China: Aspekte zur aktuellen gesellschaftspolitischen Realität

von
Reinhold Schramm

7/8-09

trend
onlinezeitung

Bereits im Jahr 1960 wurde in der Erklärung der Beratung von Vertretern der historischen kommunistischen und Arbeiterparteien festgestellt: "Die Äußerungen von Nationalismus und nationaler Beschränktheit verschwinden nicht automatisch mit der Errichtung der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Zur Festigung der brüderlichen Beziehungen und der Freundschaft zwischen den Ländern des Sozialismus bedarf es der marxistisch-leninistischen internationalistischen Politik der kommunistischen und Arbeiterparteien, der Erziehung aller Werktätigen im Geiste der Verbindung von Internationalismus und Patriotismus, des entschiedenen Kampfes für die Überwindung der Überreste des bürgerlichen Nationalismus und Chauvinismus." * [1]

Im vorliegenden Quellentext heißt es: "In Ländern mit überwiegend kleinbürgerlicher Bevölkerung, wo die Vorurteile des nationalen Egoismus und der nationalen Beschränktheit auf Grund des gegebenen Charakters der sozialökonomischen Struktur der Gesellschaft äußerst zählebig sind, ist die Tätigkeit der kommunistischen Parteien, ihr zielgerichteter Kampf gegen die kleinbürgerliche Ideologie besonders verantwortungsvoll. Diese Ideologie bringt den kleinbürgerlichen Nationalismus hervor, der sich häufig als Internationalismus tarnt, und nährt ihn. Gerade für ihn ist es charakteristisch, wie das W. I. Lenin feststellte, zu behaupten, >die alleinige Anerkennung der Gleichberechtigung der Nationen sei bereits Internationalismus, und lässt (ganz abgesehen davon, dass eine solche Anerkennung nur ein Lippenbekenntnis ist) den nationalen Egoismus unangetastet ...<" ** [2]

Der Autor Falk Hartig schreibt in seiner Studie: "Seit die Partei auf dem 3. Plenum des XI. Zentralkomitees im Dezember 1978 dem Klassenkampf abgeschworen hatte und die sozialistische Modernisierung Chinas in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellte, passt sich die Partei immer wieder der sich verändernden chinesischen Realität an. Dabei hat sie aus den Fehlern anderer gelernt, sie hat den Zusammenbruch der Sowjetunion und des Ostblocks genauso studiert wie den Machtverlust ihres ehemaligen Bürgerkriegsfeindes, der Guomindang (GMD/KMT) auf Taiwan. Sie hat die Situation politischer Parteien auf der ganzen Welt, von Nordkorea über Singapur bisSkandinavien studiert (vgl. Shambaugh 2008) und so eine erstaunliche Überlebensfähigkeit bewiesen. Der grundlegende Antrieb dahinter ist der energische Versuch, die eigene Macht zu erhalten. - Von entscheidender Bedeutung dabei ist das Funktionieren des Parteiapparats. Dieser funktioniert nicht reibungslos, teilweise sind die Parteistrukturen, vor allem in ländlichen Gebieten, verkümmert. Dennoch, bis dato besteht das System und sichert die Macht der Zentrale. Als Instrumente der Machtumsetzung dienen die Parteiorganisationen auf allen administrativen Ebenen und in beinahe allen Institutionen. Zwar dringt die Partei damit nicht mehr komplett in die Kapillaren der Gesellschaft ein, trotzdem verfügte sie über die Umfangreichste und effektivste Infrastruktur, um politische Maßgaben umsetzen zu können. Faktisch ist die Partei die einzige Organisation, die über eine solche landesweite Infrastruktur verfügt. Entscheidend hierfür sind die Parteikader, die in Führungskader und Nicht-Führungskader unterschieden werden. Organisiert und kontrolliert werden diese durch ein umfangreiches Kadermanagementsystem. Damit soll gewährleistet werden, dass kompetente und professionelle Personen rekrutiert werden, die sich loyal zur Parteiideologie und -linie verhalten und fachlich gute Arbeit leisten. (Brodsgaard 2004:78)." [3]

