Betrieb & Gewerkschaft
Mit dem Knüppel zur Arbeitsaufnahme für die modernen Sklaven der Atomindustrie
Der französische Stromkonzern EDF verpflichtet Streikwillige zum Dienst im Atomkraftwerk.

Von Bernard Schmid

7/8-09

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Selbst Krankgeschriebene sollten zur Arbeit gezwungen werden, da sonst „der Notstand droht“; EDF zog jedoch eine Eilklage dies betreffend vorläufig zurück. Der Streik beim Stromversorger wird (teilweise) fortgesetzt, befindet sich jedoch im Rückgang.

Das nennt man einen Streik, der nicht unbeachtet bleibt: Schon seit April 2009 werden in mehreren Zentren und Kraftwerken des französischen Energieversorgers EDF (Electricité de France) - der seit 2005 teilprivatisiert worden ist, aber bislang noch immer eine Quasi-Monopolstellung bei der Stromversorgung innehat – mehr oder minder „nadelstichförmige“ Streiks für Lohnerhöhungen und gegen das Outsourcing von Arbeitsplätzen und Dienstleistungen geführt.

Moderne Sklaven für die Radioaktivität: Die „Nuklearnomaden“ 

Worum geht es konkret? In den letzten 30 Jahren ist der Rückgriff auf Subunternehmen bei EDF, dem früheren Staatskonzern (und noch immer zu 85 % in den Händen des staatlichen Aktionärs befindlichen Unternehmens) explosionsartig angewachsen. Der frühere EDF-Präsident Marcel Boiteux wird jetzt in der Presse mit den Worten zitiert: „Zu meiner Zeit wurden nur die Putzfrauen über Subfirmen eingestellt. Jetzt ist es exzessiv (überzogen, völlig übertrieben) geworden.“ 

Frankreich verfügt derzeit über 19 Atomkraftwerke mit insgesamt 58 Reaktorblöcken. An deren Standorten arbeiten über 20.000 Lohnabhängige, die formell keine Beschäftigten des Stromkonzerns EDF sind, sondern bei mehr oder minder kleinen Subfirmen oder als Scheinselbständige beschäftigt sind. 80 % der Wartungsarbeiten an den französischen Atomkraftwerken werden durch diese Arbeitskräfte durchgeführt. Diese nehmen zugleich drei Viertel der jährlichen Radioaktivitätsdosis, denen alle Beschäftigten an den AKW-Standorten insgesamt ausgesetzt sind, durch ihre Körper auf. Viele von ihnen ziehen, auf der Suche nach Jobs, den Wartungsarbeiten von Standort zu Standort hinterher; da sie zu schlecht dafür bezahlt sind, um in Hotelzimmern zu wohnen, siedeln sich viele dieser „Nomaden der Atomindustrie (nomades du nucléaire)“ in Wohnwagen auf den Kraftswerksgeländen an oder übernachten in ihren Autos. Dabei legen sie bis zu 60.000 Strabenkilometer jährlich zurück. (Vgl. ‚Le Canard enchaîne’ vom 15.07.2009) 

Theoretisch gilt auch für diese mehr oder minder prekär Beschäftigten ein Gesundheitsschutz, nach denselben Vorschriften, die auch für Festangestellte Anwendung finden. In der Praxis „vergessen“ die so genannten Nuklearnomaden jedoch oftmals, ein Strahlenmessgerät bei „dringenden Arbeiten „an ihrem Körper mitzuführen – da das Erreichen der jährlichen Höchstdosis an Radioaktivität für sie gleichbedeutend mit dem Verlust des Jobs und des Broterwerbs ist. Schon mehrfach hat es gewerkschaftliche Kampagnen gegen dieses „Nuklearnomadentum“ gegeben: Im Januar/Februar 1997 forderte etwa die CGT, dass solche Tätigkeiten nur durch fest angestelltes Personal - unter ständiger Aufsicht betreffend Gesundheit und Strahlenschutz – verrichtet werden dürften. Damals wurde seitens von EDF versprochen, dass ein Teil der prekären Arbeitskräfte „absorbiert“, also in fest angestelltes Personal überführt werde. Bislang waren die Kämpfe zu dieser Frage jedoch insgesamt weitgehend vergeblich: Im Zuge der (Teil-)Privatisierung, und des damit auf höherer Ebene neu eröffneten Wettlaufs um „Rentabilität“ (d.h. Gewinnträchtigkeit für die Aktionäre, seien sie nun Mehrheits- oder Minderheitseigner), hat sich der Rückgriff auf Subfirmen und die Auslagerung von Tätigkeiten nur noch ausgeweitet. 

