Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Gipfel der „Union für das Mittelmeer“ am Sonntag in Paris

7/8-08

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Der kleine französische (Möchtegern-)Kaiser versammelt Präsidenten, gekrönte Staatsoberhäupter und Diktatoren von Ländern rund um das Mittelmeer um sich herum. Doch konkurrierende EU-Länder, darunter die Deutschen, haben ihm im Vorfeld die Fete verdorben

Siehe dazu auch das Interview mit dem Bürgerrechtler Tarek BEN HIBA.

Im Anfang war das Wort. Und das Wort ist materielles Gewaltverhältnis geworden, also zur Institution geronnen. Und es war dem Herren Sarkozy ein Wohlgefallen.

Nicolas Sarkozy hatte das Wort, „Mittelmeerunion“, zuerst in einer programmatischen Wahlkampfrede am 7. Februar 2007 in Toulon in den Raum geworfen. Bemerkenswerter Weise hatte Sarkozy ansonsten einen Großteil derselben Ansprache einer Rechtfertigung der französischen Kolonialvergangenheit und seines „zivilisatorischen Auftrags“ in Nordafrika, vor einem überwiegend aus früheren Algeriensiedlern bestehenden Publikum, gewidmet. (Vgl. dazu http://jungle-world.com/artikel/2007/07/19086.html http://www.trend.infopartisan.net/trd0507/t430507.html) Dadurch hatte sein Projekt von Anfang an ein gewisses ideologisches Beigeschmäckchen erhalten. Am Abend seiner Wahl zum französischen Präsidenten, am darauf folgenden 6. Mai, hatte er sein Versprechen erneuert und einmal mehr den Programmnamen Union méditerranéenne ausgesprochen. 

Am kommenden Sonntag, den 13. Juli, so plante es das umtriebige Staatsoberhaupt seit längerem, sollte sein Triumph gefeiert werden: Am Vorabend des französischen Nationalfeiertags - und Jahrestags des Sturms auf die Pariser Bastille - sollen sich in Paris alle Staats- und Regierungschefs von Ländern, die rund um das Mittelmeer liegen, in Paris versammeln. Unter ihnen sind neben einigen gewählten Präsidenten viele Diktatoren und Monarchen. Ihre Zusammenkunft, die konkret am Sonntag Nachmittag im Kultur- und Ausstellungspalast Grand Palais in der Nähe der Champs-Elysées stattfindet und - laut Plan - drei Stunden dauern wird, gibt den Startschuss für eine neue regionale Integrationsstruktur. Diese könnte entfernt nach dem Vorbild der Europäischen Union funktionieren  - wird aber de facto mit ungleich geringeren Mitteln und einem geringeren Integrationsniveau ausgestattet sein.

Nun haben aber die - so genannten - Herren der Schöpfung bekanntlich nicht mehr allein das Sagen auf der Welt. Cherchez la femme! Es war eine Frau, die als erste unsere kleine Schöpfungsgeschichte durcheinander brachte. Nebenbei war sie auch noch deutsche Kanzlerin: Angela Merkel hatte im Dezember vergangenen Jahres gegen die Pläne des französischen Präsidentin Nicolas Sarkozy zu stänkern begonnen, eine neue politische Institution unter dem Namen Union méditerranéenne (Mittelmeerunion) zu schaffen. Am 8. März dieses Jahres - es geschah wohl nur zufällig auch noch am Internationalen Frauentag - war es soweit: Merkel hatte sich durchgesetzt.

Unter dem gemeinsamen Druck der deutschen Bundesregierung und der EU-Kommission in Brüssel gab die französische Regierung offiziell eine Abänderung ihrer Pläne für die neue Union bekannt. Statt des alten Namens trägt das politische Projekt, das sie dennoch energisch weiterverfolgt, nunmehr den administrativen Doppelnamen Processus de Barcelone: Union pour la Méditerranée (Barcelona-Prozess: Union für das Mittelmeer), abgekürzt UPM.  

„Mittelmeerunion“ oder „Union für das Mittelmeer“?

