Das Philosophische Wörterbuch  BAND 2

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

7/8-09

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Weltanschauung - die zu einem System gebrachte Gesamtauffassung von Natur, Gesellschaft und Mensch, einschließlich von Regeln für das Verhalten des Menschen in der gesellschaftlichen Praxis.

Das Wort «Weltanschauung» fand erst um 1800 einen von «Weltbild» verschiedenen Gebrauch. Besonders durch die deutsche Romantik (Schleiermacher: Reden über die Religion) entwickelte sich seine von «Weltbild», der Summation der Resultate bloßer Objektbetrachtung, unterschiedene Bedeutung als eine auf das Denken, Fühlen, Wollen und Tun des Menschen bezogene gedankliche Zusammenfügung des Wissens, der Erfahrung bzw. der Vorstellung von der Welt und vom menschlichen Dasein als eines Sinnganzen. Als schöpferischer Entwurf, vom Subjekt als ihrem Träger ausgehend, wurde «Weltanschauung» hier als subjektive gedankliche Aneignung der Welt, als Sinngebung menschlichen Daseins und Handelns in ihr, dem mehr kontemplativen «Weltbild» entgegengestellt.

Das Wort «Weltanschauung» fand erst um 1800 einen von «Weltbild» verschiedenen Gebrauch. Besonders durch die deutsche Romantik (Schleiermacher: Reden über die Religion) entwickelte sich seine von «Weltbild», der Summation der Resultate bloßer Objektbetrachtung, unterschiedene Bedeutung als eine auf das Denken, Fühlen, Wollen und Tun des Menschen bezogene gedankliche Zusammenfügung des Wissens, der Erfahrung bzw. der Vorstellung von der Welt und vom menschlichen Dasein als eines Sinnganzen. Als schöpferischer Entwurf, vom Subjekt als ihrem Träger ausgehend, wurde «Weltanschauung» hier als subjektive gedankliche Aneignung der Welt, als Sinngebung menschlichen Daseins und Handelns in ihr, dem mehr kontemplativen «Weltbild» entgegengestellt.

Dieser stark subjektivistische Ansatz, dem rational das Streben nach Erfassung des Gesamtzusammenhangs von Natur, Gesellschaft und Mensch in einem einheitlichen System zugrunde lag, wurde in der Niedergangsepoche der bürgerlichen Philosophie einseitig dahingehend verzerrt, daß es Aufgabe der Philosophie sei, jene Gesamtansicht von der Welt und der Stellung des Menschen in ihr zu erbauen bzw. systematisch zu durchleuchten, während es der Naturwissenschaft zufalle, das «Weltbild», die umfassende gültige Theorie der objektiven Realität, zu liefern (vor allem Dilthey, Scheler, Jaspers, litt). Damit wurde dem Begriff «Weltanschauung» gegenüber dem «Weltbild» der sog. exakten Wissenschaften einseitig die Sphäre der «metaphysischen» (anthropologischen, ethischen und geschichtsphilosophischen) Aspekte der Weltbetrachtung zugeordnet und somit eine scharfe Trennung zwischen (Natur-)Wissenschaft und Weltanschauung und damit auch von (Natur-) Wissenschaft und Philosophie vorgenommen. Andererseits strebte Husserl (wie auch Cohen, Rickert u. a.) unter Berufung aufsog. Wahrheitsgehalte außerwissenschaftlicher Weltanschauungen eine Entwertung der wissenschaftlichen Aussagen und Erkenntnismethoden in weltanschaulichen Belangen an. Beide Richtungen nivellieren die Bedeutung der Wissenschaft für die Weltanschauung und bereiten ideologisch den Boden für die heute von der imperialistischen Philosophie in vielfältigen Varianten verbreitete Auffassung von der Unmöglichkeit einer nach wissenschaftlichen Prinzipien aufgebauten Weltanschauung und für den Subjektivismus in allen Weltanschauungsfragen. Eine gleiche Rolle spielt hierin der Positivismus, der die Verallgemeinerung einzelwissenschaftlicher Angaben in Richtung auf die Gewinnung eines geschlossenen weltanschaulichen Gesamtsystems, das zugleich Wertgesichtspunkte enthält, ablehnt. Alle diese Richtungen der bürgerlichen Philosophie mindern die Rolle der Wissenschaften bei der Lösung weltanschaulicher Fragestellungen und öffnen der Religion und dem Aberglauben Tür und Tor.

