Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Nach dem Wahlsieg Sarkozys
Der Front National auf Strategie- und Orientierungssuche
7-8/07

trend
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Gröbere Veränderungen scheinen derzeit der französischen extremen Rechten bevorzustehen. In ihrer Hauptpartei, also beim Front National (FN), wurde erstmals ein ernsthafter Strukturwandel beschlossen. Die rechtsextreme Wochenzeitung ‚Minute’ berichtet darüber in ihrer Ausgabe vom 11. Juli 2007 auf Seite 3 unter der Überschrift: „Nachfolgekrieg vor dem Hintergrund eines Erschlaffungsanfalls (coup de mou): Was ist los beim FN?“ 

Innerparteiliche Umwälzung? 

Dem Artikel der rechtsextremen Wochenzeitung zufolge findet eine innerparteiliche „Revolution“ statt: Auf ihrer Sitzung am Montag, 9. Juli habe die oberste Führungsinstanz des FN (nach dem „Exekutivbüro“), das ‚Bureau politique’, beschlossen, „dass es zukünftig die Mitglieder sein werden, die jene wählen werden, die mit ihrer Leitung beauftragt sein werden“.  

Bislang wurden die Angehörigen der verschiedenen Führungsinstanzen des FN (Zentralkomitee, Politbüro – wie bei anderen französischen Parteien auch, so früher die Gaullisten, wurden die Strukturen einst dem historischen Modell der Kommunistischen Partei nachempfunden) durch die Kongressdelegierten gewählt. Diese Delegierten wiederum, erklärt ‚Minute’ ihren Lesern geduldig, „wurden (zwar) durch die Parteimitglieder bestimmt, die aber meistens nicht wirklich die Wahl hatten, da der Grobteil der Kandidaten durch die Bezirkssekretäre vorgeschlagen wurde“. Es handelte sich also, so formuliert ‚Minute’, um „ein Wahlmännersystem“, ähnlich wie bei den US-Präsidentschaftswahlen, das häufig den Wählerwillen nur verzerrt wiedergibt.  

Hinzu kommt, was ‚Minute’ nicht ausdrücklich schreibt, dass der Parteichef – Jean-Marie Le Pen – aus eigener Vollmacht auf den Kongressen Kandidaten von der Liste zur Wahl des circa 100köpfigen Comité Central streichen oder eigene Bewerber hinzufügen konnte. Und was das ‚Bureau politique’ betrifft, so hatte Jean-Marie Le Pen auf dem Kongress von Nizza 2003 eigenmächtig beschlossen, die Anzahl seiner Mitglieder von 40 auf 50 zu erhöhen, um die hinzukommenden zehn Sitze (qua eigenem Beschluss) mit Unterstützern seiner Tochter Marine Le Pen zu besetzen. Sowohl auf dem Kongress von Strasbourg am Osterwochenende 1997 als auch jenem von Nizza an Ostern 2003 hat Jean-Marie Le Pen jeweils in die Wahl der innerparteilichen Führungsgremien eingegriffen. In beiden Fällen, um seine Tochter Marine Le Pen zu retten, die bei den Delegierten durchgefallen bzw. von ihnen sehr schlecht platziert worden war. Hintergrund war, dass jene, die den Apparat der Partei kontrollier(t)en – 1997 war das eher der damalige Chefideologe Bruno Mégret, der später geschasst werden sollte, und 2003 war es eher die traditionalistische „alte Garde“ um den jetzigen ‚Generalbeauftragten’ Bruno Gollnisch – gegen den Aufstieg der Cheftochter und „Modernisierin“ Marine Le Pen opponier(t)en. 