Die Namensänderung ist nicht nur kosmetischer Natur und dazu bestimmt, ein verändertes tatsächliches Kräfteverhältnis symbolisch festzuschreiben. Vielmehr widerspiegelt sie eine wichtige Verschiebung in der Konzeption der neuen Regionalstruktur selbst: Statt rund um Frankreich und seine Beziehungen zu Staaten am Süd- und Ostrand des Mittelmeers konstruiert zu sein, wird sie nun vielmehr rund um die Europäische Union als solche aufgebaut werden. Diese Rückkehr zu einer Anbindung an die EU widerspiegelt sich auch dort im Projekttitel, wo der „Barcelona-Prozess“ erwähnt wird.

So lautet der Name des Programms zum „euro-mediterranen Dialog“, das mit der Regierungskonferenz von Barcelona im November 1995 begann und das zum Abschluss bilateraler Abkommen zwischen der EU - als mit Abstand wichtigstem Akteur dieses Prozesses - und einzelnen Anrainerstaaten des Mittelmeers führen sollte. In den vergangenen Jahren wurde jedoch vielfach konstatiert, dass dieser Prozess nicht vorankomme, unter anderem aufgrund des Mangels an politischen Institutionen, die ihn begleiteten. Und vor allem, weil die schreienden Wohlstandsunterschiede durch die Verhandlungen über Freihandelsregelungen, die den wesentlichen Teil des „Barcelona-Prozesses“ ausmachen, nicht beseitigt werden konnten. Vielmehr haben sie sich noch verschärft.

Nirgendwo auf der Welt ist das Armut-Reichtums-Gefälle zwischen zwei geografischen Regionen derart stark ausgeprägt wie zwischen dem Nord- und dem Südufer des Mittelmeers, die in der Straße von Gibralter bis auf 15 Kilometer aneinander herankommen. Freihandelsabkommen wie das zwischen der EU und Tunesien - das einzige seit „Barcelona“, das aktuell in Kraft ist, und dies seit Januar dieses Jahres - tragen eher noch zur Verschärfung dieses Problems bei. Denn Teile der lokalen Ökonomie werden durch die Dampfwalze der weitaus konkurrenzfähigeren Produkte aus dem Norden ruiniert. Einem Land wie Tunesien bleiben „Nischen“, etwa die Tourismusindustrie und - besonders im Falle dieses Landes - die Ansiedlung von Call Centers und anderer Form gering qualifizierter Dienstleistungsbetriebe mit Anbindung an den europäischen Markt.

Alle 27 EU-Mitgliedsstaaten - und nicht mehr nur jene unter ihnen, die eine Mittelmeerküste aufweisen, wie von Sarkozy ursprünglich geplant - werden Gründungsmitglieder der neuen Union sein. Im einen Falle hätte Paris das politische Gravitationszentrum der regionalen Integrationsstruktur bilden können, denn die anderen Mittelmeer-Anrainerstaaten der EU sind politisch und ökonomisch schwächer als Frankreich: Zu ihnen zählen etwa Spanien, Italien, Slowenien und Griechenland. Im anderen Falle, der jetzt vorgesehen ist, ziehen Brüssel (und Berlin) Kompetenzen an sich.  

Zoff in der EU 

Gleichzeitig verringert sich die Integrationsdichte. Während die „Union für das Mittelmeer“, die am kommenden Sonntag offiziell gegründet wird, jetzt einen Riesenraum von 12,5 Millionen Quadratkilometern und 775 Millionen Einwohnern umfassen wird, wird sie sich kaum durch eine vertiefte Integration auszeichnen. Insbesondere die nördlichen und nordöstlichen Mitgliedsländer der EU, die nur geringe Affinitäten zum Mittelmeerraum aufweisen, dürften sich als Bremser erweisen. Hatte doch Angela Merkel Ende vorigen Jahres ihrem französischen Partner und Rivalen Sarkozy unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass zwar Frankreich seine Rohstoff- und geostrategischen Interessen vielleicht in Algerien zu verfolgen suche - aber Deutschland die seinen eher in der Ukraine verorte.

