Rezension eines Ulrike Meinhof-TV-Films
Kritik zum Film : Ulrike Meinhof Wege in den Terror

von Renate Döhr
7/8-06

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Zur Vorgeschichte dieser Kritik

Als Ulrike Meinhof in den Knast kam, war ich erst 15. Später habe ich mich beteiligt an verschiedenen Kampagnen und Demos gegen die Isolationsfolter (z.B. Hungerstreikdemo in Bonn) und für die Freilassung der politischen Gefangenen. Letztes Jahr erfuhr ich von einem Freund, dass der Fernsehsender Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) eine Dokumentation zum 30. Todestag von Ulrike Meinhof plant. Im Rahmen der Dreharbeiten besuchte der RBB auch meine Arbeitsstelle, die Jugendwerkstatt Reinickendorf. In diesem Gebäude befand sich früher der Mädchenknast, in dem Ulrike Meinhof als Journalistin für ihr Buch "Bambule. Fürsorge - Sorge für wen?" recherchiert hat. Der Regisseur Eberhard Itzenplitz hat dieses Buch dann verfilmt. Nachdem am 14.Mai 1970 ein Kommando der RAF, zu dem auch Ulrike Meinhof gehörte, Andreas Baader befreite, wurde der Film verboten. Erst nach über 20 Jahren wurde Bambule gesendet. Bei den Dreharbeiten auf unserem Gelände lernte ich den RBB-Regisseur Sascha Adamek und auch Eberhard Itzenplitz kennen. Ich versuchte herauszufinden, in welche Richtung der Film gehen soll. Bei den Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass sie versuchen, einen fairen Film zu machen.

Nachdem ich den Film gesehen hatte, packte mich die Enttäuschung und die Wut. So schrieb ich diese Kritik. Es gäbe an diesem Film noch mehr zu kritisieren, aber dies war zunächst eine persönliche Kritik mit Anschreiben an Sascha Adamek. Deshalb habe ich nur das kritisiert, was Originalton RBB ist. Leider (oder eher: aus gutem Grunde?) hat Sascha Adamek darauf nicht reagiert. FreundInnen rieten mir nun, den Text doch weiterzureichen, da sie ihn interessant fanden.

1. Schon der Untertitel "Wege in den Terror" zeigt die Richtung an, in die der Film geht. Selbst Stefan Aust hat sich da etwas mehr zurückgenommen und "Wege in den Untergrund" gewählt.


2. Die Behauptung, Ulrike Meinhof hätte einen Gehirntumor gehabt, ist falsch. Die Krankengeschichte Ulrike Meinhofs aus dem Jahre 1962 stellt fest, dass es sich nicht - wie die Bundesanwaltschaft in ihrem Schreiben vom 4.1.73 bewusst falsch darstellte- um einen Tumor handelte, sondern um ein Cavernom des sinus cavernosus, einem Schwamm aus blutgefüllten Bindegewebsräumen, wie er während der Schwangerschaft entstehen kann. Diese Diagnose war der Bundesanwaltschaft bekannt.

3. Ihr zitiert Ulrike Meinhof aus der Kolumne "Warenhausbrandstiftung" mit den Worten:
"Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität, im Gesetzesbruch." Dieses Zitat ist richtig, aber hier völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Dadurch wird der Eindruck erweckt, als rufe Ulrike Meinhof zu solchen Taten auf und verteidige außerdem jeglichen Gesetzesbruch. Sie schreibt direkt vor diesem Zitat: "Immerhin, die Vernichtung gesellschaftlich produzierten Reichtums durch Warenhausbrand unterscheidet sich qualitativ nicht von der systematischen Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums durch Mode, Verpackung, Werbung, eingebauten Verschleiß. So gesehen, ist Warenhausbrandstiftung keine antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend, kontrarevolutionär."

