Widersprechen Sie nicht Abdelaziz Bouteflika ! Der Mann schätzt
keine Widerrede. Die drei Parteien seiner « Präsidentenkoalition
», die Algerien regiert, haben sich diese Devise längst zu
Herzen genommen: die ehemalige antikoloniale Befreiungsfront und
spätere Staatspartei FLN, die Karrieristenvereinigung RND («
Nationale demokratische Sammlung ») und die legale islamistische
Partei MSP-Hamas. Inzwischen sprechen die drei Parteien nicht
mehr von ihrem Programm, von dem vor Jahren einmal die Rede war,
sondern setzen sich offiziell « die Umsetzung des Programms des
Präsidenten Bouteflika » zum Ziel. Und kommt es doch zum Händel
zwischen den Parteien, etwa jüngst zwischen dem FLN und dem RND,
dann dreht dieser sich eher darum, wer die Vorgaben des Chefs am
besten umsetzt.
An
diesem Mittwoch wird sich erweisen, wer dabei das bessere
Händchen hatte. Wie alljährlich in Algerien wird der « Tag der
Unabhängigkeit und der Jugend » gefeiert. Am 5. Juli 1830
landeten die französischen Eroberertruppen in Sidi Fredj in der
Nähe von Algier, und am 5. Juli 1962 wurde das Land nach
achtjährigem Befreiungskrieg von der Kolonialmacht aus dem
Norden unabhängig. Grund genug zum Feiern oder Gedenken, möchte
man meinen. Doch in diesem Jahr dient der nationale Festtag vor
allem dazu, Bouteflikas neue Ambitionen zu verkünden. Die
Verfassung soll in Bälde geändert werden; wahrscheinlich im
August soll zu diesem Zweck ein Referendum einberufen werden,
das dann innerhalb von 45 Tagen abzuhalten ist.
Übergang zum strikten Präsidialregime
Die Änderungen am Verfassungstext sollen ein neues
Präsidialregime absegnen, das Bouteflika tatsächlich oder
vermeintlich auf den Leib geschneidert ist. Der FLN hatte im
Vorfeld einen konkreten Entwurf dafür vorgelegt, während der RND
sich bedeckt hielt. Man werde den Änderungsvorschlag
unterstützen, « wenn er vom Präsidenten kommt », hielt man dort
den Kollegen vom Front de Libération Nationale entgegen – aber
bitte keinen Übereifer! Dahinter steckt, dass die konkurrierende
Partei nicht ganz so weit gehen möchte - hätte sich doch auch
ihr Chef Ahmed Ouyahia ursprünglich gern als Nachfolger des
Amtsinhabers platziert und am liebsten in Ruhe auf dessen Abgang
in einigen Jahren gewartet. Doch daraus wird nichts: Ouyahia
wurde in der letzten Maiwoche als Premierminister abserviert und
durch einen FLN-Politiker ausgetauscht, der als besonders
willfährig gegenüber Bouteflikas persönlichen Ambitionen gilt,
nämlich den früheren Außenminister Abdelaziz Belkhadem.
So viel wurde schon vorab bekannt: Die bisher bestehende
verfassungsrechtliche Regel, die nur zwei Amtszeiten für das
Staatsoberhaupt zuließ, wird fallen. Der 69jährige Präsident
könnte sich damit eine dritte, vierte und auch fünfte
Amtsperiode genehmigen. Ob es wirklich dazu kommen wird, wird
jedoch von vielen Beobachtern mit einem Fragezeichen versehen.
Kaum umstritten ist, dass Bouteflika an einer Krankheit leidet,
über deren tatsächliche Schwere aber nichts Konkretes bekannt
ist. Offiziellen staatlichen Verlautbarungen zufolge fehlt ihm
nichts. Aber verdächtig ist schon, dass er im vorigen November
und Dezember anderthalb Monate lang in einem Pariser Krankenhaus
lag, ohne dass viele Informationen nach außen drangen –
angeblich nur wegen eines Magengeschwürs, aber mit zunehmender
Länge seines Aufenthalts sank bei den Algeriern der Glaube an
diese Version. Am 19. April wurde er überraschend erneut in
einem Pariser Armeekrankenhaus stationär behandelt. Angeblich
handelte es sich nur um eine Routineuntersuchung. Auffällig war
jedoch, dass Bouteflika erst Tage zuvor Frankreich erneut verbal
angegriffen hatte aufgrund der Versuche konservativer Politiker,
die Kolonialära ideologisch zu rehabilitieren. Dabei hatte
Bouteflika auch zu schrillen Tönen gegriffen, indem er
Frankreich eines « kulturellen Genozids » anklagte und damit
einen höchst fragwürdigen Gebrauch des Völkermordbegriffs
machte. Offenkundig war seine Einlieferung in eine französische
Klinik also zu dem Zeitpunkt nicht geplant. Rechte Politiker
zögerten auch nicht, den in ihren Augen bestehenden Widerspruch
auszuweiden. « Erst beleidigt er unser Land, und dann lässt er
sich wenige Stunden später bei uns behandeln » tönte etwa der
Nationalkonservative Philippe de Villiers.