Von ihrer und anderer Seite her wird Frankreich verdächtigt, trotz Einbindung in die EU mit seinen Plänen für eine Union rund um das Mittelmeer weiterhin Ambitionen einer nationalen Großmachtpolitik zu verfolgen, die mehr oder weniger in der Tradition Napoléon III. angesiedelt wären. Letzterer hatte in den 60 Jahren des 19. Jahrhunderts von der Errichtung eines „arabischen Königreichs“ am Südufer des Mittelmeers geträumt, dessen Monarch er in Personalunion mit der französischen „Kaiserschaft“ gewesen wäre.

Durch die Kollektivmitgliedschaft der EU in der neuen Union, die Berlin durchzusetzen vermochte, weist Letztere nun 44 Mitgliedsländer auf. Unter ihnen alle 27 Staaten der EU sowie elf Anrainerländer am Süd- und Ostufer des Mittelmeers. Hinzu kommen zwei Nichtanrainer im Süden, die aus geopolitischen Gründen einbezogen werden - nämlich Mauretanien, das intensiv mit seinen Nachbarländern Marokko und Algerien verbunden ist, sowie das Königreich Jordanien. Auf dem europäischen Kontinent kommen wiederum vier Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro als bisherige Nichtmitglieder der EU sowie das eng mit Frankreich assoziierte Fürstentum Monaco hinzu.

Zusammen mit den neuen Dimensionen hat die „Union für das Mittelmeer“ aber auch an bürokratischer Schwerfälligkeit gewonnen, insbesondere weil der größte Block ihrer Mitgliedschaft - die EU, die 64 Prozent ihrer Bevölkerung und 86 Prozent ihres Bruttosozialprodukts auf sich konzentriert - durch die Brüsseler Kommission repräsentiert wird. Und die Letztgenannte ist nicht gerade für ihre unbürokratische Funktionsweise bekannt. Ihr Stil prägt auch den Entwurf für eine Abschlusserklärung des Gipfels vom Sonntag: Auf neun Seiten werden technokratische Sprechblasen sowie dem Publikum nichtssagende Zahlen und Daten aneinander gereiht. Frankreich, aber auch Spanien und Marokko favorisieren nun aber eine wesentlich kürzere, dagegen „politischere“ Abschlusserklärung. Manche Beobachter sprechen unterdessen davon, die Einbeziehung der gesamten EU habe Sarkozys ursprüngliches Projekt stark „verwässert“.

Um die Institutionen der neuen UPM zu beschäftigen, hat Frankreich unter Präsident Sarkozy ihnen ein paar konkrete Projekte vorgegeben. Sie sind vier an der Zahl. Dazu gehört ein Programm zur Säuberung des Mittelmeers von Umweltgiften. Dafür wurden 131 Standorte ausgewählt, die es bis im Jahr 2020 zu behandeln gelte. Allerdings ist keinerlei Budget dafür vorgesehen. Sarkozys Redenschreiber Henri Guaino - ein sich in der Tradition des Gaullismus sehender schwülstiger Patriot und von historischer Größe träumender Idealist, der unter anderem die Rede von Toulon verfasste - rechtfertigt dies in der Ausgabe des Wochenmagazins Jeune Afrique von diesem Montag: „Wir wollten den bürokratischen Prozeduren“, wie sie den Barcelona-Prozess unter Ägide der EU geprägt hatten, „den Rücken kehren. In der bürokratischen Logik werden die Projekte durch die Budgets bestimmt. Im wirklichen Leben arbeitet man erst Projekte aus und sucht sich danach die nötigen Ressourcen, um sie zu realisieren.“ Pech nur, falls die schön klingenden Projekte dann später mangels Geld nicht umgesetzt werden können…