Nun soll damit Schluss sein, und der Sperriegel der institutionellen Macht der alten Kader soll aufgesprengt werden – durch Aufbrechen der alten Strukturen. Diese sollten bisher als Sperre gegen mögliche innerparteiliche Opponenten dienen und die Macht des inneren Kerns der Führung absichern. Doch nunmehr geht es darum, die Blockaden gegen den Aufstieg Marine Le Pens zur Seite zu räumen.  „Da sie glaubt, bei den Mitgliedern populärer zu sein als bei den Parteifunktionären, wollte Marine Le Pen diese Reform seit langem. Sie hoffte, ähnlich wie Ségolène Royal (Anm. BhS: die ihrerseits als ‚Modernisierin’ der französischen Sozialdemokratie auftrat, mit einem Programm, das wesentlich wirtschaftsliberaler und autoritärer ausfiel als das der übrigen Partei und eher von Tony Blair inspiriert schien) an die Basis zu appellieren, um den Apparat zu umgehen. Letzteren hält sie für eher zugunsten von Bruno Gollnisch eingestellt (...)“ Tatsächlich hatte Ségolène Royal, deren Aufstieg zur Präsidentschaftskandidatin im Jahr 2006 hier mit jenem von Marine Le Pen verglichen wird, die französische Sozialdemokratie überrumpelt, indem sie an eine diffuse „Basis“ appellierte. In ihrem Falle stützte Ségolène Royal sich insbesondere auf Umfragewerte und auf die über 100.000 per Mausklick im Internet via „Schnuppermitgliedschaft“ beigetretenen Mitglieder, um die Altmitgliedschaft und die sozialistischen Funktionäre zu ihrer Nominierung zu bewegen. Ob Ähnliches im Falle von Marine Le Pen funktionieren könnte, muss freilich dahingestellt bleiben. 

Ideologische Generalüberholung (?) angestrebt 

Gleichzeitig deutet sich an, dass neben strukturellen auch programmatische Änderungen, im Sinne einer gewissen freundlicheren Präsentation oder auch „Anpassung an den Zeitgeist“ (wie die rechten Kritiker wittern bzw. wettern), auf dem Programm stehen dürften.  

Der relativ junge (z. Zt. 37-, ab September 38jährige) Generalsekretär des FN, Louis Aliot, den Jean-Marie Le Pen im Oktober 2005 anstelle de Altkades Carl Lang eingesetzt hat und der zu den wichtigsten Unterstützern der Cheftochter Marine zählt, wird in ‚Minute’ mit den Worten zitiert: „Die Mitglieder und Wähler erwarten, zu Recht, einen Ruck von unserer Seite. Sie wollen nicht, dass der FN an seinen Grundsätzen – also an der Verteidigung Frankreichs – etwas ändert. Aber sie wollen zumindest, dass er (der FN) sich in seiner Art und Weise, es zu verteidigen, (voran)bewegt. Denn man weib, dass das politische Programm aus den Anfängen, also das von 1972 (Anm. BhS: im Oktober jenes Jahres wurde der FN gegründet), nicht das von 2007 sein kann!“ 

In seinem Gespräch mit ‚Minute’, das durch den Redakteur in seinem Artikel verarbeitet worden ist, wird Louis Aliot bezüglich des angestrebten programmatischen Wandels nicht deutlicher. Aus Äuberungen in der bürgerlichen Presse im Laufe des Juni wird jedoch erkennbar, was durch die „Modernisierer“ angestrebt wird. Nationalismus und Abschottung gegen Immigranten ja – aber bitte keine auffälligen antisemitischen Weltverschwörungstheorien mehr, und auch keine („belastenden“) Anklänge mehr an den historischen Faschismus oder Nazismus, bitte schön. Ungefähr so lautet das neue Credo dieser Fraktion. Auch soll dem langjährigen Eigenleben der unterschiedlichen ideologischen „Pole“ innerhalb der extremen Rechten (katholische Fundamentalisten, ‚rassialistische’ Neuheiden, Monarchisten, Nationalrevolutionäre, Stiefelfaschisten, ..) ein Ende bereitet werden. Jedenfalls soll ihr autonomer ideologischer Einfluss spürbar beschnitten werden. Die Programmatik der rechtsextremen Partei soll auf einige, möglichst gesellschaftsfähig formulierte, Kernpunkte beschränkt werden.  

