Vergessene Geschichte

Niels Seibert: Vergessene Proteste Internationalismus und Antirassismus
besprochen von Peter Nowak

7/8-08

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Eigentlich scheint über 1968 alles gesagt. Daher mag auf den ersten Blick der Titel des von Niels Seibert im Unrast-Verlag erschienenen Buch  irritieren. „Vergessene Proteste“,  lautet die Überschrift über die kommentierte Dokumentensammlung von Aktivitäten im Internationalismus- und Antirassismusbereich der Jahre 1964-1983. Wer das gut lesbare Buch durch gearbeitet hat,   wird den Titel sehr passend finden.

Wem sagt denn die Cabora-Bassa-Kampagne heute etwas? Dabei hat die Mobilisierung gegen ein von der damaligen portugiesischen Kolonialmacht  Ende der 60er Jahre geplantes Staudammprojekt in Mocambique  nicht nur die linke Öffentlichkeit beschäftigt. Die Kampagne interessierte ebenso kritische Kirchenkreise  und   kann als Geburtsstunde der Kritischen Aktionäre bezeichnet werden. Denn die AktivistInnen hatten es verstanden, den Proteste zu den Aktionärsversammlungen großer Firmen zu bringen. 

 Diese Kampagne ist nur eines von 11 Beispielen von im Buch aufgeführten  Protesten, die einmal die Öffentlichkeit bewegten und heute kaum noch jemand kennt.

Der Anschlag  auf  eine für Portugal bestimmte Fregatte im Hafen von Hamburg im Oktober 1969 hatte vor einigen Monaten Jutta Ditfurth in ihrer Ulrike-Meinhof-Biographie dem Vergessen entrissen. Die  Verbindungen zu Meinhof  stellt Seibert nicht her. 

Die jahrelange Auseinandersetzung um eine Statue des deutschen Kolonialbeamten und
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vordenkers Herbert von Wissmann vor der Hamburger Universität ist vielleicht zumindest in der Hansestadt nicht mehr ganz so unbekannt, weil das im Keller der Sternwarte Hamburg-Bergedorf entsorgte Denkmal vor einiger Zeit im Rahmen einer kritischen Kunstaktion noch einmal aufgestellt wurde.

Dass der Kampf gegen den Vietnamkrieg ein Motor der 68er Bewegung war, ist sicher allgemein Konsens. Doch dass in diesen Rahmen sehr früh Kontakte zu in Deutschland stationierten US-Soldaten geknüpft und Netzwerke für Deserteure aufgebaut wurden, ist schon weniger bekannt.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum trotz des medialen Dauerhypes um 68 so viele Begebenheiten verborgen bleiben. Dabei wird schnell klar,  dass eine ganz bestimmte Lesart  der 68er-Geschichte heute verbreitet wird. Es ist die Geschichte derer, die im Staat angekommen sind und  die 68er Bewegung, bzw. sich selber dafür loben, wie sehr sie die deutsche Gesellschaft  doch zivilisiert haben.

Niels Seiberts Buch dokumentiert eine andere Geschichte. An deren Beginn stand eben nicht der Schahbesuch, der bekanntlich mit dem Tod von Benno Ohnesorg endete. Das Buch begann mit dem im wesentlichen von afrikanischen Studenten getragenen Protesten gegen den Besuch des kongolesischen Präsidenten Moishe Tschombe in Bonn und Berlin.

Tschombe war von den westlichen Staaten nach der Ermordung des antikolonialen kongolesischen Präsidenten Lumumba in sein Amt eingesetzt worden, herrschte mit großem Terror aber zur Zufriedenheit der westlichen Welt. Die afrikanischen Demonstranten wurden damals nur von wenigen Studierenden um dem damals noch kaum bekannten SDS  bei ihren Protesten unterstützt. Der distanzierte sich damals von der Aufschrift eines Plakates, das ein afrikanischer Student trug. „BRD – Feind Kongos, DDR- Freund Kongos“, das ging in jenen Jahren nun wirklich nicht.

Seibert liefert nicht nur zu allen dokumentierten Protesten eine kurze Einführung. Er spart auch interne Konflikte und Widersprüche nicht aus. So geriet die große Kampagne für die Freilassung der schwarzen Aktivistin Angela Davis in die beginnende Terrorismushysterie der 70er Jahre. Wurde der Kongress „Freiheit von Angela Davis“, der in Frankfurt/Main stattfand, wo Davis kurze Zeit gelehrt hatte, zunächst als Werk von Radikalen diffamiert, wurden die  Veranstalter  plötzlich zu vernünftigen Linken, weil sich führende ProtagonistInnen auf dem Kongress klar von Rote Armee Fraktion distanziert hatten.  Seibert   zeigt allerdings auf, dass die Erklärungen längst nicht vom gesamten Spektrum der Kongressvorbereitung getragen wurde. Auch von den Linken aus den USA gab es Widerspruch zur Distanzierung. Daneben gab es auch unterschiedliche Vorstellungen von der Solidaritätsarbeit. Wollte man nur die prominente Intellektuelle Angela Davis unterstützen oder galt die Solidarität auch den Black Panther-AktivistInnen, die nicht in Deutschland studiert hatten?  

Bezüge zur Gegenwart 

Ein roter Faden in dem Buch ist der Kampf gegen Rassismus und die Abschiebungen politischer AktivistInnen. Dabei ist auffallend, dass es zunächst um die Solidarität mit verfolgten politischen AktivistInnen aus den verschiedenen Ländern des globalen Südens ging, ehe die Unterstützung von MigrantInnen insgesamt zur zentralen Forderung wurde. So sorgten Ausweisungsdrohungen gegen iranische Oppositionelle  1969  für massive Proteste. Teilweise konnten die Abschiebungen in letzter Minute verhindert werden. Massenabschiebungen gab es auch nach den von einem palästinensischen Kommando verantwortenden Anschlag auf israelische Sportler während der Olympiade in München 1972. Dabei standen grundsätzlich alle Menschen aus arabischen   Staaten  im Visier. Hier werden sofort Erinnerungen an die Lage von Menschen arabischer Herkunft nach dem 11. September 2001 wach.

Auf Fotos über damalige Publikationen  wird die Unbefangenheit deutlich, mit der im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen arabische migrantische Organisationen vom „neuen Antisemitismus“ geredet wird. So bietet das gut auch gute Gelegenheit über die blinden  Flecken der linken Bewegung zu reden.  

Das gilt auch für den letzten dokumentierten Text des Buches, die aus autonomen Zusammenhängen entstandenen „Thesen zur Flüchtlingsfrage“ von 1987.  Dort finden sich nicht wenige krude Thesen, wenn beispielsweise  Alphabethisierung und des Aufbaus von Gesundheitsstationen als Politik von nachrevolutionären Regierungen gefasst wird, die Bevölkerung unter ein neues Kommando zu zwingen. Trotzdem fällt die revolutionäre   Emphase auf,  mit der die  Flüchtlingsfrage zum Teil des internationalen Klassenkampfs erklärt wurde.  Davon ist heute auch in der linken Antirassismusarbeit über 20 Jahre später wenig  übrig geblieben.  Seiberts Verdienst ist es, die vergessene Geschichte    ausgegraben zu haben und sie damit  diskutier- und auch kritisierbar gemacht zu haben. 

Seibert NieIs 
Vergessene Proteste Internationalismus und Antirassismus 1964-1983.

Münster 2008, ISBN-13: 978-3-89771-032-0,  br., 224 Seiten Preis: 13.80 Euro