Stellungnahme
Die zwei Ebenen der libanesischen Krise

Internationales Büro für die revolutionäre Partei

7/8-06

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onlinezeitung

Jeden Tag erreichen uns die Nachrichten über die Verwüstungen, die der Kapitalismus in der Krise hervorbringt. Die immer zügellosere Suche nach ausreichend einträglichen Gewinnraten bürdet der Arbeiterklasse einerseits eine immer größere Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Mangel an Arbeitsplatzsicherheit, verallgemeinertes Elend und andererseits immer häufiger den Ausweg in den Krieg auf. Gestern waren es Afghanistan und der Irak, heute ist es der Libanon. Dies erlaubt uns, die Fronten der morgigen imperialistischen Kriege vorherzusagen. Nur der revolutionäre Klassenkampf kann diese Barbarei beenden. 

Das interne Szenario 

Obwohl er noch nicht offiziell erklärt wurde, befinden sich Israel und der Libanon im Krieg. Bereits jetzt hat der Krieg Hunderte von Toten unter Zivilisten gefordert, mehr als 500.000 Menschen sind auf der Flucht und die humanitäre Situation in der gesamten Region ist alarmierend. Der israelische Miniimperialismus und der amerikanische Megaimperialismus auf der einen Seite und Hezbollah und Hamas auf der anderen haben die Spannungen im mittleren Osten mutwillig wieder entzündet. Mit der erneuten militärischen Besatzung des Gaza-Streifens und der Aggression an der libanesischen Grenze hofft Israel, eine Reihe von strategischen Zielen zu verwirklichen. 

1.  Mit dem Angriff auf den Libanon als Antwort auf die Entführung dreier israelischer Soldaten hat Israel jeder Möglichkeit ein Ende gesetzt, Verhandlungen um die Rückgabe der eingenommenen Gebiete wiederzueröffnen. In der Tat, je mehr der Nahe Osten in Flammen steht, desto eher hält Israel seine Kolonien im Westjordanland auf der Westbank.

2.  Seit dem erzwungenen Rückzug von Syrien aus dem Libanon ist dieses Land das Hauptziel des israelischen Expansionismus geworden - nicht nur um wie in 1982 eine Sicherheitszone entlang seiner Grenzgebiete zu bilden, sondern auch um eine Art militärisches Protektorat  daraus zu machen.

3.  Diese Aggression hat auch zum Ziel Hamas und Hezbollah, die als Terroristen bezeichnet werden, aus der politischen Szene zu entfernen, obwohl diese rechtmäßig gewählt wurden und in ihren Regierungen präsent sind. Das Ziel ist es Nachbarstaaten zu haben, die, wenn sie schon nicht Verbündete sind, wenigstens von unterwürfigeren oder leichter beherrschbaren Kräften regiert werden.

4.  Dadurch, dass es Syrien und den Iran wegen Komplizenschaft mit Hamas und Hezbollah als Terroristen definiert, die sie bewaffnen und finanzieren, hat Israel den Vereinigten Staaten den Vorwand gegeben, die libanesische Frage in einen Anlass zu transformieren, um ihre Interessen in dieser Zone zu verteidigen. 

Die Hezbollah hat, indem sie die Befreiung der Soldaten verweigerte die militärische Reaktion Israels erzwungen und deshalb den militärischen Druck im Gaza-Streifen und auf die Hamas verringert, was auch die Schwäche der libanesischen Regierung von Fouad Siniora an den Tag brachte, dessen Weg zur Macht durch die Vereinigten Staaten und Israel ermöglicht wurde. Heute stellt die Hezbollah in den Augen der libanesischen Bevölkerung das dar, was die Hamas für die Palästinenser einst darstellte: die einzige Gewalt, die dazu fähig ist, sie gegen US- und israelische Vorherrschaft zu verteidigen. 

Das internationale Szenario 

Die Schwierigkeiten, auf die man in Afghanistan gestoßen ist, der relative Verlust an Einfluss im Bereich des Kaspischen Meeres, die immer größeren Schwierigkeiten mit der Ölversorgung aus Venezuela und den anderen Südamerikanischen Ländern haben die Kontrolle des Persischen Golfes für den amerikanischen Imperialismus noch unerlässlicher gemacht. Aus diesem Grund wurde der Irak eingenommen. Nunmehr sind es der Iran und Syrien - schon seit einiger Zeit im Fadenkreuz - die den Mietern des Weißen Hauses den Schlaf rauben. Vor einigen Jahren wäre der Iran das Objekt einer (schon im Wesentlichen geplanten) unmittelbaren militärischen Intervention gewesen. In der aktuellen Lage ist die US-Regierung gegen ihren Willen gezwungen indirekt zu handeln. Die Verlängerung der Intervention in Afghanistan, der unerwarteten Morast im Irak, das riesige Wachstum der Kriegskosten und der Zahl der Opfer, die Unbeliebtheit von Bush, die geschlossene Opposition von Europa, Russland und China haben eine ungünstige Situation für eine direkte Intervention geschaffen. 

Indem man eine direkte Offensive gegen den Iran vorerst verwarf, hat man sich für die verbrannte Erde in der Peripherie entschieden und greift diejenigen an, die man aus unterschiedlichen Gründen als seine nahen Verbündeten betrachtet, hoffend, dass dies einen mehr oder weniger blutigen Regierungswechsel begünstigen könnte, der die US-Gegenwart im strategisch wichtigsten Bereich der Welt weniger problematisch machen würde. 

