10 Jahre Jungle World – auf dem Weg zur Jungle Welt? 
Einige Gedanken zum 10 Geburtstag einer Berliner Wochenzeitung


von Peter Nowak
7-8/07

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„Die jungle world hat geburtstag – zehn Jahre sind genug“ - mit dieser Überschrift auf dem Titelblatt sorgt die Wochenzeitung aus Berlin wieder einmal für Aufmerksamkeit. Nein – es geht nicht um eine Einstellung sondern um einen Relaunch, der die LeserInnen überraschen soll.

Doch zuvor wird mit der Jubiläumsausgabe noch einmal an die Wurzeln erinnern: das kurzzeitige gemeinsame Zeitungsprojekt junge Welt, wo es tatsächlich möglich war, das die heute sich so bekämpfenden sogenannten Antiimps und die sogenannten Antideutschen gemeinsam eine Zeitung machten. Dem Text von Stefan Ripplinger, der die Vergangenheit in einer zweiseitigen subjektiven Betrachtung noch einmal Revue passieren lässt, merkt man gut an, dass er sich innerlich bis heute noch graust über diese Zusammenarbeit mit den heute bestenfalls als Nationalbolschewisten gescholtenen. So scheint es ihm schwer zu fallen, den Titel der jungen Welt überhaupt nur zu erwähnen, wenn es da heißt: „jene Tageszeitung, aus der die Jungle World hervorging).

Nun wird bei solchen Nachbetrachtungen zwangsläufig viel geklittert. So wird sich Rippliner nicht mehr gerne darin erinnern, dass er sogar mit dem heute besonders verhassten Werner Pirker gemeinsam einen Diskussionsbeitrag zum Thema Haupt- und Nebenwidersprüche verfasste. Damals ging es sowohl gegen die Traditionskommunisten wie Sarah Wagenknecht wie gegen eher Autonome wie Ivo Bozic.

Doch Zwischentöne sind Krampf im Klassenkampf – das gilt auch für die Jungle Word, die mit dem Klassenkampf gar nicht mehr so viel zu tun haben will. Doch wer gut und böse war und ist, muss auch 10 Jahre nach der Gründung noch einmal klargemacht werden.
Deshalb ist die Vorhersage des Bahamas-Vertreters Tjark Kunstreich in seinem Beitrag zur Jubiläums-Ausgabe, dass die Wiedervereinigung von Jungle World und junger Welt 10 Jahre nach der Spaltung und einige Wochen nach der Großdemo in Rostock möglich scheint, nur Polemik.

Zu Gast in Springers Welt

Denn längst gibt es Annäherungen aus einer ganz anderen Richtung. Die aber spielten, obwohl sie viele LeserInnen beschäftigten und sogar den Herausgeber Klaus Behnken zu einer seinen seltenen inhaltlichen Beiträge bewogen hatten, in der Jubiläums-Ausgabe keine Rolle.

Es war in Springers rechtskonservativer Welt, wo am 5.Juni mitten während der G8-Proteste in Rostock, der Ressortleiter der Jungle World Stefan Wirner einen Gastbeitrag unter der Überschrift:
„Die radikale Linke erfüllt sich ihre Prophezeiung selbst“ veröffentlichte. „Ein linkes Plädoyer, sich der Wirklichkeit zu stellen“, sollte es sein. Schon im Vorspann wurde klar, wohin die Richtung gehen sollte:

„Wer die Anti-G-8-Szene in den vergangenen Monaten nur ein wenig
beobachtet hatte, wusste längst: Die Autonomen waren von Anfang an auf
Gewalt aus. Doch die meisten Linken lügen sich auch nach den Ausschreitungen von Rostock weiter in die Tasche: wieder soll an allem nur der repressive Staat schuld sein.“

Nun ist diese Version der Wirklichkeit den Welt-Lesern sehr vertraut. Was daran ein linkes Plädoyer sein soll, erschließt sich allerdings nicht. Zumal Wirner dann ja logischerweise den Beitrag in seinem Blatt veröffentlicht hätte und nicht in der Welt, die die Linke ja höchstens liest, um zu wissen, was Staatsschutz und Klassenfeind mal wieder vorhaben.
Der gesamte Artikel ist denn auch ein Rundumschlag gegen die „Linke“. Von der Jugendorganisation solid bis zur Linkspartei scheint es nur SympathisantInnen oder VerharmloserInnen der gewalttätigen Autonomen zu geben, weil sie über Staatsrepression berichteten.

Auch die Gefangenorganisation Rote Hilfe verfällt der Kritik, weil die von Staatsrepression zu berichten wusste. Ein Redner der Interventionistischen Linken wird gar indirekt einer gewissen Nähe zur RAF geziehen, nein nicht zur Royal Air-Force, die ist in Jungle-Kreisen anders als die Rote Armee Fraktion, um die es hier geht, nicht so verpönt.

