Zweieinhalb Wochen nach dem „Mittelmeer-Gipfel“ in Paris:
Eine vorläufige dreiteilige Bilanz von Bernard Schmid


(Teil 2)  Zweieinhalb Wochen nach dem „Mittelmeer-Gipfel“ in Paris: Eine vorläufige Bilanz

7/8-08

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Kommentar: UNSER GORILLA
Frankreich stützt seine Machtposition inner- und auerhalb der EU durch gute Beziehungen zu Diktatoren in Afrika und im südlichen Mittelmeerraum. Ein klarer Gewinn für die Festung Europa (aber sicherlich nicht für die Menschen in den Mittelmeerländern)
 

Vorbemerkung: Eine vom Autor gekürzte und redaktionell überarbeitete Fassung dieses Artikels, von dem dies die Langfassung des ursprünglichen Manuskripts darstellt, erschien am 15. Juli 2008 als Debattenbeitrag (unter dem Titel „Unser Gorilla“) in der ‚tageszeitung’, taz. Dabei schlich sich ein kleiner aber bedauerlicher Fehler ein: Das Attentat von 1983, bei dem 258 französische Soldaten zu Tode kamen, fand nicht in „Dakar“ (der Hauptstadt des westafrikanischen Senegal) statt – sonder in DRAKKAR, einer Örtlichkeit in der libanesischen Hauptstadt Beirut.
Es wurde damals einer Vorläuferorganisation der späteren libanesischen Schiitenmiliz Hizbollah „mit Unterstützung durch Syrien und den Iran“ zugeschrieben – eine Erklärung, die Präsident Nicolas Sarkozy nun aus taktischen Motiven, Syrien betreffend, korrigieren möchte. (Siehe Ausführlicheres dazu im Artikel).
Wie erstmals 2001 durch ein in Frankreich erschienenes Buch publik wurde, und wie die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ in ihrer Ausgabe vom 16. Juli dieses Jahres in Erinnerung ruft, reagierten die französischen Offiziellen bzw. die französischen ‚Dienste’ damals auf ihre Art auf das Attentat von Drakkar: Sie versuchten ihrerseits, eine Autobombe vor der iranischen Botschaft in Beirut zur Explosion zu bringen. Aufgrund technischer Mängel oder schlicht Inkompetenz ging die Autobombe allerdings nicht hoch. Nun ja: Der Staatsterrorismus findet sich offenkundig nicht immer allein auf jener Seite, wo er unschwer vermutet wird...

Über die NATO gab es dereinst das Bonmot – geprägt in den 50er Jahren von ihrem damaligen Generalsekretär, Lord Ismay -, sie sei ein Instrument, „um die Amerikaner drinnen, die Russen drauben und die Deutschen unten zu halten“. Gemeint war mit „drinnen“ und „drauben“ eine Präsenz oder Absenz auf dem europäischen Kontinent, und dass die Deutschen wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter Kontrolle zu halten seien, war unter den ehemaligen Mitgliedern der Anti-Hitler-Koalition, verständlicher und nachvollziehbarer, Konsens.  

Analog dazu liebe sich zur von Präsident Nicolas Sarkozy angeleierten und am Sonntag, den 13. Juli 08 offiziell gegründeten „Union für das Mittelmeer“ (Union pour la Méditerranée, UPM) sagen, sie sei ein Instrument, um „Frankreich in der Mitte, den Südrand des Mittelmeers und Afrika unten, sowie die unerwünschten Migranten drauben zu halten“. Aber auch die Türkei soll drauben gehalten, nämlich aus der EU, indem ihr eine andere regionale Integrationsstruktur als „Alternative“ zur Vollmitgliedschaft in der Brüsseler Union angeboten wird. Dies interessiert aber wiederum die Türkinnen und Türken gar nicht so sehr, die (oder deren Eliten) ihre Priorität doch eher darin sehen, dass sie  - im Zweifelsfall – lieber in die EU wollen. (Vgl. http://www.france24.com/ ) 

