Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Arbeitsinspektoren wehren sich dagegen, zu Wachhunden des „Immigrations- und Identitätsministeriums“ zu werden
7-8/07

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Die französische Arbeitsinspektion (inspection du travail) ist eine Kategorie von Staatsbediensteten, die dafür zuständig sind, über die Einhaltung der bestehenden arbeitsrechtlichen Vorschriften – seien es Gesetze, Verordnungen oder Kollektivverträge – zu wachen. Deswegen sind sie dazu befugt, Tag und Nacht ohne Vorwarnung einen Betrieb zu betreten. Kein Wunder, dass sie bei vielen Unternehmern ungefähr so ‚beliebt’ sind wie die Beulenpest, ja manchen sogar als ursächlich für einen Haufen sozialer und wirtschaftlicher Probleme gelten. In der Praxis allerdings haben die Arbeitgeber nicht so viel von den ‚inspecteurs du travail’ zu befürchten, wie sie gerne mit grobem Achweh, Zittern und Klagen behaupten, da es ihrer Behörde schlichtweg dramatisch an Personal mangelt. Und sie daher oft kaum dazu kommt, den eingegangenen Beschwerden von Lohnabhängigen nachzugehen – geschweige denn, unangemeldete Spontankontrollen aus eigenem Antrieb vorzunehmen. (Die Tatsache, dass zwei ArbeitsinspektorInnen im Frühjahr 2006 in der südwestfranzösischen Region Dordogne im Dienst - als sie nämlich einen landwirtschaftlichen Betrieb besichtigen wollten – durch desen Chef erschossen wurden, löste damals endlich eine Debatte über die Aufgaben und die Rolle der Arbeitsinspektion aus?)

Daneben sind die Arbeitsinspektoren auch eine Berufsgruppe, die in hohem Mabe gewerkschaftlich organisiert und mitunter durchaus kämpferisch für die eigenen Interessen, aber auch die Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Rolle eintritt. Einen heftigen Konflikt trug die Arbeitsinspektion etwa Ende der 1990er mit der damaligen „sozialistischen“ Arbeitsministerin Martine Aubry aus, die nicht wollte, dass ihre ‚inspecteurs’ die Einhaltung der Arbeitszeit der höheren Angestellten (cadres) in Grobbetrieben kontrollierten. 

Ein Ministerium für die „nationale Identität“ 

Jetzt gibt es einen neuen Konflikt, der wichtige gesellschaftliche und politische Implikationen hat. Denn das seit der Wahl Nicolas Sarkozys zum Staatspräsidenten neu eingerichtete „Ministerium für Einwanderung, Integration und nationale Identität“ unter Brice Hortefeux soll sich nunmehr für bestimmte Aufgaben die Arbeitsinspektion unterstellt sehen. Bei der Einrichtung des gleichnamigen Ministeriums handelte es sich um die Einlösung eines Wahlversprechens, das Sarkozy im März und April vor allem den rechten und rechtsextremen Wählern gegeben hatte. Damals hatte der konservative Kandidat eifrig für den Schutz und Erhalt der „nationalen Identität“ getrommelt. Und hatte angekündigt, Zuwanderungsfragen und ebendiese ominöse „nationale Identität“ zukünftig unter dem Dach eines (frisch einzurichtenden) Ministeriums zusammenzuführen. Viele Initiativen und Sozialvereinigungen sowie Intellektuellen betrachten die Existenz bzw. den Titel dieses neuen Ressorts nach wie vor als prinzipiell illegitim. (Vgl. dazu einen Artikel vom Autor dieser Zeilen in der August-Ausgabe der Zeitschrift KONKRET, der in Bälde auch an dieser Stelle zugänglich gemacht werden wird.) 

Der dafür nun zuständige Minister Hortefeux, ein 30jähriger Freund Nicolas Sarkozys und bisheriger Scharfmacher des konservativen Blocks, soll nunmehr auf die Dienste der Arbeitsinspektion zurückgreifen dürfen. Letztere war bisher dienstrechtlich dem Arbeits- und Sozialministerium unterstellt, aber in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben weitgehend (nicht völlig) von Weisungen unabhängig. Das soll sich nunmehr insofern ändern, als der „Minister für Immigration und nationale Identität“ ihre Dienste nutzen können soll, um „der illegalen Arbeit von Ausländern“ nachzugehen. So sieht es, wörtlich, das Dekret vom 31. Mai 2007 vor, das die Aufgaben des neuen Ressorts und seinen administrativen Umfang definiert. 

