Sprache der Mobilmachung
Psst,mach es mit LTI!

Einige zufällige Sprachfunde von Antonin Dick

7/8-08

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Kein Auszug aus dem diesjährigen Prüfbericht der Europäischen Beobachtungsstelle zur Einhaltung des Potsdamer Abkommens der Alliierten der Antihitlerkoalition vom 2. August 1945, die es trotz Artikel 139 Grundgesetz nicht gibt, sondern zufällige Sprachfunde:

Am 14. Juni berichtete das Deutschlandradio in der Sendung »Fazit« vom »Zweifrontenkrieg« des Eisenacher Theaters zwischen Stadtspitze und Landesregierung. Ein Berliner Möbelversandhaus wirbt für ein Möbelstück: »Kommode Eiche kolonial«.

Im Tagesspiegel vom 22. Juni sprach der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm über »Entkirchlichung« und »Entbürgerlichung« in der DDR, während der Philosoph Jürgen Habermas Gründe für die Gefährdung des öffentlichen Diskurses in einer »Entformalisierung der Öffentlichkeit und in einer Entdifferenzierung entsprechender Rollen« erkennt, so ein FAZ-Artikel vom 23. Juni. Die Zeit vom 10. Juli pries eine Historikerin: Sie »entglorifiziert Maos Langen Marsch.« Das sind nur fünf Beispiele des wieder hoch im Kurs stehenden Einsatzes der Vorsilbe ent-, hinreichend analysiert von Victor Klemperer in seinem Werk »Lingua Tertii Imperii«, unter Ausführungen zum mechanisierenden Sprachgebrauch. Der zentrale »Motor der Sprache«, der heute alle Ent-Wirklichungen »ankurbelt« und steuert, ist das Wort »funktionieren.«

Ein Werbespot der Bundesagentur für Arbeit lautet: »Volltreffer Ausbildung.« Im Inforadio Berlin-Brandenburg hört man in der Werbung plötzlich wieder das preußische »Zicke zacke Zicke zacke«, das in Nazideutschland sehr verbreitet war: Herms Niel, Kapellmeister des Reichsarbeitsdienstes und Komponist, verrührte es mit dem Wort »Infanterie« zu einem »zackigen« Marsch, die Autorin Trude Sand veröffentlichte ein Hitlerjugendbuch mit dem Titel »Zicke zacke Landjahr Heil! Leben, Treiben, Taten und Abenteuer der Jungen und Mädel im Landjahr«.

In einer Buchbesprechung der Süddeutschen Zeitung vom 28./29- Juni zu einem ganzen anderen Buch wird von einer »heute gängigen Kurz- und Mittelstreckenepik« gesprochen. Die Berliner Zeitung vom 4. Juli 2008 vermeldet »eine Schau in der Neuen Nationalgalerie«. Statt »Ausstellung« oder »Exposition« das überrumpelnde Wort »Schau« zu setzen, ist ebenfalls LTI.

In der ver.di-Zeitung publik vom Juni/Juli 2008 wird eine Betriebsratsvorsitzende mit den Worten zitiert: »Wir wollen aber kein Lauffeuer auslösen, das das Ende des Flächentarifs bedeutet.« Das Wort »Lauffeuer«, das man heute nur noch im übertragenen Sinne für schnelle Verbreitung einer Nachricht verwendet, wird hier in seiner ursprünglichen militärischen Bedeutung als die zur Fernzündung dienende Pulveraufschüttung reaktiviert, und dies mit dem Nebeneffekt, daß durch die Wortkombination von »Flächentarif« und »Lauffeuer« das unausgesprochene Wort »Flächenbrand« mitschwingt.

In Bäckereien gibt es wieder den »Kameruner« - ein kolonialistisches Unwort, das jahrzehntelang nicht im Gebrauch war. Der damit bezeichnete Kleinkuchen aus Pfannkuchenteig wurde als Proviant für die Kaiserlichen Truppen in Deutsch-Kamerun entwickelt.

Für ein Handy wirbt ein BVG-Bus mildem Slogan »Psst, mach es mit Mobil!«, in Anspielung auf die Nazi-Propaganda-Losung »Psst, Feind hört mit!«.

In der Sendung »Fazit« des Deutschlandradios vom 12. Juli lobte der Chef der Ägyptischen Abteilung des Kestner-Museums Hannover, Christian Loeben, eine Ausstellung, die »einen Rundumschlag bietet«. In derselben Sendung berichtete der Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Ulrich Raulff, über die Leistungen seines Archivs auf unterschiedlichen Arbeitsgebieten!: »An all diesen Fronten haben wir gearbeitet.«

Und am Jahrestag der Französischen Revolution, in der »Fazit«-Sendung vom 14. Juli, pries Thüringens Kultusminister Bernward Müller das Deutsche Nationaltheater Weimar mit den Worten »Weimar hat einen Bomben-Ruf.«

Fortsetzbar ad libitum.

Bert Brecht: »Wenn man Bronze oder Eisenstücke im Schutt findet, fragt man: Was waren das in alter Zeit für Werkzeuge? Wozu dienten sie? Aus den Waffen schließt man auf Kämpfe; aus den Verzierungen auf Handel. Warum macht man es mit den Gedanken aus alten Zeiten nicht auch so?« Die Bronzezeit, die bis zum i. Jahrtausend v.u.Z. dauerte, brachte sumerische Texte hervor. Die heute von den »deutschen Eliten aus Politik, Wirtschaft und Kultur« immer häufiger »ins Feld geführte« Sprache der Mobilmachung führt in keine neue Epoche menschlicher Zivilisation. Am Ende eines solchen Redens und Schreibens, dem letzten aller deutschen Wintermärchen, stünde, blieben wir widerstandslos, unsere Selbstvernichtung.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Erstveröffentlicht wurde er am 18.7.08 in der JUNGEN WELT.