Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nicolas Sarkozy bei den Bushs „im Urlaub“:
Kriminelle Vereinigung tritt in Kennebunkport zusammen
Die Krise zwischen französischen und US-amerikanischen Rechten scheint überwunden
7-8/07

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Drei Nachrichten wurden im Zeitraum vom 11. bis 13. August 2007 kurz hintereinander publik, die voneinander getrennt präsentiert wurden, aber in engem Zusammenhang stehen.

Auch deutsche Medien berichteten ausführlich über den – vorgeblich „privaten“ – Besuch des neuen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, während seines Urlaubs, bei seinem US-Amtskollegen George W. Bush und dessen Familienclan. Am 11. August, einem Sonnabend, um die Mittagszeit fand das Zusammentreffen statt. Dabei stand jedoch im Vordergrund der (jedenfalls französischen) Berichterstattung die Abwesenheit der, angeblich kurzfristig an Angina erkrankten, Präsidentengattin Cécilia Sarkozy, aber auch zweier ihrer Kinder bei dem Empfang. George W. Bush bekundete sein „Verständnis“ dafür, wenngleich er auch erklärte, er möge die „dynamische Frau“ gern alsbald kennen lernen.

ANMERKUNG: Die (ansonsten im Deutschen eher unübliche) Schreibweise „Iraq“ in diesem Text rührt daher, dass dies die exakten Transkription aus dem Arabischen näher kommt als die eingedeutschte Form „Irak“. Der arabische Buchstabe „q“ (qaf) unterscheidet sich vom in dieser Sprache ebenfalls existierenden „k“ dadurch, dass er als Gutturallaut hinten in der Kehle ausgesprochen wird. Ähnliches gilt für die Schreibweise „Baghdad“, statt der eingedeutschten Variante „Bagdad“. Der arabische Buchstabe, dem die Transkription durch „gh“ entspricht, wird ähnlich einem stimmlosen „r“ wie in „Paris“ ausgesprochen.

Auch über das Menu waren die Medienmacher gut im Bilde und unterrichteten ihr Publikum, es habe Hamburger, rote Bohnen und Hotdogs gegeben. Die samstägliche Stippvisite des action- und publicitysüchtigen Politikers Sarkozy bei den Bushs in ihrem 80 Kilometer von Sarkozys Urlaubsort Wolfeboro entfernten Feriendomizil in Kennebunkport (im US-Bundesstaat Maine) hat unterdessen mehr als nur symbolische Bedeutung. Bei einem Arbeitstreffen vor dem Mittagessen sei es auch um internationale Konfliktfelder wie „den Iran, Libanon und Darfur“ gegangen, verlautbarte hinterher in der französischen Presse. Es handelt sich um die bisher spektakulärste Manifestation der Wiederannäherung zwischen dem offiziellen Frankreich und der US-Administration, die zwar noch unter Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac einsetzte, aber erst nach dem jüngst erfolgten Wechsel im Pariser Elysée-Palast in ihre „warme Phase“ eintreten konnte.  

Französische Medien, jedenfalls die Printpresse –- das Fernsehen feiert überwiegend tagein, tagaus den tollen Hecht Nicolas Sarkozy ab --, zeigten sich gegenüber diesem vorgeblich „privaten“ Besuch eher kritisch. Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ etwa druckte zwei Karikaturen dazu. In der einen gesteht Nicolas Sarkozy (dessen schlechte Englischkenntnisse berüchtigt sind, als Student flog er deswegen durch eine Aufnahmeprüfung für eine Elitehochschule) seinem US-Amtskollegen George W. Bush, dass er nicht sehr gut Englisch könne. (FUSSNOTE 1) Darauf erwidert Bush ihm, er müsse ja auch nur „Yes“ sagen können. In der anderen Karikatur sieht man im ersten Bild Nicolas Sarkozy, der mit stolzgeschwellter Brust von Bush das Kompliment entgegennimmt, „manchmal“ könne man ihn glatt „für Superman halten“. Worauf dann allerdings im folgenden Bild die von Bush auf ihn selbst gegebene Replik folgt, das sei aber offenkundig unmöglich, „denn Superman bin bereits ich“. (Na, da haben sich aber die richtigen zwei getroffen...)