Weitere Prestigeprojekte der Union sind die Einrichtung einer „euro-mediterranen“ Universität in Slowenien sowie eines Forschungszentrum für denselben geografischen Großraum. Die dort beschäftigten Wissenschaftler und Forscher sollen, so wird versprochen, im Mittelmeerraum Freizügigkeit genießen. Denn, so Henri Guiano in seinem Interview vom Wochenanfang: „Die Eliten, seien sie intellektueller oder ökonomischer Natur, müssen sich austauschen, sich treffen, mobil sein können.“ 

Freizügigkeit ja – aber nur für die Elite

Was für die Eliten recht ist, ist für die „Masse“ der Menschen noch lange nicht billig. Denn einer der wesentlichen Stützpfeiler der UPM wird darin bestehen, Politikinstrumente zur Abschreckung oder zur Zurücksendung unerwünschter Migranten zu entwickeln. So hatte Sarkozy in seiner Rede von Toulon, wo er das Projekt einer solchen Union lancierte, auch ausgeführt: „Weil die nicht beherrschte/ungezügelte Einwanderung (l’immigration non maîtrisée) eine Katastrophe für die Auswanderungs- wie für die Aufnahmeländer darstellt, möchte ich die Frage der illegalen Einwanderung auf der Ebene des Mittelmeerbeckens aufwerfen. (…) So wünsche ich, dass eine Konvention mit allen Mittelmeerländern ausgearbeitet wird, um Abschiebungen zu erleichtern.“

Und dies betrifft nicht nur Migranten aus den unmittelbar südlich oder östlich an das Mittelmeer angrenzenden Ländern - sondern insbesondere Menschen vom übrigen afrikanischen Kontinent, die durch die am Mittelmeer gelegenen Staaten hindurchreisen. Seit längerem wird dieser geografische Raum als „Pufferzone“ rund um die Festung Europa, die sich zumindest vom unerwünschten Teil der Migration abzuschotten versucht - dabei aber zugleich „die Abwanderung der Gehirne“ organisieren möchte, um zu Hause Ausbildungskosten zu sparen -, instrumentalisiert. Eines der Schlüsselländer dabei ist, neben Marokko und Tunesien, auch Libyen. Dort wurden schon im Jahr 1999 acht große Lager verortet, in denen Zehntausende von Europa abgelehnter Einwanderungskandidaten unter elenden Bedingungen schmachteten. Die Kooperation zu diesen Zwecken mit Libyen, wo sich Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi erst vor wenigen Tagen aufhielt, hat seitdem stetig zugenommen.

            Allerdings möchte Libyens Staats- und „Revolutions“chef Muammar Kaddafi nun nicht an dem Pariser Gipfel teilnehmen. Wahrscheinlich ist er damit der einzige unter den diktatorisch oder monarchisch regierenden Staatsoberhäuptern von südlich des Mittelmeers, der bzw. das sich nicht zumindest vertreten lässt: Andere Präsidenten oder Potentanten werden zwar vielleicht nicht persönlich auftauchen, doch immerhin die Höflichkeit besitzen, sich „anständig“ repräsentieren zu lassen. So mutmablich Tunesiens Obergorilla Ben Ali, der aufgrund der „universellen Kompetenz“ französischer Gerichte bei Folter- und Genozidvorwürfen eine Anklageerhebung gegen ihn auf französischem Boden fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Gegenstand wären die Hobbys, denen er bzw. seine Schergen in Form fantasievoll variierter Folterpraktiken in ihrer Freizeit (oder sollte es gar im Dienst sein?) doch recht häufig nachgehen. (Diese „universelle Kompetenz“ heimischer Gerichte bei Folter und Schlächtereien würde allerdings durch einen jüngst vorgelegten Gesetzentwurf der französischen Regierung, der ab September im Parlament beraten wird, im Falle seiner Verabschiedung faktisch abgeschafft. Bei Inkrafttreten dieses neuen Gesetzentwurfs könnte nur noch dann gegen Hobby- respektive Profi-Folterer und ihre Auftraggeber, vom Schlage Ben Ali, auf französischem Boden Anklage erhoben werden, falls sie dort einen „ständigen Wohnsitz“ besitzen. Also bei ausländischen Diktatoren so gut wie, sieht man von manchem äquatorialafrikanischem Diktator ab, der in Paris zwei bis drei Dutzend Villen besitzt wie etwa Gabuns Autokrat Omar Bongo.)

