Brief an den Wächterrat
Die Wahlen sollen auf rechtliche Basis wiederholt werden

von Mir Hossein MOUSAVI, übersetzt von Hamid Beheschti

7/8-09

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Im Namen des Allmächtigen

Sehr geehrter Wächterrat,

Dem Brief des stellvertretenden Verantwortlichen für Wahlangelegenheiten des Wächterrats folgend, so wie in den beiden vorangehenden Briefen bereits bekannt gegeben wurde, haben die Übertretungen und Fälschungen sowie die Gesetzesbrüche  durch die Regierung  während der letzten Wahlen ein solches Ausmaß angenommen, dass die Untersuchung von nur 10 Prozent der Wahlurnen nicht ausreicht, um das Vertrauen des Volkes zurück zu gewinnen und die öffentliche Meinung zufrieden zu stellen. All diese Vorgänge wurden auch im Brief des Leiters der staatlichen Untersuchungsbehörde vom 28.3.88 bestätigt. Auf der Grundlage dessen, was zuvor dem Rat mitgeteilt wurde, kann man die Fälschungen und ungesetzlichen Handlungen in 4 Bereiche unterteilen:       

  1. Aktivitäten, Wahlkampfstrategien und Vorgehen vor und bis zum Tag der Wahl
  2. Die Entgegennahme der Stimmen und deren Zählung
  3. Prozesse, die zum Wahlergebnis führten und das Wahlergebnis selbst
  4. Aktivitäten nach der Wahl und die Bekanntgabe des Wahlergebnisses

All diese Faktoren sind so gelagert, dass kein Weg bleibt, außer die Wahl zu annullieren und zu wiederholen.

Es werden nun beispielhaft einige Übertretungen und Verstöße gegen den Absatz des Paragraphen 33 des Präsidentschaftswahlgesetzes genannt, die Einfluss auf das Gesamtergebnis der Wahl haben und eine Annullierung unabdinglich machen.

Details finden Sie im Anhang dieses Schreibens.

-         Tiefgreifende und direkte Verletzungen des Paragraphen 68 des Wahlgesetzes und eine weite Nutzung staatlicher und öffentlicher Mittel, sowie klare Einmischungen von Regierungsmitgliedern, hohen Staatsbeamten und  Provinzgouverneuren, zugunsten des herrschenden Kandidaten.

-         Verletzung der Unparteilichkeit durch Radio und Fernsehen und Verbreitung von Unterstellungen und Verleumdungen, die vom obersten Richter als ungesetzliche Handlungen eingestuft wurden, sowie vehemente einseitige Propaganda  staatlicher Medien (IRNA, staatliche Zeitungen und Internetseiten) für den herrschenden Kandidaten.

-         Weitgehende Verstöße gegen den Paragraphen 33 des Wahlgesetzes in den unten genannten Fällen:

-         Kauf von Stimmen durch die kostenlose Vergabe von Aktien und Barzahlungen an Familien, die unter dem Schutz staatlicher Behörden und Stiftungen stehen, sowie an die Landbevölkerung und Nomaden.

-          Drohungen und Bestechungen durch dem Staat nahestehende Personen und hohe Barzahlungen an die Mitglieder der islamischen Räte und einflussreiche Persönlichkeiten.

-         Es fehlt jede Garantie, ob die Wahlurnen vor der Versiegelung wirklich leer waren und ob Wahlzettel und Urnen verloren gegangen sind oder aus den Wahllokalen entfernt wurden, da keine Beobachter zugelassen waren und uns dementsprechende Berichte erreicht haben.

-         Die Stimmen vieler Wähler wurden nicht entgegen genommen, da die Zeit der Stimmabgabe verkürzt und Stimmzettel zurückgehalten wurden, und dadurch ein Engpass entstanden ist.