Zwei weitere Meldungen von hoher Bedeutung

Zum Zweiten berichtete die europäische Presse am darauffolgenden Montag, dem 13. August (vgl. http://www.taz.de/index.php?id=start&art=3060&id=wirtschaft-artikel&cHash=2ef0d4ae47 ) über die voraussichtliche Rückkehr des französischen Erdölkonzerns Total in den Iraq, an der Seite des US-Konzerns Chevron. Beide Gesellschaften schlossen zwar bereits zu Ende des Jahres 2006 ein Kooperationsabkommen im Hinblick auf die Ausbeutung des Ölfelds Majnoon nahe der iranisch-irakischen Grenze. Aber erst jetzt wurde diese Annäherung zwischen französischen und US-amerikanischen Branchenriesen, die im Hinblick auf das noch zu verabschiedende neue irakische Ölgesetz erfolgt, durch eine Meldung der auf Wirtschaftsthemen spezialisierten Nachrichtenagentur Dow Jones Newswire am 8. August bekannt. (>> http://www.thebushagenda.net/article.php?id=430 ) Der Zeitpunkt der Publikmachung hat selbstverständlich politische Bedeutung. Der französische Konzern Total (per Fusion hervorgegangen aus den ehemaligen Ölriesen Elf Aquitaine, Total und Fina) wird also voraussichtlich bis spätestens 2009 in den Iraq zurückkehren. 

Und drittens wurde am selben Tag bekannt, dass die US-Administration und die britische Regierung nunmehr eine verstärkte Rückkehr der Vereinten Nationen in den besetzten Iraq wünschen. Die beiden hauptsächlich hinter der Invasion im Iraq vom März/April 2003 stehenden Mächte hatten damals auf eine Absegnung ihres Vorgehens durch die UN verzichtet, nachdem sich zuvor angedeutet hatte, dass sie im UN-Sicherheitsrat auf Widerstände stoben könnten. Neben Russland hatte sich damals insbesondere Frankreich gegen die Pläne für eine militärische Intervention ausgesprochen. Zeitweise hatte die französische Aubenpolitik die Möglichkeit, von ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat Gebrauch zu machen, in Erwägung gezogen. Zur Lackmusprobe kam es dabei freilich nicht, da US-Amerikaner und Briten es dann vorzogen, gleich ganz ohne Unterstützung durch die Vereinten Nationen – und auberhalb des geltenden internationalen Rechts – in dem Staat des Mittleren Ostens zu intervenieren. Heute aber, wo die beiden führenden Besatzungsmächte mit der katastrophalen Situation im Land (zumindest vorübergehend) überfordert scheinen, sähen sie die UN ziemlich gern einen gröberen Part an der Bewältigung oder auch Verwaltung des Desasters übernehmen. So soll die UN-Niederlassung im Iraq eine gröbere Rolle bei Fragen wie die Wiederaufbau, den humanitären Hilfslieferungen oder auch der Reintegration der rund vier Millionen iraqischen Bürgerkriegsflüchtlinge -– davon zwei Millionen auberhalb der Grenzen des Landes, überwiegend in den Nachbarstaaten, während es nur ein winziger Teil bis nach Europa oder in die USA schaffte – spielen. Hingegen, so resümiert Andreas Zumach dazu in der ‚taz’ sehr treffend, sollen die Vereinten Nationen „für alle Fragen, die die Verteilung der irakischen Ölressourcen und die Beteiligung ausländischer Konzerne an der Ausbeutung der Ölfelder betreffen, (...) nach dem Willen Washingtons und Londons allerdings keine Zuständigkeit erhalten.“ Aber für solche Pläne benötigen US-Amerikaner und Briten wiederum eine Zustimmung der anderen Mächte im UN-Sicherheitsrat, die ein solches Ansinnen ansonsten blockieren könnten. Also muss auch die französische Politik hier mit ins Boot geholt werden.

Diese drei Meldungen stehen in einem inhaltlichen Zusammenhang, denn es handelt sich bei ihnen nur um unterschiedliche Manifestationen der offenen Annäherung zwischen Paris und Washington in Fragen der Aubenpolitik. Das Zerwürfnis, das der Auftritt des damaligen französischen Aubenministers Dominique de Villepin vor der UN-Vollversammlung in New York im Februar 2003 markierte – er erhielt stehenden Applaus der versammelten Diplomaten für sein Plädoyer gegen die bevorstehende Invasion im Iraq --, scheint vorüber. Damals hatten rechte Kreise in den USA eine heftige Kampagne gegen die französische „Verräternation“ losgetreten, die fanatische Züge trug und bei der sich Nationalismus zum Teil mit religiösem Wahn mischte. Die spektakuläre Umbennung der ‚French Fries’ (alia Pommes frites) in ‚Freedom Fries’, obwohl diese Speise ursprünglich aus Belgien und nicht aus Frankreich stammt, war dabei nur die winzige Spitze des Eisbergs. Hotel- und Restaurantbesitzer sowie Politiker gossen vor laufenden Kameras teuren französischen Wein in die Gosse. Und noch zu Anfang dieses Jahres malte etwa der frühere Gouverneur von Massachuttes und jetzige (angeblich relativ aussichtsreiche) Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner, Mitt Romney, das „sozialistische und bürokratische“ Frankreich in den finsteren Farben eines gar Gott ungefälligen Landes: „In Frankreich, zum Beispiel, scheint es, wird die Ehe häufig als ein Vertrag mit siebenjähriger Laufzeit geschlossen, wobei eine der beiden Parteien nach Ablauf dieser Frist ihrer Wege geht“, fantasierte der Politiker im Februar 2007 zusammen.

