Ein Tag ohne Abschiebungen

von Andreas Beisbart, Bürengruppe Paderborn

7/8-08

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Migration passiert hieß es vor einigen Jahren in einem Aufruf. Daran hat sich nichts geändert. Geändert haben sich die politischen und strukturellen Bedingungen von Migration.

Historisch gesehen war die Phase, in der das Asylrecht der zentrale Modus der Einwanderung nach Deutschland war, relativ kurz. Seitdem haben andere Formen an Bedeutung gewonnen, insbesondere illegalisierte, heimliche Formen. Selbst zu Zeiten eines „funktionierenden“ Asylrechts lag die Anerkennungsquote bei unter 10%. Antirassistischer Protest mit dem einseitigen Fokus auf der Einhaltung von Menschenrechten und der Durchsetzung des Grundrechts auf Asyl ignoriert, dass der Großteil der Zuwanderungswilligen weiterhin draußen bleiben müsste. Ein wie auch immer garantiertes Recht auf Asyl wäre zwar ein Fortschritt, würde aber bedeuten, die Grenze als gewaltförmige Struktur zu akzeptieren und die Macht der Nationalstaaten, über Bewegung zu bestimmen, unangetastet zu lassen.

Migration funktioniert nach anderen Mustern. Das migrationspolitische Regime stellt eine Entgegnung auf die Praktiken der Migration dar. Die Grenzen werden nicht einfach gesperrt, es entsteht vielmehr ein komplexes System der Limitierung, Differenzierung, Hierarchisierung und partiellen Inklusion von Migratengruppen.[1]

Das bedeutet, wir haben es nicht mit einem starren System von Einwanderungspolitik auf der einen, und einem Block der MigrantInnen auf der anderen Seite zu tun, vielmehr reproduziert sich das Migrationsregime immer wieder neu, indem es auf Praktiken und Kämpfe reagiert. Im Umkehrschluss heißt das, dass nicht nur die MigrantInnen, sondern auch die antirassistische Bewegung, insofern sie sich als Akteur auf dem migrationspolitischen Feld begreifen lässt, Einfluss auf die Ausgestaltung des Migrationsregimes nimmt.

Und Kämpfe finden statt. Umso schlagkräftiger und erfolgreicher werden diese Kämpfe, je mehr sie gemeinsam geführt werden und sich vernetzen. Das Spektrum reicht von der Schulklasse, die die Abschiebung einer/eines Schulfreundin/-freundes verhindern will, über Streiks, Demonstrationen bis hin zu Kampagnen gegen Residenzpflicht, rassistische Polizeigewalt und die Zumutungen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Allzu oft leiden diese Kämpfe jedoch an zwei Mängeln: vielfach klammern sie sich an Einzelfällen fest, die besonders drastisch die Zumutungen und Unmenschlichkeit des Abschiebesystems demonstrieren sollen. Zum anderen bleiben sie häufig in der Forderung nach Rücknahme von Gesetzesverschärfungen stecken und lassen sich so von der Realpolitik vor sich hertreiben. Beides verhindert, dass eine offensive Präsentation von Alternativen (z.B. das Recht auf Bewegungsfreiheit oder globale soziale Rechte) möglich wird und dass eine über die momentanen Verhältnisse hinausweisende Perspektive entstehen kann.

Die Abschiebehäftlinge in der JVA Büren hatten eine solche Vision, als sie zeitgleich mit der Demonstration im letzten September einen Hungerstreik begannen, um für ihre Freilassung und die Schließung aller Abschiebeknäste zu kämpfen. Und obwohl es der Gefängnisleitung gelang, durch Entlassung von Wortführern und gezielten Fehlinformationen die Proteste zu ersticken, haben die Gefangenen gezeigt, dass Widerstand auch in Haft möglich ist und dass wir UnterstützerInnen dabei einen Beitrag leisten können: indem wir weiter gegen Abschiebehaft und Abschiebungen protestieren und versuchen, dies gemeinsam mit den Betroffenen zu tun.

Aus diesen Erkenntnissen entstand die Idee zu einer Aktion, die den Nerv der Abschiebemaschine treffen soll: deren Logistik. Durch eine Blockade verschiedener Orte wird der Abschiebebetrieb vom 29. auf den 30. August[2] 2008 gestört werden: vor Abschiebeknästen genauso wie an Flughäfen, vor Flüchtlingslagern und Ausreisezentren, auf Ausländerbehörden und bei Dienstleistern und Profiteuren. Ein Tag ohne Abschiebungen!

Bereits an die Mobilisierung für den G8 Gipfel 2007 war der Versuch geknüpft, die verschiedenen antirassistischen Netzwerke zu bündeln. Die Bilanz fiel eher kritisch aus. In der Dokumentation zu den Aktionstagen schreibt kmii Hanau dazu im Rückblick: „Davon ausgehend, dass „wir als antirassistische Bewegung“ in vielen Regionen dezentral Demonstrationen mit mehreren hundert Beteiligten immer wieder hinkriegen und somit BRDweit durchaus ein Gesamtpotential von einigen tausend demonstrationswilligen Antiras existiert, konnte für Rostock am 4.6. allenfalls ein Bruchteil mobilisiert werden.“ Ob tatsächlich, wie es weiter heißt, „zurzeit offensichtlich keine Bündelungsperspektiven“ bestehen, sei einmal dahingestellt.

Der dezentrale Aktionstag ohne Abschiebung ist ein neuerlicher Versuch, lokale Netzwerke, BasisaktivistInnen vor Ort und bundesweite Zusammenhänge gemeinsam agieren zu lassen. Der Vorteil der Aktionsidee – auch gegenüber der diagnostizierten Schwierigkeiten der G8-Mobilisierung - besteht in der relativ einfachen regionalen Umsetzbarkeit und der Möglichkeit des Zuschnittes auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten und (Kräfte-)Verhältnisse. Unter der theoretischen und praktischen Klammer besteht die Rückkopplungsmöglichkeit auf die Situation vor Ort und die Anknüpfungsmöglichkeit an lokale Kämpfe um Bleiberecht, gegen Abschiebungen, Lager, Knäste und rassistische Sondergesetze. Es besteht somit weder die Gefahr einer geografischen noch einer inhaltlichen Ferne.

Darüber hinaus bietet der Aktionstag die Chance, weg von reinen Abwehrkämpfen und hin zu einer über die Verhältnisse hinausweisenden Perspektive und Praxis zu kommen, die deutlich macht, wohin wir wollen: in eine Welt ohne Unterdrückung und Ausbeutung, in der alle Menschen selbst entscheiden können, wie und wo sie leben möchten.

[1] Siehe Bojadžijev/Karakayakli: Autonomie der Migration, in: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, Bielefeld 2007.

[2] Der 30. August steht symbolisch für die Gewalt des Abschieberegimes. An diesem Tag starben alleine in der BRD vier MigrantInnen: Cemal Altun (1983), Kola Bankole (1994), Rachid Sbaai (1999) und Altankhou Dagwasoundels (2000)

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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