Manche Beobachter meinen denn auch, Bouteflika wolle « im Amt
sterben », sei es vor oder nach der nächsten Präsidentenwahl von
2009, und so definitiv als Staatschef in die Geschichte
eingehen. Davon könnte Belkhadem profitieren, der
voraussichtlich seine eigene Position durch die geplante
Verfassungsänderung aufbessern kann. Denn zumindest der
FLN-Vorschlag sieht auch die Schaffung eines Vizepräsidentenamts
ähnlich wie in den USA vor: Sobald der Amtsinhaber ausfällt,
übernimmt der Vizepräsident die Staatsgeschäfte. Dagegen würde,
folgt Bouteflika diesem Schema, der Premierminister – derzeit
laut Verfassung « Chef der Regierung » - auf den Rang eines
bloßen Fachministers mit bloßer Koordinierungsaufgabe herab
sinken. Unter Umständen könnte so der Vizepräsident zum
wirklichen starken Mann im Staate werden. Und für diesen Job ist
Belkhadem im Gespräch.
Der Softcore-Islamist als Gewinner ?
Seine Ernennung als Premierminister und seine mutmaßlichen Pläne
bildeten, als er ins Amt kam, in den Augen der algerischen
Presse ein brisantes Politikum. Präsident Bouteflika hatte ihn
bereits im August 2000 zum Premierminister ernennen wollen. Aber
damals scheiterte er am Einspruch der ranghöchsten Militärs, die
ihm klar beschieden, eine Einsetzung des Mannes in das höchste
Regierungsamt komme nicht in Frage. Denn 1992, kurz vor Ausbruch
des Bürgerkriegs, hatte der damalige Parlamentspräsident
Belkhadem sich klipp und klar für eine Regierungskoalition
zwischen dem FLN – dessen konservativem Flügel er angehörte –
und der « Islamischen Rettungsfront » FIS, welche die
Parlamentswahl gewonnen hatte und kurz darauf verboten wurde,
ausgesprochen. Belkhadem gilt als « barbéfélén » (bärtiger
FLN-Mann), also Vertreter der islamo-nationalistischen Strömung
innerhalb der früheren Einparteispartei. Seine jüngste Ernennung
wurde durch die algerische Tageszeitung Liberté mit der
Amtseinführung des türkischen Softcore-Islamisten Recep Tayyip
Erdogan – der just am Tag davor auf Staatsbesuch in Algier
weilte - verglichen. Dieser kann seit 2002 mit Billigung des
Establishments regieren, nachdem die türkischen Generäle härtere
Versionen des Regierungsislamismus unter Führung von Necmettin
Erbakan in den Vorjahren ausgebootet hatten.
Manche algerische Journalisten argwöhnen, Bouteflika bereite so
längerfristig einer Rückkehr der radikalen Islamisten in
Algerien den Boden, um sich in seinem persönlichen Machtstreben
auf diese stützen zu können. Dabei verweisen dieselben auch auf
die Amnestieregelung, die seit Ende Februar schrittweise in
Kraft getreten ist und die es bisher 2.200 islamistischen
Häftlingen erlaubt hat, aus den Gefängnissen frei zu kommen. So
kam im März 2006 auch der ehemalige Chefideologe des FIS, Ali
Belhadj, auf freien Fuß. Kurz darauf tauchte Belhadj wieder am
Gefängnistor auf, nämlich am 11. März, um einen anderen
entlassenen Häftling in der Freiheit zu begrüßen: den 1993
verhafteten Abdelhak Layada, der damals zu den ersten nationalen
« Emiren » oder Befehlshabern der GIA (Bewaffnete islamische
Gruppen) zählte.
Damit drehte Ali Belhadj kurzerhand der - auch unter einigen
europäischen Linksintellektuellen in der Vergangenheit beliebten
– Legende den Hals um, wonach die GIA in Wirklichkeit durch die
algerische Armee oder Geheimdienste gegründet worden seien und
angeblich nichts mit den politisch organisierten, radikalen
Islamisten in dem nordafrikanischen Land zu tun hätten. In dem
längeren Interview mit Ali Belhadj, das die Pariser Abendzeitung
‘Le Monde’ am 04. April dieses Jahres abdruckte, leugnet der
ehemalige Chefideologe des algerischen Islamismus seinen Empfang
für den ehemaligen GIA-Kämpfer am Gefängnistor auch überhaupt
nicht. Er beruft sich lediglich darauf, dass die blutrünstigsten
Taten der GIA erst nach 1993, also später als die Verhaftung
Layadas, verübt worden seien.
