass Marx nicht nur
dem Kapitalisten zugesteht, von seinem gesellschaftlichen Sein
bestimmt zu werden, sondern gleichfalls und ganz besonders dem
Proletariat. Genauso wenig wie die Bourgeoisie, haben die
unterdrückten Klassen eine Wahl und so weiß Marx, dass sich
die Revolution nur in einem „gewaltsamen Umsturz aller
bisherigen Gesellschaftsordnung“[20] manifestieren kann. Und
da gesellschaftliche Verhältnisse niemals abstrakt sind,
sondern von Menschen bestimmt werden, richten sich die
Klassenkämpfe, überall wo sie stattfinden, natürlich auch
gegen Personen, da man keine Verhältnisse ändern kann, ohne
Machtverhältnisse zu ändern. Marx weiß zwar, dass der einzelne
Kapitalist nicht persönlich für das Gesamtsystem
verantwortlich ist, mit keiner Silbe jedoch leitet er daraus
den Schluss ab, dass man ihn deswegen nicht verjagen müsse.
Der „antideutsche“ Vulgärmarxist ist auf der einen Seite gerne
bereit, dem Kapitalisten die Zwangsläufigkeit seines
Verhaltens zuzugestehen, dem Proletarier jedoch nicht.
Stattdessen schreit der „Antideutsche“: „Barbarei!“, sobald
der Klassenkampf Formen annimmt. Die Verbrechen des Kapitals
wie Faschismus, Krieg oder Ausbeutung werden von
„antideutscher“ Seite hingegen nicht als barbarisch benannt,
oder – falls doch – zu einer antikapitalistischen Barbarei umgelogen.
Die Argumentation des „antideutschen“ Vulgärmarxisten ist also
durch und durch bürgerlich und das kann auch nicht verwundern,
wird doch auch sein Bewusstsein vom gesellschaftlichen Sein
geprägt. Wir gestehen dem „antideutschen Kritiker“ gerne zu,
dass auch er sozial ein Geschöpf der Verhältnisse bleibt,
sosehr er sich auch subjektiv gegen sie erheben mag.Die
Feststellung, dass der Verweis auf Persönlichkeitsrechte im
Kapitalismus auch nichts weiter als eine systemerhaltende
Argumentation sein kann, hat Marx der Bourgeoisie bereits vor
über 160 Jahren um die Ohren gehauen:
„In der bürgerlichen Gesellschaft ist das Kapital
selbständig und persönlich, während das tätige Individuum
unselbständig und unpersönlich ist.
Und die Aufhebung dieses Verhältnisses nennt die Bourgeoisie
Aufhebung der Persönlichkeit und Freiheit! Und mit Recht. Es
handelt sich allerdings um die Aufhebung der
Bourgeois-Persönlichkeit, -Selbständigkeit und Freiheit.
Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen
bürgerlichen Produktionsverhältnisse den freien Handel, den
freien Kauf und Verkauf.
[...] Ihr entsetzt euch darüber, daß wir das Privateigentum
aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist
das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder
aufgehoben; es existiert gerade dadurch, daß es für neun
Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, daß wir ein
Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der
ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung
voraussetzt.
Ihr werft uns mit einem Worte vor, daß wir euer Eigentum
aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir.
Von dem Augenblick an, wo die Arbeit nicht mehr in Kapital,
Geld, Grundrente, kurz, in eine monopolisierbare
gesellschaftliche Macht verwandelt werden kann, d.h. von dem
Augenblick, wo das persönliche Eigentum nicht mehr in
bürgerliches umschlagen kann, von dem Augenblick an erklärt
ihr, die Person sei aufgehoben.
Ihr gesteht also, daß ihr unter der Person niemanden anders
versteht als den Bourgeois, den bürgerlichen Eigentümer. Und
diese Person soll allerdings aufgehoben werden.“[21]
Doch lassen wir im Folgenden die „Antideutschen“ rechts liegen
und widmen uns den Aufgaben der revolutionären Linken im 21.
Jahrhundert.