Ulrike Meinhof schreibt kurz danach zum "progressiven Moment" der Tat:

"Das Gesetz, das da gebrochen wird durch Brandstiftung, schützt nicht die Menschen, sondern das Eigentum. Die da Schindluder treiben mit dem Eigentum, werden durch das Gesetz geschützt, nicht die, die den Reichtum schaffen durch Arbeit und Konsum, sondern die, die ihn sich gemäss der Gesetzgebung im kapitalistischen Staat rechtmäßig aneignen. Das Gesetz soll die, die das alles produzieren, von ihren Produkten fernhalten. Und so desperat es auch immer sein mag, ein Warenhaus anzuzünden, dies, dass die Brandstifter mit den Produkten tun, was sie wollen, das Gesetz brechen, das nur den sog. Eigentümern erlaubt, mit ihrem Eigentum zu machen, was sie wollen, das Gesetz brechen, das die Logik der Akkumulation schützt, nicht aber die Menschen vor dieser Logik und ihren barbarischen Folgen, dieser Gesetzesbruch ist das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung, muss als solches erkannt und anerkannt werden, wird dadurch nicht ausgelöscht, dass die damit zusammenhängende Gütervernichtung eher systemerhaltend ist, materiell also der antikapitalistischen Intention widerspricht."

Und im Schlussabsatz: "So bleibt, dass das, worum in Frankfurt prozessiert wird, eine Sache ist, für die Nachahmung- abgesehen noch von der ungeheuren Gefährdung für die Täter, wegen der Drohung schwerer Strafen- nicht empfohlen werden kann."

4. Nach dem Passus mit der Baaderbefreiung kommt wieder ein verzerrendes Zitat von euch : "Wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, kein Mensch. Und so haben wir uns mit ihnen auseinander zusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden. Und natürlich kann geschossen werden? (Tonbandaufnahme aus dem Untergrund).

Im "Konzept Stadtguerilla" hört sich das ganz anders an:

"Am 14.Mai ebenso wie in Frankfurt, wo zwei von uns abgehauen sind, als sie verhaftet werden sollten, weil wir uns nicht einfach verhaften lassen- haben die Bullen zuerst geschossen. Die Bullen haben jedes Mal gezielte Schüsse abgegeben. Wir haben z.T. überhaupt nicht geschossen, und wenn, dann nicht gezielt.
In Berlin, in Nürnberg, in Frankfurt. Das ist nachweisbar, weil es wahr ist. Wir machen nicht rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch. Der Bulle, der sich in dem Widerspruch zwischen sich als ´kleinem Mann´ und als Kapitalistenknecht, als kleinem Gehaltsempfänger und Vollzugsbeamten des Monopolkapitals befindet, befindet sich nicht im Befehlsnotstand. Den Bullen, der uns laufen lässt, lassen wir auch laufen."

5. Und noch mal zur Baader-Befreiung: Zum Vorwurf, dass der Institutsangestellte Linke angeschossen wurde (ebenfalls aus dem "Konzept Stadtguerilla"):

"Die Frage, ob die Gefangenenbefreiung auch dann gemacht worden wäre, wenn wir gewusst hätten, dass ein Linke dabei angeschossen wird - sie ist uns oft genug gestellt worden - kann nur mit Nein beantwortet werden. Es gab bei Berücksichtigung aller Möglichkeiten und Umstände keinen Grund für die Annahme, dass ein Ziviler sich noch dazwischen werfen könnte und würde. Dass die Bullen auf so einen keine Rücksicht nehmen würden, war uns klar. Der Gedanke, man müsste eine Gefangenenbefreiung unbewaffnet durchführen, ist selbstmörderisch."

6. Zum Passus der Kinderverschleppung durch Aust: O-Ton RBB: "Stefan Aust erhält Informationen, dass die Kinder auf Sardinien festgehalten werden."

Diese Feststellung ist nun wirklich das Allerletzte! Die Kinder wurden nicht auf Sizilien festgehalten. Im Gegenteil, Ulrike Meinhof wollte aus berechtigten Gründen nicht, dass sich der Erzeuger (Ich weigere mich, diesen Menschen als Vater zu bezeichnen) der Kinder bemächtigt. Deshalb ließ sie diese zu Freunden nach Sizilien bringen.
O-Ton RBB: "Es gelingt ihm, die Zwillinge nach Deutschland zurückzubringen, zu ihrem Vater." Aust hat die Kinder verschleppt! (Wie er selber sagt).