Das trifft insofern auch tatsächlich zu, als die
Kollektivmassaker der GIA an der Zivilbevölkerung ganzer
Stadtteile oder Dörfer vor allem auf den Zeitraum 1996 bis 98
fallen. Aber bereits 1993 hatten die GIA beispielsweise ein
Dutzend kroatische Bauarbeiter in Nordostalgerien massakriert,
nachdem diese zuvor von ihren bosnischen Kollegen – die als
Muslime verschont blieben – getrennt worden waren. Ihnen wurde
die Kehle durchschnitten. Auch italienische Seeleute in der
Hafenstadt Jijel und eine mit einem Algerier verheirateten
Russin hatten die GIA bereits 1993 ermordet. Die altbekannte,
von halblinken Intellektuellen und Islamisten-Verstehern wie dem
emeritierten Kasseler Professor Werner Ruf gerne landauf landab
wiederholte Behauptung, wonach die GIA eine Geheimdienstkreation
seien und die organisierten Islamisten nichts mit dieser
Mordbrennertruppe zu tun hätten, ist damit aber auf alle Fälle
(als ernst zu nehmende Erklärung) vom Tisch!
Davon zu sprechen, Bouteflika verhelfe dem radikalen Islamismus
zu einem Wiederaufstieg ähnlich jenem zu Anfang der neunziger
Jahre – denn diesen Vorwurf formulieren kleine Teile des
algerischen politischen Establishments – verfehlt dennoch die
Realität. Denn Bouteflika ging es bei der Amnestieregelung vor
einigen Monaten nicht um die Rehabilitierung der ehemals
bewaffnet oder politisch agierenden Islamisten, sondern darum,
durch einen von oben verordneten « Schlussstrich » auf
autoritäre Weise für Ruhe im Lande zu sorgen. Sich selbst wollte
er als den großen Einiger der vormals gespaltenen Nation, der
gegen alle Widerstände die Gräben zuschüttet, profilieren. In
seiner letzten öffentlichen Ansprache vor dem Nationalfeiertag,
am vorletzten Sonntag (25. Juni) erklärte
Bouteflika im Hinblick auf die Amnestierten: « Vergessen wir
nicht, dass ein Krimineller ein Krimineller ist. Er muss sich
daran erinnern, dass er ein Krimineller bleibt », dem « das
algerische Volk Pardon erteilt hat ». Zwar ist etwa Ali Belhadj
(Anfang der 90er Jahre ein äuberst
erfolgreicher Prediger, eine Art Mischung aus modernisiertem
Savonarola und trikontinentalem Goebbels) kein Jota von seiner
Ideologie abgerückt und bekennt in einem längeren Interview mit
’Le Monde’ vom 04. April eindeutig ideologische Farbe.
Auch der oben erwähnte ehemalige GIA-Anführer Abdelhak Layada
zeigt sich in einem jüngst durch die ‘New York Times’
veröffentlichten Interview reuelos – und bedrohend, wenn er etwa
ausführt, « die Gewalt wird wieder aufflammen, wenn die
Regierung den Islamisten nicht erlaubt, für die Errichtung des
Islamischen Staates zu wirken, von dem sie träumen. » Und: « Auber
wenn der Staat den Wunsch des Volkes erfüllt, eine Regierung zu
haben, die auf dem islamischen Gesetz basiert, wird er das Volk
dazu zwingen, sich erneut zu erheben. » (Vgl.: « Layada défie
l’Etat à nouveau », in ‘Liberté’ vom 01. Juli 2006) Aber diese
Leute dürften es nach dem Blutvergießen des vorigen Jahrzehnts
doch schwer haben, bruchlos an ihren früheren « Erfolgen »
anzuknüpfen.
Der neue Premierminister Belkhadem wäre äußerst schlecht
beraten, würde er versuchen, sich auf solche Kräfte zu stützen.
Bisher hält er sich auch politisch sehr bedeckt. Zu seiner
Regierungssprecherin ernannte er eine Frau, die ehemalige
Journalistin und Menschenrechtlerin Houria Bessa. Dies könnte
man sich bei Ali Belhadj kaum vorstellen.
Bedrohung für die Pressefreiheit! Journalisten
hinter Gittern
Auf lange Sicht hin könnte die Amtsführung des Bonapartisten
Bouteflika dennoch die islamistische Option, vielleicht,
begünstigen. Denn angesichts der zunehmend autoritär werdenden
Tendenzen und seines Hangs zum Präsidialregime würgt er
vorhandene Ansätze für pluralistische Debatte und demokratische
Bewusstseinsbildung ab, denen er die Freiräume nimmt, die es –
innerhalb bestimmter Grenzen – sogar während der finsteren Jahre
des Bürgerkriegs gab. Die pluralistische Presse etwa ließ das
Regime damals teilweise gewähren, da der Großteils der
Journalisten, auch ohne gehorsame Sprachrohre der führenden
Militärs zu sein, damals in deren Augen einen sicheren
Abwehrdamm gegen den radikalen Islamismus bildeten.