3. Die Niederlage von 1989 und der Sozialismus des 21.
Jahrhunderts
Mit der Konterrevolution der Jahre 1989 bis 1991 konnte die
Bourgeoisie ihre Herrschaft wieder festigen und die Menschheit
auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückwerfen. Diese
Niederlage dient der bürgerlichen Geschichtsschreibung als
Totschlagargument für den Sieg des Kapitalismus als dem Ende
der Geschichte. Das scheinbare Scheitern des Sozialismus wird
gehässig zum Anlass genommen, die Ausgebeuteten daran zu
erinnern, dass Widerstand zwecklos ist. Die herrschende Klasse
betrachtet die von Marx und Engels gestellte Prognose, wonach
der Sozialismus den Kapitalismus ablösen wird, für widerlegt.
In ihrem Siegesrausch vergisst sie jedoch, dass das Kapital
lediglich einen Etappensieg errungen hat. Wie auch der
Kapitalismus nicht von heute auf morgen den Feudalismus
ablöste, so hat sich nun gezeigt, dass auch der Sozialismus
einen neuen Anlauf brauchen wird.
Der Wegfall des sozialistischen Lagers hatte katastrophale
Entwicklungen zufolge, deren Ausmaß jedem vernünftigen
Menschen den Atem stocken lässt:
Es dauerte nicht mal 9 Jahre seit der Einverleibung der DDR,
bis sich der neue (alte) Kurs des deutschen Imperialismus
wieder offenbarte und die Bundeswehr als Teil des
NATO-Bündnisses ihren grausamen Kriegseinsatz gegen die
jugoslawische Bevölkerung begann. Die im Nachkriegsdeutschland
nur mühsam erprobte Zurückhaltung wich der offenen
Aggression. Ein Terror, der sich auch im Inneren des Landes
vollzog. Anfang bis Mitte der 1990er Jahre erreichte die
faschistische Pogrom-Welle ihren grausamen Höhepunkt. Fünf
Menschen wurden in Solingen durch einen Brandanschlag
ermordet. Die Polizei schaute seelenruhig zu, als sich in
Rostock über mehrere Tage der braune Mob austobte und die
Bewohner eines Flüchtlingsheimes in Todesangst versetzte. Ob
Mölln, Mannheim oder Hoyerswerda – die Liste ließe sich
fortsetzen. Und auch heute erklären die faschistischen Banden
ganze Stadtteile zur „national befreiten Zone“.
Verheerend auch die ökonomische Rückwärtsentwicklung und die
Zerschlagung des Gesundheitssystems im gesamten Osten: Hatte
die DDR seinen Bürgern kostenfreie medizinische Versorgung,
ein Recht auf Arbeit und Wohnung, Bildungsmöglichkeiten und
Gleichberechtigung garantieren können, so wurden diese
Fortschritte rücksichtslos zerschlagen. Mithilfe der
„Treuhand“ wurden die DDR-Bürger enteignet. Westliche
„Investoren“ fielen mit der Arroganz von Kolonialherren über
das Land her und die versprochenen blühenden Landschaften
erwiesen sich angesichts der entstehenden verheerenden
Arbeits- und Perspektivlosigkeit rasch als Illusion.
In Russland, einst Vorreiter des sozialistischen Aufbruchs,
herrschen heute die Oligarchen, zusammen mit dem
orthodox-klerikalen Patriarchat und der Mafia. Die Ukraine
sowie die baltischen Staaten stehen vor dem Staatsbankrott. Es
kommt zu einer Renaissance des Nationalismus und damit steigt
die Kriegsgefahr. Jede Provinz entdeckt ihre „nationale
Identität“ und schreit nach Autonomie.
Die Konterrevolution hat die ehemals sozialistischen Länder in
die Barbarei gestoßen. Und bei aller Kritik, die an der
realsozialistischen Wirklichkeit geübt werden kann und muss,
so ist dieser erste groß angelegte Versuch, die Ausbeutung des
Menschen durch den Menschen für immer zu beseitigen, zu
verteidigen. Gerade in Deutschland und gerade vor dem
Hintergrund seiner Geschichte. Mit Abscheu beobachten wir den
Siegesrausch der herrschenden Klasse, die Verfolgung von
Verantwortungsträgern der DDR. Die „Birthler-Behörde“ muss
dicht gemacht, die antikommunistische Hetze gestoppt werden.