Derselbe Mitt Romney verkündet nunmehr aber lautstark: „Sarkozy ist fabelhaft!“ Newt Gingrich seinerseits, der ehemalige Spitzenkandidat der US-Republikaner bei den ‚Mid terme elections’ von 1994, der Guru des neoliberal-sozialdarwinistischen Steuersenkerpacks in den USA, hat sich Nicolas Sarkozy sogar zum Modell erkoren. Ihm gefällt an Sarkozy einerseits die technische Seite seines Erfolgs; dieser habe es verstanden, das konservative Lager unter einem amtierenden konservativen Präsidenten – Jacques Chirac – so zu profilieren, als sei es eine Oppositionskraft, eine „Kraft der Veränderung“. Ähnlich müsse sich auch die US-amerikanische Rechte im Angesichts des Niedergangs der Administration Bush nunmehr aufstellen. Darüber hinaus gefällt ihm aber auch Vieles an Sarkozys Inhalten: In einem von Newt Gingrich verfassten Artikel in ‚The Washington Post’ hebt er insbesondere Nicolas Sarkozys Slogan „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ (das ideologische Fundament für die gesetzliche Erleichterung einer Vervielfachung der Überstunden sowie ihre steuerliche Begünstigung) sowie „das Ende der Umverteilungspolitik, die der Linken teuer ist“ positiv hervor. (Vgl. ‚Libération’ vom 13. August, http://www.liberation.fr plus ‚Le Courrier international’ vom 23. August 2007.)

Die Krise zwischen den beiden Mächten ist also, so scheint es, vorüber. Die Persönlichkeit Nicolas Sarkozys, und sein politisch-ideologisches Profil zu die USA betreffenden Fragen in der jüngeren Vergangenheit, spielen dabei zweifellos eine wichtige Rolle.

„Sarkozy L’Américain“

Egozentrik mischte sich einmal mehr mit dem Bemühen um politische Profilierung, als Nicolas Sarkozy am 11. und 12. September 2006 New York und Washington D.C. besuchte, pünktlich zum fünften Jahrestag der Attentate von 2001. Aus diesem Anlass ließ der damalige französische Innenminister sich mit US-Präsident George W. Bush im Oval Office ablichten und verkündete mit stolzgeschwellter Brust, zu Hause nenne man ihn „Sarkozy l’Américain“. Hinterher wurde sein PR-trächtiger Auftritt mit dem mächtigsten Mann der Welt in Frankreich zum glatten Reinfall, da die von Sarkozys Kommunikationsteam verbreiteten Fotoaufnahmen durch kritische Betrachter in der Presse – namentlich beim auf Enthüllungen spezialisierten Canard enchaîné – im Nachhinein berichtigt wurden. Das berühmt gewordene Foto von Sarkozys Besuch beim US-Präsidenten zeigt die beiden Männer nebeneinander, und es vermittelt den Eindruck, als seien sie genau gleich groß. In Wirklichkeit trennen Sarkozys und Bushs Körpergröße aber 15 Zentimeter. Das Bild war so lange aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurde, bis der Eindruck stimmte. Le Canard enchaîné aber druckte die Aufnahme in einer retuschierten Fassung ab, die die tatsächlichen Proportionen wieder herstellte. Das Bemühen Sarkozys, lästige Details zu verbergen, hatte im Endeffekt den gegenteiligen Effekt: Das Bild wurde zum Lacherfolg beim Publikum.