Die libanesische Krise, der Kampf gegen den Terrorismus der Hezbollah mit seiner tatsächlichen oder mutmaßlichen iranischen Unterstützung durch Waffen, Geld oder militärische Logistik - dies alles wurde gut dem angestrebten Ziel angepasst. 

Mittlerweile steigt der Preis eines Barrel Öls, und die 80-Dollarschwelle ist nicht weit. Und je mehr die Ölpreise steigen, desto mehr füllen die Ölrenditen die Schatztruhen der Ölkonzerne, was der amerikanische Staat dringend braucht, um in der Lage zu sein, seine hohen Defizite im nationalen und internationalen Kontext zu finanzieren, der sich in den letzten Jahren verändert hat. Die amerikanische Wirtschaft ist die meistverschuldete der Welt (mehr als 35.000 Milliarden US-Dollar), hat ihre Energieunabhängigkeit verloren und ist für 70 % ihres Bedarfs von ausländischem Öl abhängig. Die Zahlungsbilanz ist auf 800 Milliarden Dollar gefallen. Russland, das im selben Zeitraum zum größten Energielieferanten der Welt geworden ist, wenn man die Exporte von Erdöl und von Erdgas dazu nimmt, hat erklärt, den Euro als Zahlungsmittel für Erdöl zu akzeptieren, und nicht nur den Dollar wie in der Vergangenheit. Der Iran, Venezuela und einige afrikanische Erzeuger haben dasselbe getan, was die Aneignungsmechanismen der finanziellen Rendite, die der USA die Preiskontrolle ermöglicht, zunehmend problematischer macht und damit ihre wichtigste Finanzierungsquelle unterhöhlt. Europa hat jetzt seine monetäre Zone stabilisiert, was der Souveränität des Dollars einige Probleme macht. Syrien hat offiziell erklärt, dass es seine monetären Reserven aus Dollars in Euro umwandeln will. China hat bereits solch eine Diversifikation für einige Milliarden Dollars durchgeführt. 2005 hat sogar Saudi-Arabien, der große Verbündete der USA, diese Richtung eingeschlagen, und die Drohung gegenüber dem Dollar steht sogar in den südamerikanischen Ländern auf der Tagesordnung. Auf diese Art könnte die Souveränität des Dollars, einem der wichtigsten Pfeiler des US-Imperialismus, zusammenbrechen. 

Wenn man die fortlaufende Stagnation der amerikanischen Wirtschaft dazu nimmt, das Wiedereinsetzen des Falls der Profitrate, die schwache Wettbewerbsfähigkeit der USA auf internationalem Niveau, wird man verstehen wie gefährlich diese Schwächen sind und wie wichtig jede Gelegenheit ist, sie zu umgehen - mit welchen Mitteln und Kosten auch immer.

Deshalb muss die libanesische Krise im Kontext des Mittleren Ostens, wo sie begann und wo sie ihre verheerenden Wirkungen hinterlässt, aber auch auf der internationalen Ebene mit all ihren interimperialistischen Konfrontationen mit ihren weltweiten Dimensionen analysiert werden. Es sind gerade die Schwächung des amerikanischen Imperialismus und die Beschleunigung des Wiedererstarkens alternativer imperialistischer Pole, wobei Europa, Russland und China die Hauptrolle spielen, die die Tendenz der Erweiterung des permanenten imperialistischen Krieges in aus strategischer und ökonomischer Sicht neuralgischen Zonen verstärkt. Überdies ist heute jeder Krieg, sogar wenn er starke lokale Charakteristika hat, wie der Krieg im Libanon, ein Teil der interimperialistischen Konflikte. Die Hezbollah demonstriert es, indem sie ihre internen politischen Ziele (und nicht nur die internen) verfolgt solange sie die Unterstützung des Irans und Syriens hat, die selbst unter dem Schutz Chinas, Russland und sogar Europas stehen, das dank der Konferenz von Rom die Gelegenheit ergriffen hat, sich im "Spiel" um den Mittleren Osten voll einzubringen. Nach Afghanistan, dem Irak und dem Libanon könnte es morgen der Golf von Guinea, Südamerika oder jedes andere Gebiet von strategischem Interesse sein. 

Mehr denn je kann der Kapitalismus mit seinen Wirren in der gegenwärtigen historischen Phase nur permanente Kriege, Hunger und wachsendes Elend für die große Mehrheit der Weltbevölkerung schaffen. Aus diesem Grund ist die Rekonstruktion der revolutionären Partei immer notwendiger und dringender. Eine Partei, die dazu fähig ist, die Massen des Proletariats vom Einfluss der bourgeoisen Ideologie - generell und im Kontext des Mittleren Ostens -, von den Verlockungen des Nationalismus, ganz gleich in welcher Form er auftritt: laizistisch, konfessionell, zionistisch oder fundamentalistisch, abzubringen. Eine Partei, die in der Lage ist, an der revolutionären Lösung zu arbeiten, die allein die Barbarei des Kapitalismus in der Krise stoppen kann.  

Internationales Büro für die revolutionäre Partei (www.ibrp.org) 

Italien: Patito Comunista Internazionalista – Battalgia Comunista, batcom@ibrp.org

Frankreich: Bilan & Perspectives, france@ibrp.org

Großbritannien: Communist Workers Organisation, cwo@ibrp.org

USA und Kanada: Internationalist Workers Group / Groupe Internationaliste Ouvrier, usa@ibrp.org; canada@ibrp.org

Herausgabe und Vertrieb in der BRD: Gruppe Internationaler Sozialistinnen 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von den HerausgeberInnen zur Veröffentlichung überlassen.