Am 8. August dieses Jahres nahm das mauritanische Parlament
in Nouakchott einstimmig ein neues Gesetz an, das die Praxis
der Sklaverei mit Strafen von fünf bis zehn Jahren Haft
bedroht. Die „Propagierung“ der Sklaverei wird ebenfalls
unter Strafe gestellt, die bis zu zwei Jahren Haft gehen
kann.
Die Vereinigung SOS Esclaves mit Sitz in Nouakchott kämpft
seit langen Jahren gegen die bisher in Mauritanien nach wie
vor verbreitete Sklaverei. Vor dem Staatsstreich der
Militärs gegen den damaligen Präsidenten Ould Taya vom 03.
August 2005, der zur (Wieder-) Herstellung der bürgerlichen
Demokratie geführt hat, war die Organisation illegal. In
jener Zeit gründete sie eine Auslandssektion auf jedem
Kontinent. Inzwischen ist auch die Stammorganisation in
Mauretanien selbst legalisiert worden und konnte offizielle
Räumlichkeiten beziehen.
El-Arby Ould Saleck, 41, ist der Vorsitzende der
Europa-Sektion von SOS Esclaves. Selbst Sohn eines Sklaven,
konnte er dennoch im Süden Mauretaniens zur Schule gehen.
Später studierte er in Nouakchott Philisophie und setzte
sein Hochschulstudium in Montpellier und Paris fort. Seine
Doktorarbeit zum Thema der Sklaverei in Mauretanien, die er
an der Pariser Sorbonne vorlegte, erschien 2003 im Verlag
L’Harmattan als Buch unter dem Titel ‚Les Haratins’. Heute
arbeitet Ould Saleck im Rathaus von Nanterre. Dort sprach
mit ihm Bernhard Schmid.
Aus Anlass des internationalen Tags des Gedenkens an den
Sklavenhandel und an die Abschaffung der Sklaverei am 23.
August erschien das Interview, in gekürzter Form, am selben
Tag in der Berliner Wochenzeitung ‚Jungle World’.
Frage: Am 8. August nahm das mauritanische Parlament
einstimmig ein Gesetz an, das die Sklaverei als Verbrechen
einstuft und mit Strafen, die von fünf bis zehn Jahren Haft
reichen, bedroht. Bisher glaubte man jedoch zu wissen, dass die
Sklaverei in Mauretanien im Jahr 1981 definitiv abgeschafft
worden sei. In manchen Quellen war ferner zu lesen, dass sie
bereits drei mal verboten und abgeschafft worden sei. Warum
wurde nun also erneut ein Gesetz dazu verabschiedet?
Antwort: Bisher gab es ein Verbotsgesetz, das aus dem
Jahr 1981 stammt. Es wurde jedoch nicht effektiv umgesetzt, denn
es lieb
vor allem die zentrale Frage unbeantwortet: Was wird aus den
Sklaven, die freigelassen worden sind? Woher bekommen sie morgen
zu essen, wo können sie hingehen, um ein Dach über dem Kopf zu
haben? Zudem sah das Gesetz von 1981 eine Entschädigungsregel
vor – aber nicht zugunsten der ehemaligen Sklaven, sondern im
Gegenteil sollten die früheren Sklaven ihren bisherigen Herren
einen „Schadensersatz“ für den Verlust ihrer Arbeitskraft
zahlen. Unter diesen Bedingungen konnte die effektive
Abschaffung der Sklaverei nicht Realität werden. Hinzu kommt das
Problem, dass die Abhängigkeitsverhältnisse oft tief in den
Mentalitäten verankert sind.
Jene, die angeben, die Sklaverei sei in der Vergangenheit drei
mal abgeschafft worden, spielen darüber hinaus auf die beiden
Verfassungen Mauretaniens an. 1960, im Jahr der Unabhängigkeit,
gab Mauretanien sich eine Verfassung, der zufolge die Bürger des
neuen Staates gleichberechtigt waren. Dies beinhaltete
theoretisch ein Verbot der Sklaverei. Im Juli 1991, zu einer
Zeit, als eine Welle der Demokratisierung die Staaten Afrikas
erfasste und viele Regime sich – oft nur vordergründig –
demokratisierten, nahm das Land eine neue Verfassung an. In ihr
hieb
es wiederum, alle mauritanischen Bürger seien frei und gleich.
Auch dies lässt sich so interpretieren, dass es keine Sklaverei
geben dürfe. Aber konkrete Gesetze gegen die Praxis der
Sklaverei gab es nur zwei: jenes von 1981, und das vom August
dieses Jahres.
Frage: Was war jeweils der Auslöser für die Annahme
dieser Gesetze?
Antwort: Zunächst gab es seit März 1978 eine Bewegung
unter dem Namen el-hor, das bedeutet ungefähr so viel wie
„freier Mann“ (vom Arabischen horrija, Freiheit). Ihre zwölf
Gründungsmitglieder gehörten zur Elite innerhalb der
Bevölkerungsgruppe der Haratin oder „Freigelassenen“, wie die
faktischen Sklaven oder ihre Nachfahren im offiziellen
Sprachgebrauch heiben.
Es handelte sich also um Personen aus dieser Gruppe, die das
Glück hatten, eine Schulbildung zu erfahren. Einer unter ihnen
war Messaoud Ould Boulkeire, der jetzige mauritanische
Parlamentspräsident. Diese Bewegung wurde unterdrückt, 1980
wurde ihren Gründungsmitgliedern der Prozess in Rosso in
Südmauretanien gemacht. Danach machte sie aber informell weiter.
Sie war der Vorläufer für den Kampf der Haratin um ihre
Emanzipation. Als dann 1980 eine Gruppe von Offizieren die Macht
übernahm, war einer von ihnen – die Nummer Zwei in ihrem
„Komitee zur nationalen Rettung“, der Hauptmann Breika Ould
M’Bareck – selbst ein Haratin. Er war in vielen Aspekten eine
reaktionäre Persönlichkeit und trachtete danach, selbst die
Macht zu übernehmen. Aber er war auch ein Rebell. Um eine
Antwort auf die laut gewordene Forderung nach Emanzipation der
Haratin zu geben, nahm das Offizierskomitee 1981 das Dekret
gegen die Sklaverei an.
Frage: Die Praxis der Sklaverei ging aber danach
offenkundig weiter, obwohl sie nunmehr offiziell verboten war.
Wie muss man sich das vorstellen? Aufgrund des Verbots gab es
sicherlich keine Sklavenmärkte, wie man sie aus früheren
Jahrhunderten kennt.
Antwort: Nein, die Praxis der Sklaverei in Mauritanien
darf man sich tatsächlich nicht in dieser Form vorstellen. Sie
war und ist oft nach auben
hin unsichtbar. Nach 1981 war es oft so, dass bisherige Herren
und Sklaven vermeintliche Familienverhältnisse begründeten.
Beide gingen etwa zur Moschee und lieben
sich eine Bescheinigung ausstellen, in denen zum Beispiel der
bisherige Herr versicherte: „Ab diesem Tage ist mein Bruder
frei, ich werde ihn bei mir beherbergen...“ Faktisch war es dann
aber so, dass der bisherige Sklave weiterhin alle körperlichen
oder undankbaren Arbeiten verrichtete und dafür kaum oder kein
Geld erhielt. Auf dem Land bedeutet das in der Regel, die
Viehherden zu hüten. Aber in den städtischen Zentren nimmt die
Sklaverei eine andere Form an. Besonders nach der groben
Dürre von 1995 zogen viele Haratin in die Städte. Hier arbeiten
sie dann etwa als Chauffeur für ihren Herren, oder als
Hausdiener und „Mädchen für alles“, wobei sie wiederum kaum oder
nicht bezahlt werden. Diese Abhängigkeitsverhältnisse sind in
den sozialen Mentalitäten tief verankert. So war es zum Beispiel
auch so, dass faktisch nahezu alle Arbeitsplätze im Staatsdienst
für Haratin verschlossen blieben, weil eine Überzeugung in der
Gesellschaft vorherrscht, dass frühere Sklaven oder ihre
Nachfahren keine verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben können.