Widerrechtliches Regierungsdekret 

Dabei gibt es nur ein Problem, aber ein wesentliches: Die französischen Gesetzen also das Arbeitgesetzbuch (Code du travail) sowie das Strafgesetzbuch (Code pénal), sehen nämlich eine solche Kategorie der „illegalen Arbeit von Ausländern“ überhaupt nicht vor. In ihnen gibt es stattdessen bisher drei Sorten von Delikten: 

Schwarzarbeit, also die Ausübung einer Tätigkeit, die den Sozialversicherungskassen und Steuerbehörden nicht erklärt worden ist. Dabei geht es hauptsächlich darum, Sozialabgaben bzw. so genannten „Lohnnebenkosten“ nicht abzuführen. Dieses Delikt wird täglich in gröberem Umfang verübt, und zwar in der Regel entweder auf Druck von oder aber zumindest in Komplizenschaft mit den Arbeitgebern. Letztere können sich dadurch die Abführung von Sozialabgaben ersparen. Die Lohnabhängigen können dazu, dies zu akzeptieren, bisweilen gezwungen werden; bisweilen glauben sie auch (sofern es ihnen an Bewusstsein fehlt, insbesondere darüber, dass ihnen dies im Alter oder Krankheitsfalle zum Nachteil gereichen wird) ihr eigenes Interesse dabei zu finden. IN GROSSER MEHRHEIT WIRD DIESES DELIKT DURCH ARBEITGEBER IM ZUSAMMENSPIEL MIT „GANZ NORMALEN“ BESCHÄFTIGTEN (FRANZOSEN ODER „LEGAL“ IN FRANKREICH LEBENDEN AUSLÄNDISCHEN STAATSBÜRGERN) VERÜBT. Es hat schlicht und ergreifend nichts mit der Frage des „legalen“ oder „illegalen“ Aufenthalts zu tun. Oftmals handelt es sich um abhängig Beschäftigte, für die ein Teil ihres Arbeitsvolumens bei den Sozialversicherungskassen angegeben wird, und der Rest als „Schwarzarbeit“ verrichtet wird – in Form unerklärter Überstunden oder Mehrarbeit usw. 

Der „illegale Aufenthalt“ in Frankreich ist nach geltendem bürgerlichem Strafrecht ein Delikt, das per definitionem nur von Immigrantinnen und Immigranten verübt werden kann. Diese Frage betrifft die so genannten ‚Sans papiers’. Es handelt sich aber um einen „Tatbestand“, der völlig unabhängig von dem der Schwarzarbeit steht: Vielmehr arbeitet die grobe Mehrzahl der in Frankreich lebenden Sans papiers nicht „unerklärt“, sondern durchaus in offiziell bestehenden und bei den Finanzämtern, Sozialkassen usw. angegebenen Beschäftigungsverhältnissen. Denn in den meisten Fällen bezahlen die Sans papiers, auch wenn sie sich offiziell in Frankreich nicht aufhalten dürfen, doch Steuern. In aller Regel arbeiten sie durchaus mit irgendwelchen Papieren – seien es gefälschte Personaldokumente oder dem Ausweis vom Cousin, der in den Augen eines Arbeitgebers (der gern auch mal beide Augen zudrückt, wenn er Arbeitskräfte benötigt – zu Bedingungen, wie Franzosen sie eben nicht akzeptieren würden) „genau so aussieht“ wie der betreffende Lohnabhängige. „SCHWARZARBEIT“ EINERSEITS UND „ILLEGALER AUFENTHALT“ ANDERERSEITS HÄNGEN ALSO NICHT MITEINANDER ZUSAMMEN, SONDERN MÜSSEN AUSEINANDER ENTKOPPELT WERDEN. Erstere, die so genannte „illegale Arbeit“, hat nichts mit der Frage der Nationalität oder des Aufenthaltsstatus in Frankreich zu tun. 

Und drittens gibt es ein Sonderdelikt der „Beschäftigung nicht in Frankreich zur Arbeit befugter Ausländer“. Diesen Spezialstraftatbestand kann aber nur ein Arbeitgeber, nicht aber ein/e abhängig Beschäftigte/r verüben. Strafbar macht sich an dieser Stelle allein der Arbeitgeber.

Der Verdacht liegt also nahe, dass das neue Ministerium – ganz offiziell, via Regierungsdekret – hier eine diskriminierende (da an Nationalität bzw. Aufenthaltsstatus geknüpfte) neue Kategorie von Straftaten schaffen wollte, und dies widerrechtlich. Denn eine solche Kategorie ist im Arbeits- und Strafgesetzbuch gar nicht vorgesehen. 

