Betrieb & Gewerkschaft
Panasonic schließt Esslinger Werk trotz Hungerstreik

Von Markus Salzmann und K. Nesan
7/8-06

trend
onlinezeitung

29. Juni 2006

Trotz dreimonatiger Proteste und eines mehrtägigen Hungerstreiks der Belegschaft schließt das Panasonic Bildröhrenwerk im baden-württembergischen Esslingen seine Tore. Rund 600 Beschäftigte verlieren dadurch ihren Arbeitsplatz.

Die Entscheidung, das Esslinger Werk stillzulegen, war von der Geschäftsführung der MT Picture Display Germany GmbH, einer Tochtergesellschaft des Matsushita- und Toshiba-Konzerns, bereits vor geraumer Zeit getroffen worden. Anfang 2005 wurden 300 Beschäftigte entlassen und im Februar dieses Jahres wurde die Produktion dann ganz eingestellt. Allen Mitarbeitern wurde zum 31. Juli betriebsbedingt gekündigt.

Dennoch wehrten sich die Arbeiter bis zuletzt gegen die Werksschließung. Seit Ende März campierten mehr als 500 Mitarbeiter in Zelten auf dem Werksgelände und hielten rund um die Uhr eine Mahnwache ab. Anfang Juni spitzte sich die Auseinandersetzung weiter zu. Neun Arbeiter aus dem Betrieb traten in den Hungerstreik. Wenige Tage später schlossen sich ihnen sechs weitere an. Zwanzig signalisierten ihre Bereitschaft, dasselbe zu tun.

Sie konnten aber nicht verhindern, dass am vergangenen Freitag der Vorschlag der Einigungsstelle für einen Sozialplan angenommen wurde, obwohl er nur geringfügige Verbesserungen beinhaltete. Damit wurde die Stilllegung des Werks besiegelt.

Die Enttäuschung und Verzweiflung war vielen Arbeitern und ihren Familienangehörigen ins Gesicht geschrieben. Nachdem der Hungerstreik weit über die Region hinaus Aufsehen erregt und die Streikenden von den Belegschaften anderer Unternehmen und von der Bevölkerung große Sympathie und spontane Unterstützung erhalten hatten, erwarteten viele Beteiligte ein besseres Ergebnis.

Die Konzernleitung begründet die Schließung mit dem Preisverfall bei Bildröhren auf dem Weltmarkt. Obwohl der Betriebsrat detaillierte Alternativvorschläge machte, erklärte die Geschäftsführung selbstherrlich, eine anderweitige Nutzung der Produktionsanlagen sei nicht möglich.

In Wahrheit ist die Schließung des Werkes Teil einer Konzernstrategie, die Produktion in Niedriglohn-Länder zu verlagern. In den vergangenen Jahren wurden systematisch Produktionsstätten in Osteuropa und Asien errichtet, die nun zum Einsatz kommen. Wegen des "globalen Preiswettbewerbs" kündigte der Konzern auch die Schließung eines Standortes der deutschen Tochtergesellschaft Panasonic AVC Network Germany GmbH in Peine (Niedersachsen) an. Dort stehen 151 Mitarbeiter vor der Arbeitslosigkeit.

Besonders empört sind viele Arbeiter darüber, dass der japanische Elektronikkonzern Matsushita Electric Industrial, der hinter der Markennamen Panasonic steht, zeitgleich mit dem Stilllegungsbeschluss für die Produktionsstandorte Esslingen und Peine eine deutliche Umsatz- und Gewinnsteigerung bekannt gab. Der Nettoüberschuss sei im Ende Dezember abgeschlossenen dritten Geschäftsquartal 2005/6 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 39 Prozent auf umgerechnet rund 344 Millionen Euro gestiegen und der Umsatz habe um vier Prozent auf etwa 16,8 Milliarden Euro zugenommen, teilte das Unternehmen Anfang des Jahres mit.

Trotz dieser guten Geschäftszahlen hat die Konzernleitung den Stilllegungsbeschluss durchgesetzt und versucht, den Arbeitern auch noch jeden Cent für eine Abfindung streitig zu machen. Ungeachtet des langen und erbitterten Widerstands der Arbeiter in Esslingen liegen die Abfindungssummen unter der in der Branche üblichen Höhe. So wurde der Belegschaft des jüngst geschlossenen Panasonic-Werks in Hamburg für jedes Kind zusätzlich 5.000 Euro zugestanden, in Esslingen sind es dagegen nur 1.000 Euro.

Viele Beschäftigte betrachten den jetzt ausgehandelten Sozialplan als Schlag ins Gesicht. Die meisten von ihnen haben in diesem Werk jahrzehntelang hart gearbeitet und dabei nicht selten ihre Gesundheit ruiniert. Die Abfindung nützt ihnen nur wenig, denn für die überwiegend ungelernten Arbeiter, von denen über die Hälfte ausländischer Herkunft ist, sind die Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz gering. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit droht ihnen der finanzielle Absturz, denn der Bezug von Arbeitslosengeld II ist erst dann möglich, wenn alle Ersparnisse und auch die Abfindung aufgebraucht sind.