Kaddafi wirft dem Projekt vor, „die arabische und afrikanische Einheit“ zu spalten - als deren oberster Wortführer er sich gerne aufspielen möchte, obwohl er in seiner politischen Rolle von vielen Afrikanern und fast allen Araber eher verlacht denn ernst genommen wird. Sarkozys Berater Henri Guiano hält aber daran fest, auch ihn für die UPM gewinnen zu wollen, und unterstreicht in einem Interview mit dem Figaro Magazine von Mitte Juni: „Kaddafi möchte lediglich, dass Europa einerseits und die arabischen und afrikanischen Länder andererseits als Block miteinander verhandeln, da nun die EU als Ganzes in der Union für das Mittelmeer repräsentiert ist.“ Diese Postur schließe aber nicht aus, dass letztendlich auch Libyen zum Mitmachen gewonnen werden könne.

Andere autoritär geführte Staaten hatten da weniger Bedenken, zum Pariser Gipfel zu kommen. Aller Voraussicht nach wird Ägyptens Staatsoberhaupt Hosni Mubarak, zusammen mit Frankreichs Nicolas Sarkozy - sofern die EU ihrem derzeitigen Ratspräsidenten für das zweijährige Mandat an der Spitze der UPM eine Vollmacht erteilt -, die Kopräsidentschaft der neu gegründeten Union übernehmen. Ein anderes strikt polizeistaatlich regiertes Land, Tunesien, dürfte zum Sitz der Institutionen der „Union für das Mittelmeer“ auserkoren werden. Und für die Besetzung des Sekretariats sind derzeit Vertreter der marokkanischen Monarchie im Gespräch.

Allerdings gab es in den letzten Wochen vor dem Stattfinden des Gipfels doch noch Streit und Gerangel. In Algeriens politischer Elite zürnte man, weil man sich - zugunsten der Nachbarn Marokko und Tunesien - übergangen fühlte. Es trifft auch zu, dass es man in Teilen der so genannten politischen Klasse Frankreichs bis heute dem größten Land Nordafrikas nicht verziehen hat, dass es in einem blutigen „Befreiungskrieg“ seine Unabhängigkeit errang und im Anschluss daran - in einer staatssozialistischen Phase - französische Unternehmen und Grundbesitzer enteignete. Bis zuletzt ließ Algeriens Präsident Abdelaziz Boutefliqa (o., nach üblicher französischer Transkription, Bouteflika) deswegen die Frage seiner Teilnahme oder Nichtteilnahme am Gipfel noch offen.  

14. Juli in Paris – Und alle marschieren: Diktatoren und ihre Leibgarde, eine Besatzungsarmee und andere Prätorianertruppen 

Im Falle, dass eine große Überraschung ausbleibt, dürfte er dennoch anreisen. Ebenso wie Syriens Präsident und Diktator Baschir el-Assad. Über seine Anwesenheit bei der Militärparade des 14. Juli, am auf den Gipfel folgenden Vormittag, gab es in Paris kurzzeitig innenpolitischen Streit. Er wurde jedoch schnell wieder geschlichtet, denn während Frankreich - als frühere Protektoratsmacht im Libanon, die in diesem Land der Levante noch stark präsent bleibt - in den vergangenen Jahren und besonders 2004 heftig mit den syrischen Interessen dort aneinander stieß, haben sich die Wogen in dem Streit inzwischen geglättet. Ein Kompromiss mit den französischen Interessen im Libanon zeichnet sich in Damaskus ebenso ab wie neue Verhandlungen mit Israel, dessen Truppen ebenfalls zu den - aufgrund der anhaltenden Besatzung o. Abriegelung der palästinensischen Territorien ebenfalls ziemlich umstrittenen - Gästen der Pariser Militärparade zählen.