Sklaverei gab es in Mauretanien auch in der vormodernen
Gesellschaft, auch bei manchen schwarzen Bevölkerungsgruppen,
den Peul und den Soninké. Hier handelte es sich um den
Bestandteil eines sozialen Kastensystems, und die Sklaverei war
nach auben
hin so gut wie unsichtbar, zumal alle Beteiligten dieselbe
Hautfarbe hatten. Aber heute ist die Sklaverei in Mauretanien
meistens eine Erscheinung zwischen Angehörigen der maurischen
Gruppe - also der arabisch-berberischen Bevölkerungsgruppe, in
deren Händen die wirtschaftliche und politische Macht liegt -
einerseits und den Négro-Africains genannten Schwarzen auf der
anderen Seite.
Frage: Und wie arbeitet SOS Esclaves dagegen?
Antwort: SOS Esclaves ist 1995 entstanden. Da Mauretanien
bis 2005 von aufeinanderfolgenden Diktaturen regiert worden ist,
konnten wir jedoch nicht offen wirken: Es gab keine Freiheit der
Meinungsäuberung,
keine Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Vereinigung durfte
keine Hilfe aus dem Ausland empfangen und hatte keine Räume. Die
Behörden weigerten sich, unsere Eintragung ins Register der
angemeldeten Organisationen entgegen zu nehmen. 1998 wurde unser
Vorsitzender Boubacar Ould Messaoud verhaftet, nachdem der
französische Fernsehsender France3 – anlässlich des Autorennens
Paris-Dakar – eine Reportage über die Sklaverei in Mauretanien
ausgestrahlt hatte und Boubacar darin zu Wort kommen lieb.
Daraufhin wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch
nach einigen Monaten aufgrund internationalen Drucks und vor dem
Hintergrund von Solidaritätsaktionen im Ausland auf freien Fub
gesetzt.
Seit dem Militärputsch vom August 2005, infolgedessen die
Demokratie eingeführt und die Macht an Zivilisten übergeben
worden ist, hat der Druck abgenommen. Auch wenn nicht alles
ideal läuft, so wurde vor einer Woche ein Journalist in der
Hauptstadt Nouakchott zusammengeschlagen, so herrscht doch eine
relative Freiheit vor. SOS Esclaves wurde offiziell als legale
Organisation anerkannt und konnte Räumlichkeiten in Nouakchott
beziehen. Wir empfangen Opfer der Sklaverei, geben ihnen eine
Unterkunft bei unserem Präsidenten oder bei unseren Mitgliedern.
Auch führten wir Prozesse gegen Fälle von Sklaverei, die jedoch
in der Vergangenheit auf nationaler Ebene nie zum Durchbruch
führten: Die Behörden bezeichneten unsere Vorwürfe als Lügen,
und mitunter lieb
man Opfer im Fernsehen auftreten, um schlechte Dinge über unsere
Vereinigung zu sagen. Während des Wahlkampfs zur
Präsidentschaftswahl vom 11. März 2007 hat dann der
aussichtsreichste Kandidat – und jetzige Präsident – Sidi Ould
Cheikh Abdallahi versprochen, ein neues, wirksames Gesetz gegen
die Sklaverei zu verabschieden.
Frage: War dies das Ergebnis von Druck, einer
gesellschaftlichen Auseinandersetzung...?
Antwort: Die Sklaverei und das Problem der mauritanischen
Flüchtlinge, die seit 1989 jenseits der Grenzen in Senegal und
Mali leben, waren tatsächlich die Hauptthemen im diesjährigen
Wahlkampf. 1989 war es zu einem Massaker an Angehörigen der
schwarzen Bevölkerungsgruppe der Peul gekommen, bei denen die
maurische Elite Angehörige ihrer Sklavenbevölkerung für diese
Angriffe benutzt und aufgehetzt hat. Daraufhin flohen zahlreiche
Menschen aus Südmauretanien über den Senegalfluss in die
Nachbarländer. Die Bewältigung dieses „humanitären Problems“ ist
heute Gegenstand zahlreicher Diskussionen.