7. Zur Detonation bei Springer:
Ihr vergesst zu sagen, dass die RAF rechtzeitig gewarnt hat. Sie beging nur den Fehler, Springer und Polizei Menschlichkeit zu unterstellen; es wurde (wohl bewusst) nicht geräumt.

8. Zur Frage des "Gruppendrucks" bzw. Druck auf andere: O-Ton RBB:
"Baader und Ensslin und Mahler geben nun den Ton an. Immer mehr nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam." (Was sind eure Quellen, eure Belege?).
Aus dem "Konzept Stadtguerilla": Dass es bei uns "Offiziere und Soldaten" gäbe, dass jemand jemandem "hörig" sei, dass jemals jemand "liquidiert" werden sollte, dass Genossen, die sich von uns getrennt haben, noch was von uns zu befürchten hätten, dass wir uns mit der vorgehaltenen Knarre Zutritt zu Wohnungen verschafft hätten oder Pässe, dass "Gruppenterror" ausgeübt wurde - das ist alles nur Dreck.

9. Zu der (von euch wieder nicht belegten) Behauptung einer Isolierung Ulrike Meinhofs innerhalb der Gruppe:

O-Ton RBB: "Innerhalb der Gruppe ist Ulrike Meinhof zusehends isoliert. Als der Prozess beginnt, haben sich die anderen Mitglieder deutlich von ihr abgewandt. Sie beschimpfen sie als bürgerlich und elitär."  Und weiter: "Sie selbst hat immer mehr Zweifel. ´Angst ist reaktionär´ schreibt sie in einem Brief."

Und weiter O-Ton RBB: "Die Konflikte zwischen Baader und Ensslin auf der einen und Ulrike Meinhof auf der anderen Seite eskalieren zum Psychokrieg."

Dafür liefert ihr keine Belege, nur die Aussage des Knastwärters Bubeck, der schon dieses unerträgliche Buch hat schreiben lassen.

Weiter O-Ton RBB: "Insbesondere mit Gudrun Ensslin kommt es zu offener Feindschaft." Zusammen mit Zitaten aus Briefen von Ulrike Meinhof ("Das Gefühl, es explodiert einem der Kopf" - "Klar, dass man da drin lieber tot wäre.") untermauert ihr damit die Falschmeldungen der Bundesanwaltschaft.

Zur Abstützung der Selbstmordthese lancierte die Bundesanwaltschaft derartige Meldungen, die als Selbstmordmotiv Ulrike Meinhofs fungieren sollten. Bereits wenige Stunden nach ihrem Tod ließ die Bundesanwaltschaft eine diesbezügliche Pressemitteilung verbreiten.
Sowohl Schreitmüller (Regierungsdirektor, stellvertretender Leiter der JVA Stammheim) als auch Henck (Regierungsmedizinaldirektor, Gefängnisarzt der JVA Stammheim) erklärten entschieden, dass von der Anstalt nichts an Informationen, Berichten usw.- weder offiziell noch inoffiziell- zu dieser von der Bundesanwaltschaft verbreiteten Meldung von Spannungen und Entfremdungsprozessen innerhalb der Gruppe rausgegeben worden wäre. Beide sagten, dass sie dies auch gar nicht gekonnt hätten, weil es dafür keinen Beleg oder Hinweis gegeben hätte, da diese "Spannungen" nie existiert hätten.

Auch dem baden-württembergischen Justizminister Bender war davon nichts bekannt.
Kaul, ein Bundesanwalt, der mit dem Verfahren nichts zu tun hatte, sprach bereits zwei Stunden nach dem Bekannt werden des Todes von Ulrike Meinhof gegenüber der Presse von "Spannungen innerhalb der Gruppe". Briefe von Ulrike Meinhof- vorgeblich aus ihrem Nachlass- sollten dies beweisen. Später stellte sich dann heraus, dass diese Briefe nicht nach ihrem Tod gefunden worden waren, sondern aus Beschlagnahmungen bei Zellendurchsuchungen von 1973 bis 1975 stammten. Die Briefe wurden am Nachmittag des 10.Mai einem Journalisten während der Justizpressekonferenz in Karlsruhe zugespielt und nach dem Druckerstreik im Rahmen einer vorbereiteten Kampagne in verschiedenen überregionalen Zeitungen und später im Stern plaziert. Generalbundesanwalt Buback nannte das "offensive Information". "Es kommt darauf an, wie, wann und welche Informationen weitergegeben werden" (FAZ, 22.2.75).