Wenn des näheren unter Weltanschauung die Gesamtauffassung (Theorie) vom Weltganzen, vom Ursprung, von der Natur und der Entwicklung des Weltalls, von der Entstehung und Entwicklung der Menschheit und ihrer Zukunft, vom Wesen und Sinn des menschlichen Lebens, vom gesellschaftlichen Verhalten des Menschen, von den Fähigkeiten des menschlichen Denkens und den Werten der menschlichen Kultur und von ähnlichen grundsätzlichen Problemen zu verstehen ist, so ergibt sich, daß in die Weltanschauung die philosophischen, gesellschaftspolitischen, ethischen, ästhetischen und die naturwissenschaftlichen Anschauungen in bestimmter Weise einfließen. Der Charakter einer Weltanschauung wird danach hauptsächlich durch die ihr zugrunde liegenden philosophischen Anschauungen und durch die Rolle, die der Wissenschaft in ihr zukommt, bestimmt.

Die Hauptfrage der Weltanschauung ist identisch mit der Grundfrage der Philosophie, von deren jeweiliger Lösung die Grundauffassungen in allen anderen Fragenkomplexen der Weltanschauung beeinflußt werden. Unter dem Gesichtspunkt der Fragestellung nach dem Verhältnis von Materie und Bewußtsein in einer Weltanschauung lassen sich erstens zwei Grundformen der Weltanschauungen systematisch voneinander abheben: die materialistischen und die idealistischen bzw. idealistischreligiösen. Zweitens wird unter dem Gesichtspunkt des Grades der Anwendung philosophischer (rationaler) Methoden, wobei die Anwendung der Methoden der philosophischen Verallgemeinerung eine vorrangige Stellung innehat, unterschieden zwischen philosophischen und religiösen Weltanschauungen (-»• Religion). Unter dem Gesichtspunkt der Rolle, die der Wissenschaft in einer Weltanschauung zukommt, und des wissenschaftlichen Charakters der in ihr angewandten philosophischen Methoden sind drittens Aussagen über den wissenschaftlichen Charakter einer Weltanschauung möglich.

Insofern die Weltanschauung nach Auffassung der marxistisch-leninistischen Philosophie die Widerspiegelung des materiellen gesellschaftlichen Seins der Menschen ist, ist ihr jeweiliger Charakter keineswegs zufälliger, subjektiv-willkürlicher Na-