Die Sache hatte damals aber einen ernsten politischen Hintergrund. Denn tatsächlich bricht Nicolas Sarkozy, obwohl selbst aus der neogaullistischen Partei (dem ehemaligen RPR, der 2002 in der konservativen Einheitspartei UMP aufging) kommend, in außenpolitischer Hinsicht mit sämtlichen Prinzipien, Dogmen und Mythen des französischen Gaullismus. Letzterer hatte über Jahrzehnte hinweg den Anschein einer sehr weitgehenden Unabhängigkeit in der Außenpolitik erwecken wollen, der darüber hinweg täuschen konnte und mochte, dass Frankreich den Status einer Weltmacht zusammen mit einem Großteil seiner Kolonien verloren hatte. Diese Politik hatte ihre Blütezeit in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals baute das offizielle Paris darauf, dass auch nach der Welle der Entkolonialisierung ein Agieren als traditionelle Großmacht weiterhin möglich sei: Frankreich solle sich nun, als starker und gefestigter Nationalstaat, den jungen, frisch entstandenen Republiken in Afrika oder Asien, bzw. ihren Eliten, als Vorbild und Partner anbieten. Dieser Kurs fand seinen Höhepunkt, als Präsident Charles de Gaulle mit seiner „Rede von Phnom Penh“ vom 1. September 1966 von dem durch die USA geführten, verbrecherischen Krieg in Vietnam klar distanzierte. (Vgl. http://www.charles-de-gaulle.org/article.php3?id_article=360 )

Er hatte aber auch seine negativen Aspekte, als etwa die Baath-Diktatur im Iraq in den siebziger Jahren durch breite Teile der französischen politischen Klasse als „arabischer Gaullismus“ bezeichnet, glorifiziert und hofiert wurde.

Frankreich und der Iraq: Rückblick auf eine langjährige "Sonderbeziehung" 

Frankreichs frühere spezifische Position im Iraq lässt sich vor allem auf seine außenpolitische Situation während der siebziger Jahre zurückführen. Die Kriege gegen die Unabhängigkeits-Bewegung in Algerien (1954 - 1962) und die „Suez-Expedition“ - also der Überfall auf das nasseristische Ägypten,  zusammen mit Großbritannien und Israel, infolge der Nationalisierung des  Suez-Kanals - von 1956 hatten Paris im Mittelmeerraum diplomatisch isoliert. Bis wenige Tage vor dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 lieferte Frankreich größere Waffenmengen ausschließlich an Israel, sein außenpolitisches Problem  weiter verschärfend. Daraufhin beschloss das spätgaullistische Regime, das Ruder herumzureißen - und leitete das ein, was später als die politique arabe De Gaulles zum Quasi-Mythos geworden ist. Unter De Gaulles Amtsnachfolgern Georges Pompidou (1969 bis 74) und Valéry Giscard d’Estaing (1974 bis 81) kam diese Politik zu ihrer Blüte. 

Doch zunächst fehlte es an seriösen Partnern, da die imperialistischen Einflusszonen im Nahen und Mittleren Osten weitgehend abgesteckt waren. Saudi-Arabien, aber auch der Iran unter dem Schah standen unter dem Einfluss der USA. Die Briten behielten eine gewisse Kontrolle in ihren früheren Kolonien am Golf wie Kuwait oder Bahrain. Zwar bewahrte Frankreich sich einen (kulturellen) Resteinfluss als ehemalige Protektoratsmacht im Libanon und in Syrien, doch in Damaskus war damals noch der sowjetische Einfluss dominierend.

Im Jahr 1970 konnte Pompidous Außenminister Michel Jobert immerhin 110  Mirage-Kampfflugzeuge an Libyen verkaufen, doch der libysche „starke Mann“ Muammar al-Qadhafi war nun nicht gerade ein berechenbarer (und vorzeigbarer) Bündnispartner. Doch dann wurde der Iraq plötzlich zum devisenkräftigen  Land, nachdem seine Erdöleinnahmen binnen zehn Jahren um das 50-fache  gestiegen waren, infolge der Nationalisierung der ehemals britischen  Erdölquellen (1971) und der Ölpreissteigerung von 1973. Zudem begann Baghdad sich vom, davor - während der Phase der autoritären Modernisierungen (Landreform, Ausbau des Bildungswesens, Integration der Frau in's öffentliche Leben) in den frühen Siebzigern - noch dominierenden,  sowjetischen Einfluss abzusetzen. Und so erklärte der damalige rechte  Premierminister Jacques Chirac den iraqischen Vizepräsidenten Saddam  Hussein, der ab 1979 zur Nummer Eins aufrücken würde, anlässlich seines Empfangs als Staatsgast am Pariser Flughafen Orly am 5. September 1975 gar zu seinem „persönlichen Freund“.