Auch in eurer Sendung findet sich kein Hinweis darauf, wann die Briefe geschrieben wurden.
Im Beitrag, der z.B. in der Frankfurter Rundschau abgedruckt wurde und die Selbstmordthese untermauern sollte, wurden nur Fragmente herangezogen (genau wie in eurem Film) - allein aus dem Nachlass Ulrike Meinhofs existieren 1200 Briefe, Protokolle etc.- weil die Briefe in der authentischen, d. h. ungekürzten und nicht aus dem Zusammenhang gerissenen Fassung das Gegenteil von dem beweisen, was der Staatsschutz suggerieren wollte.

10. Direkt zum Tod von Ulrike Meinhof:

O-Ton RBB: "In der Nacht vom 8. zum 9.Mai 1976 nimmt sich Ulrike Meinhof das Leben. Es ist der Jahrestag des Kriegsendes und- es ist Muttertag."

Was soll der Hinweis auf den Muttertag? Noch ein Beweis mehr, welch` schlechte Mutter Ulrike Meinhof war? Aber davon abgesehen: Konntet ihr diese Frage nicht wenigstens offen lassen, anstatt euch zum Staatsbüttel zu machen?

Es gibt den "Bericht der Internationalen Untersuchungskommission", in dem detailliert nachgewiesen wird (medizinisch und kriminalistisch) dass es kein Selbstmord gewesen sein kann (s. Kopien der Kurzzusammenfassung). Noch bevor die ersten Untersuchungsergebnisse überhaupt eingingen, erfolgte durch das Justizministerium eine Festlegung auf die Selbstmordthese, was auch der Presse mitgeteilt wurde. Dieses wurde wiederholt beim Tod der Gefangenen in Stammheim am 18.10.77.

Außerdem ist bekannt, dass Ulrike Meinhof in den letzten Monaten vor ihrem Tode insbesondere an folgenden Themen gearbeitet hat: Russische Oktoberrevolution, Dritte Internationale, Geschichte der BRD, Geschichte der SPD, Funktion der BRD in der imperialistischen Kette.

Die Beiträge zu diesen Themen hatte sie in einem schweren Aktendeckel aus Kunststoff aufbewahrt, den sie auch bei Besuchen mit sich trug, um die Schriftstücke vor der Einsicht durch den Staatsschutz zu schützen. Bei der Übergabe der Unterlagen an den Testamentsvollstrecker befanden sich in diesem Aktendeckel keinerlei Manuskripte, sondern lediglich wenige Gerichtsbeschlüsse und Zeitungsausschnitte, Das gleiche Muster wiederholte sich nach der Bekanntgabe des Todes von Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader.

Zwei Tage vor ihrem Tode wurde Ulrike Meinhof von dem italienischen Rechtsanwalt Giovanni Capelli besucht. Dieser erklärte auf einer Pressekonferenz am 9.Mai 1976 in Stuttgart, dass er Ulrike Meinhof am 6.Mai d.J. "aufgeschlossen für alle Themen" erlebt habe. "Wir verabredeten, dass wir uns bald wieder sehen. Sie hat sich verhalten wie jemand, der leben will".


Quellenangabe:

  • Ulrike Meinhof: Die Würde des Menschen ist antastbar
    Aufsätze und Polemiken
    Wagenbach (2004)
  • Rote Armee Fraktion: Das Konzept Stadtguerilla
  • Bericht der Internationalen Untersuchungskommission: Der Tod Ulrike Meinhofs
    Hrsg.: B.A.M.B.U.L.E.
    Unrast - Reprint: (2001)
    Dieser Text wurde im neuen Gefangenen Info 314 veröffentlich. In dieser Zeitschrift sind weiterer Artikel veröffentlich zu:
    - zu Rene
    -zu Anti-G8 Kriminalisierung
    - zu USA-Gefangenen
    Adressse: GNN-Verlag Neuer Kamp 25 20359 Hamburg Kostet 1,55EUr
    Im Netz: www.political-prisoners.net
     

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien am 01.08.2006 um 13:52 bei Indymedia.