Kommunalwahl im Visier  

Ansonsten deutet sich an, dass Marine Le Pen und ihre Unterstützer danach streben, den Wahlerfolg der Cheftochter im früheren Bergbaurevier Pas-de-Calais (vgl. vorletzte Ausgabe) vom 10. und 17. Juni als Steilvorlage zu nutzen. „Marine“ war als einzige FN-Kandidatin frankreichweit in die Stichwahl, die zweite Runde der Parlamentswahlen, gezogen und erhielt im Wahlkreis Hénin-Beaumont fast 42 Prozent der Stimmen. „Ihr wurde am darauffolgenden Montag Vormittag von fast (Anm. BhS: perfide Formulierung!, aber gegen wen gerichtet?) dem gesamten Politischen Büro applaudiert“, merkt ‚Minute’ im Nachhinein an. Allem Anschein nach bereitet sich Marine Le Pen mit ihrer Unterstützerschaft darauf vor, den örtlichen Erfolg bei den französischen Kommunalwahlen im März 2008 zu wiederholen und ihn zur politischen „Startrampe“ umzuwandeln.  

Marine Le Pen habe soeben eine Wohnung in Hénin-Beaumont angemietet, berichtet ‚Minute’ diesbezüglich. Steeve Briois, der geschickt agierende und örtlich stark „verwurzelte“ Kader, werde die Liste bei den dortigen Kommunalwahlen anführen, fügt das Blatt hinzu. Briois wird mit den Worten zitiert: „Bei uns werden wir es vielleicht schaffen, aber in Paris wäre auch Bewegung nötig, um an die Aktivistentradition des Front National wieder anzukünpfen.“ (Ausgabe vom 11. Juli) Tatsächlich bildet das „Laboratorium“ von Steeve Briois im ehemaligen Bergbaurevier nahe der belgischen Grenze z. Zt. quasi die einzige Zone, wo der FN tatsächlich um reale gesellschaftliche Verankerung, „Bürgernähe“ und Aufgreifen konkrete Probleme vor Ort aktiv bemüht scheint. So vertritt der französische Meinungsforscher Jérôme Fourquet in der Frühsommer-Ausgabe der Antifapublikation Ras l’front (Nr. 115, S. 13) die Auffassung, falls der FN künftig Aussichten auf die Eroberung von Rathäusern habe, dann nicht länger (wie in den 1990er Jahren) in der Provence oder sonstwo in Südfrankreich, sondern in den früheren Arbeiterkommunen des Pas-de-Calais. (Den Rest wird selbstverständlich die Zukunft erweisen müssen.) 

Im übrigen Frankreich scheint der FN die Kommunalwahlen in drei Vierteljahren eher im Geiste einer gewissen Schlappheit anzugehen. ‚Minute’ zitiert Jean-Marie Le Pen mit den Worten: „Im Rahmen unserer Mittel/Möglichkeiten werden wir an den Kommunal- und Bezirksparlamentswahlen (Anm.: im kommenden März) teilnehmen. Da es sich um sehr lokale/ortsbezogene Wahlen handelt, wird die Risikobereitschaft unserer Verantwortlichen auf Bezirks-, Kommunal- und örtlicher Ebene das entscheidenden Kriterium sein. Wir werden niemanden dazu zwingen, in den Kampf zu ziehen. Wir werden jene, die sich in der Lage fühlen, die 5-Prozent-Hürde zu überspringen und Sitze (in den Kommunalparlamenten) zu erobern, energisch dazu ermutigen. Aber wir werden nicht in der Lage sein, ihnen stark zu helfen, auber durch unsere politische Unterstützung.“  

Dies bedeutet mit anderen Worten, dass den örtlichen Kandidaten kaum Geld zur Verfügung gestellt werden wird (mit Ausnahme von Kandidaturen, denen nationale Bedeutung zugemessen wird??). Dies widerspiegelt zunächst einmal einfach die Tatsache, dass der FN sich in einer finanziellen Lage befindet, die als ausgesprochen klamm zu bezeichnen ist; Anfang Juli war zunächst bekannt geworden, dass die rechtsextreme Partei daran denke, ihren Zentralsitz im noblen Pariser Vorort Saint-Cloud zu vermieten (http://tempsreel.nouvelobs.com/). Anscheinend wurde intern aber auch bereits über einen Verkauf nachgedacht. Gut eine Woche später meldeten die Nachrichtenagenturen, Marine Le Pen profiliere sich als Gegnerin eines solchen Verkaufs: Diejenigen, die eine solche Option anstrebten, seien „jene, die bereits daran denken, Tomaten anzupflanzen statt Politik zu machen“ (Yahoo.fr, 11. Juli).