Ein Teil der französischen Sozialisten prangerte die Sonderbeziehung zunächst noch als  skrupellose Geschäfte mit einer Diktatur an, doch ihre Kritik verstummte spätestens, als sie 1981 an die Regierung kamen und wenige Monate zuvor der Krieg mit dem Iran begonnen hatte. Letzterer diente daraufhin als Generalrechtfertigung, um jede Kritik an dem vorgeblich bedrohten Regime -  das in Wirklichkeit der Agressor war - hintanzustellen. Bereits in den siebziger Jahren hatte der Iraq - glaubt man einer Rückschau in ‚Le Monde’ vom 23. September 1990 - den gaullistischen RPR, eine bestimmte Strömung  innerhalb der Sozialdemokratie (jene von Jean-Pierre Chevènement) und den linkssozialdemokratischen PSU finanziert. Pro-iraqisch zu sein, gehörte damals fast zum guten Ton, auf den Riesenempfängen der iraqischen Botschaft in Paris fand sich in den späten 70er Jahren die gesamte politische und intellektuelle Schickeria ein. Seitens der iraqischen Offiziellen wusste man den französischen Parvenüs einzuschmeicheln, indem man betonte, im Iraq habe man seine Monarchie ja auch „nicht zufällig“ an einem 14. Juli gestürzt. (Das war im Juli 1958, als - unter starker Beteiligung der irakischen KP - die Republik eine pro-britische Monarchie ablöste. Doch diese Republik war damals längst ihrerseits durch einen Putsch der autoritär-nationalistischen Baath-Partei beendet worden.)

Die politische Klasse Frankreichs lieferte auch ideologische Begründungen dafür, warum die iraqische Seite im damaligen „ersten Golfkrieg“ (also dem Iran-Iraq-Krieg, 1980 bis 88) die bessere sei. Es handelte sich aber nicht um einen „völkischen“ Nationalismus, sondern im Gegenteil um ein Derivat der - längst, unter imperialistischen Verhältnissen, zur Staatsideologie gewordenen und instrumentalisierten - Berufung auf die Aufklärung, die freilich unter solchen Bedingungen nicht sehr viel mit ihren bürgerlich-revolutionären Ursprüngen gemein hatte. Man berief sich auf den damals (noch bis 1990) laizistischen Anspruch der iraqischen Diktatur, das selbige mit dem republikanisch-universalistischen Laizismus in Frankreich verbinde. Dabei müsse man eben auch mal Fünfe gerade sein lassen, was die Herrschaftsmethoden betreffe - schließlich, so zögerten führende französische Sozialisten hinter den Kulissen nicht zu äußern, habe sich die junge französische Republik 1793/94 auch mit wenig schmeichelhaften Methoden gegen die aufständischen, königstreuen Bauern der Vendée zur Wehr gesetzt.

Das „moderne und republikanische“ Regime im Iraq wurde als Bollwerk zur  Verteidigung der Zivilisation gegen die andringenden „barbarischen Horden des iranischen Fundamentalismus“ dargestellt. Dabei wurde locker unter den Teppich gekehrt, dass das iraqische Regime im September 1980 den Krieg  begonnen hatte - im Glauben, von den politischen Wirren im Iran, infolge von  Revolution und umittelbar darauf einsetzender islamistischer  Konterrevolution, profitieren und ein „Machtvakuum“ ausfüllen zu können. Drittklassige französische Schriftsteller, die zu Aktivisten der iraqischen Sache geworden waren, ließen sich in Kampfuniform in Basra, das unweit der  damaligen Frontlinie lag, ablichten. Die (im damaligen Kontext eher US-freundliche) liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ hat in ihrer Ausgabe vom 23. August 1990 -- die weltpolitischen Vorzeichen am Golf hatten sich mittlerweile verändert, die Zeitung nahm eine eher US-freundliche Position ein... -- ein ziemlich wenig schmeichelhaftes Portrait über „20 Jahre französische Irakophilie“ gezeichnet.