Mit Freude verfolgen wir jedoch die Entwicklung des
Sozialismus im 21. Jahrhundert und die Stärkung der Linken in
Lateinamerika. Die Revolution in Venezuela beweist tagtäglich
größte Entschlossenheit im Kampf gegen die Bourgeoisie. Nach
und nach werden der herrschenden Klasse sämtliche
Industriezweige entrissen und in Gemeineigentum verwandelt.
Die Einführung des Sechs-Stunden-Tages wurde angekündigt und
das Land den Bauern übergeben. Bei aller Entschlossenheit
beweist die Linke Lateinamerikas, dass sie dazu gelernt hat
und nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen gedenkt.
Sadismus und Willkür, beides eines Kommunisten unwürdige
Eigenschaften, haben in Venezuela keinen Platz. Nicht Rache,
sondern Fortschritt steht auf der Agenda der Revolution in
Venezuela. Und die politische Führung war schlau genug, zu
wissen, dass die Revolution mehr als nur eine ökonomische
Komponente hat. So hat die Chavez-Regierung als erstes die
Rechte der Frauen und Homosexuellen gestärkt und zahlreiche
Diskrimierungsparagraphen der alten Gesellschaft ersatzlos
gestrichen. Auch die Linksentwicklung in Bolivien sowie der
nicht zu brechende Kampfgeist der kubanischen Bevölkerung, die
auch 50 Jahre nach der Revolution nicht zulässt, dass die
US-Imperialisten sich in ihre inneren Angelegenheiten
einmischen, gibt Anlass zur Hoffnung, dass der nächste große
proletarische Aufbruch seinen Anfang genommen hat.
4. Bündnispolitik
Wir, die ALFR, arbeiten mit allen fortschrittlichen Kräften
zusammen im Kampf gegen Faschismus, Hunger und Krieg. Wir
wollen hierbei keinen marxistischen Kräften „Konkurrenz“
machen, sondern im Gegenteil Schulter an Schulter mit ihnen
für die Einheit der Revolutionäre kämpfen. Wir werden hierbei
unser eigenes Profil bewahren und auch als Antifa-Gruppe in
die gesellschaftlichen Kämpfe eingreifen, sowohl auf
regionaler als auch auf bundesweiter Ebene. Die Zusammenarbeit
mit linken Parteien und Organisationen, den Gewerkschaften und
sozialen Initiativen ist für uns ebenso selbstverständlich wie
ein Zusammenwirken mit Kräften der autonomen Linken.
Wir wollen die Spaltung der Linken überwinden und eine soziale
Gegenmacht mit entsprechender Schlagkraft aufbauen. Hierfür
ist es auch nötig, die Fehler der Linken schonungslos
aufzudecken und in die politische Diskussion zu tragen. Denn
gerade die autonome Bewegung ist in Freiburg – und nicht nur
hier – in einem besorgniserregenden Zustand.
5. Der Zustand der Antifa-Bewegung: Pop statt Politik
– Rituale statt Revolution
Die Abkehr vom Klassenstandpunkt hat in breiten Teilen der
Antifa-Bewegung geradezu groteske Formen angenommen. Auf der
einen Seite beobachten wir den unsäglichen Trend des
„Pop-Antifaschismus“, der politische Inhalte auf dem Altar des
„postmodernen“ Mainstreams geopfert hat. Die Provokation
ersetzt den Gedanken, der inflationäre Gebrauch von
Anglizismen täuscht Internationalität vor, erinnert in
Wahrheit eher an das Vokabular von Werbeagenturen. Sein
politisches Profil besteht aus Parolen wie „Volk abwracken“
oder militärischen Vernichtungsphantasien als Ausdruck
vermeintlich besonders radikalen Gehabes.
Auf der anderen Seite beobachten wir das Fortleben eines
80er-Jahre-Autonomismus, der sich mit seiner antiautoritären
Verweigerungshaltung selbst an den Rand der Gesellschaft
katapultiert und nicht begreift, dass seine Weltflucht nur
dazu führen kann, eine Ghettoisierung zu manifestieren, aus
der heraus revolutionäre Interventionen völlig chancenlos
sind.