Am 18. Juni, dem Tag nach dem zweiten Durchgang der französischen Parlamentswahl, hatte Jean-Marie Le Pen zudem eine Spendenkampagne unter dem Titel „SOS Front National“ lanciert. Über ihren Beginn hatte das französische Fernsehen jedoch schon am Vorabend, gleichzeitig mit dem Bekanntwerden des  Stichwahlergebnisses für Marine Le Pen, berichtet. Dadurch wurde das, an und für sich glänzende, Resultat der Cheftochter in der öffentlichen Wahrnehmung zum Teil neutralisiert.  

Der Front National versucht sich unter der Präsidentschaft Sarkozy zu positionieren 

Es ist nicht leicht, sich als Oppositionskraft (die soeben eine herbe Niederlage bei Wahlen erlitten hat) gegenüber einer neuen Regierung zu profilieren, die den eigenen Wählern verspricht, viele ihrer Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen – während man selbst nur ohnmächtig Reden schwingen könne. Dies gilt auch für eine rechtsextreme Partei, die soeben von ihren bisherigen Wählern eine unverkennbare Abfuhr erteilt bekam, während die neuen politischen Machthaber ihnen unverhohlene Avancen machen. Ihre langjährige Wahl- bzw. „Protestmotive“ werde man endlich ernst nehmen, ohne freilich die „verbalen Ausrutscher“ und „Exzesse“ Jean-Marie Le Pens zu wiederholen und ohne sich seine „unfruchtbare Haltung der Daueropposition“ zu eigen zu machen: Dies stellt die neue konservative Regierung den früheren Wählern des Front National (FN) in Aussicht. Im Moment hat dies der französischen extremen Rechten erhebliche Rückschläge beschert, zunächst bei den Präsidentschaftswahlen am 22. April (erste Runde), dann auch im ersten Durchgang der Parlamentswahlen im Juni. Nun ist die Frage aufgeworfen, wie es sie strategisch in naher Zukunft für sie weitergeht. 

Zwei unterschiedliche strategische Linien zeichnen sich bei der Lektüre der jüngsten Ausgaben der rechtsextremen Presse ab. In ihrer Nummer vom Mittwoch, 04. Juli 2007 legt die Wochenzeitung ‚Minute’, die auf einer Scharnierposition zwischen dem FN und bestimmten Segmenten der bürgerlich-konservativen Rechten angesiedelt ist, eine Art von Strategie der „konstruktiven Opposition“ an den Tag. Kritisiert wird von ihr die „Strategie der Öffnung“ von Präsident Sarkozy und Premierminister François Fillon, die darin besteht, der Sozialdemokratie als gröbter Oppositionspartei systematisch Personal abzuwerben. (Um prominente Figuren aus ihren Reihen entweder mit Ministerien, wie Bernard Kouchner, und Staatssekretariaten oder aber mit thematischen „Missionen“ wie Ex-Aubenminister Hubert Védrine zu betrauen ; nunmehr will Sarkozy auch den neoliberalen früheren Wirtschaftsminister der „Sozialisten“ von 1997 bis 99, Dominique Strauss-Kahn, an die Spitze des IWF befördern helfen.). Die damit verbundene Absicht Sarkozys lautet, auf längere Sicht hinaus jeden Regierungswechsel zu blockieren und verhindern, indem die stärkste Partei der Parlamentsopposition in eine langjährige schwere Krise gestürzt wird. ‚Minute’ freilich interpretiert den politischen Ausdruck dieser Strategie als angeblichen „Linksruck“ der neuen Regierung. Was natürlich eine krasse, aber wohl bewusste Fehlinterpretation darstellt. 