Der Absatz sollte im Ganzen zitiert werden, um so deutlich zu machen, dass dieses linke Plädoyer so ganz auf der Linie der Welt liegt, als wollte Wirner sich damit um eine Stelle bei dem sicher besser als die Jungle zahlenden Welt bewerben:

„Um zu betonen, in welcher Tradition man sich sieht, forderte ein
Redner der „Interventionistischen Linken“ auf der Abschlusskundgebung vom
Podium aus die Freilassung von Christian Klar. Auch für diesen Redner
war das Böse schnell ausgemacht: Gegen die ehemaligen RAF-Mitglieder habe der Staat nur „Rache“ übrig. Von der vorzeitigen Haftentlassung
Brigitte Mohnhaupts im März hat er wohl nichts mitbekommen.“

Nun, dass jemand der die Freilassung von RAF-Gefangenen fordert, sich in deren Tradition stellt, hat die Welt schon seit den 70er Jahren behauptet. Dass man bei soviel Eifer mal über die Fakten stolpert, soll vorkommen. So wurde Brigitte Mohnhaupt eben nicht vorzeitig sondern nach vollständiger Verbüßung ihrer Strafe entlassen. Dass schließlich der von Wirner als „Ikone der Bewegung“ bezeichnete philippinische Professor Walden Bello mit seiner Rede die Auseinandersetzung nicht anheizte, war am 5. Juni eigentlich schon längst klar. Die erste Falschmeldung einer Presseagentur war da schon mehrmals dementiert, auch wenn es bis zum Eingeständnis des Fehlers noch einige Tage länger dauerte. Aber Wirner ist wahrscheinlich der Meinung, Walden hätte den deutschen Staat loben und die Autonomen beschimpfen sollen. Oder wie ist seine Kritik zu verstehen, angesichts des Brandes auf dem Platz nicht innegehalten zu haben. Auch der Demomoderator hatte bei Wirner völlig versagt, weil er zum Rückzug der Polizei aufforderte.

Mehr als ein individuelles Techtelmechtel

Nun könnte man denken, dass ist ein Problem von Wirner, der hier einen Absprung zu einer besser bezahlten Stelle bei Springer vorbereitet und das mit seiner vermeintlich linken Vergangenheit natürlich besser bewerkstelligen kann. Doch Wirner ist weiterhin Ressortleiter Inland bei der Jungle-World. Seine Berichterstattung zu dem Gnadengesuch von Christian Klar las sich auch streckenweise so, als gäbe es Jungle Welt schon? So wird nicht nur von Wirner konsequent von Terroristen und Terrorismus geschrieben, wenn es um die RAF und andere Gruppen aus dem bewaffneten Widerstand geht. Es war einst die Welt, die mit anderen Blättern aus dem Hause Springer jeden in die Nähe des Sympathisantentums rückte, der oder die im Zusammenhang mit RAF, 2. Juni etc. nicht von Terroristen oder Bande schrieb. Deshalb haben sich auch Liberale dieser Zumutung oft erfolgreich verweigert. Von diesem Akt der Zivilcourage hat man aber bei der Jungle World kaum mehr was mitgekommen, außer wenn Peter O. Chotjewitz mal seine selten Beiträge zum Thema RAF etc. geschrieben hat.

Herzinger in der Jungle World

Es gibt ein weiteres Indiz, dass die Kontakte zum Hause Springer keine Privatinitiative von Wirner sind. So hatte der Welt am Sonntag – Redakteur Richard Herzinger erst am 23.Mai 2007 in der Jungle World nicht zum ersten Mal einen Kommentar geschrieben. Doch der Beitrag unter der Überschrift „Leise treten schwer gemacht“, hat es aus der Sicht eines Blattes, das sich die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und des Antisemitismus widmet, ein Affront. Herzinger geißelt die russische Regierung dafür, dass sie die EU unter Druck setzen und spalten wolle. Dabei verteidigt der Welt-Redakteur ausdrücklich die Demontierung eines Denkmals in Estland, das an den Sieg über den mit dem NS-Regime verbündeten baltischen Faschisten und Antisemiten erinnerte. „Für die osteuropäischen und baltischen Staaten ist 1945 nicht nur ein Datum der Befreiung von der NS-Herrschaft sondern auch der Beginn einer neuen Fremdherrschaft. Die baltischen Staaten wurden nach 1945 gar von der Sowjetunion einverleibt und „russifiziert“, verbreitet Herzinger offen rechte Thesen in einem Blatt, das sonst mit Recht jeden schrägen Vergleich der Linken kritisiert. Nur wenige Seite vorher warnt Peter Bierl vor merkwürdigen Bündnissen in der Antiglobalisierungsbewegungen und kritisiert, dass die Abgrenzung nach rechts nicht bei der NPD stehen bleiben dürfte. Diese Worte könnte Bierl im Fall Herzinger auch der Jungle Redaktion ans Herz legen.

Jungle World – quo vadis?

Noch ist die Jungle World nicht zur Jungle Welt geworden. Beiträge von Bernhard Schmid, Peter O. Chotjewitz und Anderer stehen für einen anderen Kurs. Doch regelmäßige Jungle Kolumnisten wie von Osten-Sacken warnen mit fast gleichlautenden Worten auch in der Welt vor einem „Appeasement mit den Islamisten“ und plädieren für ein hartes Vorgehen in Syrien und dem Iran. Sie und viele andere stehen für eine Richtung, die als Antideutsche begannen und sich zu Neokonservativen wandelten. Die Bahamas ist da nur der Trendsetter und gerade deshalb selbst in der eigenen Szene nicht immer beliebt. Da treffen sie sich mit Prowestlern wie Herzinger, die wie sich unschwer an seinen Kommentaren zeigt, nie Antideutsche waren. Dass der Kommentar für die Demontage eines Denkmals, das den Sieg über die baltisch-deutsche Judenmörder-Konnektion feierte, keine großen Reaktionen bei der Jungle World-Leserschaft auslöste, zumindest sind keine Protestbriefe veröffentlicht worden, zeigt, dass solche Gedanken dort mittlerweile zumindest akzeptiert sind. Daher scheint es fraglich, ob der Weg von der Jungle World zur Jungle Welt noch aufzuhalten ist.
 

Editorische Anmerkungen
Wir erhielten den Artikel vom Autor zur Veröffentlichung am 2.7.2007.