Gibt man bei Google das Wort
„Privatisierung“ ein und nimmt sich die Zeit ca. 20 Seiten
durch zu blättern, so erkennt man schnell das ganze Ausmaß des
Privatisierungswahns. Da steht wirklich alles zur Disposition:
Krankenhäuser
Kurbetriebe
Stadtreinigung
Wohnungen
Sparkassen
Häfen
Wälder/Forstflächen
Abfallwirtschaft
Flugsicherung
Bildungswesen
Messen
Arbeitslosenversicherung
ARD/ZDF
Wasserversorgung
Strafvollzug
Heer
Geheimdienste
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(Diese Liste herausgefilterter Objekte der Privatisierung
erhebt nicht den Anspruch der Vollständigkeit.) |
Mittlerweile macht sich sogar das
Verfassungsgericht Sorgen über das Ausmaß der Privatisierung.:
„Karlsruher Verfassungsgespräch: Privatisierung
öffentlicher Aufgaben
(rof) Das 7. Karlsruher Verfassungsgespräch findet am
Dienstag, 22. Mai, um 19 Uhr im Sitzungssaal des
Bundesverfassungsgerichts zu "Privatisierung öffentlicher
Aufgaben - Gefahren für die Steuerungsfähigkeit des Staates
und für das Gemeinwohl" statt. Nach der Einführung durch den
Präsidenten des BVG, Prof. Hans- Jürgen Papier, und einem
Grußwort von OB Heinz Fenrich moderiert der Chefredakteur des
Westdeutschen Rundfunks, Jörg Schönenborn, die
Podiumsdiskussion mit Klaus Bräuning, Bundesverband der
Deutschen Industrie, Prof. Horst Hippler, Rektor der
Universität Karlsruhe, Prof. Stefan Leibfried, Universität
Bremen, Prof. Bernhard Nagel, Universität Kassel,
Ministerpräsident Günther Oettinger und Bundesinnenminister
Dr. Wolfgang Schäuble.
Einlasskarten für Bürger gibt es am Freitag, 18. Mai, ab 8
Uhr an der Rathauspforte, pro Person gegen Vorlage des
Personalausweises maximal zwei. Auch für die zweite Person ist
der Personalausweis bzw. eine Kopie vorzulegen. Telefonische
Reservierung ist nicht möglich.“
Man kann es als
eine Orgie bezeichnen, die da organisiert wird. Alles soll dem
Markt überantwortet werden! Das bedeutet, das der Profit des
Einzelkapitals zum non plus ultra jeder gesellschaftlichen
Entscheidung wird.
Begründet wird
diese Orgie mit mehr Effizienz, besseren Service, mehr
Fortschritt, mit billiger, billiger, billiger. Das alles zum
Wohle des sogenannten Konsumenten, der vermeintlich oder
tatsächlich danach schreit. Der Konsument ist Kunde und die
„Kundenorientierung“ (siehe Qualitäts-Managementsysteme)
scheinbar die oberste Selbstverpflichtung des Kapitals.
Den sozialen
Preis dafür zahlen zunächst vor allem die unmittelbaren
Produzenten. Billiger, billiger, billiger geht nur, wenn man aus
jeder Arbeitskraft ein Optimum an Arbeit zu möglichst billigen
Löhnen herausholt. Technik allein reicht dafür nicht. Im
Gegenteil, die teure Technik verlangt für ihre Verwertung
billige und allseits verfügbare Arbeitskraft, die man heuern und
feuern kann. Also wird entlassen was das Zeug hält, werden Löhne
gedrückt, Sozialleistungen gestrichen etc.
Bei näherem
Hinsehen und manchmal auch erst nach einiger Zeit erweist sich
jedoch die vermeintliche „Kundenorientierung“ als bloßer
Rattenfängertrick, mit dem der Masse der Menschen die
wohltätigen Zwecke des Kapitals vermittelt werden sollen. Am
Schluss zahlt die Zeche auch der Konsument. Der König Kunde wird
zum Bettlerkönig Kunde. Billig erweist sich dann als
minderwertig, Massenmist eben, Schrott, für den es sich oft
nicht lohnen würde auch nur eine Stunde zu arbeiten. Was billig
bedeutet, das können wir etwa an den Lebensmitteln und der
Kleidung sehen. Hoch belastet mit giftigen Stoffen etc.