Stur an längst überholten Ritualen festhaltend, bedient man
sich gerne einer besonders naiven Symbolik, vorzugsweise
kleine bezopfte Mädchen, die zur Bandenbildung aufrufen.
Fortlaufend Kreativität und Phantasie betonend ist dieses
Milieu zur revolutionären Organisierung nicht imstande und
verwechselt Subkultur mit Klassenkampf. Die Erfindung der
„Szene“ ist symptomatisch für dieses 80er-Jahre-Überbleibsel,
wird doch aus einem bloßen gemeinsamen Konzertbesuch eine
gemeinsame Weltanschauung abgeleitet, die in Wahrheit
überhaupt nicht existiert.
Die Linke kann erst dann siegen, wenn sie aufhört, in Szenen
und beginnt, in Klassen zu denken.
„Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen
keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder
jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind.
Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse
eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unsern Augen
vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“[22]
„Sie [die Antiautoritarier; ALFR] fordern, daß der erste
Akt der sozialen Revolution die Abschaffung der Autorität sei.
Haben diese Herren nie eine Revolution gesehen? Eine
Revolution ist gewiß das autoritärste Ding, das es gibt; sie
ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen
Teil seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und
Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und
die siegreiche Partei muß, wenn sie nicht umsonst gekämpft
haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den
Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen. Hätte
die Pariser Kommune nur einen einzigen Tag Bestand gehabt,
wenn sie sich gegenüber den Bourgeois nicht dieser Autorität
des bewaffneten Volks bedient hätte? Kann man sie nicht, im
Gegenteil, dafür tadeln, daß sie sich ihrer nicht umfassend
genug bedient hat?“[23]
Wir von der ALFR betreten die Bühne der Geschichte mit einem
Zitat der Sozialistin und großartigen Theoretikerin Rosa
Luxemburg:
„Eure `Ordnung´ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich
morgen schon `rasselnd wieder in die Höh´ richten´ und zu
eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden:
Ich war, ich bin, ich werde sein!“[24]
Antifaschistische Linke Freiburg, Juli 2009
Kontakt: info [at] antifaschistische-linke [dot] de
Anmerkungen
[1]Horkheimer,
Max, Die Juden und Europa, in: Zeitschrift für
Sozialforschung. Studies in Philosophy and Social Science.
Herausgegeben von Max Horkheimer. Jahrgang 8. 1939-1940,
München 1980, S. 115- 137, S. 115.
[2] Marx, Karl – Engels, Friedrich, Manifest der
Kommunistischen Partei, in: Marx, Karl – Engels, Friedrich,
Werke. Band 4, Berlin 101990, S. 459- 493, S. 493.
[3] Zetkin, Clara, Ich will dort kämpfen, wo das Leben ist.
Aus der Rede auf dem außerordentlichen Parteitag der U S P D
in Berlin. 4. März 1919, in: Zetkin, Clara, Ausgewählte Reden
und Schriften. Band II. Auswahl aus den Jahren 1918 bis 1923,
Berlin 1960, 93- 115, S. 112.
[4] Ansprache und Schwur in französischer, russischer,
polnischer, englischer und deutscher Sprache auf der
Trauerkundgebung des Lagers Buchenwald am 19.April 1945, in:
Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung. Dokumente und Berichte.
Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage, hrsg. v. der
Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald in Zusammenarbeit
mit der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora beim Komitee
der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR, Berlin
1983, S. 644- 645, S. 645.
[5] Eingabe von Industriellen, Bankiers und Großagrariern an
Reichspräsident von Hindenburg vom 19. November 1932, in:
Kühnl, Reinhard, Der deutsche Faschismus in Quellen und
Dokumenten. 7., durchges. und erw. Aufl., Köln 2000, S. 147-
149, S. 148- 149.
[6] Gesetz zur „Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar
1934 (Auszüge), in: Kühnl, Reinhard, Der deutsche Faschismus
in Quellen und Dokumenten. 7., durchges. und erw. Aufl., Köln
2000, S. 226- 228, S. 226.
