Gegen Armut, Abhängigkeit und soziale Ausgrenzung
Zum selbstbestimmten Leben soziale individuelle Rechte für alle


PE des
Runden Tisches der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen

7/8-06

trend
onlinezeitung

Mit Arbeitslosengeld II (Alg II) können viele Menschen nicht mehr menschenwürdig leben. Eingeschränkte Lebensführung, Hunger, soziale Kälte, Verschuldung, Nulltarifarbeit, Arbeitsdienst und Vertreibungen aus der Wohnumgebung sowie Verlust sozialer Bindungen sind massenhafte Erscheinungen. Sie resultieren aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II), aus einer eklatanten Rechtsunsicherheit durch den Verwaltungsvollzug der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende und aus den Ergebnissen der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung.

Obwohl das SGB II bereits zu übermäßigen Verschlechterungen der sozialen Lebenslage der Alg II-Beziehenden geführt hatte, hat die schwarz-rote Bundesregierung bereits das 2. Mal in diesem Jahr das Gesetz verschärft und die Daumenschrauben für die erwerbslosen Hilfebedürftigen und ihre Familien weiter angezogen. Nesthockerpflicht, verringerte Regelleistung für junge Leute unter 25 Jahren, voller Unterhaltsrückgriff, Abschaffung von Mietschuldendarlehn für GeringverdienerInnen, kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II für arbeitssuchende EU-AusländerInnen sind einige Stichworte der Gesetzesänderung vom 17.Februar 2006. Trotzdem haben CDU/CSU in trautem Schulterschluss mit der SPD das Gesetz zu Lasten breiter Bevölkerungsgruppen "fortentwickelt".

Ab 1. August 2006 wird das sogenannte Hartz IV-Gesetz "optimiert". Konkret sollen mehr als 300.000 Bedarfsgemeinschaften aus dem Leistungsbezug des Alg II entfernt werden. Die Methoden sind grundgesetzwidrig. Im Amtsdeutsch heißen sie "Beweislastumkehr bei eheähnlichen und gleichgeschlechtlichen lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften", "Prüfdienste", Schonvermögensreduzierung von 200 Euro pro Lebensjahr auf 150 Euro pro Lebensjahr, "Zusicherung der Mietkaution durch den künftigen, örtlichen Träger", "Kinderzuschlag" usw. Dadurch werden vielen Menschen soziale individuelle Rechtsansprüche entzogen, die Unversehrtheit der Wohnung verletzt, das Privateigentum enteignet, die Freizügigkeit eingeschränkt und die Schwelle des soziokulturellen Existenzminimums weiter nach unten verschoben. Der bundesdeutsche Staat als Garant der sozialen Grundrechte in der Verfassung entledigt sich dieser Garantien, er verschiebt sie in die Verantwortung der Menschen und der Gemeinschaften, in de
Zwangsehe, Beziehungsspione, Vermögensraub, Wegzugssperre, Räumung

Der doppelte Beziehungs-TÜV droht sämtlichen Formen des Zusammenlebens ab 1. August 2006. Für Kontaktkartierungen werden zunächst strafbewehrte Erklärungen abverlangt. Betttuchschnüffler, Schmutzwäscheinspektoren, Badagenten, Kühlschrankspitzel und Wäscheschrankspione durchsuchen anschließend die Wohnungen nach Indizien für eine Einstandsgemeinschaft. In Berlin und anderswo werden dazu vorsorglich schon mal Bescheide versandt, auf denen die Sozialleistungen der Betroffenen empfindlich reduziert oder ganz eingestellt werden. Zur Kasse gebeten werden Vermieter in Wohnungen, Eltern, Freunde, WG-MitbewohnerInnen, Angehörige. Für Pflegeeltern werden Pflegeleistungen für Kinder eingeschränkt. Stiefeltern sollen künftig für die neue Beziehung und deren Kinder aufkommen.

Alg II und Sozialgeld wird bei Bedarfsgemeinschaften von NiedriglöhnerInnen gespart. Die Familienkasse prüft, ob die vorrangige Leistung "Kinderzuschlag" nach dem Bundeskindergeldgesetz in Frage kommt. Wo Lohn bzw. Gehalt nur für die Erwachsenen ausreicht, besteht die Gefahr, dass Familien unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben müssen. Den "Kinderzuschlag" erhalten sie nur bei "zumutbaren Anstrengungen" - und der ist kleiner als Sozialgeld plus anteilige Unterkunftskosten.

Um jeden Preis jobben sollen auch Selbständige mit dürftigen Einkommen, Beschäftigte mit Minilöhnen und -gehältern, Jugendliche nach Ausbildung oder Studium u.a., wenn sie mehr als 2 Jahre weder aus dem SGB II noch aus dem SGB III Leistungen erhielten. Um sie vom Arbeitslosengeld II fernzuhalten, sollen sie gleich bei der Antragstellung einen unsäglichen Job aufgebrummt kriegen.

Taschendiebstahl wird bei rund 10.000 Alg II-BezieherInnen durchgeführt. Denn die Schonvermögen werden von 200 Euro pro Lebensjahr auf 150 Euro pro Lebensjahr reduziert. Eine Übergangsregelung für Bestandsfälle existiert nicht. Im schlechtesten Fall müssen ALG II-Beziehende mit jetzt ausgeschöpftem Schonvermögen damit rechnen, dass ihnen ab 1.1.2007 ein Rückzahlungsbescheid von 5 Monaten Alg II droht, der Folgeantrag abgewiesen wird und kein Geld auf dem Konto ist. Denn – wegen der Mitwirkungspflicht hätten Betroffene den Verbrauch ihres Schonvermögens oder einen vorübergehenden Austritt aus dem Alg II selbst dem Amt anzeigen müssen und nach dem Aufbrauchen des überzähligen Geldes einen Neuantrag stellen müssen.

In teurere Wohnungen innerhalb der jeweiligen kommunalen Mietobergrenzen zu ziehen, ist Alg II-Beziehenden verboten; auch wegen besser Wohnumgebung bekommen sie kein grünes Licht zum Umzug. Schönere Gegenden sind völlig passé, denn neuerdings müssen die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende im künftigen Verwaltungsbezirk, im anderen Stadtbezirk oder in der neuen Stadt die Zusicherung für die Übernahme der Mietkaution geben. Und wieso sollten sie ihre Armutsbevölkerung vergrößern und dazu noch durch Kredite aus den knappen Kommunalfinanzen? Durch die Neuregelungen zu den Kosten der Unterkunft geraten viele Hilfebedürftige in einen Teufelkreis. Sie sollen die Kosten der Unterkunft und Heizung verringern. Doch sie dürfen nur billigere Wohnungen finden. Wohnungen unterhalb der kommunalen Mietobergrenzen sind aber kaum zu haben. Die Nachweischancen für die Unmöglichkeit der Minderung der Unterkunfts- und Heizkosten werden gerade bundesweit durch rechtswidrige Aufforderungen ausgehebelt. N
Um den massiven juristischen Widerstand der erwerbslosen Hilfebedürftige zu bremsen, die in wachsendem Umfang bei den Sozialgerichtsverfahren auch noch Recht bekommen, sollen demnächst Sozialgerichtsgebühren verlangt werden.

Während die einen Kohldampf wegen Notstand am Brotstand schieben, verdient sich ein kleinerer Bevölkerungsteil eine goldene Nase. Diese Entwicklung nehmen wir nicht kampflos hin!

Für ein Ende der Bescheidenheit!

Infos zu Beratungsstellen, RechtsanwältInnen und sozialen Aktionsbündnissen unter:

Am Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen arbeiten mit: Arbeitslosenverband Deutschland e. V. (ALV), Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen e. V. (BAG SHI) , Europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung (Euromärsche), Koordinierungsausschuss gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen(KOA), landesweite und regionale Koordinationen und Erwerbsloseninitiativen, bundesweite Arbeitslosenzeitung quer, ver.di Landesbezirkserwerbslosenausschüsse Niedersachsen/Bremen, Hessen, u.a., Arbeitsloseninitiative Thüringen, Bundesbetroffeneninitiative wohnungsloser Menschen BBI e.V./

V.i.S.d.P. Anne Allex, 10243 Berlin.

Die Mitglieder am Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen, Kassel, Juli 2006
 

Editorische Anmerkungen

Der Text erhielten wir von einem Mitglied zur Veröffentlichung.