Heute dagegen möchte Bouteflika die Spielräume für Journalismus
außerhalb der Regierungslinie, die im Zuge der von unten
erzwungenen demokratischen Öffnung der Jahre 1989 bis 91
erkämpft worden waren, kaum noch tolerieren. Schon im Wahlkampf
zu Anfang des Jahres 1999, bevor er im April desselben Jahres
zum ersten Mal (nicht ohne Manipulation) ins Amt « gewählt »
wurde, hatte Bouteflika Journalisten in der Öffentlichkeit als
« tayabat al-hamam » bezeichnet, ungefähr: « Klatschweiber im
Dampfbad ». Und im Juni 2001 wurde das Strafgesetzbuch in
Angelegenheiten wie Pressedelikten, Präsidentenbeleidigung und
Schmähung der Armee drastisch verschärft. Aber vor allem in den
letzten Jahren 2004 und 2005 kam es zu einer Welle von Prozessen
gegen missliebige ‘Pressefritzen’.
Am 03. Mai dieses Jahres, dem internationalen « Tag für die
Pressefreiheit », verkündete Bouteflika laut, er erlasse nunmehr
auch eine Amnestie für Journalisten. Die Voraussetzung aber, um
in den Genuss der Präsidentengnade zu kommen, war derart eng
formuliert, dass sie in Wirklichkeit kaum jemanden betraf. Nur
definitiv, d.h. durch alle drei Instanzen hindurch verurteilte
Journalisten und Karikaturisten sollten unter den
Amnestiebeschluss fallen. Das aber betraf kaum einen von ihnen,
denn die meisten Pressevertreter waren bis dahin in erster oder
zweiter Instanz abgeurteilt worden. Der ehemalige Herausgeber
der mittlerweile geschlossenen Tageszeitung Le Matin,
Mohammed Benchicou, der Bouteflika persönlich ein Dorn im Auge
war, musste etwa seine zweijährige Haftstrafe bis zum letzten
Tag absitzen. Am 14. Juni 2006 kam er nun frei.
Widersprechen Sie nicht Abdelaziz Bouteflika !
Der Mann schätzt keine Widerrede.
ÖKONOMIE UND SOZIALES
In Vorbereitung auf den diesjährigen Unabhängigkeitstag, für den
Bouteflika seit längerem grosse Ankündigungen in Aussicht
gestellt hat, trommelten Regierung und Präsident am vorletzten
Sonntag die hohen Beamten zusammen. Der Sonntag ist in Algerien,
wo wie in anderen moslemischen Ländern der Freitag den
wöchentlichen Feiertag bildet, ein normaler Arbeitstag. An jenem
Sonntag also nutzte Bouteflika die Präsenz der versammelten
Präfekten (Walis) aus den 48 algerischen Bezirken, um die hohen
Staatsfunktionäre anzuschnauzen. Und seine Minister gleich mit.
« Die Unfähigen sollen gehen ! », rief Bouteflika mit Blick auf
beide Gruppen aus, und präzisierte: « Derjenige, der seine
Verantwortung nicht wahrnehmen kann, möge uns entschuldigen und
abtreten. »
Im Namen der « Mittellosen und der Ausgegrentzen » möge er keine
Unterschlagungen, keine Verschwendung und keine Verlangsamungen
bei der Umsetzung seines Programms mehr sehen, betonte
Bouteflika. Dadurch gab er, sich selbst zum Wortführer des
Unmuts der Bevölkerung aufschwingend, die zwischengeschaltete
Funktionärsebene die Verantwortung für die drängendsten
materiellen Probleme und machte so Schuldige als Zielscheibe für
den weit verbreiteten Zorn aus.
Gründe, um zu erzürnen, gibt es genug. Relevante Teile der
Bevölkerung leben immer noch am Existenzminimum oder sind
sozialer Perpektivlosigkeit ausgesetzt, auch wenn jetzt
Lohnerhöhungen für die Staatsangestellten und eine Anhebung des
Mindestlohns für die Kernarbeiterklasse angekündigt worden sind.
Die offizielle Arbeitslosenrate ist von 30,5 Prozent im Jahr
2000 auf derzeit 15,3 Prozent gesunken... wobei man allerdings
auch in Algerien inzwischen von den Industrieländern gelernt
hat, wie man Statistiken bereinigt. Aber die Zunahme an Jobs
scheint durchaus real, so wurden zahlreiche Arbeitskräfte im
Zuge öffentlicher Bauvorhaben eingestellt. Anders als zu Anfang
des Jahrzehnts, als bis zu drei Viertel der jungen Generation
ohne relgemäbigen
Job zu sein schienen, hat die Mehrheit der jungen Leute heute
offensichtlich irgend eine Art von Arbeit. In Pizzerias und Fast
food-Läden, im Verkauf... Offiziell hat Algerien sich jetzt für
die kommenden Jahre zum Ziel gesetzt, eine Arbeitslosenquote von
08,8 % (bis im Jahr 2009) zu erreichen. Ja, wenn denn der
Ölpreis nicht bis dahin rapide absinken sollte...
Aber der Trabendo genannte informelle Sektor dürfte nach wie
vor bis zu einem Drittel der Arbeitskräfte binden. Er umfasst
die Verteilungskanäle für die Warenüberschüsse aus Europa und
Ostasien, die reichlich – auch auf illegalen Wegen – auf den
algerischen Markt geworfen werden, sowie den informellen
Dienstleistungssektor. Vom Schuhputzer über den
Zigarettenverkäufer bis zum Grossisten, der mit Gebrauchtwagen
aus Europa handelt.