[7] Mann, Thomas, Schicksal und Aufgabe, in: Mann, Thomas,
Reden und Aufsätze 4, Frankfurt am Main 1960 (Thomas Mann.
Gesammelte Werke in zwölf Bänden 12), S. 918- 939, S. 928.
[8] Vgl. Aly, Götz, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und
nationaler Sozialismus, 32005, S. 77- 86.
[9] Titanic, Deutsche Kapitalisten!, in: Titanic. Das
endgültige Satiremagazin 26, 2005, S. 6.
[10] Butterwegge, Christoph, Krise und Zukunft des
Sozialstaates. 3., erweiterte Auflage, Wiesbaden 2006, S. 54.
[11] Schrempp, Jürgen E., Entscheidungen sind notwendig, um
den Standort zu retten, in: Wirtschaftsstandort –
Wissenschaftsstandort Deutschland. Eine Publikation der Karl
Heinz Beckurts-Stiftung. Mit Beiträgen von Manfred Erhardt,
Hans-Uwe Erichsen, Hans-Albrecht Freye, Rainer Haungs, Peter
Hans Hofschneider, Horst König, Paul Krüger, Hans-Jürgen
Krupp, Tyll Necker, Jürgen E. Schrempp, Theo Sommer, Josef
Vogl, Paul Weissenberg, hrsg. v. Hans Wolfgang Levi – Brigitte
Danzer, Stuttgart 1994, S. 33- 39, S. 39.
[12] Marx – Engels, a.a.O., S. 468.
[13] Vgl. Welp, Cornelius, Keine Denkverbote bei der Hypo Real
Estate (Kommentar am 17.02.2009 auf wiwo.de. Das Portal der
WirtschaftsWoche), in: http://www.wiwo.de/finanzen/keine-denkverbote-bei-der-hypo-real-estate-387729
[17.07.2009].
[14] Borchert, Jürgen, Befunde und Diagnosen zur Kinderarmut
in Deutschland, in: Kinderreport Deutschland 2007. Daten,
Fakten, Hintergründe, hrsg. v. Deutsches Kinderhilfswerk e.V.,
Freiburg im Breisgau 2007, S. 9- 17, S. 10.
[15] Ebd.
[16] Vgl. Walther, Claudia – Klug, Petra, Armut bei Kindern
mit Migrationshintergrund, in: Kinderreport Deutschland 2007.
Daten, Fakten, Hintergründe, hrsg. v. Deutsches
Kinderhilfswerk e.V., Freiburg im Breisgau 2007, S. 147- 160,
S. 147- 148.
[17] von Clausewitz, Carl, Vom Kriege. Hinterlassenes Werk des
Generals Carl von Clausewitz. Vollständige Ausgabe im Urtext,
drei Teile in einem Band. Neunzehnte Auflage –
Jubiläumsausgabe, mit erneut erweiterter historisch-kritischer
Würdigung von Dr. phil. Werner Hahlweg, Professor für
Militärgeschichte und Wehrwissenschaften an der Universität
Münster/W.. Mit Titelbild und 7 Tafeln, Bonn 1980 (Dümmlerbuch
8201), S. 210.
[18] Marx – Engels, a.a.O., S. 465.
[19] Marx, Karl, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie.
Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals, in:
Marx, Karl – Engels, Friedrich, Werke. Band 23, Berlin 141983,
S. 5- 802, S. 16.
[20] Marx – Engels, a.a.O., S. 493.
[21] Marx – Engels, a.a.O., S. 476- 477.
[22] Marx – Engels, a.a.O., S. 475.
[23] Engels, Friedrich, Von der Autorität, in: Marx, Karl –
Engels, Friedrich, Werke. Band 18, 51973, S. 305- 308, S. 308.
[24] Luxemburg, Rosa, Die Ordnung herrscht in Berlin, in:
Luxemburg, Rosa, Gesammelte Werke. Band 4. August 1914 bis
Januar 1919, Berlin 1974, S. 533- 538, S. 538.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
spiegelten wir von Indymedia.
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