Unterdessen hatte diese Haltung in den 1980 Jahren noch politische Nachahmer in Kreisen gefunden, die sich ihrerseits für besonders aufgeklärt-modern hielten und auf die notwendige Verteidigung der Zivilisation beriefen. So hatte ein damaliger Abgeordneter der westdeutschen Grünen namens Otto Schily im Herbst 1987 für Zoff in der Bundestragsfraktion der Ökopartei gesorgt -- durch eine Presseerklärung unter dem Titel „Solidarität mit Frankreich am Golf“. Diese erschien während des US-amerikanischen und französischen Flottenaufmarsch im Golf zur Unterstützung des Iraq, dessen Stellung durch iranische Groboffensiven bedroht war und brenzlig zu werden anfing. („Antideutsche“ Spinner alias rabiate Abendlandsverteidiger könnten sich davon noch was abgucken, aber halt, für sie ist Saddam Hussein ja ein Teufel.)

Schon unter Chirac: Abkehr von der alten Politik

Diese Versuche Frankreich, über seine Präsenz im Iraq eine eigenständige Grobmachtrolle in der Region und darüber hinaus zu behaupten, gehören heute der Vergangenheit an. Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ schrieb in ihrer Ausgabe vom 12. August, es sei ein Anzeichen für die Annäherung zwischen beiden Ländern – Frankreich und den USA – gewesen, dass Jacques Chirac in seinem Buch vom März 2007 (‚Mon combat pour la paix’, also „Mein Kampf für den Frieden“, ein durchaus fragwürdiger Titel) niedergeschrieben habe, dass „niemand den Sturz von Saddam Hussein bedauert“ habe. Dabei vergisst die als seriöseste französische Zeitung geltende Publikation jedoch, dass eine solche Positionierung auch seitens von Chirac keineswegs neu war. Vielmehr hatten er seinen ehemaligen „persönlichen Freund“ von 1975 längst schon fallen gelassen, bevor die US-Amerikaner 2003 zum zweiten Mal militärisch im Iraq eingriffen.

Beim ersten Angriff einer durch die USA angeführten Allianz auf den Iraq, im Januar/Februar 1991, also im „zweiten Golfkrieg“, hatte Frankreich noch mit 20.000 Soldaten mitgemischt. Damals regierte freilich der „Sozialist“ François Mitterrand als Präsident, gestützt auf einen rechtssozialdemokratischen Premierminister (Michel Rocard). Lediglich der Linksnationalist Jean-Pierre Chevènement, damals noch amtierender Verteidigungsminister, trat zwölf Tage nach Ausbruch der Kampfhandlungen zurück und erinnerte sich seiner noch kurz zuvor hinausposaunten pro-iraqischen Positionen. Aber die damalige Rechtsopposition unter Jacques Chirac und Valéry Giscard d’Estaing kritisierte diese Unterstützung für die Militäroperationen zu jener Zeit keinesfalls. Vielmehr zieh Chirac den damaligen französischen Präsidenten unseliger Schlappheit, nachdem François Mitterrand am 7. Februar 1991 öffentlich erklärt hatte, Frankreich wolle gegen den Iraq von seiner Seite her keine ABC-Waffen einsetzen -- eine Erklärung, die der damalige neogaullistische Oppositionspolitiker Jacques Chirac als unverantwortlich bezeichnete, „solange das Leben vieler unser Soldaten auf dem Spiel steht“. Das internationale Kräfteverhältnis ließ es den damals regierenden französischen Sozialisten ebenso wie den bürgerlichen Rechten angeraten erscheinen, den ehemaligen Verbündeten fallen zu lassen und sich den stärkeren USA (politisch wie militärisch) anzuschließen. Von „persönlicher Freunschaft“ zu dem Diktator in Bagdad war damals längst keine Spur mehr. Aber Männerfreundschaften hören ja in der Politik bekanntlich ohnehin dort auf, wo das Interesse beginnt.

Warum hat dann Frankreich unter der Präsidentschaft Chiracs 2003 doch noch einmal gegen eine Intervention im Iraq, im „dritten Golfkrieg“, opponiert? Das Engagement von 20.000 französischen Soldaten in der damaligen  US-geführten Allianz von Anfang 1991 hatte keine nennenswerten Ergebnisse für das Land eingebracht. Frankreich erhielt keinen der lukrativen Aufbauverträge für die Kriegsschäden im ehemals vom Iraq besetzten Kuwait -– dessen Monarchie Ende Februar 1991 wiederhergestellt worden war, auf dass die Emirsfamilie im Namen der „Rückkehr der Freiheit“ wieder aus goldenen Wasserhähnen saufen könne -- zugeschustert, anders als US-Firmen, Briten oder Japaner. Statt am Wiederaufbau des schwerreichen Golfstaats beteiligt zu werden, bekam das französische Kapital nur ein paar vergleichsweise mickrige Aufträge für die Beseitigung der Bürgerkriegsschäden im Libanon zugeschustert. Deswegen versuchte Paris ebenso wie Moskau, bereits ab 1992 -- und verstärkt ab 1995 -- wieder Geschäftsbeziehungen zum amtierenden Regime in Bagdad zu knüpfen, da im Nachbarland Kuwait für sie nicht viel zu holen war. Aber die USA setzten damals auf internationaler Ebene eine Politik durch, die das iraqische Öl vom Weltmarkt fernhalten wollte; der Iraq sollte zwar im Inneren unter Kontrolle von Saddam Hussein verbleiben, aber nach außen hin „eingedämmt“ (Stichwort: ‚containment’) und wirtschaftlich geschwächt bleiben.