Verrottende Infrastruktur
Schlimmer noch ist aber der miserable Zustand von Teilen der
Infrastruktur, die in den Jahren niedriger Rohölpreise auf dem
Weltmarkt sowie wachsender Korruption – zuzüglich des
Bürgerkriegs in den neunziger Jahren – vor sich hin verrottete.
Nach wie vor bestehen an vielen Orten Probleme mit der
Wasserversorgung, so dass die Wasserhähne an mehreren Tagen pro
Woche trocken bleiben und bei den privaten Verkäufern von
Mineralwasser aus Plastikflaschen die Kassen klingeln. Heute
sind die Stauseen im Land zu 51 Prozent gefüllt gegenüber 46
Prozent vor einem Jahr, aber nach wie vor sind rund ein Achtel
von ihnen verschlammt. Seit 2001, als der seit dem Vorjahr
kletternde Rohölpreis dem algerischen Staat zum ersten Mal seit
Jahren wieder Investitionen in die Infrastruktur erlaubte, sind
zwar bereits einige Instandhaltungsarbeiten vorgenommen worden.
In den Jahren von 2001 bis 05 sind laut Regierungsangaben die
Investitionen in die Infrastruktur von zuvor umgerechnet 40 Euro
pro Einwohner des Landes auf 135 Euro gestiegen. Aber dies ist
nach wie vor ein Tropfen auf den heißen Stein.
Besonders ärgerlich in den Augen der Masse der algerischen
Bevölkerung ist aber, dass die Staatskassen derzeit so prall
aufgefüllt sind wie noch. Annäherend 65 Milliarden Dollar an
Devisenreserven hat die Regierung auf der hohen Kante liegen.
Diese bisher einmalige Reserve ist allein dem rapiden Anstieg
der Erdöl- und Erdgaspreise zu verdanken, denn nach dem
Scheitern des sozialistischen Entwicklungsmodells in den
achtziger Jahren hängt Algerien zu 97 Prozent vom Weltmarkterlös
dieser beider Rohstoffe ab.
Schuldenrückzahlung
Aber die algerische Politik ist beinahe besessen von der Idee,
jetzt möglichst schnell alle Schulden im Ausland zurückzuzahlen.
Insgesamt zehn bilaterale Abkommen über eine vollständige
Rückzahlung wurden in den letzten Monaten mit mehreren
europäischen Industrieländern (allein im Mai 2006 mit Portugal,
den Niederlanden, Belgien ; und zuletzt am 26. Juni mit
Schweden) abgeschlossen. Dem Gläubigerkartell des « Pariser
Clubs », der 19 Staaten umfassrt und mit dem am 11 .Mai 2006 ein
Abkommen geschlossen worden ist, wurde für den Sommer dieses
Jahres die Rückzahlung aller 8 Milliarden Euro Verbindlichkeiten
auf einen Schlag in Aussicht gestellt. Ein ähnliches Abkommen
wird für den September 2006 mit dem « Londoner Club »
angestrebt, einem anderen Zusammenschluss (dieses Mal von
privaten Gläubigern), dem Algerien eine Milliarde zurückzahlen
wird. Russlands Präsident Wladimir Putin seinerseits hatte am
10. März 2006 bei einem Besuch in Algier auf die Rückzahlung von
Verbindlichkeiten in Höhe von 4,74 Milliarden Euro – die
gegenüber Russland oder auch gegenüber der ehemaligen
Sowjetunion begründet worden waren – verzichtet. Im Gegenzug
wird Algerien für die Summe von 4,5 Milliarden Waffen in
Russland kaufen.
Die algerische Regierung hat in Aussicht gestellt, dass ihre
Auslandsschulden, die im Vorjahr bei rund 20 Milliarden Dollar
lagen, zum Ende dieses Jahres dann nur noch 5 Milliarden
betragen sollen.
Dieses Herangehen hat durchaus einen Sinn, denn es soll die seit
Jahren stets latente Drohung abwenden, dass die internationalen
Finanzinstitutionen wie der IWF Algerien seinen Kurs in der
Wirtschaftspolitik diktieren können. Denn diese Institutionen
können dem Land immer dann verbindliche Auflagen machen, sobald
es um einen Aufschub seiner Zahlungen ersuchen muss, wie etwa
1994, als – mitten im Bürgerkrieg - die erste Welle voin
Privatisierungen und damit einhergehenden Massenentlassungen auf
diesem Wege durchgesetzt wurde. Aber in Anbetracht der Summen,
um die da verhandelt wird und die zur Zeit im Staatssäckel
schlummern, sieht die algerische Bevölkerung immer weniger ein,
warum sie den als Clochardisation bezeichneten
Verarmungsprozess der letzten zwei Jahrzehnte weiterhin erdulden
sollte. Und die 55 Milliarden Dinar oder 0,5 Milliarden Euro,
die in den letzten Jahren in die Verbesserung der Infrastruktur
gesteckt wurden, nehmen sich daneben ebenfalls lächerlich aus.