Aktuell wird der Streik darum geführt, die Löhne der Betroffenen zu erhöhen (die nicht zum EDF-Personal gehörenden Lohnabhängigen in der Nuklearindustrie verdienen einen Tagelohn von circa 50-60 Euro und kommen monatlich auf Löhne in der Nähe des gesetzlichen Mindestlohns für Vollzeitkräfte, d.h. rund 1.000 Euro netto). Und auch darum, dass möglichst viele Tätigkeiten wieder „eingelagert“, d.h. in d as Unternehmen EDF – mit seinen besseren Standards für das Personal – zurück übernommen werden müssen. 

Seitens der EDF-Direktion ist man „natürlich“ der Auffassung, man habe kein Geld dafür. Allerdings hat das Unternehmen im zurückliegenden Jahr 2008 einen Gewinn von 3,4 Milliarden Euro erwirtschaftet, der jedoch im laufenden Jahr zu stolzen zwei Dritteln an die Aktionäre (den Staat inklusive) ausgeschüttet worden ist. Zudem konnte EDF über eine Anleihe beim französischen Publikum – zwecks Finanzierung seiner Expansionspläne, bspw. in die britische Nuklearindustrie mit dem dortigen Neubau von AKWs – nochmals 3,6 Milliarden Euro einstreichen. Für die Lohnabhängigen fiel bislang kaum etwas davon ab, während gleichzeitig beim privaten Energiekonzern Suez (der sich ebenfalls auf Expansionskurs befindet) die Löhne um 5 % erhöht wurden, und zusätzlich eine Sonderprämie in Höhe von 1.500 Euro an das Personal ausgeschüttet wurde. Dies trug nun in den allerletzten Tagen zum Unmut des Publikums mit bei, da EDF-Präsident Pierrre Gadonneix am o9. Juli verkündet hat, er wolle die Stromtarife für die Haushalte in den kommenden drei Jahren um 20 % erhöhen... (Vgl. unten, Kapitel „Imageschäden“)

Panikmache und Dienstverpflichtungen 

Noch vor kurzem wurde durch die Direktion prognostiziert, dass EDF im Hochsommer dieses Jahres mutmaßlich Strom werde importieren müssen, falls es zu einer Hitzewelle kommt. (Vgl. http://marches.lefigaro.fr ) Denn eine solche lässt (u.a. durch den Einsatz von Klimaanlagen) mitunter den Energieverbrauch ansteigen - während die Flüsse, die als Kühlwasser für die französischen Atomkraftwerke dienen, dann (bis zu einem Drittel) weniger Wasser führen. Eine 100prozentige Tochtergesellschaft von EDF - die RTE, die für das Stromnetz zuständig ist - prognostizierte im Frühjahr 2009 für „ab Mitte Juli“ die Erfordernis, „5.000 mW Strom zu importieren; und 8.000 mW, falls es  zu einer Hitzewelle kommt“. Kritiker/innen sprechen diesbezüglich jedoch von Panikmache, die vor allem ideologische Effekte erzeugen solle. Tatsächlich wird der RTE attestiert, möglicherweise ein Gefälligkeitsgutachten geliefert zu haben, um ungerechtfertigte Panik gegen den Streik zu schüren (vgl. Libération vom 26. 06. 2009). 