Massenmist ist aber auch die Überflutung der Welt mit Schadstoff
spuckenden PKWs und LKWs (Edelschrott), mit Beta-Versionen von
nicht ausgereifter Software, mit High-Tech-Plunder aller Art.
Schließlich und
endlich wird auch der Service immer beschissener. Ahnungslose
Menschen in Call-Centern, durchgereicht werden von einem zum
anderen, etc. („König Kunde“ muss sich selbst helfen etwa in
Gestalt der zahllosen Foren im Internet.) Aber dafür können wir
uns immer mehr von dem Massenmist leisten und immer neue,
phantastische Produkte bestaunen, deren Werbung uns ein
Lebensgefühl vermittelt, als lebten wir im Schlaraffenland,
allerdings nur, wenn wir Produkt x von Kapitalist y kaufen.
Hauptsache der Rubel rollt.
Die
Dummdreistigkeit mit der heute die wohltätigen, sozialen Zwecke
des Kapitals verkündet werden, ist schon beeindruckend. Die
soziale Bilanz wird jedoch immer verheerender, solange das Spiel
anhält.
„Wenn ihr, die
Lohnabhängigen, tut, was wir von euch verlangen, dann schaffen
wir Arbeit und was Arbeit schafft, ist sozial.“ So die
phantastische Massage. Ja, sie sind sozial, was die Interessen
ihrer Klasse betrifft. Für die ist nämlich sozial, was
wettbewerbsfähige Lohnarbeitsplätze schafft. Davon lässt es sich
als Kapitalist gut leben. Von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen
können aber die Lohnabhängigen nicht gut leben. Die zweifelhafte
soziale Wohlfahrt, die für sie übrig bleibt, heißt buckeln bis
das Kreuz schmerzt, im wahrsten Sinne des Wortes
(Skeletterkrankungen zählen zu den häufigsten Ursachen von
„Arbeitsunfähigkeit“, auch da, wo buckeln nur sitzen heißt). Die
Wettbewerbsfähigkeit von Lohnarbeitsplätzen schließt eben
soziale Wohlfahrt auf der einen Seite und soziales Elend auf der
anderen ein.
Was lernen wir
daraus? Zurück zum „Sozialstaat“, zu einem „sozial regulierten
Kapitalismus“? Der „Sozialstaat“ ist genau so eine ideologische
Erfindung, wie die „Kundenorientierung“ des Kapitals. Das
Kapital ist nur sich selbst verpflichtet. Es ist Verwertung von
Wert sonst nichts. Alle anderen Zwecke sind im fremd und wenn
sie formuliert werden, dann dienen sie ausschließlich der
Verdummung. Und so wenig das Kapital wirklich „kundenorientiert“
ist, so wenig ist „der Staat“ sozial und war es nie. Er war und
ist stets ein Machtinstrument der herrschende Klasse zur
Sicherung der Produktionsverhältnisse, Verkörperung von
Rahmenbedingungen der historisch-spezifischen Form von
Ausbeutung. (Hätte es den „Sozialstaat“ gegeben und wäre er mehr
als ein Instrument, nämlich ein Subjekt, dann würde er sich
wehren gegen das, was mit ihm geschieht.) Die konkreten
Ausgestaltungen des Machtinstrumentes „Staat“ sind Produkt von
Klassenauseinandersetzungen. Gestaltungsbefugnis haben die
politisch Mächtigen, wie immer sie zu dieser Macht gekommen
sind. In ihren Handlungen drücken sich Klasseninteressen und
Klassenkompromisse aus. Was uns als angeblicher „Sozialstaat“
vorgegaukelt wird, war nichts anderes als eine ganze Reihe
zugestandener sozialer Reformen, um schlimmeres, nämlich die
Abschaffung des Privateigentums, zu verhindern. Diese sozialen
Reformen waren nicht das originäre Produkt weitsichtiger, sozial
und human eingestellter bürgerlicher Politiker, sondern
Resultate eines Klassenkampfes, der sich über Jahrzehnte hinzog
und teilweise mit blutiger Gewalt ausgetragen wurde. Diese
Reformen sollten ausnahmslos den Klassenkampf beenden und eine
soziale Partnerschaft zwischen Lohnarbeit und Kapital begründen.
Nicht zuletzt mit Hilfe dieser sozialen Reformen ist es im
vorigen Jahrhundert gelungen die Kritik am kapitalistischen
Privateigentum weitgehend zum Verstummen zu bringen. Darin, also
in der Erkenntnis, das man dem Kommunismus das Wasser abgraben
kann und muss, bestand die ganze Weitsichtigkeit der
bürgerlichen Politiker seit Bismark.