Erbost sind die betroffenen Arbeiter aber nicht nur über das rücksichtslose Vorgehen der Geschäftsleitung, sonder auch über die Rolle der IG Metall. Trotz eines gültigen Beschäftigungssicherungsvertrags, der erst Ende Juli ausläuft, war die IG Metall schon im Februar bereit, mit Vertretern des Arbeitgeberverbandes und der Unternehmensleitung einen Vertrag über die Bildung einer so genannten "Transfergesellschaft" mit dem Namen Refugio abzuschließen.

Diese Gesellschaft existiert nur ein Jahr lang, viel zu kurz um ernsthafte Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen durchzuführen. Hinzu kommt, dass Arbeiter mit dem Wechsel in die Transfergesellschaft mehrere Monate ihrer vertraglich garantierten Beschäftigungszeit sowie den Termin ihres Kündigungsschutzes aufgeben.

Aus diesen Gründen stimmten 89 Prozent der Beschäftigten gegen die von der Gewerkschaft ausgehandelte Beschäftigungsgesellschaft und den damit verbunden Sozialplan. Die Belegschaft wolle sich so einfach "nicht abspeisen lassen", wie Betriebsratschef Murat Bozkurt sagte.

Doch die vom Betriebsrat aufgestellte Forderung nach einer verlängerten Kündigungsfrist, die eine Lohnfortzahlung wenigstens bis Ende November garantiert hätte, wurde in den Verhandlungen - auch von Seiten der Gewerkschaft - nicht einmal berücksichtigt. Stattdessen lobte die IG Metall den mit der Geschäftsleitung ausgehandelten Vorschlag und forderte die Mitarbeiter auf, in die Transfergesellschaft einzutreten.

Nachdem sich die Belegschaft mit großer Mehrheit gegen den Gewerkschaftsvorschlag ausgesprochen hatte, zog die IG Metall Esslingen jegliche Unterstützung für den Kampf der Arbeiter zurück. Ilona Dammköhler, die in der Esslinger Bezirksverwaltung der IG Metall für die gewerkschaftliche Betreuung des Betriebs zuständig ist, sagte gegenüber der Presse: "Wir haben den Eindruck, dass die Leute nur an einer hohen Abfindung interessiert sind, aber nicht an einer weiteren Qualifizierung über eine Beschäftigungsgesellschaft."

Das sagt jemand, der aus den Mitgliedsbeiträgen der Gewerkschaft ein weitaus höheres Gehalt einsteckt, als die Beschäftigten bei Panasonic je verdient haben.

Unter diesen Bedingungen war der Hungerstreik auch eine Verzweiflungstat der Arbeiter, um öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung zu gewinnen, obwohl die Gewerkschaft jede weitere Unterstützung und Solidarität verweigerte.

Unter der Überschrift "Ihr Zorn trifft auch die IG Metall" schilderte Gabriele Renz in einer einfühlsamen Reportage für die Frankfurter Rundschau Mitte vergangener Woche die Stimmung vor dem Werkstor. "Nur mühsam kann Caner Ögüz die Augenlider heben. Geschwächt liegt der 40-Jährige auf der Liege vor dem windschiefen Zelt der Mahnwache. Auch ein Brief seiner neunjährigen Tochter (‚Papa, ich will Dich nicht verlieren’) konnte ihn nicht dazu bewegen, den Hungerstreik abzubrechen. Sein Kollege Tayyar Recep, der am fünften Tag des Hungerns vom Betriebsarzt ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sitzt auch wieder da. Bei den 14 anderen. Die 15.000 Euro Abfindung für zwölf Jahre Röhrenmontage bezeichnet er als ‚Bonbongeld’. ...

Vor allem die Gewerkschaft habe sie im Stich gelassen, klagen die matten Männer auf den Liegen. ‚18 Euro im Monat - wofür?’, fragt Ögüz. ‚Was würden sie zu unseren Kindern sagen: Ich habe für Deinen Vater gekämpft oder mich verdrückt?’ Noch hält Betriebsrat Özcan die mehr als 400 Austrittsanträge zurück. Sollte sich kein Gewerkschafter ‚blicken lassen’, waren er und seine Mitstreiter die längste Zeit Metaller."

Gegenüber der World Socialist Web Site sagte der Betriebsrat Fahrettin Özcan: "Ich werde aus der IG Metall austreten. Die Gewerkschaft hat unseren 115 Tage langen Kampf vollständig ignoriert. Immerhin haben wir durch unseren Kampf 5,5 Millionen Euros mehr herausgeholt als das gewerkschaftliche Verhandlungsergebnis. Die Behauptung von Ilona Dammköhler und anderen IG Metall-Funktionären, wir hätten nicht für die Arbeitsplätze sondern nur für eine möglichst hohe Abfindung gekämpft, ist wirklich unverschämt. Es ging uns an erster Stelle immer um die Arbeitsplätze. Jeder hier weiß das. Aber was sollen wir denn machen, wenn die Konzernleitung gegen jeden Widerstand die Werksschließung durchsetzt. Dann müssen wir für eine Abfindung kämpfen, wie sie auch an anderen Standorten gezahlt wird.

