Von der Gewalt in der Geschichte
Die überarbeiteten Referate der Berliner Jour Fixe Initiative zum Thema Krieg

von Peter Nowak

7/8-09

trend
onlinezeitung

Seit  dem Jahr 2000  kann man in unregelmäßigen Abständen die überarbeiteten Referate der monatlichen Veranstaltungsreihe der Berliner Jour Fixe Initiative in einem  im Unrast Verlag herausgegebenen Band nachlesen. In den letzten Jahren lauteten die Obertitel u.a.:  Geschichte nach Auschwitz, Klassen und Kämpfe oder Fluchtlinien de Exils. Auch im aktuellen Band bleiben die Herausgeber ihren Ruf treu, das Oberthema in den unterschiedlichen Facetten auszubreiten, dabei auf reichhaltige  theoretische Traditionen zurück zu greifen und dabei doch allgemein verständlich zu bleiben.

„Krieg“ - der kurze Titel des aktuellen Bandes übt sich in  Bescheidenheit. Tatsächlich behandeln die neun Aufsätze  die unterschiedlichen Formen der Gewalt in der Geschichte. Der Aufsatz des französischen Philosophen Daniel Bensaid untersucht die Veränderungen im Diskurs über den Krieg in den letzten Jahrhunderten. Dabei zeigt er auf, dass im Gegensatz zum Peleponnesischen Krieg heutige  Kriege nicht als Interessenkonflikte, sondern als Kampf um Werte und Zivilisation wahrgenommen werden.    In der Figur des „unbegrenzten Krieges gegen den Terrorismus“ sieht Bensaid ein Echo „auf den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in der Welt“. Allerdings zeigt sein Beitrag die zeitliche Begrenztheit auch der schlauesten Analysen gleich in doppelter Form. Während unter Obama die Formel vom Krieg gegen den Terror nur noch begrenzt verwendet wird,  könnte man die Spuren der Zivilisationskriege eigentlich bis ins frühe Mittelalter verfolgen.  Haben die römischen Legionen nicht auch gegen germanische Barbaren gekämpft? Und waren die Kreuzzüge nicht der  Prototyp  von Zivilisationskriegen? 

Der Schriftsteller  Raul Zelik  macht in seinem Beitrag auf die lange Geschichte der Figur des asymmetrischen  Krieges aufmerksam. Schon die Niederschlagung der Herero-und Nama-Aufstände 1904-08 und die Aufstandsbekämpfung gegen die Guerilla in Lateinamerika seien asymmetrische Kriege gewesen.

Der Künstler Olaf Arndt zeigt am Beispiel von London, wie der Kampf gegen den Terror auch das Gesicht einer Stadt verändert. Seit den islamistischen Anschlägen in der U-Bahn im Jahre 2005 stehe der Begriff Londonistan  „für die Angst der weißen Bevölkerung vor dem Hass der Fremden, den sie nicht verstehen will“.  Arndt nennt sie den blinden Fleck des Empire.  

Feindstrafrecht in deutscher Tradition 

Der Berliner Strafrechtler Wolfgang Kaleck weist am Beispiel der Diskussion um das Feindstrafrecht nach, dass  die Debatte  ihren Ursprung nicht in den USA hatte und man auch nicht Guantanamo bemühen muss.  Kaleck zeigt auf, wie in der strafrechtlichen  Auseinandersetzung  mit den Kommunisten schon in den 50er Jahren in Westdeutschland Feindstrafrecht angewandt wurde. Diese Tradition setzte sich  mit der Auseinandersetzung um die Neue Linke fort. Bereits 1976 schrieb der kritische Jurist Sebastian Cobler:  „ Da ist die Rede von Leuten, die sich sozialschädlich oder gemeinschaftsgefährlich verhalten, die staatsverdrossen  oder staatsverneinend , staatsverachtend, staatsverleumdend, staatszersetzend, staatsgefährdend, staatsfeindlich, staatsbedrohend u.s.f. Begriffe, die nirgends gesetzlich bestimmt sind, deren Verwendung gleichwohl mit negativen Vorstellungen und Sanktionen versehen sind.“

      Cobler beschreibt auch die Kontinuität einer politischen Verfolgung in Deutschland: „Geblieben ist die negative Privilegierung  von Angeklagten, die als polische Straftäter bezeichnet werden, weil sie einen doppelten Normbruch begehen: Die herrschenden Gesetze nämlich ebenso missachten, wie die Regeln, nach denen sie zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Sie setzen, so die Rechtsprechung des BGH zu Überzeugungstätern, an die Stelle der Wertordnung der Gemeinschaft, ihre eigene, ein Verhalten, das von der Gemeinschaft als verächtlich angesehen wird, wenn die Überzeugung mit dem Sittengesetz nicht im Einklang steht. Besonders gefährlich ist der leidenschaftlich an seinem Glauben festhaltende und zur jederzeitigen Wideraufnahme   des bewaffneten Kampfes bereite Angeklagte, jene Überzeugungstäter, der nicht im herkömmlichen Sinne resozialisierbar sind“.        

Notbremse der Geschichte 

Im letzten Aufsatz setzen sich Elfriede Müller und Titus Engelschall von der Berliner Jour Fixe Initiative mit der Rolle der Gewalt in Revolutionen und sozialen Umbrüchen auseinander.  Anders als der heutige Mainstream sind sie weit davon entfernt, die revolutionäre Gewalt grundsätzlich zu verdammen. Allerdings halten sie es heute, anders als noch  bei vielen  Linken der 60er Jahre, nicht mehr möglich, der  sozialrevolutionären Gewalt  per se eine progressive Rolle zuzuschreiben.  Gewalt könne im 21.Jahrhunderts nicht mehr als Motor von revolutionären Prozessen dienen,  sondern sei nur noch als Notbremse vor drohenden Kriegen oder faschistischen Diktaturen zu rechtfertigen   Allerdings richteten sich militante Bewegungen auch in den  60er Jahren oft gegen faschistische und kolonialistische Gewalt oder den Vietnankrieg.

Die denkbar unterschiedlichen Texte des Bandes regen zum Nachdenken und Weiterlesen auch dann  an, wenn man  mit den Thesen nicht einverstanden ist.

jour fixe initiative berlin (Hg.)
Krieg 
Münster 2009
184 Seiten, broschiert,
16 Euro,  Unrastverlag
ISBN:
 978-3-89771-490-8