Die Erdöl-Förderverträge, die Frankreichs führender Konzern Total (der  wenig später mit der belgischen Fina und dem französischen Ölriesen Elf-Aquitaine fusionnement sollte) 1995 sowie Russlands Ölfirma Lukoil im Jahr 1999 im Iraq abschlossen, wurden deswegen nicht ausgeführt: Sie standen unter dem Vorbehalt der  Aufhebung des Embargos. Jetzt aber, im Jahr 2003, wollten Frankreich und Russland nicht noch einmal gegenüber der Habgier des US-Kapitals das Nachsehen haben und sich emeut aus einer Nachkriegordnung „ausgeklammert“ wissen. Daher warfen die beiden Mächte nun ihr diplomatisches Gewicht in die Waagschale, um von der kriegerischen Ungeduld der US-Administration zu profitieren, ohne aber jemals die grundsätzliche Möglichkeit der Zustimmung zu einem Krieg -- als ‚ultima ratio’, also „als letztes Mittel“ - ausgeschlossen zu haben. Zu nicht unwesentlichen Teilen also ging es um das Erzielen möglichst günstiger Kräfteverhältnisse zwischen den rivalisierenden Mächte, um das (hinter den Kulissen erfolgende) Austarieren von Gewichten in einer künftigen Ordnung im Mittleren Osten.

Es ist möglich, dass die Zuspitzung dieser Widersprüche der französischen  Regierung dabei zeitweise aus dem Ruder gelaufen ist. Das bedeutet, dass sie gegenüber einer unnachgiebigen Haltung der US-Administration -- die zu gefräbig war, um andere neben ihr über den Nachkriegs-Irak bestimmen zu lassen, und den gröbten Teil des Kuchens für sich allein beanspruchte -- eine härtere  Position durchhalten musste, als ihr eigentlich ursprünglich lieb gewesen wäre. Anfang Januar 2003 jedenfalls hatte Chirac seine Militärs noch auf eine mögliche Teilnahme an einem Golfkrieg in Neuauflage vorbereitet.

Gründe für die heutige Umorientierung

Seitens der US-Administration ist es eindeutig das momentane Desaster im besetzten Iraq, das sie von einer Politik der weiteren systematischen Ausgrenzung Frankreichs (und eventuell weiterer Mächte) Abstand nehmen lässt.

Auf französischer Seite wiederum st die Strategie einer weltpolitischen Autonomie gegenüber den USA seit den neunziger Jahren de facto passé: Präsident Chirac hat seit Ende 1995 eine offene Wiederannäherung an die NATO betrieben, deren militärischen Verbund Präsident de Gaulle 29 Jahre zuvor verlassen hatte.

Aber auf verbaler und symbolischer Ebene knüpfte Frankreich freilich noch einmal an die vorangegangene Periode an, als Chirac und sein damaliger Außenminister Dominique de Villepin (mit seine Rede vor der UN-Vollversammlung im Februar 2003) ihr Nein zum durch die US-Administration Bush angestrebten Iraqkrieg formulierten. Der Glanz verblasste zwar schnell wieder, aber ein Symbol war gesetzt. Zu realer Weltpolitik auf eigenen Füßen hat Frankreich jedoch nicht mehr die Mittel. Allzu groß ist der Abstand bei den Militärausgaben gegenüber den USA, die im Jahr 2005 (dem Jahr, in dem die planetaren Rüstungsausgaben zum ersten Mal die 1.000 Milliarden Dollar überschritten) allein 46 bis 48 Prozent der weltweiten Militärausgaben, je nach Angaben bzw. Zählwese, tätigten. (Vgl. http://www.epo.de ) Zwar versuchten die europäischen Staaten in den letzten Jahren, diesen kaum aufzuholenden Rückstand dadurch wettzumachen, dass sie bei diversen (oft unappetitlichen) Regimen etwa in Afrika und Asien an Sympathien und dadurch an Marktanteilen hinzuzugewinnen suchten, indem sie ein wenig zu den USA auf Distanz gingen: „Die sind die Bösen, doch wir sind die Guten...“ Allem Anschein nach genügte dies aber nicht, um die Eigeninteressen der führenden EU-Länder hinreichend zu befriedigen. Jedenfalls hat sowohl Deutschland unter Angela Merkel, als auch Frankreich unter Nicolas Sarkozy inzwischen von der zuvor in der Schröder-Ära bzw. unter Chirac verfolgten Politik des (verbalen, symbolischen) Abrückens von den Plänen der US-Politik nunmehr Abstand genommen.