Die Interviewpartnerin der Woche ist die Vorsitzende der traditionsreichen reaktionären Mittelstandspartei CNI (Nationales Zentrum der Selbstständigen), Annick de Roscoat. Das CNI war historisch einmal eine sehr bedeutende Partei (mit dem Namenszusatz „und der Bauern“, was das Kürzel CNIP ergab), vor allem in den 1950er Jahren, als es mehrere Strömungen – von bürgerlich über „salonfähig aber Vichy-belastet“ bis zu ihrem damaligen jungen Abgeordneten Jean-Marie Le Pen in den Jahren 1958 bis 62 – in seinem Inneren beherbergte. Später wurde es zur Schrumpfformation, die aber in den 80er Jahren noch die Aufgabe erfüllte, eine potenzielle Brücke zwischen dem konservativen Bürgerblock und der extremen Rechten zu bilden. Aktuell zählt das CNI zwei Abgeordnete im französischen Parlament, unter ihnen der wegen homophober Äuberungen gerichtlich verurteilte und wegen seiner pro-kolonialistischen Auslassungen berüchtigte Christian Vanneste aus dem Raum um Lille, der zugleich aktiv Nicolas Sarkozy als Präsidentschaftskandidaten unterstützte.  

Nach den Worten seiner Vorsitzenden wäre das CNI gerne in die Regierung eingetreten, durfte aber nicht, weil Nicolas Sarkozy die Präsenz der Schrumpfpartei als rufschädigend betrachtet hätte („Ich hoffte nicht darauf, befördert zu werden, da ich sicherlich zu reaktionär bin“, merkt die Vorsitzende sarkastisch an). Es bleibt der Parteivorsitzenden, anzumahnen, dass „der rechten Wählerschaft Versprechungen gemacht worden sind, auf deren Einhaltung wir wachen werden“. Ferner fordert sie, der Familie – der sträflicherweise kein eigenes Ministerium in der neuen Regierung gewidmet worden sei - müsse verstärkte Beachtung gewidmet, und die angebliche öffentliche Förderung bzw. Anerkennung homosexueller Lebensstile eingestellt werden. Neben dem Interview  stehend, das anscheinend weitgehend die Sympathien der Wochenzeitung selbst widerspiegelt, wird der von Sarkozy ernannte „Minister für Einwanderung, Integration und nationale Identität“ Brice Hortefeux kritisiert: Dieser habe zwar lobenswerter Weise der „illegalen Einwanderung“ den Kampf angesagt, aber zugleich den „legalen Zuwanderern“ in Aussicht gestellt, er werde ihnen ein guter Minister sein. Solche Äuberungen erregen das Missfallen der Redaktion von ‚Minute’.  

Allerdings zeichnet sich nicht ab, dass sie eine Strategie der radikalen Fundamentalopposition gegen die von Sarkozy ernannte Regierung einschlüge. So lobt die Zeitung auf derselben Seite die neue Wirtschaftsministerin Christine Lagarade (real eher eine Vertreterin der globalisierten Eliten, und ehemalige Chefin einer riesigen Kanzlei von Wirtschaftsanwälten in Chicago/USA, denn eine Anhängerin nationalistischer Schimären), freilich für das eher belanglose Detail, dass Lagarde gegen die Feminisierung ihrer Amtsbezeichnung eingetreten sei. Denn sie wollte lieber „Madame LE ministre“ und nicht „Madame LA ministre“ heiben. Auch verteidigt ‚Minute’ den konservativen UMP-Politiker Patrick Devedjian, der kurz zuvor die christdemokratische Zentrumspolitikerin Anne-Marie Comparini (Lyon) in einem Gespräch, das publik wurde, als ‚salope’ (Schlampe) bezeichnet hatte. Wenn man sich in der Politik nicht einmal mehr deftig ausdrücken dürfe, wo doch auch weibliche Politikerinnen mitunter zu ähnlicher Wortwahl neigten, empört sich die rechte Wochenzeitung. Im Hintergrund steht allerdings auch (unausgesprochen) die Erinnerung daran, dass Anne-Marie Comparini in Teilen der Rechten historisch dauerhaft mit dem Etikett „Schlampe“ belegt wurde, seit sie im Januar 1999 den damaligen Lyoner Regionalpräsidenten Charles Millon stürzen und sich zu seiner Nachfolgerin wählen lieb. Millon stand damals einem faktischen Bündnis der bürgerlichen Rechten mit dem rechtsextremen Front National als Gallionsfigur vor. Comparini hingegen lehnte diese Allianz ab und zog ihr, als kleineres Übel, immer noch ein Bündnis mit den Sozialdemokraten vor.  