Hinzu kommt, dass das Ministerium von Brice Hortefeux ein erkennbares offenes Interesse daran hat, in diesem Bereich auf die Dienste der Arbeitsinspektion zurückzugreifen. Denn deren Angehörige dürfen jederzeit, Tag und Nacht, den Zutritt zu sämtlichen Unternehmen, Betrieben und Büros verlangen. Hingegen haben Polizisten dorthin nur dann Zugang, wenn sie über eine Durchsuchungsverfügung eines Richters oder Staatsanwalts verfügen. „Deswegen die Versuchung, uns als Türöffner zu benutzen...“ Mit diesen Worten wird Philippe Mériaux von der Gewerkschaft SNU-TEF (ehemals aus der „CFDT-Arbeitsämter“, die sich aufgrund ihrer Linksopposition zur CFDT-Führung vom Dachverband abgespalten) in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zitiert. 

Gewerkschaften klagen gegen Regierungsanordnung 

Wie ‚Le Monde’ am Donnerstag (26. Juli) ausführlich berichtet, haben vier Gewerkschaften der Beschäftigten des Arbeitsministeriums inzwischen vom Conseil d’Etat (dem französischen obersten Verwaltungsgericht) die Annullierung des fraglichen Dekrets der Regierung von François Fillon gefordert. Ihr Antrag wurde dort am 25. Juli eingereicht. Es handelt sich bei den vier Gewerkschaften um die Branchenverbände der CGT, der CFDT, um den SNU-TEF (vgl. oben; diese Gewerkschaft ist inzwischen dem Dachverband der Lehrer- und inzwischen auch sonstigen Staatsbediensteten-Gewerkschaften FSU beigetreten) und die linke Basisgewerkschaft SUD-Travail (SUD Arbeitsminiserium). Alle vier zusammen repräsentieren rund 80 Prozent der Mitglieder der Arbeitsinspektion. 

Die klagenden Gewerkschaften machen geltend, dass das angegriffene Dekret vom 31. 05. 2007 die Konvention Nr. 81 der ILO (International Labour Organisation) verletze, welche die Unabhängigkeit der für die Einhaltung der Arbeitsgesetze zuständigen Organe gegenüber den politischen Machthabern und ihren Vorgaben vorschreibt.  

Bereits in den vergangenen zwei Jahren hatten die Gewerkschaften der Arbeitsinspektion mittels Kampfmabnahmen zum Boykott von Aufträgen der damaligen Innen- und Arbeitsminister, Nicolas Sarkozy und Gérard Larcher, aufgerufen. Bei diesen ging es damals darum, die Beschäftigung von „illegalen Ausländern“ an den Arbeitsstätten oder auf Baustellen aufzuspüren. Karim Abed von der Branchengewerkschaft der CFDT erklärt dazu in ‚Le Monde’: „Wir sind nicht dazu berufen, zur Ausländerpolizei zu werden. Das entspricht weder unserer Funktion noch unserer Dienstethik.“ 

Autoritäre Antwort der Regierung 

Inzwischen hat Premierminister François Fillon auf den Protest der Arbeitsinspektoren, die auf diesem Wege ihre gesellschaftliche Veranwortung wahrnehmen, geantwortet. Auf RTL blaffte er die Inspektoren am 26. Juli an, das umstrittene Dekret sehe keine dienstrechtliche Veränderung für sie vor, da sie weiterhin dem Arbeitsministerium unterstellt blieben, auch wenn das frisch eingerichtete Zuwanderungsministerium ebenfalls über sie „verfügen“ (disposer) könne. Es stehe ihnen nicht zu, selbst das Ministerium auszuwählen, das die Aufsicht über sie ausübe. „Das ist eine Frage, die die Regierung angeht und nicht die Staatsbediensteten“, so wörtlich lautet die autoritäre Antwort von Premierminister Fillon. (Vgl. dazu http://www.lesinfos.com/news60867.html ) Aber vielleicht möchte der Mann sich auch nur zur Abwechslung mal ein bisschen profilieren, nachdem er bisher ziemlich im Schatten des übermächtigen Präsidenten Nicolas Sarkozy stehen musste. 

Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand machte hingegen Anstalten, die ihm untergebenen Arbeitsinspektoren „zu unterstützen“, wie es die konservative Tageszeitung ‚Le Figaro’ formuliert (vgl. http://www.lefigaro.fr ). Aber im selben Atemzug führte Bertrand, der arrogante Herr im Sessel des „Sozial“ministers, auch aus, dass „der Kampf gegen die illegale Arbeit in allen ihren Formen eine prioritäre Aufgabe für die Arbeitsinspektoren darstellt“. Damit trägt er seinerseits dazu, die Grenzen zwischen nicht zusammengehörenden Dingen kräftig zu verwischen. Auf der einen Seite steht die „illegale“, d.h. unerklärte Beschäftigung, die in der Mehrzahl der Fälle die Sache von Franzosen ist und darauf beruht, dass die Arbeitgeber (zum Teil auch unbewusste Lohnabhängige) keine Sozialabgaben und sonstigen „Lohnnebenkosten“ abführen möchten. Auf der anderen Seite steht die Beschäftigung von ausländischen Staatsangehörigen, die über keine Aufenthaltserlaubnis in Frankreich verfügen. Diese arbeiten in den meisten Fällen NICHT „unerklärt“, sondern bezahlen hochoffiziell Steuern, und in den meisten Fällen führen sie Sozialabgaben und Beitragszahlungen zu den diversen Sozialversicherungskassen ab. In aller Regel arbeiten sie gar nicht „schwarz“, sondern mit gefälschten Papieren, den Ausweispapieren von Landsleuten, die ihnen ähnlich sehen, usw. Den Unterschied zwischen diesen beiden unterschiedlichen Situationen versucht die Regierung genau zu verwischen. 

Am Montag, 30. Juli meldete sich dann auch der unvermeidliche Brice Hortefeux, der den Sessel des „Ministers für Einwanderung und (..) nationale Identität“ bekleidet, in der Öffentlichkeit zu Wort. Er forderte eine neue Offensive gegen „illegale Arbeitsverhältnisse“ (oder wörtlich: ‚le travail clandestin’, also „heimliche Arbeit“) und kündigte an, ihre Bekämpfung werde eine der künftigen Prioritäten seines Ministeriums darstellen. Nach den Gesetzen der Logik kann damit wiederum nur die („illegale“) Arbeiter von Sans papiers oder illegalisierten Zuwanderern gemeint sein, denn für andere Personenkreise auber Einwanderern und Eingewanderten ist der Minister Hortefeux nun mal nicht zuständig.

Brice Hortefeux fügte hinzu, seit dem 1. Juli dieses Jahres seien die Arbeitgeber nunmehr verpflichtet, aus eigener Initiative die Präfekturen (d.h. die zum Zentralstaat gehörenden Polizei- und Ausländerbehörden in den Départements) einzuschalten, wenn es darum geht, die Gültigkeit der Aufenthaltstitel von Bewerbern um eine Arbeitsstelle zu überprüfen. „Nunmehr gibt es keine Entschuldigung für die Arbeitgeber mehr“, tönte Hortefeux, von der (im Prinzip richtigen) Vermutung ausgehend, dass Arbeitgeber mitunter ein Auge zudrücken, wenn ein Aufenthaltstitel offenkundig gefälscht ist, sie aber dringend eine Arbeitskraft benötigen. „Ausländer ohne gültige Aufenthaltstitel sind dazu berufen, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden“, betonte Hortefeux.  

Um folgenden Satz hinzuzufügen, den meistzitierten seines Interviews (das am Montag, 30. Juli in der Boulevardzeitung ‚Le Parisien’ erschienen ist): „Die ersten Opfer der illegalen Einwanderung sind die Ausländer, jene, die die gesetzliche Prozedur zur Integration durchlaufen haben. (...) Ihre Arbeitslosenquote beträgt über 20 Prozent. Für sie müssen wir kämpfen.“ Natürlich abstrahiert der neue Minister in seinen Ausführungen völlig von den bestehenden Diskriminierungn auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, die den Zugang für Personen ausländischer Herkunft oftmals erschweren. 

Die linksliberale Wochenzeitung ‚Charlie Hebdo’ vom Mittwoch (1. August) lässt Hortefeux dazu, in ihrer Karikatur, zu Recht sagen: „Meine Strategie: Die ausländischen Arbeiter gegeneinander aufstacheln. Mein Traum: Dass die Schmutzarbeit der Jagd auf die Sans papiers durch Ausländer durchgeführt wird! Welche bessere Art, um sich zu integrieren, gibt es für einen Ausländer, als einen Ausländer zu denunzieren? Denunzieren war schon immer ein französischer Wert...“ Bitterböse, aber in diesem Falle treffend!

 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 6.08.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid ist  bei Pahl-Rugenstein als Taschenbuch erschienen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.

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