Frankreich in der Mitte, das bedeutet: Paris als politisches Gravitationszentrum. Das hat nun nicht hingehauen, denn rivalisierende Mächte innerhalb der Europäischen Union  allen voran Deutschland und Spanien – funkten dazwischen und sorgten dafür, dass daraus nicht so richtig etwas wurde. Die neue Union der Mittelmeerländer wird nicht, wie ursprünglich geplant, rund um Frankreich als politisch und ökonomisch stärksten Anrainerstaat, sondern rund um die EU als solche strukturiert sein. Deshalb durfte das Ganze auch nicht mehr, wie von Sarkozy anfänglich vorgesehen, Union méditerranéenne oder Mittelmeerunion heiben, sondern wurde zur „Union für das Mittelmeer“ (UPM). In den deutschsprachigen Dokumenten wurde der Unterschied zwar nicht vermerkt, in Frankreich fällt der subtile Namenswandel – als Symbol für den Druck auf Sarkozy, seine Pläne abzuändern - aber sehr wohl auf. 

Durch die Einbeziehung der gesamten EU als solche gewinnt die neu geschaffene Union zwar an räumlicher Ausdehnung: Sie umfasst nun immerhin 12 Millionen Quadratkilometer und 775 Millionen Einwohner und reicht bis an den nördlichen Rand der EU, am Eismeer. Doch gleichzeitig hat sie deutlich an Integrationsmacht verloren. Ihre Arbeitsweise wird den bürokratischen Mechanismen der Brüsseler Institutionen unterworfen, während Sarkozy laut von einer Union aus Ausdruck des "politischen Voluntarismus" träumte. Und die nördlichen und östlichen Mächte innerhalb der EU werden als eifrige Bremser auftreten. Da die UPM zudem bislang über keinerlei eigenen Haushalt verfügt, dürften die großspurigen Ankündigungen kaum allzu schnell von greifbaren Taten gefolgt werden. 

Mit einer wichtigen Ausnahme: Bei der Abwehr unerwünschter Einwanderer - solchen aus den Ländern vom  Südrand des Mittelmeers ebenso wie von Durchwanderern vom übrigen afrikanischen Kontinent -, wird die EU alsbald noch "effizienter" als bereits heute schon mit den Staaten des Mittelmeerbeckens zusammenarbeiten. Denn dass die unerwünschten, ökonomisch nicht hinreichend verwertbaren Einwanderungskandidaten „drauben“ gehalten werden sollen, das ist unter dem Grobteil der EU-Staaten konsensfähig. Regimes wie die in Marokko, Tunesien oder Libyen geben auch gern den Wachhund dafür ab, wenn ihren heimischen Eliten dafür nur eigene Privilegien winken. Wenn dann Marokkos Marine mal wieder – wie unlängst mutmablich geschehen – einen vom Absaufen bedrohten Flüchtlingskahn versenkt oder, wie in jüngst in Algerien, Harraga (illegale Auswanderer) mit Kugeln im Rücken aus dem Meer gefischt werden, vergiebt man in EU-Europa zwar sicherlich Krokodilstränen. Um sodann aber rasch zur Tagesordnung überzugehen, und die Regimes dieser Länder zu höherer „Effizienz“ bei der Zusammenarbeit gegen unerwünschte Migration aufzufordern.  

Ach ja, richtig: Libyen, das (vorläufig) zum Champion in dieser Kategorie aufgerückt ist – schon 1999 wurden acht grobe Lager auf libyschem Boden identifiziert, in denen von Europa abgewiesene Migranten eingepfercht waren – war beim Pariser UMP-Gipfel nicht dabei. Aber nicht, weil es nicht erwünscht gewesen wäre. Nur hatte sein Regimechef Muammar al-Gaddafi sich der Einladung, die ihm sehr wohl zugestellt worden war, entzogen: Er reiht sich nicht gern in eine fremde Einflusssphäre ein – sei sie nun französisch oder europäisch -, sondern hätte gerne selbst eine eigene. Besonders in Afrika, nachdem fast alle übrigen Araber ihn und seine groben Gestikulationen auslachen. An der alltäglichen Zusammenarbeit mit ihm und seinem Regime wird das in Zukunft aber wenig ändern. 