Unterdessen ging EDF in den letzten Wochen – seit circa Mitte Juni 2009 - vermehrt dazu über, Streikende bzw. Streikwillige gegen ihren erklärten Willen zum Dienst zu verpflichten, um zu verhindern, dass das Herunterfahren mehrerer Atomkraftwerke erforderlich wird. Dies wurde dem Energieversorgungsunternehmen durch die Justiz, die sonst einen quasi nationalen Notstand heraufziehen sehen drohte, erlaubt. (Vgl. http://www.lesechos.fr und http://www.google.com/) Beim Atomkraftwerk Dampierre in der Nähe von Orléans etwa wurden 700 Angestellte von insgesamt 1.250 durch die Androhung rechtlicher Folgen zum Dienst gezwungen, seit dem 16. Juni dieses Jahres. Ähnliches ereignete sich zum selben Zeitpunkt in vier weiteren Atomkraftwerken. (Vgl. Libération vom 26. 06. 2009; zum Zeitpunkt des Erscheinens hielt der Streik, der damals seit zehn Wochen dauerte, noch in 6 von insgesamt 19 französischen AKWs an.)  

Daraufhin entspann sich jedoch ein neuer Konflikt, da die den Arbeitskampf unterstützenden Lohnabhängigen nunmehr - anstelle sich ausdrücklich streikwillig zu erklären - sich stattdessen krank schrieben ließen. EDF zog daraufhin vor kurzem gegen die (massiven) Krankenschreibungen vor Gericht: Alle abhängig Beschäftigten, deren Krankmeldungen „ungerechtfertigt“ seien, sollten zur Arbeitsaufnahme unter Androhung von Disziplinarstrafen verpflichtet werden können  (vgl. http://www.agencebretagnepresse.com/ ). EDF rief ein Gericht in der in der Pariser Trabantenstadtzone gelegenen Bezirkshauptstadt Bobigny an, um eine Einstweilige Verfügung in diesem Sinne zu erreichen und die zum Arbeitskampf aufrufenden Gewerkschaften CGT und FO verurteilen zu lassen. Dieses Gericht sollte ursprünglich am Freitag, den 26.o6. 2009 entscheiden. Allerdings zog die Direktion von EDF kurz vor dem Gerichtstermin ihre Eilklage doch noch zurück, unter Berufung darauf, „dass wir eine allmähliche Wiederaufnahme der Arbeit feststellen“, so dass ein entsprechender Gerichtsbeschluss nun nicht mehr nötig sei. Die CGT hingegen sprach von einem „ersten Rückzugsmanöver der Direktion“ (vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com

Imageschäden

Dem Vernehmen nach hat die Politik der Dienstverpflichtungen unter rechtlichem Zwang bei EDF in erheblichem Ausmab für böses Blut gesorgt. Und dies auch bei Nichtstreikenden unter den abhängig Beschäftigten. 

Das Image von EDF in der Öffentlichkeit hat in den letzten Monaten ansonsten bereits beträchtlichen Schaden genommen, nachdem der Selbstmord eines EDF-Ingenieurs im Frühjahr 2009 erstmals durch ein Gericht als „berufsbedingt“ (und damit das Unternehmen zu Schadensersatz gegenüber den Angehörigen verpflichtend) eingestuft worden ist. (Vgl. http://www.liberation.fr) Und nachdem EDF in den ersten Jahresmonaten 2009 dabei ertappt worden ist, wie der Konzern Atomkraftgegner/innen aus der Ferne bespitzeln ließ, indem etwa ein „Spionagevirus“ in das Computerprogramm der französischen Organisation von Greenpeace eingeschleust wurde. ( Vgl. Libération vom 01. 04. 2009, es handelt sich trotz des Datums mitnichten um einen Aprilscherz, und vgl. zahlreiche Verlautbarungen des ‚Réseau Sortir du nucléaire’ oder „Netzwerks Atomausstieg“). 