Die Haratin bilden heute, je nach Schätzung, 45 bis 55 Prozent
der Bevölkerung. Genauere Zahlen gibt es nicht, da die Behörden
sich bisher immer geweigert haben, eine Volkszählung
durchzuführen und das genaue demographische Gewicht dieser
Gruppe zu messen. Aber da die Bevölkerung insgesamt nicht grob
ist – Mauretanien hat weniger als drei Millionen Einwohner – und
aufgrund der Kinderzahlen, die in den Haratinfamilien wesentlich
gröber
sind als bei der maurischen Oberschicht, gehen wir davon aus,
dass die Haratin heute die Mehrheit bilden. Entsprechend besteht
auch ein Druckpotenzial.
Es
ist hinzufügen, dass das Offizierskomitee, das Mauretanien vom
August 2005 bis zu den Wahlen im März dieses Jahres führte, auch
auf internationaler Ebene Verpflichtungen zur Abschaffung der
Sklaverei eingegangen ist. So unterschrieb die Offiziersgruppe
bei Verhandlungen mit der EU-Kommission in Brüssel 2005 eine
Liste von 24 Verpflichtungen. Zu ihnen gehörte schon damals die
effektive Abschaffung der Sklaverei, und eine Lösung für das
seit 1989 bestehende Flüchtlingsproblem. Eine wichtige
Ansprechpartnerin für die Sklavereigegner bei den europäischen
Institutionen war dabei die grüne Abgeordnete Anne-Marie
Isler-Beguin. Sie hat sich im Europaparlament viel um
Mauretanien gekümmert und war auch Chefin der
Beobachterdelegation, die im März die Wahlen in unserem Land
überwachte. Beim Menschenrechts-Ausschuss der Vereinten Nationen
haben wir eine effektive Lobbyarbeit leisten können: Jedes Mal,
wenn eine offizielle mauritanische Delegation zu Anhörungen
anreiste, besorgten wir uns Einladungen und sorgten für Präsenz
von unserer Seite. Jedes Mal fanden sich die offiziellen
Vertreter von Angesicht zu Angesicht mit Sklavereigegnern
wieder.
Frage: Wie bewerten Sie nun die Annahme des neuen
Gesetzes vom 8. August? Wird es das Problem dieses Mal effektiv
beheben?
Antwort: Ich reagiere mit verhaltenem Optimismus auf die
Verabschiedung dieses Gesetzes. Wir begrüben
es grundsätzlich: Es gibt uns einen juristischen Rahmen, um
zukünftig zu handeln und Prozesse zu führen, wenn Opfer von
Sklaverei bei unserer Vereinigung oder auch bei den Behörden
vorstellig werden. Es wird wichtig sein, darauf zu achten, dass
ihnen auch tatsächlich Verurteilungen folgen, und dass keine
behördliche Verschleppung stattfindet. Ferner bedeutet dieses
Gesetz, dass der mauretanische Staat offiziell anerkannt, dass
die Sklaverei in Mauretanien noch existiert und ein Problem
darstellt.
Ich stelle aber keinen Blankoscheck aus und verfalle nicht blind
in einen Freudentaumel. Die Arbeit fängt erst an! Jetzt geht es
darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, ein Bewusstsein zu
schaffen, die tief mental verwurzelten Abhängigkeitsverhältnisse
aufzubrechen. Dabei haben das Radio, das Fernsehen eine wichtige
Rolle zu spielen. Ferner müssen ökonomische Bedingungen
geschaffen werden, die es einem früheren Sklaven erlauben, sich
eine eigene soziale Existenz aufzubauen, wenn er seinen Herrn
verlässt. Wichtig wäre auch die Einführung einer allgemeinen
Schulpflicht, für alle Mauretanier, aber speziell für die Kinder
von Haratinfamilien. Der juristische Rahmen für die Bekämpfung
der Sklaverei ist nun vorhanden, aber jetzt muss er konkret
ausgefüllt werden.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
26.08.07 zur Veröffentlichung.