Im Übrigen stimmt es nicht, dass nichts mehr zu machen gewesen sei, wie die IG Metall behauptet, weil die Produktion schon eingestellt worden sei. Es gibt andere Werke des Konzerns in denen gearbeitet wurde, und dort hätte man streiken können."

Mustafa Toktepe(49) ist Türke und wirft der IG Metall und der Geschäftsleitung nationalistisches Verhalten vor. "Anders kann man doch nicht erklären, dass sie vor wenigen Monaten bei der Auseinandersetzung um das Werk in Hamburg eine weitaus höhere Abfindung zugestanden haben. Wir hier in Esslingen sind vorwiegend Ausländer. Ich bin überzeugt davon, dass das eine Rolle gespielt hat."

Toktepe ist verheiratete und hat drei Kinder. Er arbeitet seit 30 Jahren im Werk und hatte als Organisator (Schichtführer) eine verantwortliche Stellung. "Heute fragt niemand mehr danach, dass wir jahrein jahraus hart gearbeitet haben. Wir werden behandelt wie Schrott, den niemand mehr braucht."

Während des Hungerstreiks musste er im Krankenhaus wegen akuter Herzprobleme behandelt werden. "Mein Ziel war es, den Arbeitsplatz zu verteidigen. Ich wollte die Bedingungen der Geschäftsleitung nicht akzeptieren. Nun haben wir zwar etwas mehr erreicht, aber viel ist es nicht. Ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden, aber es bleibt mit nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren. Anders als die IG Metall haben uns die Bevölkerung in Esslingen und auch viele Kollegen von anderen Betrieben jeden Tag unterstützt. Das war sehr gut."

Manfred Werner(45) arbeitet seit 20 Jahren bei Panasonic. "Mein Vater und viele Mitglieder unserer Familie waren hier beschäftigt. Ich habe mehrmals erlebt, wie die Eigentümer der Firma wechselten, und immer führte das zu Arbeitsplatzabbau. Jetzt wird ganz dicht gemacht. Ich bin mit dem Sozialplan nicht einverstanden. Ich brauche keine Abfindung, sondern Arbeit. Durch den Hungerstreik haben wir letztlich 2.000 Euro mehr als das ursprüngliche Angebot erreicht. Ob es wert war, dafür die Gesundheit aufs Spiel zu setzen, ist fraglich.

Als wir in den vergangenen Wochen die Geschäftsleitung daran erinnerten, durch welche Schwierigkeiten wir in so manchen Nachtschichten, Wochenendarbeit und Überstunden gegangen sind, wurden wir mit der Antwort abgespeist: dafür wurden sie doch auch bezahlt. Wir haben uns immer sehr stark für die Firma eingesetzt, und jetzt werden wir wie Dreck behandelt.

Über die Gewerkschaft bin ich enttäuscht, auch wenn ich immer noch Mitglied bin. Vor acht oder zehn Jahren konnte die IG Metall noch verhandeln und Druck ausüben. Heute stehen sie völlig auf der Seite des Managements. Ich habe gehört, wie ein IG Metall-Offizieller sagte: ‚Die Türken brauchen wohl mal wieder mehr Geld, um ihre Hotels in der Türkei zu bauen, deshalb sind sie in den Hungerstreik getreten.’ Früher im Betrieb gab es solche Argumente nicht. Ich weiß gar nicht, wie viele Nationalitäten in der Belegschaft vertreten waren, aber wir waren immer eine große Familie."

"Ich habe 27 Jahre hier gearbeitet", sagte Antonio Giorgi(50) der WSWS. "Ich lebe zwar alleine, aber das bedeutet nicht, dass mir die Abfindung für den Rest meines Lebens reichen wird. Das neue Hartz IV-Gesetz erlaubt es nicht, die Abfindung als Altersvorsorge anzulegen. Man muss sie aufbrauchen, bevor man Arbeitslosengeld II bekommt. Aber es sind nicht nur Geld und die Arbeit, die wir verlieren. Für mich und für viele andere waren die Kollegen am Arbeitsplatz eine große Familie. Ich würde sofort auf jeden Cent verzichten, wenn ich meinen Arbeitsplatz behalten könnte. Dazu kommt noch: Was soll aus der jungen Generation werden, wenn die Arbeitsplätze immer weiter abgebaut werden. Viele Politiker warnen die junge Generation vor Drogen und Alkoholmissbrauch. Das ist billig, wenn man gleichzeitig alle konkreten Zukunftsmöglichkeiten für Jugendliche zerstört."

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.wsws.org/de/2006/jun2006/pana-j29.shtml