Bleibt noch ein wichtiger Kernpunkt der UPM übrig: „Den Südrand des Mittelmeers und Afrika unten halten“. Das ist nicht nur geographisch gemeint, im Sinne einer Blickrichtung auf der Weltkarte – dies wäre banal, und man bräuchte keinen Gipfel dazu abhalten. Es ist vielmehr politisch, im Sinne der Wahrung oder Wiederherstellung einer klaren internationalen Hierarchie und Arbeitsteilung, gemeint. 

Die UPM sollte, so hatte es Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am Anfang verlautbart, den Kern einer geopolitischen Einflusszone namens EurAfrique bilden. Dieses „Euro-Afrika" klingt nicht nur verdächtig nach Françafrique – wie der traditionelle postkoloniale „Hinterhof“ Frankreichs auch bezeichnet wird – und Neokolonialismus, es war auch genau so gedacht und konzipiert. Zum ersten Mal erörtete Sarkozy seine Ideen von der "Mittelmeerunion" und "Eurafrika" anlässlich eines Auftritts in Toulon am 7. Februar 2007. Damals war er noch Wahlkämpfer und Präsidentschaftskandidat der Rechten. 

Die südfranzösische Großstadt ist nun eine Hochburg nicht nur der Kriegsmarine, sondern auch der Pieds Noirs, also der vor 1962 in Nordafrika lebenden Algerienfranzosen. Deren revanchistische Gefühle kultivierender Teil formte, nach ihrer Aussiedlung in Richtung Frankreich bei der Unabhängigkeit Algeriens, eine Art kolonialer Vertriebenenlobby. Früher wählten solche Leute rechtsextrem – nicht zufällig wurde das Rathaus von Toulon von 1995 bis 2001 durch den Front National regiert. Seit dem Auftauchen Sarkozys aber unterstützen sie nun überwiegend die Konservativen. 

Seine 2007er Rede von Toulon widmete Sarkozy zum Großteil einer Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit - und der rhetorischen Abwehr einer imaginären "Verpflichtung zur Reue, zum nationalen Bübertum". Um sodann von der kolonialen Vergangenheit zu den neokolonialen Plänen für die Gegenwart und Zukunft überzugehen. 

Obwohl Frankreich seinen traditionellen Großmachtstatus - der eng mit seiner Position als Kolonialmacht zusammen hing - längst eingebüßt hat, hält seine Regierung an einem imperial wirkendenden Auftreten fest. Eine wichtige Stütze sind ihr dabei ihre privilegierten Sonderbeziehungen zu "befreundeten" Regimes, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, deren Repräsentanten in der UN-Vollversammlung bei wichtigen Abstimmungen oft noch immer en bloc zusammen mit dem französischen UN-Botschafter die Hände heben Dass diese Regimes – höflich ausgedrückt – nicht immer demokratisch ausgerichtet sind, stört dabei kaum. Denn ein befreundeter Gorilla ist immer noch „unser“ Gorilla. Preisträger in dieser Kategorie ist der Präsident der Erdölrepublik Gabun, Omar Bongo Ondimba, seit Januar 1967 und damit schlappen 41 Jährchen im Amt. Der im Westen – aus anderen Gründen – verhasste Robert Mugabe ist gegen ihn ein wahrer Waisenknabe. Erst jüngst, vom 1. bis 11. Juli dieses Jahres, weilte „unser“ Omar Bongo in der französischen Hauptstadt, wo er nicht weniger als 33 luxuriöse Villen und Wohnsitze besitzt. Offizieller Grund seiner Präsenz in Paris: „Um die europäische Ratspräsidentschaft meines Freundes Nicolas Sarkozy gebührend zu feiern.“ Eine NGO, Transparency International, stellte zwar Strafanzeige gegen ihn, um dem Ursprung seiner in Frankreich geparkten – und der gabunesischen Bevölkerung „gestohlenen“ – Guthaben nachzuspüren. Das stört ihn aber bislang ebenso wenig, wie der Elefant sich von den um ihn kreisenden Fliegen beirren lässt.  