In den allerjüngsten Tag nun sorgte eine Ankündigung von EDF-Boss Pierre Gadonneix für Unmut beim Publikum. Er hatte am o9. Juli im Sender RTL angeregt, da die französischen Strompreise im Augenblick günstiger seien als im Durchschnitt der Europäischen Union („dank unserer Atomkraftwerke“), möge das Unternehmen seine Energiepreise für die Privatverbraucher/innen und Haushalte doch in den kommenden Jahren „schrittweise“ um 20 Prozent anheben. Und dies, während das Unternehmen einen relativ fetten Gewinn abwirft und zudem noch über eine Anleihe beim Publikum 3,6 Milliarden Euro für Investitionen erwerben konnte... Die Tageszeitung ‚Libération’ zerpflückt an diesem Donnerstag (16. Juli) genüsslich die durch Gadonneix beruhigend nachgeschobene Feststellung, dies mache doch für jeden Haushalt nur circa drei Euro zusätzlicher Kosten pro Monat aus: Ja, schon, präzisiert die Zeitung, nur spricht Gadonneix einer Serie von über drei bis vier Jahre hinweg gestreckten Tariferhöhungen das Wort. Und JEDE einzelne dieser Erhöhungen würde die Haushalte, in seiner Rechnung, um durchschnittlich (!) drei Euro zusätzlich belasten – bis wohin? Und die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ kündigt in ihrer Ausgabe vom Donnerstag Abend an, „der Elysée-Palast“ (also Präsident Nicolas Sarkozy) sei über diese Ankündigung des EDF-Präsident jetzt „ungehalten“: Allzu viel soziale Unzufriedenheit kann die Staatsspitze im Augenblick nämlich nicht gebrauchen... 

Gewerkschaften 

Wie die (von um das Jahr 2005 hinausgemobbten früheren ‚Le Monde’-Redakteuren begründete) Onlinezeitung ‚Mediapart’ unterdessen Ende Juni o9 berichtete, hat die - langjährige Mehrheitsgewerkschaft - CGT bei de mstreik das Heft der Initiative anscheinend aus der Hand verloren. Radikalere Kräfte wie die linksalternative Basisgewerkschaft SUD rücken ihr demnach auf die Pelle, und die CGT beklagt sich darüber, dass „wir zwischen SUD und der Direktion eingekeilt sind“ (vgl. http://www.mediapart.fr/ ) Umso besser...! 

Die CGT bei EDF ihrerseits, die zu früheren Zeiten - als EDF noch ein Staatskonzern war - und noch bis in die 1990er Jahre Milliardenbeiträge aus dem gigantischen Betriebsrat-Budget zugunsten der (illegalen) Finanzierung des Dachverbands CGT sowie der französischen KP abzweigen konnte, ist erheblich erpressbar: Jedes Mal, wenn sie den Mund zu weit aufmacht, wird ihr damit gewunken, dass die finanziellen Vorgänge von einstmals noch einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden könnten. (Vgl. http://www.labournet.de/ und http://www.labournet.de , betreffend die polizeilichen Durchsuchungen vom 27. April 2004, just als die Privatisierung von EDF vorbereitet wurde) Damit ist die CGT einer erheblichen Erpressbarkeit ausgesetzt. Dennoch führen Teile der Basis derzeit diesen, auf örtlicher Ebene teilweise radikalisierten, Streik derzeit relativ konsequent durch. Der Apparat jedoch führte den Arbeitskampf von Anfang  an auf gewohnt bürokratische Weise, d.h. unter Abschottung der Streikbewegung und sämtlicher Informationen über die Streikführung gegenüber allen Lohnabhängigen, die nicht direkt vom Ausstand betroffen sind oder nicht im selben beruflichen Sektor arbeiten. 

Neben der CGT beteiligten sich auch die linke Basisgewerkschaft SUD Energie und die populistisch schillernde Gewerkschaft FO (Force Ouvrière) an dem Streik. Die eher sozialdemokratische Gewerkschaft CFDT hingegen blieb auf nationaler Ebene auben vor; auf örtlicher Ebene nahmen jedoch einige CFDT-Mitgliedsgruppen ebenfalls an dem Arbeitskampf teil. 

Alle vier Gewerkschaftsorganisationen (also einschlieblich des Verbands CFDT) rufen nun jedoch die Gerichte an, um klären zu lassen, ob die zahlreichen Dienstverpflichtungen im Zusammenhang mit dem Streik wirklich rechtmäbig waren und sind..

Editorische Anmerkungen

Der Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.