Aber wenn alle Präsidenten und ihre jeweiligen Truppen oder Leibgarden auf den Champs-Elysées marschieren dürfen und dabei Zeichen außenpolitischer „Aussöhnung“ setzen, dann wird doch noch alles gut. Aus offizieller Sicht. Dass in vielen der betroffenen Länder eifrig gefoltert wird (und soeben in Syrien die Niederschlagung einer Gefängnisrevolte Tote hinterließ), interessiert dabei nur am Rande. Oder wer möchte dem französischen Präsidenten seine Nationalfeiertag durch „unangemessene Bemerkungen“ verderben? 

Und er kommt doch! Algeriens Präsident Boutefliqa nimmt (nach einigem Hin und Her) am Gipfel der „Mittelmeerunion“ teil 

Er hatte es spannend gemacht, aber seit Montag dieser Woche steht es fest: Er kommt doch! Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Boutefliqa (Anm.: Schreibweise nach der korrekteren englischen Transkription aus dem Arabischen, oder Französisch: Bouteflika) wird am Sonntag in Paris am „Mittelmeergipfel“ teilnehmen. Dies sicherte er seinem französischen Amtskollegen Nicolas Sarkozy bei ihrem Zusammentreffen am Rande des G8-Gipfels in Japan zu. Seit Jahren gehört Algerien zu jenen arabischen und afrikanischen Ländern, die am ersten Tag der Gipfeltreffen der reichsten Industrieländer zu Konsultationen eingeladen werden.

In den Wochen zuvor hatte Algerien die Frage seiner offiziellen Beteiligung an der von Sarkozy lancierten „Union für das Mittelmeer“ offen gelassen. Ursächlich dafür war einerseits die Verärgerung in seiner Hauptstadt Algier über die „Bevorzugung“ der marokkanischen und tunesischen Nachbarn, da diesen Ländern voraussichtlich das Sekretariat sowie der Sitz der neuen Union zugeschanzt werden. Auf der anderen Seite hat ein Teil der französischen politischen Klasse es bis heute dem nordafrikanischen Land nicht verziehen, dass es sich trotz eines langen und blutigen Kolonialkriegs (1964 bis 62) selbst befreien konnte und später die französischen Unternehmen auf seinem Boden enteignete. Aus diesem Grunde genießt es nicht dieselbe Vorzugsbehandlung in Paris wie seine Nachbarländer, zumal sich in Algerien bestimmte Restelemente aus der staatssozialistischen Ära (wie das Gesundheitswesen) erhalten haben. Aber ganz „ohne Algerien hätte die Mittelmeerunion keinen Sinn gehabt“, erklärte der französische Premier François Fillon bei einem Besuch in Algier Ende Juni.

Ein weiterer Streitpunkt und Grund für das algerische Zögern betraf die Beteiligung Israels an der geplanten „Union für das Mittelmeer“. Ein Teil der  politischen Kräfte in Algerien opponiert gegen eine solche Teilnahme des Staates Israels an der Union, jedenfalls solange das Palästinaproblem keiner für die unterdrückte Bevölkerungsgruppe akzeptabler Lösung zugeführt worden ist (und sogar noch die israelische expansive Siedlungspolitik in den palästinensischen Territorien vorangetrieben wird, die die Errichtung eines ‚lebensfähigen’ Staates dort noch immer weiter erschwert). Die offizielle Position Algeriens lautet, dass es längerfristig einen Friedensschluss und eine Normalisierung der Beziehungen zum Staat Israel zwar grundsätzlich geben solle, aber nur dann geben dürfe, wenn es einen ‚lebensfähigen’ palästinensischen Staat an seiner Seite gibt und die palästinensische Bevölkerung ihre politische Souveränität ausüben kann. Bis dahin verweigert Algerien die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel, wie die Mehrzahl der arabischen Länder (mit Ausnahme Ägyptens, Jordaniens und Mauretaniens - diese drei Staaten unterhalten heute bereits diplomatische Beziehungen zu Tel Aviv). Diese Position ähnelt jener, welche die Arabische Liga auf ihrem Gipfel von 2002 angenommen hat.