‚NH’: Sozialdemagogie, Ressentiments und Anti-Sarkozysmus 

Auf unterschiedliche Weise positioniert sich die parteinahe Wochenzeitung ‚National Hebdo’ (40 % der Kapitalanteile gehören dem FN) in ihrer Nummer vom Donnerstag, 5. Juli. In ihren Spalten wird in stärkerem Mabe der Appell an Unzufriedenheit und Ressentiment gegen die neue Regierung gekehrt. Auf der Titelseite wird Sarkozy, aufgrund seiner „Öffnungs“stragie, als kleinwüchsiges gefräbiges Monstrum mit hochrotem Kopf karikiert: „Der Sarkofresser mampft alles auf seinem Wege auf!“ Im Blattinneren findet sich ein seitenlanger Artikel zum Thema von der eher feuilltonmäbig schreibenden Redakteurin Béatrice Perreire.  

Darin werden auch die Äuberungen der CNI-Vorsitzenden de Roscoat aus ‚Minute’ vom Vortrag zitiert und wohlwollend wiedergegeben. Allerdings ist der Tonfall der FN-eigenen Wochenzeitung insgesamt ein anderer als bei ‚Minute’. So wird in dem Artikel auch versucht, soziale Unzufriedenheit in der üblichen Mischung mit Sozialneid und Missgunst gegenüber Einwanderern sowie demagogischem Pseudo-Antikapitalismus zu (re)mobilisieren, und sowohl gegen die neue Regierung als auch die vaterlandslosen Vertreter des Grobkapitals zu lenken. So wird behauptet: „Brice Hortefeux, der unwahrscheinliche Minister mit einem schwachsinnigen Titel (…) wurde bereits durch die Bosse des CAC 40 (Anm. BhS: Aktienindex der 40 gröbten börsennotierten französischen Unternehmen), die finanzkräftigen Sponsoren Nicolas Sarkozys, dazu ermahnt, noch mehr Immigranten aufzunehmen. Und er hat natürlich akzeptiert; warum sollte man einen französischen Werktätigen anständig bezahlen, wenn man sich zum selben Preis zwei Polen, fünf Rumänen oder zwanzig Malier gönnen kann?“  

Eine Behauptung, die selbstverständlich nichts mit der realen Politik zu tun hat, denn die hier geschilderte Einwanderung ist „illegalisiert“ (und genau deswegen rechtlos und darum verschärfter Ausbeutung ausgesetzt!), während die zwischen Grobkapital und Regierung diskutierte Öffnung für „legale“ Zuwanderung lediglich hochqualifizierte Gruppen oder sog. Mangelberufe betrifft. Und weiter im Text: „Im Moment sind die einzigen Wahlversprechen, die Nicolas Sarkozy einzuhalten im Begriff ist, jene, die er den wohlhabendsten seiner Wähler abgegeben hat. (Weitgehende Abschaffung der, Anm. BhS) Grobvermögenssteuer ISF, Erbschaftssteuern… (…) Es ist also kein Zufall, wenn die reichen Rentner an der Côte d’Azur ihm ihre Stimme gegeben haben, während die Enterbten des (Anm. BhS: früheren Bergbaureviers) Pas-de-Calais die ihren lieber… Marine Le Pen gegeben haben.“ Unter Anspielung auf den zweiten Durchgang der jüngsten Parlamentswahl, wobei die rechtsextreme Wochenzeitung sich zugleich naserümpfend über jene Schichten auslässt, die damals dem FN tendenziell den Rücken gekehrt haben. Denn die rechtsextreme Partei verlor bei den Wahlen im April, Mai und Juni dieses Jahres vor allem (klassenmäbig betrachtet) im mittelständischen bis wohlhabenden Teil ihres Publikums, und (in geographischer Hinsicht) insbesondere in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur massiv an Boden... zugunsten Nicolas Sarkozys. Hingegen blieb ihr die überwiegend in den 1990er Jahren erworbene Wählerschaft etwa im Pas-de-Calais mehrheitlich treu. Dies wird nun, allem Anschein nach, in dem Zeitungsbeitrag gefühlsmäbig verarbeitet. 