Riots, Riots, Riots
Und so kommt es fast allwöchentlich zu heftigen lokalen Riots,
ausgelöst etwa durch Mangel an Trinkwasser aus der Leitung, an
menschenwürdigem Wohnraum oder durch Korruptionsfälle in der
Verwaltung. Allein im Monat Mai rappelte es in El-Maghnia nahe
der marokkanischen Grenze, in Chlef und Aïn-Defla südwestlich
von Algier, in Bordj Menaïel südöstlich der Hauptstadt, in Aïn
Beïda im Landesosten, in Annaba und Feddaoui Moussa nahe der
tunesischen Grenze. Am 6. und 7. Juni kam es in Boufarik bei
Algier und in Tébessa im äußersten Nordosten zu Unruhen.
Und erst am vergangenen Wochenende knallte es wieder heftig -
dieses Mal im Verwaltungsbezirk Tiaret, rund 300 Kilometer
westlich von der Hauptstadt Algier, im Saharaatlas. Dort war in
der Kreisstadt Ksar Chellala am Abend des 30. Juni (Freitag),
einmal mehr, der Strom ausgefallen - ausgerechnet während der
Übertragung eines Fußballspiels der WM, nämlich Deutschland
gegen Argentinien. Daraufhin zündeten junge Leute das Rathaus
und die Kreisverwaltung an und blockierten alle Zugänge zu der
Stadt mit brennenden Autoreifen. Im Laufe der Nacht klangen die
Wutausbrüche vorübergehend ab. Am Samstag (1. Juli) ging es im
Tagesverlauf wieder richtig heftig los. Sondereinheiten der
Anti-Aufstands-Polizei rückten an und vertrieben die jungen
"Aufrührer" mit Tränengasgranaten.
Mindestens eine, mutmablich
aber zwei Personen kamen im Laufe der Auseinandersetzungen zu
Tode. Der 44jährige Dahmane Laayhar war, laut
Augenzeugenberichten, die am Montag durch die Tageszeitung ‘El
Watan’ zitiert werden, durch ein Polizeifahrzeug überfahren
worden. Circa 20 Personen seien darüber hinaus bei den Unruhen
verletzt worden, hätten es aber ansonsten alle nach Hause
geschafft. Die Zeitung berichtet von einer angespannten
Atmosphäre in der ganzen Stadt während der Beerdigung, bei der
vermummte junge Demonstranten präsent gewesen seien. Der
‘Quotidien d’Oran’ vom Montag berichtet unterdessen noch von
einem zweiten Toten, einem 22jährigen, der « laut Angaben der
Polizei von einem Stein am Kopf getroffen worden sei ». Den Tod
des 44jährigen führt diese Tageszeitung dagegen darauf zurück,
dass er durch die Explosion einer Tränengasgranate in seiner
nächsten Nähe erstickt sei.
Der ‘Quotidien d’Oran’ berichtet aus Ksar Chellala, die Stadt
sei am Sonntag (einem Werktag in Algerien, wöchentlicher
Feiertag ist dort der Freitag!) wie ausgestorben gewesen, alle
Läden hätten geschlossen gehabt, während massive Polizeikräfte
die Lage überwacht hätten. Die Zeitung spricht von 16 verletzten
Polizisten, darunter drei schwer verletzten, und circa 50
Verhaftungen ; und sie präzisiert, dass bereits vor dem Ärger
über die Stromausfälle während der Übertragung des Fubballspiels
Proteste stattgefunden hätten, da mehrere Stadtteile bis zu zehn
Tage ohne Trinkwasser aus den Wasserleitungen geblieben seien.
Der Präfekt aus der Bezirkshauptstadt Tiaret, so fährt die
Zeitung fort, sei persönlich in das 120 Kilometer entfernte Ksar
Chellala gekommen, um am Schauplatz der Unruhen « die Bürger zu
beruhigen » und sein Beileid für die beiden Toten
auszusprechen.
Solche Szenen (von den Todesfällen einmal abgesehen, die eher
selten vorkommen) sind quasi alltäglich in Algerie. Aber die
Riots zeichnen sich gewöhnlich durch keine über den Tag hinaus
weisende Perspektive aus ; dennoch können sie mitunter
bedeutende Folgen haben, wie etwa im April 2002, als die durch
die Regierung angeordnete Abkehr von der kostenlosen
Gesundheitsversorgung infolge heftiger Unruhen in der
ostalgerischen Stadt Aïn Fekroun zurückgenommen wurde.
Gewerkschaftliche Kämpfe: Streik der Hochschullehrer dauert seit
6 Wochen, trotz Repressalien
Solche Ausdrucksformen sozialen Protests, die selten
strukturiert und längerfristig angelegt sind, prägen das
gesellschaftliche Bild noch mehr als die gewerkschaftlich
organisierten Kämpfe. Denn letztere können vor allem unter
Staatsangestellten und in der Kernarbeiterklasse organisiert
werden. Dennoch tut sich auch hier so manches.