In der gleichen Studie unter dem Titel "Ideologie - Wachstum und Harmonie" schreibt Hartig:"Ähnlich wie die Parteiorganisation und -struktur wurde und wird auch die Ideologie der chinesischen Realität angepasst. Ausschlaggebend für diesen Transformationsprozess war mit dem Beginn derReformen 1978 die zunehmende Ökonomisierung der chinesischen Politik. Zunächst unterlag die Partei ökonomischen Zwängen, es galt das Land nach den Verheerungen der >Kulturrevolution< wieder aufzubauen. Allerdings resultierten aus den Reaktionen auf diese wirtschaftliche Zwangslage wiederum geistige Veränderungsnotwendigkeiten, die mit den ökonomischen Zwängen korrelierten."-

Hartig: "Bis vor wenigen Jahren galt das Wirtschaftswachstum als das oberste Ziel der chinesischen Führung. Dementsprechend musste die ursprünglich marxistische Lehre immerzu weiterentwickelt und modifiziert werden. Zunächst wurde der >Sozialismus chinesischer Prägung< proklamiert, der die Besonderheiten und konkreten Verhältnisse der Volksrepublik berücksichtigen sollte. Auf dem XIV. Parteitag 1992 wurde dieser um die >sozialistische Marktwirtschaft< ergänzt. Das Hauptaugenmerk lag darauf, den grundlegenden Widerspruch zwischen Kapitalismus und Sozialismus aufzulösen. Dies geschah - je nach Sichtweise innovativ oder wenig plausibel und opportunistisch -, indem der damalige Generalsekretär Jiang Zemin erklärte, dass auch der Kapitalismus einen Plan und der Sozialismus auch einen Markt habe. Diese ideologische Modifikationen, mit denen sich der Parteiapparat immer wieder der Realität [opportunistisch-revisionistisch (R.S.)] anpasste, erreichten auf dem XVI. Parteitag 2002 einen Höhepunkt. Gemäß der Theorie der >Drei Vertretungen< Jiang Zemins vertritt die Partei seither erstens die fortschrittlichen Produktivkräfte, zweitens die fortschrittliche Kultur und drittens die Interessen der überwiegenden Mehrheit des Volkes. Dabei betonte Jiang vor allem die erste Vertretung, mit der die Aufnahme neu entstehender sozialer Schichten [und Klassen (R.S.)], z. B. Privatunternehmer, in die Kommunistische Partei formal ermöglicht wurde. Diese Öffnung verdeutlicht, wie der Parteiapparat mit gesellschaftlichen Gegebenheiten umgeht. (...) Da allerdings auch schon vor der formalen Zulassung Privatunternehmer KP-Mitglieder waren, wird auch hier deutlich, dass die Partei in erster Linie reaktiv agiert. Durch von ihr angestoßene Entwicklungen, wie die Zulassung der (sozialistischen) Marktwirtschaft, entstanden neue Bedingungen, beispielsweise das Entstehen neuer sozialer Schichten, auf welche die Partei wiederum reagieren musste, um sich an der Spitze dieser Entwicklungen behaupten zu können." Anm.: Siehe auch zur (rechtsopportunistischen) revisionistischen Entwicklung der KP-Chinas aus der bürgerlichen Sicht im Internet. [4]

Fakten zur Mitgliederstruktur der antikommunistischen und liberal-sozialdemokratischen KP Chinas: Bis Ende 2008 hatte die regierende (liberal-sozialdemokratische) Partei Chinas insgesamt 75,931 Millionen Mitglieder, davon waren: 8,2 Prozent Mitglieder unter den Beamten der Partei-und Staatsorgane (6.226.342); 22,2 Prozent unter Verwaltungspersonal und Fachleute in Unternehmen und öffentlichen Institutionen (16.856.682); 31,1 Prozent unter den Berufsgruppen der Bauern, Viehzüchter und Fischer (23.614.541); 7,4 Prozent unter den sonstigen Berufen  (5.618.894) (keine Angaben über die berufliche Aufschlüsselung und Tätigkeit); 18,8 Prozent der Mitglieder sind Rentner (14.275.028); 2,7 Prozent sind Studenten (2.050.137); 9,7 Prozent der Parteimitglieder sind Arbeiter (7.365.307) (keine Angaben über die Aufgliederung nach Berufsgruppen der Lohnarbeit). [5]