Wo kein
tatsächlicher oder vermeintlicher Kommunismus, da braucht es
auch nicht mehr eine solche Weitsichtigkeit und also keinen
„Sozialstaat“. Es gibt keine Kraft mehr, die den „Sozialstaat“,
nämlich die zugestandenen sozialen Reformen, verteidigen könnte.
Dafür aber gibt es um so mehr ökonomische Notwendigkeit ihn
abzuschaffen. Es kann also problemlos umgesetzt werden, was
„ökonomisch notwendig und vernünftig“ ist.
Man darf nicht
vergessen, dass diese zugestandenen Reformen das Kapital bares
Geld gekostet haben. In Deutschland wird beispielsweise die
ganze gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften)
aus den Beiträgen des Kapitals finanziert. Die kapitalistischen
Unternehmen zahlen darüber hinaus ihre Beiträge zur
Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung. Wäre der
Staat ein „Sozialstaat“ gewesen, dann hätte er seine eigene
Verschuldung nicht zugelassen. Als „Sozialstaat“ hätte er im
Zuge der sich ausdehnenden und sich konsolidierenden
Massenarbeitslosigkeit die dafür verantwortlichen automatisch
zur Kasse gebeten. Er hätte also die Beiträge der Kapitalisten
zu den Sozialversicherungen genau in dem Umfang erhöht, indem
die Massenarbeitslosigkeit Löcher in die Kassen riss. Solche
Maßnahmen hätten wiederum den sich verschärfenden
Klassengegensatz auf die Spitze getrieben, bis hin zur
Entscheidung über das Privateigentum an Produktionsmitteln.
Seit der
Weltwirtschaftskrise 1974/75 zeigen überzyklisch ansteigende
Massenarbeitslosigkeit und Unternehmenspleiten die krisenhafte
Entwicklung der Kapitalverwertung an (Tendenzieller Fall der
Profitrate). „Sozialpartnerschaft“ musste neu buchstabiert und
eingeübt werden. Sie heißt jetzt „Wertschöpfungsgemeinschaft“
und ist ganz unverschnörkelt rein ökonomisch bestimmt. Die
„Partnerschaft“ zwischen Lohnarbeit und Kapital basiert nun
nicht mehr auf vom Kapital zugestandenen sozialen Reformen,
sondern auf durch das Kapital selbstherrlich gesetzten Zielen:
alles für den Profit und die Akkumulation. Damit die
„Wertschöpfungsgemeinschaft“ funktioniert muss vor allem
flexibilisiert werden und müssen sich die VerkäuferInnen von
Ware Arbeitskraft ganz dem Wirken des Marktes unterwerfen. Sie
müssen bereit sein so viel und solange zu arbeiten, wie es der
Markt verlangt und sie müssen bereit sein, sich mit so wenig
Geld zufrieden zu geben, wie es der Markt verlangt.
Privatisierung
bedeutet nicht nur Demontage der „öffentlichen Daseinsvorsorge“
und der zugestandenen Sozialreformen. Sie bedeutet auch, dass
dem Kapital neue Wege der Verwertung eröffnet werden.
Privatisierung bedeutet nicht nur „Beitragssenkung“ für die
Profiteure des Vereins mit Namen bürgerliche Gesellschaft. Sie
bedeutet auch, das der ganze Verein zur Ausbeutung frei gegeben
wird. Der Privatisierungswahn des Neoliberalismus ist weit mehr
als bloße Ideologie und Politik, wie uns manche linken
Theoretiker in ihrem sozialreformistischen Bemühen um Bewahrung
des Kapitalverhältnisses weiß machen wollen. In ihm drückt sich
die objektive Entwicklungsgesetzlichkeit des Kapitals aus, die
bürgerliche Gesellschaft immer intensiver zu durchdringen, der
rastlosen Bewegung des Gewinnens neue Wege zu erschließen, ohne
die das Kapital an sich selbst, seiner Überakkumulation
ersticken würde. Aus diesem Grunde kann man den neoliberalen
Privatisierungswahn auch nicht einfach abwählen. „Sozialstaat“
gibt es allenfalls wieder, wenn Lohnabhängige massenhaft für die
Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln streiten,
sozusagen als Nebenprodukt des Kampfes zur Verwirklichung von
Kommunismus.
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.