tur. Der Charakter einer Weltanschauung hängt vielmehr vom allgemeinen Stand der Entwicklung der Wissenschaft einer historischen Periode ab, vom jeweiligen Charakter der Gesellschaftsordnung sowie (in der Klassengesellschaft) von der sozial-ökonomischen Stellung ihrer Träger. Die Weltanschauungen tragen demnach stets historischen Charakter; in der Klassengesellschaft tragen sie Klassencharakter, wobei die herrschende Weltanschauung diejenige der jeweils herrschenden Klasse ist. Insofern ist z.B. die heute in der bürgerlichen Weltanschauungsphilosophie verbreitete Geringschätzung der Wissenschaft, die einseitige Herausstellung und Dämonisierung der Technik, die Trennung von Naturwissenschaft und Gesellschaftsphilosophie in Fragen der Weltanschauung ein Ausdruck des Interesses der imperialistischen Bourgeoisie an der Verschleierung der tatsächlichen, durch die marxistisch-leninistische Gesellschaftswissenschaft erforschten Gesetze der modernen kapitalistischen Gesellschaft, wie darüber hinaus die bürgerliche Weltanschauung der Gegenwart - als ideologischer Reflex des Niedergangs der kapitalistischen Gesellschaft im Weltmaßstab - Dekadenz, Irrationalismus, Antihumanismus, Weltuntergangsstimmung und Flucht in die Religion verbreitet. Demgegenüber war z. B. die Weltanschauung des aufsteigenden Bürgertums die Zusammenfassung aller fortschrittlichen Ideen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auffassungen der Zeit des Kampfes gegen den Feudalismus und die diese Gesellschaftsordnung stützende und verklärende religiös-idealistische Weltanschauung der weltlichen und geistlichen Großgrundbesitzer. Während die materialistischen Weltanschauungen der Zeit des Sturzes des Feudalismus, da ihr Träger - das aufsteigende Bürgertum - selbst eine ausbeutende Klasse war, hinsichtlich der Interpretation der Fragen des gesellschaftlichen Lebens zu idealistischen Inkonsequenzen gelangten, hat die marxistisch-leninistische Weltanschauung, die unter den Bedingungen des Kapitalismus entstand und die Interessen der konsequent revolutionären Klasse des Proletariats und aller unterdrückten Werktätigen ausdrückt, die Einheit von Weltanschauung, Wissenschaft, Philosophie und Politik in sich verwirklicht. In ihrer Theorie ist jeder Dualismus zwischen naturwissenschaftlichem Weltbild einerseits und Geschichts- und Menschenbild andererseits beseitigt, da sie von der materiellen Einheit der Welt, vom objektiv existierenden Zusammenhang von Natur und Gesellschaft, ausgeht. In ihr ist die Einheit vom wissenschaftlichen Weltbild und wissenschaftlicher Weltanschauung realisiert, insofern sie einerseits aus der Zusammenfassung aller Aussagen der Wissenschaften über die objektive Realität (Struktur und Entwicklung) der Welt, Gesellschaft usw. erwachsen ist, d.h. das Weltbild der Naturwissenschaften und das Gesellschafts- und Menschenbild wissenschaftlicher Gesellschaftsbetrachtung zur Voraussetzung hat; andererseits ist sie die philosophische Verallgemeinerung aller einzelwissenschaftlichen Angaben und der gesamtgesellschaftlichen Praxis der Menschen in Richtung auf Aussagen über die Welt in ihrer Gesamtheit, über ihre allgemeinen inneren Gesetzmäßigkeiten, über die Stellung des Menschen in ihr usw. Für den dialektischen und historischen Materialismus kann es dabei keinen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Weltanschauung geben, weil die weltanschaulichen Verallgemeinerungen und Schlußfolgerungen unter Befolgung der den Wissenschaften eigenen Methoden gewonnen werden und in der Praxis ihre objektive Bestätigung rinden.

Die Fragen der Weltanschauung haben indes nicht nur theoretische, erkenntnismäßige, sondern hervorragende praktische Bedeutung für das Denken und Handeln der Menschen. Indem sie eine allgemeine Ansicht über die Welt im ganzen vermitteln, bestimmen sie das Verhältnis der Menschen zur Umwelt und ihr Verhalten in ihr. Während die reaktionären, antiwissenschaftlichen Weltanschauungen den historisch überlebten Klassen zur Aufrechterhaltung ihrer Machtpositionen und zur Niederhaltung und Täuschung der Volksmassen dienen und sich unüberbrückbare Widersprüche zwischen ihren allgemeinen, die Klassengegensätze verschleiernden Postulaten und der im Namen dieser Weltanschauungen von den herrschenden Klassen betriebenen gesellschaftlichen und politischen Praxis auftun, lenkt die wissenschaftliche revolutionäre Weltanschauung des Marxismus-Leninismus die Tätigkeit der Arbeiterklasse und der Volksmassen insgesamt auf den Kampf für ihre Befreiung und für die Errichtung einer menschlichen sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft hin, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist und Glück und Wohlstand inmitten einer die Selbstverwirklichung des Individuums ermöglichenden wahren Menschengemeinschaft, d.h. echte Verwirklichung des Sinns des menschlichen Lebens für alle Menschen verheißt. In völliger Übereinstimmung mit der progressiven Entwicklung der menschlichen Gesellschaft hilft sie so, den gesellschaftlichen Fortschritt zu forcieren und die Menschen zu selbstbewußter schöpferischer gesellschaftlicher Tätigkeit auch geistig zu befreien. Unter sozialistischen Bedingungen entwickelt sich die Weltanschauung des Marxismus-Leninismus immer mehr zur vorherrschenden Weltanschauung, sie trägt ihren völligen Sieg als wissenschaftliche Weltanschauung in dem Maße davon, in dem sich die Volksmassen - von ihr durch die bewußte Tätigkeit von marxistisch-leninistischer Partei und sozialistischem Staat in ständig wachsendem Maße geleitet - im Prozeß ihrer eigenen gesellschaftlichen Tätigkeit anhand der Praxis des siegreichen Aufbaus der neuen Gesellschaft nach allen weltanschaulichen Aspekten hin von ihrer Überlegenheit überzeugen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.1147ff

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