Anmerkung: Mit dem offiziellen Ende der >Kulturrevolution< (1976) und seit November 1976 (insbesondere mit Einleitung der kapitalistischen Transformation seit 1978) verzeichnet die Partei einen Eintritt von 72,3 Prozent aller Mitglieder.

Aus der Gesamtzahl von 75,931 Millionen kamen seit November/Dezember 2002 insgesamt 22,2 Prozent bzw. 16,857 Millionen (neue) Parteimitglieder hinzu. -Hierzu: Die berufliche und soziale Zusammensetzung in der Mitgliederentwicklung steht im Zusammenhang mit der gesellschaftspolitischen (kapitalistischen) Transformation (analog der 'wissenschaftlichen sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung' etc.) und der realen Entwicklung der Regierungspartei zu einer bürgerlichen (liberal-sozialdemokratischen) Volkspartei; analog der ideologischen und politischen Entwicklung zur rechtlichen Gleichstellung zum "Schutz des Privateigentums" an Produktionsmitteln. [6]

Quellen und Anmerkungen:

[1] Aussenpolitik und internationale Beziehungen der Volksrepublik China. Staatsverlag derDeutschen Demokratischen Republik, Berlin 1976, S.11. (*) Hier: In der Einführung zum Buchzitiert nach: Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien.November 1960, Berlin 1961, S.27.

[2] ebenda: Aussenpolitik und internationale Beziehungen ... , Berlin 1976, S.11. (**) In:Einführung, zitiert nach: W. I. Lenin, Werke, Bd. 31, a. a. O., S.136.

[3] Studie: Hartig, KP China, IPG 2/2008, S.72.

[4] ebenda: Hartig, KP China, S.78/79. -Siehe auch zur gesellschaftspolitischen Transformation, zur Realität der kapitalistischen undimperialistischen Transformation, in die verkündete ('künftige') 'harmonische sozialistischeMarktwirtschaft chinesischer Prägung' der KP Chinas aus sozialdemokratischer Sicht, hier:Falk Hartig. "Die Kommunistische Partei Chinas: Volkspartei für Wachstum und Harmonie?"Im Internet: http://library.fes.de/pdf-files/ipg(ipg-2008-2/06_a_hartig_d.pdf.

[5] Vgl.: cnradio.com - am 02.07.2009.

[6] I.) Vgl. u.a.: Beijing Rundschau, 2003, Nr.2: "Der Schutz des Privateigentums steht im Brennpunkt des öffentlichen Interesses": http://www.bjreview.cn/g-br/fm/2003.02-br-titel-1.htm . II.) Vgl.: Beijing Rundschau, 2003, Nr.3: "Gesetzgebung über den Schutz des Privateigentumsgefordert": http://www.bjreview.cn/g-br/China/2003-04-inlandsfokus-1.htm . III.) BR, 2004, Nr.12: >"Tätigkeitsbericht der Regierung" - Erstattet am 5. März 2004 auf der 2.Tagung des X. Nationalen Volkskongresses< - Im Internet: http://www.bjreview.cn/g-br/2004-12/baogao.htm.

Empfehlung: 1.) In: sueddeutsche.de, Aufruhr in Westchina - Kolonialisten im eigenen Land - Politik:http://www.sueddeutsche.de/politik/91/479580/text/  
2.) German.china.org.cn - am 17.04.2009: "
Der Club der Millionäre in China vergrößert sich": http://german.china.org.cn/china/2009-04/17/content_17623617.htm  - 2009-04-17. 2.1.) Siehe auch über: China Internet Information Center (CIIC): http://german.china.org.cn/business/txt/2009-05/27/content_1783799.htm#  

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erhielten wir vom Autor.