Vor diesem Hintergrund opponierte ein Teil der algerischen Politiker/innen, so die Linkspopulistin und PT-Politikerin Louisa Hanoune (die ein Referendum über diese Frage forderte), gegen die Teilnahme Algeriens an der „Union für das Mittelmeer“ bei gleichzeitiger Anwesenheit Israels. Dagegen opponierten ebenfalls die Islamisten, aber aus völlig anderen Gründen, da diese nämlich den Staat Israel weitaus eher aus religiösen Gründen ablehnen und zum Teil für „Teufelswerk“ halten denn - wie andere Kräfte - aus politischen Motiven, die auf dem Wunsch nach Selbstbestimmung für die Palästinenser basieren würden. Die Position der Islamisten ist deswegen auch nicht geeignet, längerfristig zu einem irgendwie gearteten Friedensschluss auf der Basis einer „gerechten Lösung“ oder eines Ausgleichs zwischen beiden Bevölkerungsgruppen - jüdischen Israelis und Arabern/Palästinensern - einen positiven Beitrag zu leisten. Anders die auf einer, in Algerien stark verankerten, antikolonialen Tradition basierenden Motive anderer politischer Strömungen.

Ende Juni 2008 ist der bisher amtierende, national-konservative - und auf dem politisch-religiösen Terrain den Islamisten relativ nahe stehende - Premierminister Abdelaziz Belkhadem (FLN) durch den „modernistischen“ Wirtschaftsliberalen Ahmed Ouyahia (RND) - seinen Vorgänger und Nachfolger  im Amt - abgelöst worden. Seitdem hat sich die offizielle algerische Position bewegt und, jedenfalls dem Anschein nach, verschoben. Der neue Regierungschef Ouyahia hat die „Blockade“ in dieser Frage, jener der Teilnahme Algeriens an der „Union für das Mittelmeer“ unter Hinnahme der gleichzeitigen Präsenz Israels, aufgelöst: Er erklärte, da der Präsident der palästinensische „Autonomiebehörde“ Mahmud Abbas selbst in Paris beim Gipfel der Mittelmeerländer präsent sein werde, könne er die eigenen Interessen der Palästinenser schon selbst verteidigen. Man brauche „nicht palästinensischer als die Palästinenser“ zu sein, schloss der bürgerliche Politiker. Ob die algerische Position unter einem im Amt bleibenden Premierminister Belkhadem letztendlich tatsächlich anders ausgefallen bzw. wirklich „hart geblieben“ wäre, muss unterdessen jedoch Spekulation bleiben. Wahrscheinlich hätte Staatspräsident Bouteflika/Boutefliqa letztendlich ein ultimatives Machtwort gesprochen, im Sinne dessen, was er als die nationalen Interessen Algeriens betrachtet. Belkhadem seinerseits ist jetzt zum persönlichen Repräsentanten Bouteflikas (weg-)befördert worden, da der algerische Präsident stark auf ihn setzt, um seine Kandidatur für eine dritte Amtsperiode ab 2009 vorzubereiten. Dadurch bestimmt Belkhadem zwar nicht länger die Richtlinien der algerischen (Tages)politik als Premierminister, der freilich einem Präsidenten mit starker Machtfülle unterstellt ist, bleibt aber sehr wohl in der Politik des Landes präsent und ist keineswegs „total weg vom Fenster“.

Ein vorläufiges Fazit: Mit Ausnahme von Gadaffis Libyen werden, nach der jüngsten Bekanntgabe von Bouteflikas Entscheidung, somit alle Länder südlich und östlich des Mittelmeers auf dem Pariser Gipfel vertreten sein. Einschließlich des Staates Israel und der palästinensischen „Autonomiebehörde“, aber auch Syriens.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Der Artikels erschien am 10.7.08 gekürzt in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’, zusammen mit der leicht gekürzte Fassung des Interview mit dem französisch-tunesischen Bürgerrechtler Tarek BEN HIBA zum Pariser „Mittelmeergipfel“