Auf dem afrikanischen Kontinent -- wo Frankreich seit vier Jahrzehnten einen Neokolonialismus mit äußerst klassischen Methoden betrieb und sich lange Zeit nicht einmal die Mühe gab, den Anschein einer Modernisierung seiner Praktiken zu erwecken -- wird seine Einflusssphäre durch das Vordringen von US-Interessen und chinesischer Konkurrenz zunehmend angeknabbert.  

Vor diesem Hintergrund bleiben der französischen Rechten zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Entweder die Annäherung an die militärisch stärkeren und in Afrika offensiv gewordenen USA, um als ihre (Junior-)Partner einen Teil des bisherigen Einflusses zu halten – oder aber die nationalistische Fundamentalopposition gegen den Statusverlusts des eigenen Landes. Letztere Variante vertrat Jean-Marie Le Pen, als er 1990 infolge des Endes der bipolaren Weltordnung die These von den Intellektuellen der extremen Rechten übernahm, der Hauptfeind sei nun nicht mehr „der Kommunismus“, sondern der vaterlandslose Liberalismus und der Atlantizismus. Vor diesem Hintergrund ergriff der rechtsextreme Politiker nicht nur Partei gegen den US-Krieg im Irak vom Januar/Februar 1991, sondern sogar offen für das Regime von Saddam Hussein. Zum damaligen Zeitpunkt war Jean-Marie Le Pen der einzige führende Politiker mit einer solchen Position, die sich deshalb scheinbar radikal von jener des (von ihm so genannten) „Establishments“ abhob – auch wenn jenes selbst sich zehn Jahre zuvor sehr ähnlich gegenüber dem autoritären Präsidenten des Irak vehalten hatte. 

Die bürgerliche Rechte navigierte hingegen lange Zeit irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen herum. Nicolas Sarkozy legt ihr nun aber einen Übergang zur offenen Annäherung an die USA, ihre Außen- und Militärpolitik nahe. Im Frühjahr 2003 schwieg er – was bei diesem Politiker nun wirklich äußerst selten vorkommt - zum Ausbruch des Iraqkriegs. Seine Berater, wie der Ultra-Atlantiker Pierre Lellouche, verkündeten aber schon damals, in Wirklichkeit verurteile Sarkozy das Nein Chiracs zum Angriff auf den Iraq. Im September 2006 in Washington D.C. hat der Minister es nunmehr offen bekundet: Mit seiner Haltung im Vorfeld des Iraqkriegs habe Frankreich „Arroganz“ bewiesen, und die Mittelmacht habe die Weltmacht Nummer 1, die USA, dadurch „erniedrigt“. Doch Opportunismus verpflichtet: In seiner Rede anlässlich seiner offiziellen Kür zum Präsidentschaftskandidaten, am 14. Januar 2007 in den Pariser Messehallen, lobte Sarkozy die historische Bilanz seines Rivalen Jacques Chirac – dessen politische Karriere in ihren letzten Zügen lag – und hob dabei auch seine Position zum Iraqkrieg, der „ein Fehler“ gewesen sei, hervor. Seitdem übt Nicolas Sarkozy sich an einer feinsinnigen Unterscheidung: „In der Form“ habe er die französische Politik unter seinem Vorgänger und früheren Rivalen Chirac von 2003 abgelehnt, „in der Sache“ ihr jedoch Recht gegeben. 

FUSSNOTE 1: Das trug sich übrigens auch im „richtigen Leben“ zu. Daraufhin befragten US-amerikanische Journalisten „ihren“ Präsidenten, ob er denn Französisch könne. Woraufhin George W. Bush antwortete: „Ich spreche schon nur mit Mühe Englisch.“ Humor auf Bushs Art...

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 26.08.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid ist  bei Pahl-Rugenstein als Taschenbuch erschienen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.

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