An den genannten (Bruch-)Punkten glaubt die rechtsextreme Wochenzeitung im übrigen den Hebel für eine künftige Strategie ansetzen zu können: „Man wird ferner feststellen, dass die berühmte ‚Öffnung’ (Anm. BhS: d.h. die Aufnahme verkrachter Sozialisten und Karrieristen von der ‚Linken’ in die Regierung durch Sarkozy) auch hin zu den Kräften auf der Rechten der UMP, ja sogar hin zu den Kräften rechts von der Rechten der UMP hätte erfolgen können. Es ist nicht der Fall gewesen. Also, wenn man näher darüber nachdenkt, welche ist die letzte Opposition(skraft), die glaubwürdig bleibt - wenn nicht jene, die der Front National verkörpert? Es bleibt, den Fortgang der Dinge zu sehen: Es gibt historische Chancen, die nicht zu ergreifen kriminell wäre.“

Ausblick 

Abzuwarten bleibt ferner, ob sich nicht eine Strömung innerhalb des FN „jenseits parlamentarischer Hoffnungen“ radikalisiert (obwohl oder auch weil dessen Aktivistenbasis seit der Parteispaltung von 1998/99 und der Durchsetzung des Alleinherrschaftsanspruchs von Jean-Marie Le Pen erheblich ausgedünnt ist) - u.U. in Richtung militanter Strömungen. Eine solche stellen etwa die ‚Identitaires’ dar, die aus der 2002 verbotenen stiefelfaschistischen Sammlungsbewegung ‚Unité Radicale’ hervorgingen. Bei den jüngsten Parlamentswahlen stellten die Identitaires ein paar Kandidatenlisten auf, bspw. in mehreren Wahlkreisen von Nizza in Zusammenspiel mit Bruno Mégrets (ansonsten quasi klinisch toten) MNR, wo sie jeweils etwas über 2 Prozent erhielten. Das militante Spektrum machte sich zuvor - in der zweiten Maiwoche 2007 - auch in Paris bemerkbar, wo 400 bis 500 martialisch ausstaffierte Anhänger der militanten Szene unter manifestem Polizeischutz „zum Gedenken an Sébastien Deyzieu“ aufmarschierten. Der gleichnamige junge Mann hatte sich, anlässlich einer Neonazi-Demonstration im südlichen Zentrum von Paris, am 8. Mai 1994 einer polizeilichen Personenkontrolle entziehen wollen und war dabei (tödlich) aus einem Fenster im vierten Stock gestürzt.  

Die Altkader des FN, die sich der Linie der „Modernisierer“ um die Cheftochter Marine Le Pen widersetzen, befürworten in jüngerer Zeit zunehmend die Idee einer „Föderation“ unterschiedlicher rechtsextremer Strömungen, welche im Mai 2007 durch die rechtspluralistische Monatszeitschrift ‚Le Choc du mois’ lanciert worden ist. Dabei rechnen sie auch die ‚Identitaires’, neben den Rechtskatholiken um Philippe de Villiers, welch letztere aber wohl kaum für diese Idee zu gewinnen sein werden (sondern ein strategisches Plätzchen am rechten Rand des regierenden Bürgerblocks bevorzugen), mit zu den „zu föderierenden“ Strömungen.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 25.7.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.