Das Prinzip „Arbeit“ und seine dialektische Aufhebung

von Hans-Peter Büttner

7-8/07

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1. “Arbeit“ als anthropologische Kategorie

“Arbeit“ markiert nach Karl Marx die spezifische Position des Menschen in der Natur und somit sein artspezifisches „Gattungswesen“. Sie liegt hier also nicht in ökonomisch verkürzter Form vor, sondern als anthropologische Kategorie und somit existentielles Bezugsverhältnis zwischen Mensch und Natur sowie den arbeitenden Menschen untereinander. Dabei differenziert Marx die Kategorie „Arbeit“ in grundsätzliche Gattungstätigkeit (oberste Abstraktionsebene) und ihre historisch und geographisch wechselnden jeweiligen Erscheinungsformen (empirische Beschreibungsebene). Seine allgemeine Formbestimmung fällt so aus:

„Der Arbeitsprozess ist (...) zunächst unabhängig von jeder bestimmten gesellschaftlichen Form zu betrachten. Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur“ .

Das Revolutionäre im Marxschen Denken liegt hierbei nicht so sehr in der Erkenntnis, dass die Menschen im Arbeitsprozeß der Natur als eigenständige „Naturmacht“ gegenübertreten und sie entsprechend ihrer Bedürfnisse sich aneignen, sondern in der Erkenntnis, dass der Mensch mit der äußeren Natur „zugleich seine eigene Natur“, also seine innere Natur verändert. Wer das Verhältnis von Mensch und Natur dialektisch denkt wie Marx, für den ist der Prozeß des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur eine beständige Erweiterung der Potenzen des Subjektes, der menschlichen Gattung. Indem der Mensch äußere Natur bearbeitet, erweitert er seine eigenen sinnlichen und intellektuellen Fähigkeiten, die von seiner subjektiven Konstitution nicht zutrennen sind. Dadurch, dass er sich nicht einfach wie das Tier seiner Umwelt anpaßt, sondern sie zum Gegenstand seiner praktischen Gattungstätigkeit macht und sie sich so aneignet, steht er praktisch-lernend (aktiv) in der Welt und nicht instinktgesteuert-naturdeterminiert (passiv). Marx hat in seinen Frühschriften deshalb seine Praxisphilosophie in dem Satz zusammengefasst:

„Die Bildung der 5 Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte“ .

Für Marx ist also die „Weltgeschichte“ ein gesellschaftlicher Prozeß, in dessen Verlauf menschliche Tätigkeit Natur verändert, neue „kultivierte“ Gegenstände schafft und dabei beständig den Veränderer selbst verändert. Das menschliche Tätigkeitsfeld besteht entsprechend nicht nur in der Bearbeitung äußerer Natur, sondern in der Aneignung historisch-gesellschaftlicher Erfahrung. Marx konstatiert deshalb, daß „die Produktion nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt produziert, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand“ . Er entgeht mit seinem Ansatz den Fallstricken von Idealismus und mechanistischem Materialismus, von Subjektivismus und Objektivismus. Der Subjektivismus setzt nämlich das Individuum abstrakt gegen seine natürlichen und gesellschaftlichen Existenzvoraussetzungen, während der Objektivismus die Tätigkeitsform des Individuums einebnet und seine Konstitution wieder auf Prozesse der Anpassung statt Aneignung reduziert. Was beide Seiten eint ist die Trennung menschlicher Subjektivität von ihren gegenständlichen Tätigkeitsbezügen bzw. die nicht-dialektische Aufspaltung von Subjekt und Objekt. In den „Thesen über Feuerbach“ hat Marx die Überwindung dieses klassischen Dualismus bereits in der ersten These formuliert:

„Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus - den Feuerbachschen mit eingerechnet - ist, dass der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher geschah es, dass die tätige Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt“ .

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Editorische Anmerkungen

Der Aufsatz erhielten wir vom Autor am 5.7.2007 zur Veröffentlichung.

Von Hans-Peter Büttner erschien bisher im TREND: