Rezension
Neues aus der Friesenforschung

von
Helmut Höge

7/8-06

trend
onlinezeitung

"Friesenblut" ist ein Buch über Friesen - von einem Friesen. Der Germanist Olaf Schmidt lebte die ersten 20 Jahre seines Lebens auf Föhr - und dort spielt auch sein Roman. Man sagt, die Friesen sind den Künsten eher abgeneigt - bis auf die Mathematik. Das komme von ihrer händlerischen Lebensweise - seit dem Megalithikum bereits, die zudem immer wieder ins Piratische lappte. Man könnte sie aber auch als seefahrende Viehhirten bezeichnen - die übrigens keinen Volksstamm bilden, sondern wie die Schweizer eine Art Eidgenossenschaft. Aber anders als diese waren sie immer frei (jedenfalls bis die verdammten Preußen kamen).

Zu Zeiten Karls des Großen erledigten sie zusammen mit den Juden den Handel für das Reich - bis nach Bagdad hin. Um 1230 wird ihnen quasi offiziell bescheinigt: "omni jugo servitutis exuti" - sie haben das Joch der Knechtschaft verlassen. "Seltsam nahm sich Friesland unter den deutschen Territorien aus", schreibt der westfriesische Historiker I. H.
Gosses: "Kein Graf, keine Lehnsleute, fast keine Ritter, keine Unfreien, keine ummauerten Städte; ein Land freier Bauern." In dem die "Amtsgewalt nicht von oben - von einem Grafen, der den König vertritt, sondern von unten, aus der Rechtsgemeinde" hervorgeht, deren Bemühungen schließlich in das kodifizierte "Lex Frisiorum" (friesische Recht) münden.

Auch in dem in der Gegenwart spielenden Roman von Olaf Schmidt, der heute als Redakteur beim Leipziger Stadtmagazin "Kreuzer" arbeitet, spielt die friesische Geschichte eine große Rolle. Nicht nur in Nebenbemerkungen wie diese - über das Tourismusgeschäft der Föhrer: "Das kleine Volk der Inselfriesen hatte weiß Gott seinen Beitrag zur Ausplünderung der Welt geleistet. Jetzt fuhr man eben nicht mehr auf Beute hinaus, der Reichtum kam von selbst. Was hatte sich schon wirklich geändert?"

Die Hauptfigur des Buches ist ein auf die Insel Föhr zurückkehrender junger Kunsthistoriker namens Anselm, der dort Material für seine Doktorarbeit über den 1839 gestorbenen und von der Kunstwelt eher gering geschätzten Föhrer Maler Oluf Braren sammeln will, wobei er an den Forschungen eines jüdischen Kunsthistorikers anknüpft, der 1936 auf die Insel gekommen war und dann von den Nazis umgebracht wurde.

Anselm verbindet eine alte Freundschaft mit dem Inselpfarrer, der einmal Anti-AKW-Aktivist war. Er hat von einem bisher unbekannten Bild des Malers erfahren, das sich im Besitz einer Föhrerin befindet, die es erst jüngst von ihrer in den Dreißigerjahren nach Amerika ausgewanderten älteren Schwester erbte. Auch der "Föhringer Verein" ist an dem Bild interessiert, denn Oluf Braren wird vom Vereinsvorsitzenden "für den einzigen Künstler von Rang" gehalten, "den unsere Heimatinsel je hervorgebracht hat". Aber noch bevor er oder Anselm sich über das Bild hermachen können, ist es verschwunden - gestohlen. Das verleiht dem Roman den Schwung eines Krimis. Dieser wird jedoch immer wieder ausgebremst, dadurch dass parallel zur Aufklärung des Gemäldediebstahls, ausführlich die Lebensgeschichte des Malers erzählt wird.

An der Bildspurensuche beteiligt sich bald auch noch - gegen Exklusivrechte - der Inselreporter, der gewissermaßen auf die Nazizeit in der Föhrer Geschichte spezialisiert ist. Wie der Pfarrer hält auch er den Heimatverein für eine "reaktionäre Bagage".

Ein Buch - vom Vater des Vereinsvorsitzenden verfaßt - hatte bereits den Titel "Friesenblut". Und so ist dieser Roman jetzt von Olaf Schmidt, mit dem selben Titel, auch eine ironische Antifa-Antwort darauf - sowie gleichzeitig eine Erinnerung an die Juden einst auf der Insel, die
zumeist Touristen waren: "Wyk [auf Föhr] war kein antisemitisches Seebad. Aber als die Nazis dann hier das Sagen hatten, war man sofort tausendprozentig."

Eine Ausnahme bildete jene Inselminderheit, die 1920 beim Volksentscheid für den Anschluß Föhrs an Dänemark stimmte. Einer von ihnen lebt noch heute. Er ist immer noch davon überzeugt, "dass damals nicht alles "mit rechten Dingen zugegangen sei" und dass "die Friesen weder deutsch noch dänisch sind, sie sind etwas Eigenes für sich. Doch von alters her haben sie zu Dänemark gehört und sind damit immer zufrieden gewesen". Selbst
der Festlandfriese Theodor Storm konnte sich 1864 nicht recht über die "Befreiung" seiner "Husumerei" durch die Preußen freuen - obwohl ihn die Dänen zuvor ins (preußische) Exil getrieben hatten. Der erste "Friesenblut"-Roman - "Ein Nordseebuch von Schutz und Trutz" - war unter anderem dem neuerlichen Kampf gegen die "frechen Dänen" nach 1918 gewidmet.

Diese ganzen Geschichten, nebst die einiger Eskimos, die es zu Hochzeiten der Walfängerei von der dänischen Kolonie Grönland nach Föhr verschlagen hatte, wirken bis heute nach unter der neobanalen Ferienoberfläche der Insel (wobei die aus der dort vor 15.000 Jahren existierenden Hochkultur noch ganz frisch in Erinnerung sind, während
andererseits die Nazizeit schon "sehr lange her" ist). All diese Widersprüche werden von den drei nach dem verschwundenen Bild fahndenden Protagonisten des Autors als Heimatforscher nach und nach ans Licht gezerrt. Einem Kapitel hat er das Motto eines Heimatforschers vom Festland aus dem Jahre 1865 vorangestellt: "Wollte und dürfte ich die
Geheimnisse der Föhrer und namentlich der Föhrer Nachtschwärmer und Finsterlinge aufdecken, so müßte ich lange Kapitel schreiben."

Das genau hat Olaf Schmidt nun getan. In einer Rezension seines Inselkrimiromans verbietet es sich jedoch, aufzudecken, wie er ausgeht. Ein Kritiker nannte sein Werk "ein sprachmächtiges Epos über ein Provinzgenie". Dem möchte ich zuletzt aber doch noch widersprechen, denn ein Schriftsteller ist im Gegenteil jemand, der Probleme mit dem
Schreiben hat - und Olaf Schmidt hat sich bei seinem Erstling "Friesenblut" jede Menge davon gemacht. Als küstennaher Heimatforscher hat er dabei zugleich gekonnt die Dialektik von Erden (bzw. In See Stechen) und Abheben berücksichtigt.
 

Editorische Anmerkungen

Olaf Schmidt: "Friesenblut", Eichborn-Verlag, Berlin 2006, 271 Seiten
Den Text erhielten wir von Helmut Höge zur Veröffentlichung.