Kaum war er endlich abgereist, trafen auch schon die Könige und Diktatoren – von Syriens el-Assad bis zu Tunesiens Folterherrn Ben Ali – zum Gipfel der UPM in Paris ein. Auch hier haben wir es zum Teil mit den Oberhäuptern von Staaten zu tun, die in traditionellen Einflusszonen Frankreichs liegen. Zu Letzteren zählt insbesondere der Libanon, wo Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg „Protektoratsmacht“ – mit einem Mandat des Völkerbunds ausgestattet – war. Übrigens auch in Syrien, nur ist dort sein Einfluss später (vorübergehend?) vom sowjetischen zurückgedrängt worden. Im Libanon hingegen blieb Frankreich stark in der Wirtschaft, etwa im Banken- und Finanzsektor, präsent. Ex-Präsident Jacques Chirac lebt seit seiner Pensionierung nicht zufällig in einem Pariser Wohnhaus, das der Familie des 2005 ermordeten libanesischen Ex-Premiers und Multimillionärs Rafiq Hariri gehört. Die traditionellen Bindungen sind noch immer eng und mal offizieller politischer, mal inoffizieller finanzieller Natur. 

Nun hat Frankreich einen diplomatischen Erfolg damit erzielt, dass es Syrien am Vortag sowie am Rande des UPM-Gipfels dazu bewog, seine diplomatische Anerkennung des Nachbarlands Libanon sowie Schritte zur Aussöhnung mit dem Staat Israel zu verkünden. Bislang hatte Syrien hegemoniale Ansprüche im Libanon erhoben, und im Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 hatten Damaskus und Tel Aviv beide gleichermaben eifrig daran gearbeitet, den kleinen Nachbarstaat in die Zange zu nehmen und zu zerstören. Nun soll alles anders werden, Syrien und der Libanon werden Botschafter austauschen. Dies kam keineswegs spontan, vielmehr hat Frankreich in einjähriger zäher Diplomatie darauf hingearbeitet und seinen Einfluss in der Region spielen lassen. Vielleicht auch seine Muskeln. 

Syrien winkt dafür eine Belohnung: Wenn die USA – mit denen Sarkozy wiederum eng befreundet ist - am Ende der Bush-Ära noch den dicken Knüppel gegen den Iran ausfahren sollten, dann wird Syrien nichts abbekommen. Erklärte Nicolas Sarkozy doch am Sonntag, es sei ein „historischer Irrtum“ gewesen, Syrien mit dem Terrorismus im Libanon – besonders mit dem Attentat von Drakkar 1983, bei dem 258 französische Soldaten starben – in Verbindung zu bringen. Vielmehr sei ganz allein der Iran schuld gewesen. Dies ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an den groben Bruder Bush. Syrien verhält sich brav und kündigte sogar an, „normale diplomatische Beziehungen“ zu Israel ins Auge fassen zu wollen, wenn – ja, wenn – es einen Friedensvertragsschluss gebe. Sarkozy sieht sich schon als Pate eines neuen Friedensprozesses, ähnlich wie Bill Clinton beim „Oslo-Prozess“ in den frühen 90ern, und in seiner internationalen Rolle bestätigt. Ob die Freude von langer Dauer sein wird, ist offen: Am Tag des Pariser Gipfels hielt Israel zwischendurch Militärmanöver auf den seit 1967 besetzten – früher syrischen – Golanhöhen ab, und el-Assad blieb während der Rede von Ehud Olmert in Paris im Schmolleck abgetaucht. Aber was sind schon längerfristige Zukunftsaussichten, Monsieur Sarkozy, wenn man sich einen Tag lang in der Sonne des internationalen Ruhms sonnen kann? Das ist doch die Hauptsache. Na also.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.