Seit dem 13. Mai sind die Hochschullehrer mit ihrer Gewerkschaft
CNES im Ausstand. Die Hauptforderungen betreffen eine Anhebung
der mickrigen Löhne und die Anerkennung eines « Status für
(junge) Forscher », das es Doktoranden erlauben soll, ihre
wissenschaftliche Arbeit in geregelter Form neben ihrer
Lehrtätigkeit her fortzuführen. (Vergleichbar etwa mit dem
Assistentenstatus in Frankreich oder Deutschland.) Ferner soll
das autoritär vom Staat festgesetzte Stichdatum, wonach alle
laufenden Doktorarbeiten bis zum 31. Dezember 2006 abgeschlossen
werden müssen, um die Situation zu « bereinigen », um ein Jahr
verschoben werden. Bisher erlaubte das Fehlen eines
entsprechenden Assistentenstatus und der Zwang für die (jungen
oder auch nicht mehr so jungen) DoktorandInnen, durch
Lehrtätigkeit oder auf ihrem Wege ihren Lebensunterhalt zu
verdienen, es kaum, in angemessener Zeit ihre wissenschaftliche
Arbeit durchzuführen.
An rund 20 Universitäten fielen im Mai und Juni sämtliche
Prüfungen aus. Unterdessen lieb
die Regierung drei Gewerkschaftsfunktionäre wegen Aufstachelung
zum illegalen Streik unter Anklage stellen : Farid Cherbal und
Mustapha Mechab, regionale Koordinatoren der
Hochschullehrer-Gewerkschaft in Zentral- und in Westalgerien,
sowie Khaled Bessila in der ostalgerischen Metropole
Constantine. In Béjaïa (französisch: Bougie) in der Kabylei, der
Berberregion östlich von Algier, wurde ferner der bekannte
radikale Linke – der an der örtlichen Universität unterrichtet –
Sadek Akrour vor einiger Zeit vorübergehend festgenommen, aber
wieder freigelassen. Am vergangenen Dienstag wurde im
westalgerischen Sidi Bel Abbès der (bereits erwähnte)
CNES-Funktionär Mustapha Mechab schon zum zweiten Mal von einem
Untersuchungsrichter angehört. Streikaktivisten von einem halben
Dutzend Universitäten der Region (Oran, Mascara, Sidi Bel Abbès,
Tiaret, Mostaganem, Es-Senia...) demonstrierten zu seiner
Unterstützung und besetzten für eine halbe Stunde die
Eingangshalle des Gerichts. Im Anschluss hielten sie eine
Vollversammlung an der örtlichen Hochschule ab. Am vorigen
Wochenende (Donnerstag/Freitag in Algerien) fand in Constantine
zudem die nationale Delegiertenkonferenz des CNES statt und
beriet über den Fortgang des Streiks.
Anfang vergangener Woche bot der CNES an, die Abschlussprüfungen
für Studierende, die im letzten Semester ihres Fachs stehen und
darauf warten, die Universität verlassen zu können, trotz des
Ausstands stattfinden zu lassen. Unterdessen versucht die
Regierung, die Streikenden auszuhungern, indem sie die
Auszahlung ihrer Löhne in ihrer Gesamtheit blockiert. An der
Universität von Béjaïa, die 600 Lehrkräfte und 193 aktiv
Streikende zählte, etwa wurde 140 Hochschullehrern die
Auszahlung ihrer Gehälter im Juni vollständig gesperrt. Bei
einem Hochschullehrer zu Hause wurde bereits die
Energieversorgung durch das öffentliche Strom- und
Gasunternehmen Sonelgaz abgedreht. In Westalgerien sind 400
Lehrkräfte von der totalen Sperrung ihrer Gehälter betroffen.
Anlässlich der Delegiertentagung des CNES in Constantine wurde
jedoch beschlossen, deswegen nicht klein beizugeben. « Unser
Kampf geht über die rein materiellen Aspekte hinaus », so
zitiert die Tageszeitung ‘La Tribune’ (die dem
Hochschullehrerstreik in ihrer Ausgabe vom vergangenen Samstag
eine fünfseitige Beilage widmet, s. unter
www.latribune-online.com)
Teilnehmer an der CNES-Tagung.
Auch in den Häfen kam es zu Streiks, und in Rouiba, wo die
größte Industrienanlage des Landes steht – die
Nutzfahrzeugfabrik SNIV – demonstrierten im Mai dieses Jahres
über 10.000 Arbeiter gegen zu niedrige Löhne.
Lohn- und Rentenerhöhungen
Noch im Februar des Jahres hatte Präsident Abdelaziz Bouteflika
bei seinem Auftritt vor dem ehemaligen Einheits- und immer noch
staatsnahen gröbten
Gewerkschaftsverband, der UGTA (Union générale des
travailleurs algériens), eine allgemeine Erhöhung der Löhne
abgelehnt. Alljährlich am 24. Februar hält die UGTA eine Grobveranstaltung
mit Offiziellen ab, da die Organisation am 24. 02. 1956 – mitten
im Unabhängigkeitskrieg, und faktisch als verlängerter Arm der
Nationalen Befreiungsfront FLN – gegründet worden war.