-         Eine weitere Fälschung besteht darin, dass trotz des Drucks von 12 Mio. zusätzlichen Wahlzetteln weitere 2,5 Mio Wahlzettel ohne Seriennummer mit der Erlaubnis eines der Mitglieder des Wächterrats am Vortag der Wahl gedruckt wurden, und wir trotzdem in vielen Wahlbezirken einen Engpass an Wahlzetteln verzeichnen konnten, was durch einen Vergleich der eingelegten Blätter mit der Informationsbank der Standesämter sehr schnell zu beweisen wäre.

-         Die Empfehlung durch Wahlhelfer und Beobachter, einen bestimmten Kandidaten zu wählen, sowie der Aufbau von Wahllokalen und Stellung von Wahlhelfern und Beobachtern durch die Anhänger des herrschenden Kandidaten.

-         Verbreitung von Angst und Schrecken unter den Wählern und den Anhängern eine Woche vor der Wahl und Angriffe auf die Wahlstäbe und Büros der anderen Kandidaten sowie auf die gesetzlichen Wahlzusammenkünfte in verschiedenen Gebieten.

-         Zahlreiche Behinderungen der Vertreter der Kandidaten bei der Teilnahme an den Sitzungen der Wahllokale und der Stimmauszählung in einer beachtlichen Anzahl der Wahllokale. Störung und Unterbrechung des SMS-Dienstes am Wahltag, der als Möglichkeit meiner Beobachter genutzt werden sollte, um Nachrichten, Beobachtungen und Wahlergebnisse möglichst schnell zu übermitteln.

-         Die Sammlung der Stimmen und Bekanntgabe der Ergebnisse wurde auf eine Weise geplant, dass keiner sich ein Bild davon machen konnte, wie alles vor sich geht. 

-         Keine Beobachter hatten Einblicke in die Vorgänge. Die Wahlergebnisse wurden darüber hinaus sofort in staatlichen Internetseiten, sowie der Website der Revolutionsgarden und der Zeitung „Keyhan“ veröffentlicht.

-         Klare und direkte Einmischungen bewaffneter Kräfte vor und während der Wahl, was der deutlichen Meinung des Imams widerspricht.

-         In 170 Wahlbezirken wurden zwischen 95 bis 140% Stimmen abgegeben.

-         Stürmung der Wahlstäbe in Teheran und den Landbezirken und die Versiegelung meines zentralen Wahlstabs und die Inhaftierung meines Stabsvorsitzenden und aktiver Mitglieder des Stabs, was dazu führte, dass wir bei einer genaueren Sammlung der Verstöße Probleme hatten. All diese genannten Fälle führen uns zu der Annahme, dass großangelegte Fälschungen vorliegen.

Da der Wächterrat vorliegende Fälschungen bestätigt hat und einige Verstöße nicht in den Verantwortungsbereich des Rats fallen, viele Fragen an den Innenminister und seine Mitarbeiter gestellt werden müssen und einige Mitglieder des Wächterrats involviert waren, ist eine faire und gerechte Beurteilung durch diesen Rat nicht möglich. Auch ein Gremium, in dem Mitglieder des Wächterrates vertreten sind, kann aus genannten Gründen keine Klärung bringen. Aus all diesen Gründen bin ich weiterhin der Meinung, dass eine Annullierung der Wahl der erste angemessene Schritt zur Wiedererlangung des Vertrauens des Volkes ist und dass ein unabhängiger Schlichtungsrat bestehend aus religiösen und nationalen Persönlichkeiten unter Beteilung der Großayatollahs und der religiösen Führer, die die Geschehnisse verfolgt haben, eingerichtet werden muss. Dieses Gremium kann zu einer Lösung beitragen.

Editorische Anmerkungen

Quelle: نامه مهم مهندس میرحسین موسوی به شورای نگهبان

Originalartikel veröffentlicht am 7. TIr 1388 (27.06.2009)

Über den Autor

Hamid Beheschti ist ein Mitglied von
Tlaxcala, dem Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann frei verwendet werden unter der Bedingung, daß der Text nicht verändert wird und daß sowohl der Autor, der Übersetzer, der Prüfer als auch die Quelle genannt werden.

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