Damals war eine spürbare Anhebung der Löhne und Gehälter noch
tabu. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte sich in
die algerische Innenpolitik eingeschaltet und erklärt, er riete
von einem solchen Vorhaben ab, das wirtschaftlich nicht seriös
sei. Die UGTA schlug sich zum damaligen Zeitpunkt nicht für eine
Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns SNMG, der 10.000
algerische Dinar (umgerechnet rund 100 Euro) beträgt, sondern
lediglich für eine Änderung des berüchtigten « Artikels 87
bis ». Diesem zufolge können diverse Lohnzusätze wie etwa
Prämien und Sonderzahlungen in die Berechnung des Lohns
einbezogen werden, wenn es darum geht festzustellen, ob die
Bestimmungen über den Mindestlohn eingehalten worden
sind. Deshalb liegen die realen Tieflöhne oft noch unterhalb des
monatlichen Satzes des SNMG (Miondeslohns).
Nunmehr hat die neue Regierung Belkhadem aber verkündet, dass
das Tabu der Lohnerhöhungen gefallen sei. Allem Anschein nach
hatte Abdelaziz Belkhadem schon zum Zeitpunkt seiner Ernennung
zum Premierminister in dieser Frage Druck auf Präsident
Bouteflika ausgeübt, dem er empfahl, angesichts der doch
ziemlich vollen Staatskassen in dieser Frage nicht länger totale
Sturheit walten zu lassen. Nicht zuletzt ging es Belkhadem
natürlich darum, schnell zu Beginn seiner Amtszeit um
Popularität zu werben.
Nunmehr sollen nach Regierungsangaben 98 Milliarden Dinar
(umgerechnt knapp eine Milliarde Euro) für Lohnerhöhungen im
öffentlichen Dienst zur Verfügung gestellt werden. Dabei ist die
Rede von Erhöhungen, die netto von 1.660 bis 5.145 Dinar (circa
16 bis 50 Euro monatlich mehr) gestaffelt werden sollen. (Vgl.
‘Liberté’ vom 27. Juni) Diese Erhöhungen betreffen zunächst
einmal die Kernkategorien der Staatsangestellten, also jene
Beschäftigtengruppen, die gleichzeitig dringend benötigte
Kompetenzen bereit halten und die ihren Interessen im Vergleich
zu anderen Gruppen noch relativ gut - in Form von
Streikbewegungen – verteidigen können. Die Tageszeitung
‘Liberté’, die in ihrer Ausgabe vom Montag (03. Juli) nähere
Details dazu ankündigt, präzisiert in ihrer Überschrift:
« Lehrer/Hochschullehrer, (Krankenhaus-) Ärzte, Polizisten,
Ingenieure und Techniker » seien hauptsächlich betroffen.
Aber auch der gesetzliche Mindestlohn SNMG soll nunmehr real
wachsen, und « jenseits der Grenze von 10.000 Dinar » (so die
Formulierung von Präsident Bouteflika) angehoben werden. Welche
Erhöhung sich genau dieser Formulierung verbirgt, bleibt bisher
noch abzuwarten. Am Dienstag (04. Juli) sollten die algerische
Regierung und der Gewerkschaftsdachverband UGTA zu einer,
‘Bipartite’ genannten, gemeinsamen ganztägigen Tagung
zusammentreten. Solche ‘Bipartistes’ finden in regelmäbigen
Abständen statt, ebenso wie ‘Tripartites’ (unter Einbeziehung
von Vertretern des algerischen Privatkapitals). Dabei soll es
dieses Mal insbesondere um die geplanten Lohnerhöhungen gehen.
Auch die Renten sollen nunmehr angehoben werden. Aber davon
sind, nach bisherigem Anschein, nur jene Pensionäre betroffen,
die mindestens 15 Beitragsjahre vorweisen und die daher ab 7.500
bis 10.000 Dinar als Rente erhalten. Die Renten unterhalb der
Schwelle von 7.500 Dinar (rund 75 Euro) dagegen scheinen nicht
berücksichtigt worden zu sein, obwohl Präsident Abdelaziz
Bouteflika zugleich verbal erklärte, es solle nicht mehr sein,
« dass Rentner (nur) 3.000 bis 4.000 Dinar » oder umgerechnet 30
bis 40 Euro pro Monat bekommen. Der Nationale Renterverband FNTR
wies darauf hin und nannte dies einen Widerspruch. Die FNTR, die
sich zunächst « global zufrieden » ob der Ankündigung von
Erhöhungen gezeigt hatte, äuberte
deswegen zuletzt ihre « Besorgnis » (vgl. ‘Liberté’ und ‘Le
Quotidien d’Oran’ vom 03. Juli). Die Anzahl der BezieherInnen
geringfügiger Renten ist nicht gering, beispielsweise aufgrund
des hohen Anteils an Beschäftigung im informellen Sektor – der
natürlich für die Rentenkassen nicht zählt – und der langen
Arbeitslosigkeitsperioden im zurückliegenden Zeitraum.
Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir
von Bernhard Schmid am 4.7.2006 zur Veröffentlichung.